Eine ganze andere Weinwelt: Madeira von Barbeito

TitelVor langer Zeit hatte ich mir mal einen billigen Madeira gekauft. In erster Linie zum Kochen, aber wenn er schon mal da war, wollte ich ihn natürlich auch solo probieren. Mein Eindruck: braun, dumpf, karamellig, verbrannt, stechend, kein Vergnügen. So. Jetzt setzen wir uns einfach in eine Zeitmaschine, drehen an der Uhr auf „20 Jahre später“, und da ist sie doch schon, die Chance zur Wiedergutmachung: Die Weingalerie in Berlin, vielleicht das mitteleuropäische Ladengeschäft mit der größten Madeira-Auswahl, hatte den Winzer Ricardo Freitas vom Madeiraproduzenten Barbeito zur Vorstellung seiner Weine eingeladen. Ich war zufällig in Berlin und hatte am Abend zuvor genauso zufällig beim Stöbern auf der Weingalerie-Website den Termin entdeckt. Diese Koinzidenz, so dachte ich mir, sollte ich nicht einfach ignorieren.

Weshalb gilt Madeira eigentlich bei der absoluten Mehrheit der jüngeren Bevölkerung als unmodisch? Ich denke, da kommen wie immer mehrere Faktoren zusammen: 1. Madeira ist abgelegen. Man fährt nicht schnell mal mit dem Auto hin und lädt sich den Kofferraum voll. 2. Süßen Weinen wird zwar eine gewisse Renaissance nachgesagt, aber ich bin mir nicht sicher, ob sich das umsatzmäßig auswirkt. Eher nicht. 3. Alkoholisch angereicherte Weine mit knapp 20 vol% gelten unter Jüngeren als Vorstufe zum Schnaps. 4. Und schließlich hat Madeira auch ein internes Imageproblem: Die in Blechcontainern erhitzte, mit Farb- und Süßstoffen versetzte Mischware trägt zumindest auf den ersten Blick denselben Namen wie die 100 Jahre im Fass ausgebaute Einzellagen-Essenz.

Ricardo Diogo V. Freitas, Barbeito MadeiraA propos Jahre im Fass: Das Besondere am Madeira ist eigentlich nicht der vergorene Traubensaft an sich, sondern das, was man daraus macht. Die traditionelle Bereitungsmethode sieht vor, dass die Trauben zunächst in Steingutpools, den Lagares, gestampft werden. Das gibt es auf dem portugiesischen Festland allerdings auch. Die Gärung des Mostes wird dann irgendwann einmal gestoppt, je nach erwünschtem Süßegrad. Dies geschieht durch das Hinzufügen von hochprozentigem Alkohol. Richtig hochprozentigem, 95 vol%, denn ein derartiger Industriealkohol soll ja nicht etwa seinen Eigengeschmack mitbringen, sondern ganz einfach funktionieren. Das haben Madeiras aber mit anderen gespriteten Weinen wie Port oder auch den französischen Vins Doux Naturels gemeinsam.

Jetzt kommt aber die eigentliche Besonderheit: Der Wein wird nämlich erhitzt, was mit dem Oberbegriff „Estufagem“ bezeichnet wird, ganz frei vielleicht mit „Schmortopf“ zu übersetzen. Die gebräuchlichste Methode für billigen Madeira, „Cuba de Calor“, muss man sich wie ein Wasserbad vorstellen: in der Mitte der Stahltank mit Wein, außen herum Rohre mit heißem Wasser, und das Ganze mindestens drei Monate lang. Die „Canteiro“-Methode ist da doch ein wenig sanfter: Der Wein lagert in Holzfässern an einer warmen Stelle, meist auf dem Dachboden des Weinguts. Dabei durchlebt er den Gang der (auf Madeira allerdings abgemilderten) Jahreszeiten, wird dem Luftsauerstoff ausgesetzt und lagert, lagert lagert. Ein Jahrgangs-Madeira verbringt auf diese Weise mindestens 20 Jahre im Fass, manchmal auch bedeutend länger. Das Ergebnis ist ein hellbrauner, praktisch unverwüstlicher Trunk.

DelvinoRicardo Freitas ist selbstverständlich ein Vertreter der Qualitätsvinifikation, und der einfachste Wein, den er uns vorstellt, ist mit seinen fünf Jahren Fasslagerung bereits eine Reserva. „Delvino“ heißt das Produkt aus Tinta Negra Mole, der einzigen (und damit „unedelsten“) Rebsorte, aus der auf Madeira verschiedene Weinstile produziert werden. Denn das kommt zum eigentümlichen Vinifikationsprozess noch hinzu: Die fast sturköpfige Madeira-Tradition verlangt, dass aus der Rebsorte Sercial in aller Regel trockene Weine bereitet werden, aus der Rebsorte Verdelho leicht süßere, aus der Rebsorte Boal noch etwas süßere und aus der Rebsorte Malvasia die süßesten. Das hängt ein wenig mit dem unterschiedlichen natürlichen Säuregehalt dieser autochthonen Rebsorten zusammen, ist aber in erster Linie einfach “schon immer so gewesen”. Wenn man das weiß, fährt man bei der Auswahl des persönlichen Lieblings-Madeiras eigentlich ganz gut.

Gleich beim ersten Schnupper, Schlürf und Spuck dieses allerersten Weines von Ricardo wird mir klar, dass ich hier Welten entfernt bin von der trüb-dumpfen Plörre, die mir einstmals als Madeira verkauft worden war. Dieser Wein ist ungemein pikant, säurefrisch und ausgewogen, all das, was ich persönlich auch bei anderen gespriteten Weinen mit wenigen Ausnahmen bislang vermisst hatte. 11,50 € kostet der „Delvino“ hier im Laden, genau wie der mit etwas mehr Restsüße ausgestattete „Rainwater“. Das sind ungeheure Schnäppchen.

Barbeito 5 Years & 10 Years oldSehr gut hat mir auch die Reihe der „5 Years olds“ gefallen (je 16,50 €). Natürlich ist es richtig, dass die Süße-Säure-Bilanz von Sercial über Verdelho und Boal bis zum Malvasia immer ein wenig milder wird. Aber pikant und würzig sind die Weine alle, die Frische geht kaum verloren. Mir ist allerdings aufgefallen, dass der Malvasia immer am stärksten oxidiert wirkt, am Gaumenzäpfchen also mit gewissen braunen Tönen erscheint. Die Reihe der „10 Years olds“ (je 29,50 €), wiewohl in der klassischen Flaschenaufmachung mit aufgedruckter Schrift, fand dagegen am wenigsten mein Gefallen. Geschmack ist nun einmal eine individuelle Sache, und Ihr könnt selbstverständlich genau der gegenteiligen Meinung sein, aber mir wirken diese Weine zu dick. Nicht etwa, weil sie mastig und plump daherkämen, nein, die Säurefrische bleibt wunderbar erhalten. Aber die Viskosität ist derartig hoch, dass ich das Gefühl habe, als müsste ich wie bei einem Hühnersuppentopf erst einmal durch die oben schwimmende Fettschicht dringen.

1997 BoalZum Schluss gab es noch vier besondere Weine. Beim VB Reserva Lote 3 (21 €) besaß Ricardo die ungemeine Dreistigkeit, zwei Rebsorten (nämlich Verdelho und Boal) miteinander zu verschneiden. Der Stil bleibt konsistent, das Mundgefühl wird allerdings ein wenig „portiger“. Der nächste Wein ist, so meinte Ricardo, vielleicht sein absoluter Liebling, und ich kann das nachvollziehen. Der 1997er Boal Colheita (29 €) stammt von einer Parzelle auf der Nordseite der Insel und wurde als “single cask” ausgebaut und abgefüllt. In der Nase irritiert mich zunächst die spürbare Parmesannote, aber der Wein wird dann wunderbar ausgewogen. Der 2000er Malvasia Colheita (29 €) nagt mit seiner braunen Oxidationsart ganz schön am Hals, ist aber nicht zu süß und besitzt eine ungeheure Würze.

Sercial Frasqueira 1988So. That was then, and this is now. Einen haben wir nämlich noch, und das wird jetzt wirklich zum Vergnügen. Anfang Februar bereits einen meiner Weine des Jahres zu küren, ist vielleicht ein wenig zu früh, aber ehrlich gesagt wüsste ich nicht, weshalb dieser hier nicht in die nähere Auswahl kommen sollte. „Dieser hier“, das ist der 1988er Sercial Frasqueira, wobei „Frasqueria“ die Bezeichnung für einen Jahrgangs-Madeira ist, der mindestens 20 Jahre in den Fässern des Canteiro-Verfahrens verbracht hat. Die Nase ist bei diesem Wein bereits eine Herausforderung: rauchig, und zwar enorm, als hätte man gerade eine Fackel mit einem Schwefelstreichholz angezündet. Am Gaumen weiß ich dann gar nicht, ob die Angaben auf der Flasche stimmen. Dieser Wein soll 19 vol% Alkohol haben? Hier gibt es absolut nichts Brandiges, Öliges, Schweres, sondern nur fast schwebende Frische, enorm straff, aber in seiner Intensität lang anhaltend. Die Frucht erscheint fast “lecker”, Quitte, Ingwer, Mandarine, sehr ansprechend und schlank. Ebenso schlanke 120 € kostet dieses Fläschchen, und wenn Ihr mal nach einem ganz besonderen Wein Ausschau haltet, dann zieht bitteschön dieses Prachtexemplar in Betracht. Mir war es in diesem Überraschungsmoment einfach zu teuer, was aber nur mit der reinen Höhe des Preises zu tun hat, nichts mit der gebotenen Qualität.

Alles in allem war das eine sehr lehrreiche Probe für mich, erfreulich zudem. Gekauft habe ich als Teaser übrigens den allerkleinsten Wein, den „Delvino“, aber weitere Madeira-Expeditionen scheinen mir alles andere als ausgeschlossen.

Hier findet Ihr die sehr informative Website des Weinguts und hier den Online-Shop der Weingalerie. Ich habe alle probierten Weine auch im Laden stehen sehen, man kann sie also tatsächlich kaufen.

Wie sind Eure Erfahrungen mit Madeira? Außerhalb des „eine halbe Flasche in die Sauce Kippens“, meine ich. Wart Ihr eigentlich schon einmal auf der Insel selbst? Ich nämlich noch nicht.

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10 Antworten zu Eine ganze andere Weinwelt: Madeira von Barbeito

  1. jens sagt:

    Hallo Matze!

    Madeira ist für mich noch ein fast gänzlich unbeschriebens Blatt – so wie für Dich vor der Probe. Auch ich kann mich erinnern, dass ich mal Madeira gekauft habe, weil ich den zum Kochen brauchte.

    Da kommt dann aber schon das erste Problem. Wo soll man Madeira kaufen? Als “Weinfreak” denkte man sofort daran, “kauf was besseres, dass kannst Du danach ja noch probieren”…..so nach dem Motto die Hälfte der Flasche ins Essen und die andere Hälfte in den Koch….

    Wie auch immer…Ich habe meinen Madeira damals in einem auf spanische Weine spezialisierten Weinhandel in Bochum gekauft – weil ich da gerade war und die welchen hatten…. Ob die Qualität gut war? Keine Ahnung! War mein erster Madeira. Die Flasche ist allerdings lange leer….also so schlecht kann er nicht gewesen sein….

    Ja! Madeira! Irgendwie sagen immer alle (die ich kenne oder frage), dass die Insel schön sein muss. Wenn ich dann frage, seit Ihr oder Du schon da gewesen, höre ich immer:”Nein! Habe ich aber gehört!”

    Auch mich hat es noch nie nach Madeira verschlagen. Mein Chef war im letzten Jahr dort. Den hab ich gefragt. Was soll ich sagen?! Ich zitiere:

    “Schön war es. Regen fast jeden Tag. Heftiger Regen zum Teil. Wie in den Tropen, ganz unvermittelt. Viel Fisch gab es zu essen. Die haben ganz schön viele Tunnel auf der Insel. Ist eher keine Badeinsel. Üppige Vegetation. Zum Wandern wirklich schön – vorausgesetzt man hat die passende Wander / Regenbekleidung im Gepäck. Ach ja! Madeira gab es auch! Ja! Ok! Bier gab es auch….Würde ich aber wieder hinfliegen.”

    Ich glaube generell, dass so Getränke wie Port oder auch Madeira und auch Sherry im Moment etwas aus der Mode sind. Warum? Keine Ahnung!

    Beste Grüße Jens

    • Matze sagt:

      Also im Moment könnte ich es mir ganz gut vorstellen, mal so zwei Wochen aus den Minusgraden raus nach Madeira zu fliegen. 19 Grad und heiter in Funchal, das hört sich doch ganz gut an.

      Und ja, altmodisch sind die süßen, dickflüssigen, alkoholstarken Getränke. Ich habe das Gefühl, die kommen im Moment allerhöchstens über Cocktail-Mixer an die jüngere Klientel (wobei ich mit “jüngere Klientel” schon uns beide meine ;)). Unabhängig vom Geschmack fehlt es vielleicht auch ein bisschen an den Mediatoren, die Sherry- Port- und Madeira-Firmen sind ja in der Regel tatsächlich nicht unbedingt Winzer, sondern eben Firmen, und zwar alles alt eingesessene. Wobei Ricardo gesagt hat, dass er zwar eine Nische der Nische besetzen würde, es dafür aber gar nicht schlecht läuft. Nur seien die Kunden halt weltweit verteilt.

  2. Beim Lesen lief mir fast das Wasser im Mund zusammen und heute Abend geh´ ich in meinen Weinkeller und hole mir eine Flasche 10jährigen Boal von H&H. Dabei schau´ ich mir vielleicht die Dias (so was gab es mal!) von meinem Madeira-Urlaub 1997 an. Ich war damals mit meiner Frau für eine Woche dort zum Motorradfahren und Wandern. von Regen keine Spur – die Tunnels hatten sie gerade erst angefangen zu bauen und an der Norkküste konnte man noch die inzwischen abgerutschte Straße entlang der Steilküste fahren! für Motorradfahrer ein absoluter Traum, den das längste Stück Straße ohne Kurve war ca. 500m lang! ansonsten Kurven, Kurven und wunderschöne Ausblicke über die von Weiden eingefassten Weinbergsterrassen aufs Meer.
    Zwei Nachmittage musste meine frau mit mir durch die Weingüter ziehen und Madeira probieren. Seitdem habe ich immer ein paar Flaschen im Keller liegen. Sie trösten mich über die kalte dunkle Zeit. Ich gehöre mit meinen 52 Lenzen nicht mehr zur jüngeren Generation, aber meine Töchter 22 und 19 Jahre wissen einen guten Madeira durchaus zu schätzen und zu geniesen – ich hab´ sie halt gleich mit was Gutem “angefüttert”.

    • Matze sagt:

      Recht so! Ich sehe bei meiner Freundin, wie wichtig die elterliche Prägung ist. Sie probiert nämlich furchtlos erst einmal alles ;). Das war in meinem Elternhaus ein bisschen anders, ich habe mir die Genüsse fern von Schweinebraten und Rotkohl peu à peu selbst erarbeiten müssen.

      Einen 15jährigen Verdelho von H&H, den ich mir mal in England gekauft hatte, habe ich übrigens noch im Keller. Und Dias auf dem Dachboden, Nordgriechenland 2003, das waren glaube ich die letzten ;).

  3. ohje, wenn man halt schnell was loswerden will, schleichen sich halt immer wieder Fehler ein! Bitte verzeiht meine schlechte Rechtschreibung oben.

  4. jens sagt:

    Ach Matze! Was ich noch sagen wollte. Herzlichen Glückwunsch für die Erwähnung deines Blog im aktuellen Feinschmeckermagazin. Hoffe Du bist jetzt nicht im Establishment angekommen und machst trotz Erwähnung weiter wie sonst… 😉

    • Matze sagt:

      Wie bitte, Feinschmecker? Hat mir bislang keiner gesagt. Na, dann werde ich mir das Magazin aus rein narzisstischen Gründen mal kaufen ;). Und à propos Establishment: Morgen bin ich bei der BioFach, kannst also schon mal Angst bekommen ;).

  5. Alex sagt:

    Spannender Beitrag! Gut, das Du diese Aufklärungsarbeit betrieben hast, denn in meinm Kopf hatte Madeira immer noch ein Image-Problem. Jetzt weiss ich aber, wo ich anfangen könnte! VG

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