Grau war es die ganze Zeit draußen, der Regen fiel, und während ich mich darüber ärgerte, dass die Weinhandlung “Caprices de l’Instant” ihre Inventur um einen Tag verlängert und mich damit quasi ausgesperrt hatte, erschossen 600 Meter Luftlinie entfernt zwei verirrte und verlorene Seelen ein Dutzend Menschen. Natürlich hat ein solches Ereignis, dem ja noch ein zweites folgen sollte, meinen Aufenthalt in einer der großartigsten Städte der Welt überschattet. Ich habe auch eine Weile darüber nachgedacht, ob ich meine Gedanken zur gesellschaftspolitischen Lage im Allgemeinen und den Ereignissen in Paris im Besonderen hier auf diesem virtuellen Papier festhalten sollte. Ich habe dann aber darauf verzichtet, zum einen aus Gründen der Redundanz, zum anderen, weil es wahrscheinlich bessere Orte dafür gibt als diesen Genussblog. Und so werdet Ihr hier von Chocolatiers lesen können, die in verschiedenen Jahrzehnten unterwegs sind, von einem Buch- und einem Weinladen, den ich Euch besonders ans Herz lege und von einem japanischen Gericht mit Mayonnaise.
Viel zu lange war ich nicht in Paris gewesen. An Namen von Metrostationen konnte ich mich nicht mehr erinnern, hatte von allen Guides immer nur die vorvorletzte Ausgabe dabei, und manche gar nicht mehr so neuen Neuerungen hatte ich noch überhaupt nicht mitbekommen. Der Tour Montparnasse, ansonsten immer mein erster Anlaufpunkt für einen wortwörtlichen Stadtüberblick, fiel diesmal erst wegen des Nebels und dann wegen des Sturms aus.
Also musste meine Überblicks-Nummer-Zwei ran: In Paris gibt es zwei große Kaufhäuser mit Feinkostabteilungen von Depachika-Ausmaßen, die Galeries Lafayette am Boulevard Haussmann und die Grande Epicerie des Kaufhauses Bon Marché an der Metrostation Sèvres-Babylone. Beide haben in den letzten Jahren einen Umbau hinter sich gebracht. Solltet Ihr also noch auf dem alten Stand sein, schaut besser mal dort vorbei. Wenn ich nur Zeit für eine von beiden habe, nehme ich immer die Grande Epicerie. Zum einen ist die Weinabteilung wesentlich besser, sprich interessanter sortiert, zum anderen bin ich wahrscheinlich selbst mehr Rive Gauche als Rive Droite.
Damit Ihr auf diesem Blog nicht meinem chaotischen Streifzug durch Paris chronologisch folgen müsst, habe ich versucht, alles ein bisschen besser zu ordnen.
Drei Stadtviertel, die ich erkundet habe
Natürlich ist es an einem trüben Januartag an der Seine im Prinzip genauso trüb und kalt wie anderswo. Aber es ist auch so wenig los, dass Ihr Euch die Quais am Ufer nur mit ein paar Pariser Joggern teilen müsst. Und falls die Sonne doch einmal herauskommen sollte: Nirgends in Paris ist der Himmel so weit wie am Ufer und auf den Brücken über die Seine. Am Horizont ist schon fast das Meer zu ahnen.
Zu meiner Schande muss ich gestehen, die Rue Sainte-Anne bislang überhaupt nicht richtig wahrgenommen zu haben. Wahrscheinlich deshalb, weil sie im 1. Arrondissement liegt, praktisch direkt nördlich vom Louvre, und da erwartet man irgendwie kein authentisches Leben. Aber ganz im Gegenteil: Hier ist das Herz des japanischen Paris mit jeder Menge echter Restaurants und Pinten, es gibt für Regentage die charmante Passage Choiseul und am oberen Ende der Straße in Läden wie der Niederlassung der Epicerie Roellinger und der großartig ausgestatteten Reisebuchhandlung der Voyageurs du Monde äußerst interessante Dinge zu entdecken.
Es mag sein, dass sowohl das Einkaufszentrum Olympiades als auch die gesamte alte (Indo-) Chinatown um die Avenues de Choisy und d’Ivry herum schon einmal bessere Zeiten gesehen haben. Aber wenn Ihr auf der Suche seid nach einem chinesischen Horoskopkalender, der neuesten K-Pop-DVD oder einfach nur Lotuswurzeln mit Garnelen oder Qualle mit Sesam essen wollt, hier im 13. Arrondissement seid Ihr nach wie vor richtig. Allerdings nicht an einem Sonntag oder einem Montag. Sonntags gibt es in Paris ohnehin praktisch nur die Champs-Elysées, auf denen etwas los ist. Ansonsten geht man halt spazieren und setzt sich in ein Café.
Drei Chocolatiers/Pâtissiers, die ich besucht habe
Christian Constant ist ein Großmeister der Chocolatierkunst, der stilistisch in den Schwarz-Weiß-Marmor-Chrom-Eighties steckengeblieben ist. Letzteres könnt Ihr feststellen, wenn Ihr seinen Laden an der Ecke zwischen der Rue d’Arras und der Rue de Fleurus im 7. Arrondissement aufsucht. Das tut seiner Kunst aber keinen Abbruch. Hier findet Ihr nämlich die dunkelste, intensivste, kakaohaltigste Ganache von ganz Paris.
Laurent Duchêne ist vor einigen Jahren “Meilleur Ouvrier de France” geworden, und zwar in der Kategorie “Pâtisserie”. Anders aber als manch anderer MOF wie Paul Bocuse oder Joël Robuchon hat Laurent Duchêne anscheinend nicht vor, diesen Titel als Startpunkt für eine Weltkarriere zu sehen. Nach wie vor besitzt er seine kleine Backstube in der Rue Wurtz, während seine Frau Kyoko die andere Verkaufstelle in der Rue de la Convention führt. Seine Baguettes gehören für mich zu den besten, die es überhaupt gibt (natürlich auch sie hochdekoriert), aber passend zum Dreikönigstag habe ich diesmal die Galette des Rois erstanden. Das ist alles kein goldflitternder Superluxus, sondern allerbestes Handwerk aus allerbesten Zutaten. Also genau nach meinem Gusto.
Wenn Christian Constant stilistisch mitten in den 80ern steckt, gilt für Michel Chaudun dasselbe für die 60er. Nicht nur, dass er keine Website besitzt und auf der Rückseite seiner Visitenkarte ein Ausschnitt aus dem Stadtplan von Paris ebenjenes Jahrzehnts abgebildet ist. Nein, es ist insbesondere sein produit phare, das so großartig aus der Zeit gefallen erscheint. Es handelt sich um einen sehr hedonistischen, köstlichen dunklen Trüffel (den “Pavé de la rue de l’Université”), umhüllt von Kakaopuder. Das Ganze steckt in einer Verpackung, die aussieht wie eine nachempfundene, gelbe Gauloises-Schachtel (!) zum Aufklappen.
Drei Orte, an denen ich mein Mittagessen einnahm
In Paris erfindet sich die Bistrotkultur immer wieder neu. Wenn nicht eine Variante davon zwischenzeitlich ausstirbt, gibt es irgendwann einmal alles gleichzeitig: die teuren Luxusbistrots, die eigentlich Kaviar-Clubs sind; die rustikalen Auvergnaten-Schuppen; die freigeistig-lauten Vin Naturel-Läden – und diese Variante hier, das moderne Marktfrische-Bistrot. Eric Trochon ist MOF, also den guten Produkten und dem wahren Handwerk verpflichtet, und genauso führt er gemeinsam mit Matthieu Roche das Bistrot Semilla im Quartier Latin. Das Mittagsmenü für 24 € hatte Folgendes zu bieten: drei kleine Vorspeisen mit langen Namen (“Velouté de potimarron, mousse cédrat; Salade de potimarrons, effiloché de canette fumé; Buns pavot blanc, crème aux herbes”) und eine Auswahl von drei Hauptgerichten (eins davon vegetarisch; ich nahm aber etwas anderes: “Filet mignon de cochon en feuille de cannelier, betteraves rôties, fruit de la passion, jus au café” – das Foto oben). Alles jahreszeitlich-wurzelig und frisch, und vor allem von einem Auftrag geprägt: totale Transparenz. Die Küche im Semilla ist nämlich vollkommen offen, und auf der Rückseite der ausgedruckten Menükarten befinden sich die jeweiligen Rezepte.
Denkt man hierzulande an die japanische Küche, werden einem unwillkürlich die Stichworte Sushi und Sashimi einfallen, vielleicht auch eine Miso-Suppe, in jedem Fall aber, dass es sich um eine gesunde, ultra-frische und kalorienarme Sache handelt. Wenn Ihr ins Restaurant Aki in der schon beschriebenen Rue Sainte-Anne geht und Euch dort am Tresen zur Mittagszeit niederlasst, werdet Ihr Euch hingegen fühlen wie in einem anderen Film – einem original japanischen Film allerdings. Die Spezialität dort heißt nämlich Okonomiyaki, ein ursprünglich aus der Region um Osaka stammendes, tja, Heißplatten-Auflauf-Gericht mit schön Soße und Mayo. Während man sich in Japan die Sachen oft selbst mischt und brät, kann man im Aki dabei wenigstens zusehen. Nicht die hohe Schule der Kochkunst, klar, aber genau der richtige Happen, um Kraft für die nächsten Stadt-Stunden zu geben.
Nein, das Restaurant, in dem ich am letzten Tag gegessen habe, befindet sich nicht in dem spektakulär abgeschnittenen Gebäude auf dem Foto links, aber man kann es von dort sehen. In dem halben Haus habe ich übrigens schon einmal übernachtet; in ihm ist das Hotel Tolbiac untergebracht mit einer feinen Buslinien-Beschallung dank der einfach verglasten Fenster. Auf dem rechten Foto seht Ihr dafür eine der Spezialitäten des “Trésors d’Asie” in der Avenue d’Ivry, das sich der ländlichen Sichuan-Küche verschrieben hat, Huhn mit verschiedenen Pfeffern. Die Auberginen nach Yuxiang-Art und der Mapo-Tofu wärmten dank ihrer Pikanz ebenfalls sehr gut an diesem ungemütlichen Tag, wirkten jedoch ein bisschen weniger fotogen.
Drei Mitbringsel, die meinen kleinen Koffer füllten
In Paris gibt es fast alles zu kaufen, was in französischen Weinbergen produziert wird. Dem gewöhnlichen Paris-Touristen wird das egal sein, mir aber selbstverständlich nicht. Wenn man allerdings nur mit einem kleinen Handgepäcks-Koffer unterwegs ist wie ich, sind dem Kaufrausch natürliche Grenzen gesetzt. Von den vielen empfehlenswerten Weinhandlungen in Paris möchte ich Euch, die Ihr auch nach dem Besonderen Ausschau haltet, eine besonders empfehlen, und das aus drei Gründen: La Cave des Papilles im 14. Arrondissement hat sowohl die jungen Wilden im Angebot als auch rare Schätzchen wie den Wein, den ich hier gekauft habe, “Les Nourrissons” von Stéphane Bernaudeau. Zudem besitzt ihre Website einen Online-Shop, was für französische Cavisten totales Neuland ist, Ihr könnt Euch also schon zu Hause vorfreuen. Und schließlich befindet sich die Weinhandlung in der Rue Daguerre, einer bekannten Gourmetstraße mit zwei Käsegeschäften, drei Weinhändlern, drei Metzgern, Gemüsehandel, Fischhandel und was weiß ich noch alles direkt nebeneinander.
Sadaharu Aoki ist ein japanischer Pâtissier, der seit 1991 in Paris lebt und wirkt. In Tokio hatte er zunächst in der Boutique von Michel Chaudun gelernt, den Ihr von weiter oben schon kennt. Ähnlich wie bei Laurent Duchêne geht es ihm auch um die wahre Meisterschaft, um das ständige Dazulernen. Deshalb möchte er auch noch täglich formen, abschmecken, backen, bewerten, verwerfen, variieren, klüger werden. Auch wenn er die handwerkliche Präzision bei Chaudun gelernt hat, ist sein Stil doch ein ganz anderer. Bekannt wurde er anfangs durch seine kulinarische Begleitung bei Modeschauen von beispielsweise Kenzo oder Yohji Yamamoto. Dementsprechend sind seine Kreationen eher beschwingt, innovativ und farbfreudig wie die oben abgebildete Genmaicha-Schokolade. Wenn Ihr wissen wollt, was sich in der (innen noch viel farbfreudigen) Schachtel unterhalb der Genmaicha-Tafel befindet – dann müsst Ihr auf den Blog der Reisebegleiterin gehen, die in Paris ganz andere Orte unter einem ganz anderen Blickwinkel besucht hat.
Ich weiß nicht, wann ich Frankreich das letzte Mal verlassen habe, ohne einen ganzen Stapel neuer Bücher und Karten im Gepäck. Nun war es klar, dass ich mit meinen kulinarischen Vorlieben in einer der beiden kulinarischen Hauptstädte der Welt fündig werden würde. Es kommt aber noch etwas anderes hinzu: Frankreich ist ein Land der Buchkultur. Es gibt Buchhandlungen wie das Stammhaus von Gibert & Joseph mit unvorstellbaren 280.000 verschiedenen Buchtiteln auf 4.900 m² Verkaufsfläche. Es gibt aber auch die kleinen, spezialisierten Läden, Redaktionen, Verlage, die sich hoffentlich noch lange erhalten mögen, denn das, was dort geschaffen wird, ist keineswegs überall im Internet zu finden. Die acht Bücher mit geopolitischen Analysen (ein Thema, von dem Ihr auf diesem Blog aller Voraussicht nach verschont bleiben werdet), die ich nicht auch noch mitnehmen konnte, habe ich gestern per Mausklick dann schließlich doch nachgeordert…
Und damit bin ich nach meiner leicht anstrengenden und aufregenden Tour wieder zurück in der kleinen fränkischen Welt. Wenn man mich fragen würde, ob ich in Paris für längere Zeit leben möchte, wäre ich mir bei der Antwort nicht so sicher. Aber immer wieder regelmäßig dort sein, das will ich ganz bestimmt.
Wunderbar, bekomme gleich Lust auf Paris. Und mit Erschrecken festgestellt, daß der letzte Besuch schon weit über 10 Jahre her ist…
Heute hat mir eine Kollegin gestanden, dass sie sogar schon vor 15 Jahren das letzte Mal in Paris war, “bevor es dann mit den Kindern losgegangen ist”, wie sie sagte. Da wird es wirklich mal wieder Zeit. Aber warte vielleicht, bis die ersten Blätter hervorkommen, da gefällt es mir in Paris immer am besten…
War im September in Paris. Wettertechnisch auf jeden Fall empfehlenswert. Vielen Dank für die Tips, die Rue Daguerre werde ich das nächste Mal bestimmt aufsuchen. ‘La Grande Epicerie’ war auch auf meiner Runde dabei, die Rue St. Anne habe ich zufällig auf dem Weg zurück zum Hotel entdeckt, leider am letzten Tag und zu spät um noch irgendwo dort zu essen. Hätte schon wieder Lust aufzubrechen aber vermutlich klappt es erst im September wieder.
Es gibt ja nicht gerade viele interessante Orte, in die man von Nürnberg aus direkt fliegen kann. Aber zum Glück (und warum auch immer) fliegt Air France viermal am Tag von Nürnberg nach Paris. Da könnte man eigentlich viel öfter in Paris sein 😉
Findest Du die grande épicerie gut nach dem Umbau? Nicht zu sehr bling bling? Wir alle hier, die schon seit Jahrezehnten dort regelmässig einkaufen ( alos keine Touris) sind eher alle enttäuscht, Es hat jetzt Monoprix-Niveau. Die Weinabteilung ist abartig teuer, wenn Du ein paar Schritte weiter gehst, hast Du die gleichen Weine für locker 20-30% weniger. Dagegen muss ich als habitante der rive gauche sagen, dass Galerie Lafayette jetzt echt besser ist als Grande Epicerie, ja putain, fällt schwer zu sagen, weil rive droite!
Ob besser als vorher, weiß ich ehrlich gesagt auch nicht. So genau habe ich das frühere Angebot nicht präsent, das kannst Du sicher besser vergleichen. Was mir bei den Weinpreisen allerdings aufgefallen ist: Ein paar Kultweine werden in der Tat zu absonderlichen Preisen verkauft, der “einfache” Clos Rougeard beispielsweise für 93 €, zugegeben aus dem Jahrgang 2005, aber trotzdem dreimal so teuer wie Normalpreis. Dafür hatten sie oben an der Treppe den Bourgogne von Jean-Louis Trapet für sehr faire 15,50 €. Man muss also ziemlich suchen, will man die nicht überteuerten Sachen haben. Aber in Sachen Wein sind sie meiner persönlichen Meinung nach immer noch deutlich besser als Lafayette mit deren ausschließlicher Konzentration auf Bordeaux.
Hallo Matze,
danke für den wunderbaren Bericht. Im April bin ich tatsächlich auch zum ersten mal in Paris und freue mich schon sehr! Durch dich habe ich nun schon ein paar Anlaufstellen auf meine Liste gesetzt. Würde mich auch sehr freuen, wenn du noch weitere besondere Empfehlungen hast, Unterkunft muss noch gefunden werden und ein Restaurant zum 40.Geburtstag, Kulinarisch sollte es top sein (sprich frisch, mit Liebe und möglichst regional/saisonal zubereitet) aber nicht so steif und streng – fällt dir da spontan etwas ein?
allerbeste Grüße aus Stadeln
Wabbi
Ich glaube, bei der Kombination kommt am ehesten eins der “Néo-Bistrots” in Betracht. In der aktuellen “Cuisine et Vins de France” werden vier der besten vorgestellt: das A.Noste (2. Arrondissement), das Coretta (17.), das 58 Qualité Street (5.) und lustigerweise das Semilla (6.), in dem ich war. Die besten Bistrots dieser Art im Lebey sind das Caillebotte (9.), das Chez Graff (7.), das Café Trama (6.) und das Roca (17.). Ich denke, wenn Du unter diesen Läden auswählst, machst Du nichts falsch. Kannst Dir ja mal die Websites anschauen, was Dir vom Stil her am besten gefällt.