Jeden Tag gegen 16 Uhr beginnt der Einzug der Gladiatoren. In den Straßen von Myeongdong, dem vollgestopften Seouler Shoppingdistrikt für die jüngere Kundschaft, bildet man ehrfurchtsvoll ein Spalier, das die Gasse in der Mitte für die Gladiatoren freilässt. Jene haben ziemlich an ihren Gerätschaften zu schleppen. Die meisten schieben sie, andere ziehen sie hinter sich her, bis alle hundert den ihnen genehmen oder auch zugewiesenen Platz gefunden haben. Dann wird aufgebaut, ausgepackt, angeheizt, denn etwa ab halb sechs wollen die Kunden nicht nur shoppen, sondern auch essen. Aber nicht einfach so, denn wir sind in Korea, und da muss Essen Spaß machen, Food-Entertainment halt.
Solltet Ihr schon in Seoul gewesen sein, werdet Ihr Euch bestimmt erinnert fühlen. Solltet Ihr demnächst kommen wollen, erhaltet Ihr hier schon einmal einen kleinen Einblick. Und wenn Ihr gar nichts mit Korea am Hut hat, dann könnt Ihr Euch zumindest durch die Fotos wischen.
Ich habe die folgenden 22 Leckereien ein bisschen versucht, nach ihrer Zubereitungsart zu sortieren. Es beginnt mit Gedämpftem, geht dann weiter zu Frittiertem, Gegrilltem, auf der heißen Platte Gebratenem und Gekochtem bis zu den süßen Nachspeisen. Food Entertainment bedeutet dabei, dass alles direkt vor Ort zubereitet wird und Ihr Euch zur Not auch einfach am Zuschauen erfreuen könntet. Okay, zugegeben, komische Idee.
Food Entertainment bedeutet aber auch, dass wir es hier nicht mit einem Schnäppchenmarkt für arme Viertelsbewohner zu tun haben. Fast alle Kunden (und es gibt viele davon) sind extra zum Shoppen und Essen in diese Gegend gekommen. Interessanterweise mag es aus unserer minimal eurozentrischen Sicht gar nicht so aussehen, als seien viele Touristen unter den Besuchern, denn die Zahl der Westerner ist nicht wirklich hoch. Aber es gibt nicht nur etliche koreanische Touristen vom Land und Ausflügler aus den Außenbezirken des Großraums, sondern auch solche aus ganz Ostasien von Malaysia bis China. Achtet einmal darauf, wie oft sich Händler und Kunden auf Englisch als Mittlersprache verständigen.
Die einzelnen Häppchen kosten zwischen 3.000 und 8.000 Won, also etwa zwischen gut 2 und gut 6 €. Dabei lässt man sich ein Häppchen zubereiten, zahlt und isst an Ort und Stelle und zieht so lange weiter, bis man satt ist oder aber sich satt gesehen hat. Die beste Zeit für den Besuch des Marktes in der Myeongdong-gil und den südlich angrenzenden Gassen ist meiner Erfahrung nach (da ich in der Gegend wohne, bin ich inzwischen öfter dort gewesen) zwischen 19 und 20 Uhr. Vorher ist teilweise noch nicht alles komplett bratbereit, und ab 22 Uhr löst sich der Markt peu à peu auf.
Ach, vielleicht noch etwas: Was das Reisen in Japan oder auch in Korea so angenehm macht, das ist die praktisch vollständige Abwesenheit von Klau, eingeschlossen einen solchen Marktaufenthalt. Wer sich nicht gerade in volltrunkenem Zustand in Etablissements begibt, von denen man weiß, dass die Regeln dort anders lauten, wird vielleicht ein paar irritierende Erlebnisse mit ungewohnten Kommunikations- und Verhaltensformen haben, aber ganz sicher nicht bestohlen oder gar überfallen werden. Als ich vorgestern für eine kleine Runde im Nationalpark unterwegs war, kam mir ein Mann entgegen, der seinen Wanderrucksack mit sämtlichen Wertsachen einfach an ein Geländer lehnte, um die öffentliche Toilette aufzusuchen. Warum so etwas bei uns (und genauso in weiten Teilen der restlichen Welt) nicht geht, wird eines der großen Rätsel der menschlichen Psyche bleiben.
Gyeranbbang – Ei im Brotteig, wobei man den Begriff “Brot” auf der Welt nicht unbedingt nur mit unserer Sauerteiggeschichte in Verbindung bringt. Hier handelt es sich um einen leicht süßen Rührteig, darauf ein mehr oder weniger hart gedämpftes Hühnerei. Schmeckt gut und eignet sich auch hervorragend als Frühstücksspeise.
Sundae – Blutwurst mit Glasnudeln. Ein ziemlich traditioneller koreanischer Snack, bei dem es (wie so oft in Ostasien) nicht nur auf den Geschmack, sondern auch auf die Textur ankommt. Die Glasnudeln werden längs in die Wurst eingearbeitet und sind relativ zäh, was den gelatinösen Charakter beim Anbiss erhöht.
Kartoffelspiralen – Für diese kunstvolle Drechselform gibt es extra eine kleine Maschine, in die man die Kartoffel steckt und dann dreht. Auf den Holzstab oder gar ums Wienerle herum muss der Verkäufer das Ganze dann aber manuell stecken.
Taschenkrebs – und zwar paniert und im Ganzen frittiert. Das macht die Sache so richtig knusprig, dazu eine der berüchtigten roten, süß-scharfen Saucen, und fertig ist das Fingerfood.
Ginkgo-Nüsse – Neben Kastanien bieten zwei bis drei Stände auch Ginkgo-Nüsse an, die sie über dem Holzkohlenfeuer rösten. Dabei muss die Schale währenddessen mit schnellen Drehbewegungen abgerieben werden. Die Nüssen sehen danach nicht mehr hellbraun (wie vorher) oder gelb (so wie in diesem Zwischenstadium) aus, sondern irgendwie glasig-grünlich. Wer noch nie Ginkgo-Nüsse gegessen hat, wird beim ersten Mal sicher von ihrer leicht rauchig-bitteren Art überrascht sein.
Jakobsmuscheln – aber nicht etwa primär auf dem Grill zubereitet, sondern gleich doppelt befeuert. Unten legt man die Muscheln ohne Rost direkt auf die heiße Grillkohle, und oben wird flambiert oder vielmehr überbacken. Dem gepflegten Franzosen würden die Haare zu Berge stehen, denn in die Jakobsmuschel kommen ein paar Maiskörner, ein Löffel Bechamelsauce und obendrauf zwei verschiedene Käsesorten, eine Art Cheddar und eine Art Gouda. Gekrönt wird das Ganze dann mit einem Kringel scharfer Ketchupsauce.
Purpurschnecke – wobei es sich um die Spieße links oben auf dem Foto handelt. Auch hier wird mit dem Flämmer gearbeitet, wobei unten allerdings der Eisenrost die Spieße vom Feuer trennt. Klar, die Schnecken sind ja, anders als die Jakobsmuschel, nicht mehr in ihrer Schale.
Tteokgalbi – eine Art Hackbällchen auf koreanische Art. Die Masse besteht neben Rippenfleisch von Schwein und Rind aus dem unvermeidlichen Knoblauch, Frühlingszwiebeln, Sojasauce, Sesam, ein bisschen Honig, Reissirup und natürlich der Würzung. Das Ergebnis vom Grill ist dadurch außen knusprig und innen recht luftig in der Konsistenz.
Abalone – auf der heißen Platte in Öl gebraten. Sonst nichts.
Eierküchle – auch das wirkt auf uns eher wieder nachspeisig, ist es aber nicht. Neben den drei verschiedenen Füllungen zur Auswahl (bacon, shrimps, vegetables) werden die beiden Hälften nach dem Zusammenklappen nämlich noch mit Mayonnaise, Sojasauce und Bonitoflocken garniert. Das Ganze schmeckt eher wie japanischer Takoyaki – nur eben ohne Tintenfisch.
Jeon – das ist der allgemeine Begriff für koreanische Pfannkuchen. Darüber hinaus gibt es wahrscheinlich ebenso viele unterschiedliche Versionen wie Menschen am Herd. Die Version, die ich gegessen habe, basierte vermutlich auf geriebenen Kartoffeln, vermischt mit Buchweizenmehl und Eiern, dazu Lauch. Die Version, die der Herr auf dem Bild gerade wendet, ist hingegen Kimchijeon, also mit scharf eingelegtem Kohl.
Kimchi-Rolle – schon wieder ein Feuerspucker am Werk. Ich hatte ja schon einmal darauf hingewiesen, dass die koreanische Küche (und ich meine damit eher Hausmannskost und nicht Palast) in aller Regel herzhaft daherkommt. Dieses offenbar ziemlich beliebte Fusionprodukt besteht aus einer traditionellen Kimchirolle, umwickelt mit einer Scheibe Schinken, auf der heißen Platte gebraten und geflämmt und anschließend noch mit verschiedenen scharfen und leicht süßen Saucen je nach Geschmack beträufelt.
Tintenfisch – in all seinen Varianten. Gebraten, geplättet, frittiert, getrocknet, außen möglichst ein bisschen knusprig und rauchig, innen leicht crunchy und immer ein bisschen zäh.
Yoki-Nudeln – Fast könnte man meinen, auf dem Streetfood-Markt von Myeongdong gäbe es nur Fischiges oder Fleischiges zu essen. Nun, dem ist natürlich nicht so. Während (soweit ich das beurteilen kann) Vegetariertum westlichen Zuschnitts hierzulande weniger üblich ist, gibt es natürlich verschiedene Religionen in verschiedenen Auslegungsformen, die den Genuss bestimmter Speisen reglementieren. An diesem Stand hier ist es ganz klar, dass das Nudelgericht fleischlos daherkommt, an einem anderen war ein Mann vor mir an der Reihe, der sich erfolgreich danach erkundigte. Man kommt als Vegetarier oder gar Veganer in Korea sicher nicht so gut über die Runden wie weiter im Süden Asiens, aber beispielsweise in der Nähe buddhistischer Tempel wird sich eigentlich immer ein derartiges Plätzchen finden.
Jesus ist natürlich auch immer dabei – schließlich sind wir in Korea.
Bami – Bami bezeichnet ganz einfach Nudeln aus Weizenmehl, aber an diesem Stand gibt es natürlich nicht nur gekochte Nudeln. Das Besondere ist nämlich die braune Sauce, die dazu gereicht wird. Auf der Vorderseite des Standes ist dabei ein scheißender Hund abgebildet, dessen Produkt exakt dieselbe Farbe besitzt wie die angebotene Sauce. Das bringt Glück und ist Teil des beliebten Klo-Humors – auch das ist nämlich Korea.
Eomuk-kkochi – das sind Fischkuchen am Spieß, gekocht in einer Brühe mit Rettich und Algen. Weil es sich nicht unbedingt um die wertvollsten Fischstücke handelt, die für Eomuk-kkochi verarbeitet werden, ist dies einer der günstigsten Snacks auf dem Markt.
Tteokbokki – das ist der große Topf, in dem der Mann gerade rührt. Für mich sind Kimchi und Tteokbokki (ausgesprochen Tock-bocki) die wichtigsten Dinge in der koreanischen Küche. Kimchi symbolisiert die große Kunst des Fermentierens und Tteokbokki den alternativen Blick auf Reis – es handelt sich nämlich um gepresste Reismehlstangen. Beide haben noch gemein, dass sie immer in einer scharfen Sauce angeboten werden. Diese Sauce oder vielmehr zunächst Paste heißt “Gochujang” und besteht aus roten Chilies, Klebreis, fermentierten Sojabohnen und Salz, in aller Regel auch noch mit Knoblauch abgeschmeckt. Diese Paste ebenso wie Kimchi selbst wurden seit Jahrhunderten in Tontöpfen außerhalb des Hauses vergoren, wobei die Chilies selbst erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts dazukamen. Die rote Sauce in ihren verschiedenen Varianten ist absolut unvermeidlich in der koreanischen Küche. Wenn Ihr gern scharf esst, ist es der Himmel, wenn nicht, wird Euch vieles Typische damit entgehen.
Erdbeer-Mochi – eher eine Speise, die man mit Japan in Verbindung bringt: Erdbeeren, umhüllt von einer Paste aus gestoßenen roten Bohnen, darum ein Mantel aus zähem Reismehlteig. Fusion ist aber ohnehin angesagt auf diesen Märkten, man spürt den Einfluss der Nachbarländer, aber auch des Westens in Form amerikanischer Esskultur mit Chicken Wings, Ketchup & Mayo.
Geleeschnitten – mit verschiedenen Früchten. Anders aber als auf den ersten Blick zu vermuten, haben wir es hier nicht mit dem europäischen Obstkuchen zu tun. Unter der Schicht aus frischen Früchten in durchsichtigem Guss befinden sich noch zwei weitere Schichten aus unterschiedlich festem Agar-Agar – wieder einmal nicht nur Geschmack, sondern auch Textur.
Hotteok – eine traditionelle koreanische Süßspeise, wobei man das mit der Trennung hier nicht so eng sieht. Ich habe beispielsweise gestern beobachtet, wie ein Pärchen diese mit Zucker oder einer süßen Paste aus roten Bohnen gefüllten Weizenmehl-Pfannkuchen als Beilage zu Tintenfisch-Spießen gegessen hat.
Kkultarae – ein echtes Palasthäppchen. Bereitet wird es aus Honig und Maltose, wobei so lange gezwirbelt wird, bis sich exakt 16.384 “Härchen” gebildet haben. Nachgezählt. Mit diesen Fäden werden dann zerstoßene Nüssen und Schokolade umwickelt. Die Tradition stammt aus dem alten China, wo die luftigen Päckchen als “Drachenbart” bekannt sind. Ich hatte dieses erstaunliche Produkt schon einmal in Tokios Koreatown gegessen. Leider kann man die Teilchen nicht einzeln kaufen, sondern immer nur die ganze Schachtel, aber trotzdem absolut empfehlenswert.
Zitronensaft – wird ebenso wie Orangensaft oder Granatapfelsaft frisch gepresst und in der Trinktüte mit Strohhalm angeboten. Darüber hinaus gibt es auf dem Markt aber keine “Trinkstände”, also weder Tee noch alkoholische Getränke. Wer währenddessen bereits Durst hat, müsste sich ein kaltes Teefläschchen aus einem der vielen “Conbinis” holen, die rund um die Uhr geöffnet haben.
Ansonsten ist der Streetfood Market von Myeongdong ohnehin ein Ort, an dem man seinen erfolgreichen Shopping-Raubzug beschließt und noch ein paar Häppchen zu sich nimmt, um dann entweder wieder mit der Bahn in die Vorstadt oder ins Hotel zurückzufahren oder aber in Kneipen und Clubs weiterzuziehen. Für mich sind solche Märkte mit ihrem Trubel, ihren kleinen Wägelchen, dem Lärm, den Gerüchen und Geschmäckern ein Ort, der mir immer wieder bewusst macht, warum ich so gern in asiatischen Ländern unterwegs bin.
Ohhhh Erinnerungen krabbeln hoch ins Gedächtnis. Danke für diese ausführlichen Schilderungen!
Toll geschrieben, bin ganz beeindruckt von Deinem Blog und den Fotos! Jetzt weißt Du auch warum ich als Koreanerin so gern und viel esse und den Stammtisch gegründet habe 😉. Noch ein Tipp von mir: Probier mal den lebendigen Tintenfisch (Nak-ji). Viel Spaß noch in Korea, bin gespannt was Du nach Deiner Rückker so erzählst! Bin übrigens im Okt. auch in Japan und Korea. Hoffe Du kannst mir bis dahin n paar Tipps geben!
LG aus dem kalten Nürnberg
Oh, ob ich Dir für Korea Tipps geben kann, ist doch eher zweifelhaft 😉 , Tokio natürlich gern. Gerade war ich auf dem Rückweg von einem Termin noch beim Noryangjin-Fischmarkt. Wirklich beeindruckend, „Ihr Koreaner“ versteht schon was von Marketing 😉 Ist für mich sehr sehr spannend hier, das alles zu sehen. Vielleicht stehst Du mir ja nach meiner Rückkehr mal als Interviewpartnerin zur Verfügung… 🙂
Pingback: Schmausepost vom 29. April | Schmausepost
Vielen Dank für Deinen Bericht – jetzt hab ich noch ein paar mehr Dinge auf der must-try Liste für den geplanten Korea-Urlaub nächstes Jahr 🙂
Pingback: Schmausepost vom 6. Mai | Schmausepost
Wow…vieles davon hört sich ziemlich lecker an und sieht auch so aus. 🙂 Wäre doch mal eine Überlegeung wert nach Korea zu fliegen… 🙂
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