Der Jahrgang 2007 sollte für viele Winzer nach dem “Schreckens-Herbst” 2006 eigentlich eine große Erleichterung sein. Und die äußeren Bedingungen waren dann auch wirklich bei weitem besser. Allenthalben wurden die großartigen Möglichkeiten bejubelt, aber offenbar – wenn man die zeitgenössische Literatur konsultiert – waren viele Winzer nach den schlechten Erfahrungen des Vorjahrs ein wenig ängstlich und lasen früh, zu früh, wie manche Weinkritiker meinten. Dennoch war man sich einig, einen ganz guten Jahrgang im Keller zu haben. Mittlerweile mehren sich unter Weinfreunden die Stimmen, dass der Jahrgang 2007 ein gewisses Problem hinsichtlich der vorzeitigen Reifung der Weine besitzen könnte. Zeit also für mich, ein paar 2007er-Rieslinge zu öffnen und ein wenig unter die Lupe zu nehmen.
An die ganz Großen wollte ich dabei noch nicht heran. Erst wenn ich herausgefunden haben sollte, dass die Mittelgroßen tatsächlich schon über ihren Höhepunkt hinweg sind, würde ich auch Halenberg, Morstein und Konsorten einmal öffnen. Ihr wisst ja vielleicht, dass ich keine Sechserkisten zu kaufen pflege, sondern Einzelflaschen, und da reut es einen natürlich besonders, einen potenziell großartigen Wein zu früh weggeschluckt zu haben.
Der Versuchsaufbau war dabei wie immer: Sechs Weine, erst blind getestet, dann aufgedeckt, um die Stimmigkeit zwischen Erwartung und Gebotenem abgleichen zu können, und schließlich noch eine Nachverkostung der Reste am übernächsten Tag. Preislich lagen alle Weine im Bereich zwischen 15 und 22 €.
Wein 1: Domaine Léon Boesch, Alsace Grand Cru Zinnkoepfle, 13 vol%
Der dunkelste Wein im Test, goldgelb, staubige Botrytis in der Nase, ungeheuer viel Honig, sofort als Elsässer zu erkennen. Blind probiert, fällt mir zunächst eine starke Säure auf, viel Kraft, viel Schmelz, dafür aber weniger die typische Rieslingfrucht. Ganz ohne Zweifel ein sehr guter Wein, der durch die geringere Süßeneigung auch gut zu etwas kräftig-cremigerem Essen passt. Die Honig-Säure-Mineralitäts-Noten sind dafür sehr stark präsent, und obwohl mir persönlich der Wein sehr gut gefällt, fürchte ich, dass er den derzeitigen Geschmacksvorlieben deutscher Rieslingtrinker nicht wirklich entspricht. Wenn es um Plätze oder gar um Noten geht, habe ich ein Problem. Im Prinzip ist von Platz 1 (“der potenziell hochwertigste Wein”) bis Platz 5 (“gefällt mir stilistisch nicht”) alles möglich. Ich habe mich für Platz 2 entschieden, man kann es aber auch ganz anders sehen.
Wein 2: Weingut Wittmann, Rheinhessen, Westhofener S trocken, 13 vol%
Relativ hell in der Farbe, relativ süß in der Nase, ganz klar rieslinghaft, helle Mineralität. Beim Blindtest zeigt sich der Wein erstaunlich frisch zu Anfang, leicht perlend gar, und aromatisch gesehen stark auf der zitronigen Seite. Mit mehr Luft entwickelt sich unser Freund aber und zeigt letztlich die größte Ausgewogenheit aller angebotenen Weine. Ein mittlerer Stoff, wie in dieser Preiskategorie zu erwarten, perfekt balanciert zwischen Süße, Säure, Mineralik, Kraft und Fluss. Dies ist mit Abstand der Wein, der dem derzeitigen Verständnis eines trockenen deutschen Rieslings am meisten entspricht. Freaks werden ein wenig die Ecken und Kanten vermissen, aber letztere wären nach mehrjähriger Lagerung ohnehin nicht mehr so ausgeprägt wie bei einem Jungwein. Gefällt allen mindestens gut, möchte ich wetten, und deshalb mein Platz 1.
Wein 3: Weingut Kranz, Pfalz, Kalmit Spätlese trocken, 13,5 vol%
Recht dunkel in der Farbe, fast genauso golden wie der Boesch, dafür an der Nase fruchtfrei-staubig und komplett trocken wirkend. Am Gaumen kommt beim ersten Durchgang etwas Sprödes zum Vorschein, der Wein ist in der Tat am trockensten, was wiederum die Säure, die eigentlich am mildesten erscheint, dennoch in den Vordergrund bringt. Kraft ist genug da, allein die Frucht scheint völlig verschwunden. Und nicht nur das: Leider ist dieser Wein stark oxidiert, was man im weiteren Verlauf immer stärker merkt. Schade schade, ich hatte mich sehr auf den Wein von Boris Kranz gefreut. Grund für den leider verdienten Platz 6 ist aber nicht die mangelnde Leistung des Winzers, sondern etwas ganz anderes. Die Auflösung folgt im Fazit.
Wein 4: Weingut Breuer, Rheingau, Terra Montosa, 12 vol%
Eine mittlere Farbe und erstaunlich wenig in der Nase. Was wird das? Beim Blindtest fällt mir zunächst die kräftige Säure auf, die von allen Weinen vielleicht am meisten im Vordergrund steht. Dabei erscheint sie aber nicht spitz und unangenehm, sondern grapefruitig-flächig und kommt als prägende Frucht gleichzeitig von vorn und von hinten. Ansonsten haben wir hier wie bei Wittmann das klassisch deutsche Verständnis von Rieslingcharakter am Start, stärker auf der säuerlichen Seite als bei ersterem, aber dennoch gepuffert durch eine gewisse Restsüße. Ein definitiv lagerfähiger Wein, jetzt im Moment immer noch sehr frisch. Platz 4, wobei die folgenden beiden Weine zwar völlig unterschiedliche Stile repräsentieren, aber auf einem ähnlichen Niveau. Die Plätze 3-5 liegen also sehr eng zusammen – und alle Weine sind gelungen, das kann ich schon einmal vorwegschicken.
Wein 5: Weingut Heymann-Löwenstein, Mosel, Winninger Uhlen Laubach, 13 vol%
Zwar auf der gelberen Seite von der Farbe her, aber in dieser Konkurrenz nur die Nummer 3. Sehr saftig-tropische Nase, dicke Aprikose, man ahnt schon, was da noch kommen wird. Am Gaumen dann wesentlich milder im Säuregefühl als alle anderen, was natürlich auch mit dem höheren Zuckergehalt zu tun haben kann. Sehr reif und gelb, dann aber mit einer Bitternote im Abgang, die das Ganze nicht zu fett werden lässt. In dieser Phase – ich bin gespannt, ob das mit den 2012er-Weinen auch noch so funktioniert – ziemlich klar als Heymann-Löwenstein-Produkt zu erkennen. Viel besser als beim ersten Jungwein-Versuch des Uhlen B, was natürlich kein Wunder ist. Komplett reif, dicht, nahtlos, nur halt sehr schlecht geeignet zu klassischem Weißwein-Essen. Dafür aber gut zu pikantem Fingerfood mit dem guten alten Mosel-Dreiklang von Chili, Kokos und Koriander. Ein hochwertiger Wein von eigener Stilistik, mein Platz 3.
Wein 6: Weingut Zehnthof Luckert, Franken, Maustal ***, 12,5 vol% (glaube ich, leider vergessen zu notieren)
Bevor die Luckerts ihre Großen Gewächse auf den Markt bringen durften, wurde hier auch schon guter Wein gemacht. Dass es ein fränkisches Produkt ist, ahne ich schon an der hellen Farbe und an der ebenso hellen Ana-Nasnas-E, äh, Ananas-Nase (sorry, der Spaß eines Neunjährigen, damit habe ich diesen seriösen Artikel komplett zerschossen). Am Gaumen wesentlich heller, zarter, fast duftiger als alle anderen Mitstreiter. Weniger Säure, Kräuter, marokkanische Minze, helle Blüten. Ich ahne, weshalb die fränkischen Rieslinge bei eigentlich allen großen Querverkostungen immer gegen die Gewächse aus Rheinhessen und der Pfalz verlieren: viel weniger Kraft und Tiefe, viel zarter und subtiler. Auch ich habe nach langem Überlegen und Hin- und Hertesten schließlich den Platz 4 gezückt, ex aequo mit dem Breuer-Wein.
Mein Fazit
Dies war ein äußerst erfreulicher Test. Alle Weine (bis auf einen) befanden sich auf ihrem Reifehöhepunkt, waren saftig, frisch, entweder kraftvoll oder subtil, in jedem Fall aber reintönig und nachhaltig. Die verschiedenen Stil-Interpretationen zeigten noch dazu, welche Bandbreite das Konstrukt “trockener Riesling” bereithalten kann. Dass ich mir bei der Platzwahl schwer tat, ist also kein Wunder: Das Niveau war durchgängig hoch, und wie man hier punktet, scheint mir doch eher den persönlichen Präferenzen geschuldet zu sein. In der Preiskategorie zwischen 15 und 20 € sind für mich die spannendsten trockenen Rieslinge zu haben. Nicht mehr so gefällig wie die Gutsrieslinge, aber auch ohne die Showeffekte, die die Großen Gewächse gelegentlich an den Tag legen.
Weshalb der Kalmit von Kranz in dieser Runde nicht mithalten konnte, hatte nur einen einzigen Grund: Alle anderen Weine hatte ich jung gekauft und sofort in den Naturstein-Gewölbekeller gelegt, wo sie ihrem Optimum entgegenreifen konnten. Den Wein von Kranz hatte ich hingegen erst vor kürzerer Zeit im Weinhandel erstanden – offenbar schlecht gelagert und vielleicht auch bereits durch mehrere Hände gegangen. Ich möchte nicht behaupten, dass dies der einzige Grund dafür ist, weshalb sich die 2007er-Weine bei manchen Gelegenheiten als vorzeitig gereift präsentiert hatten, aber es lässt mich zumindest nachdenken.
Zwei Konsequenzen ergeben sich für mich daraus:
1. Die 2007er-Rieslinge sind gut; ich werde den größeren Vertretern also noch ein wenig Kellerruhe gönnen.
2. Wenn ich einen Wein nicht jung erstehen kann, sollte ich es wahrscheinlich lieber ganz sein lassen. Ausnahmen bei Händlern, deren Transportgebaren und Lagerbedingungen ich genau kenne, mögen dabei als Bestätigung der Regel gelten.
Welche Erfahrungen habt Ihr bislang mit den 2007er-Rieslingen gemacht? Lagern noch welche davon bei Euch im Keller?
Bei mir liegen vor allem die Weine (Einzelflaschen wie bei dir) von Wagner-Stempel, Dönhoff, Christmann und Loimer. Habe bisher auch nur die Weine bis 15,- aufgemacht. Die(!) Enttäuschung sind die Weine von Dönhoff. Dort hat sich die Säure komplett verflüchtigt. Vor allem die Gutsweine von W-S stehen dagegen wie eine eins. An die großen Weine wie Hermannshöhle, Idig und Käferberg habe ich mich noch nicht rangetraut.
Wagner-Stempel habe ich Spätbekehrter erst vor einigen Jahren für mich entdeckt, eigentlich erst, seitdem es die Weine bei K&U gibt und ich mich bei der Hausmesse durchs wirklich komplett überzeugende Programm probieren konnte. Wundert mich nicht, dass der 2007er bei denen schon so gut ausgefallen war.
Bei Dönnhoff mag ich ehrlich gesagt nur die feinen Süßen, eben weil sie so fein sind. Das, was ich da an Eleganz reininterpretiere, finde ich bei den trockenen Weinen langweilig. Dass sich die Säure komplett verflüchtigt hat, ist aber jedenfalls ein seltenes chemisches Phänomen. Wenn ich mich an die “alten” trockenen Rieslinge erinnere, die ich bei der “Kameha-Probe” (http://chezmatze.wordpress.com/2012/01/31/aufbruch-des-trockenen-rieslings-weinprobe-im-kameha-grand-hotel-in-bonn/) oder bei meinen Eltern getrunken habe, dann war die Säure eigentlich das einzige, was auch bei den ausgezehrten Kollegen noch gestanden hat. Gut, von den entsäuerten Produkten mal abgesehen, sowas soll der eine oder andere Winzer in jüngerer Zeit ja schon mal gemacht haben 😉
Leider findet sich dieser Mangel an Säure in den 2007er Rieslingen auch bei den fruchtsüßen Exemplaren, die ich von Dönnhoff im Keller habe.