Courteron als Nabel der Champagnerwelt zu bezeichnen, wäre schon reichlich gewagt. Hier an der oberen Seine, etwa 45 Minuten von Troyes entfernt, sagen sich eher Fuchs und Hase gute Nacht. 121 Einwohner hat das Dorf nur, aber darunter befinden sich drei biodynamisch arbeitende Winzer. Vermutlich ist es aber genau diese Lage weitab vom internationalen Marketing-Gaga um die Flaschen mit den Blasen, die eine solche Situation erst ermöglicht hat. Alles fing bereits im Jahr 1970 an, als Jean-Pierre Fleury sich das erste Mal die zentrale Frage stellte, die sein Leben als Winzer prägen sollte: “Welche Erde hinterlassen wir unseren Kindern?”
Nun kann man nicht behaupten, dass Ende der 60er Jahre sofort die große Ökowelle durchs Land gerollt wäre. Aber das Nachdenken über gesellschaftliche Zustände und das Ausprobieren neuer persönlicher Lebensentwürfe führten hier und da zu ersten Konsequenzen. Die Brüder Foucault (Clos Rougeard) begannen im Jahr 1969 mit ihrem nicht-interventionistischen Weinbau, Jean-Pierre Frick stellte ein Jahr später auf biologische und später biodynamische Methoden um. Jean-Pierre Fleury begann ebenfalls, die damals stark aufkommenden synthetischen Spritzmittel aus seinen Weinbergen zu verbannen. Nach und nach fand er heraus, wie er die Reben dennoch schützen konnte, ohne die sonstige Flora und Fauna gleichzeitig zu verpesten. Ab 1989 stellte er einen Teil seiner Weinberge auf biodynamischen Weinbau um, ab 1992 die gesamte Fläche.
Nun ist es zum Glück so, dass viele Wege nach Rom führen. Man kann als Winzer sozusagen ein Anhänger der Steiner’schen Lehre sein, seine Schriften alle gelesen haben – und dadurch dessen Verständnis verinnerlicht haben vom Kosmos und wie alles miteinander verwoben ist. Man kann aber auch biodynamische Methoden weitgehend pragmatisch anwenden, weil man nach jahrelangem Ausprobieren erfahren hat, auf welche Weise die Reben am kräftigsten und gesündesten im Weinberg stehen. Ganz ohne dabei ins Nachdenken über zentrale Fragen von Wirkkreisläufen zu kommen, wird es aber auch bei den Pragmatikern nicht abgehen.
Als wir vor zwei Jahren an der Loire waren, hat unser Gastgeber Alain, ein denkbar pragmatischer Biobauer, über seine Erlebnisse berichtet. Sein Getreide ist jedes Jahr drei Wochen früher reif als jenes seines stark konventionell wirtschaftenden Nachbars. Der hat dafür nur eine Erklärung: “Alain, das ist das Mikroklima bei Dir!” Alain hingegen weiß, dass dem nicht immer so war und sich das Land erst nach und nach auf die andere Bewirtschaftungsweise umgestellt hat. “Die Pflanzen lernen”, meint er. Während der Nachbar düngt, damit der Weizen wächst, verteilt Alain ein paar stärkende Präparate auf dem Land. Dann kommt eine warme Periode, die Halme des gedüngten Weizens werden lang und dünn, bevor sie schließlich umknicken. Der Nachbar spritzt also wieder, diesmal einen chemischen Halmverkürzer (so genannte “Anti-Wachstumshormone”). Alain macht nichts und denkt sich seinen Teil. “Die Industrie”, sagt er, “ist darauf erpicht, so viel Geld wie möglich zu machen. Das soll sie meinetwegen tun, aber es hat groteske Konsequenzen. Wir bekämpfen nämlich ein Übel mit dem nächsten, dessen Auswirkungen wir mit einem weiteren Mittel versuchen in den Griff zu bekommen. Ein ewiger Kreislauf der Manipulation – und eine Spirale, mit der wir die Selbstheilungskräfte der Erde irgendwann einmal ganz abgeschafft haben.”
Soweit der Ausflug in die Welt des Weizens, aber die Aussagen lassen sich natürlich problemlos übertragen. Die Ideen von Jean-Pierre Fleury und die ganz offensichtlichen Ergebnisse überzeugten dann auch noch zwei andere Winzer, es ihm gleichzutun. Erick Schreiber und Alain Réaut besaßen zwar deutlich weniger Rebfläche, aber denselben Ehrgeiz. Nach einer Weile stellten die drei allerdings fest, dass es viel praktischer ist, wenn sie ihre Kräfte bündeln. Zwar gibt es die drei Weingüter noch getrennt voneinander, und auch die Champagner werden jeweils von dem Winzer individuell betreut, aber sie teilen sich die Arbeit auf den gemeinsamen 25 ha Rebflächen, im Keller, beim Ausbau und bei der Distribution. Auf der Homepage von Alain Réaut gibt es beispielsweise Fotos zu sehen von einem Ultraleichtflugzeug, das Spritzmittel über den Reben ausbringt.
Und damit sind wir bei dem Problem gelandet, das mir ein biodynamisch wirtschaftender Winzer neulich geklagt hat: Spaziergänger hätten ihn beschimpft, als er mit seiner Spritze in den Weinberg gegangen sei, um seine Reben mit einem Kräutersud und Backpulver zu behandeln. “Die Leuten kennen den Unterschied nicht und wissen gar nicht, was in der Spritze drin ist. Für die ist alles Teufelszeug.” Und noch etwas: “Die Bearbeitung per Flugzeug oder Hubschrauber ist die umweltschonendste, die es gibt. Der Boden wird dabei am wenigsten belastet, die Ökobilanz ist insgesamt am besten. Natürlich ist das nur etwas für größere Flächen…”
Schmeckt nun ein biodynamisch erzeugter Champagner anders als ein konventioneller? Nicht notwendigerweise. Die Sorgfalt im Umgang mit dem Produkt in allen Herstellungsschritten ist dabei sicherlich die entscheidende Sache. Bei den Biodynamikern von Courteron kann man sich sicher sein, dass diese Sorgfalt groß ist. Weil die Champagner von Jean-Pierre Fleury am bekanntesten sind (und ich mir noch ein Fläschchen davon für später aufheben wollte), habe ich erst einmal den “kleinen”, jahrgangslosen Brut Tradition von Erick Schreiber getestet. 90% Pinot Noir, 10% Chardonnay, wir sind hier in der “roten” Champagne, und das Rebsortenverhältnis in der Flasche entspricht auch jenem in den gesamten Weinbergen der drei.
Das merkt man auch sofort bei der Farbe: kräftig, dunkel, deutlicher Rosastich und schöne Perlage. In der Nase fühle ich mich ein wenig an vergorenen Apfel erinnert, ganz leicht gibt es Noten von Butter und frischem Brot. Der Gaumen wird von einer erstaunlich kräftigen Säure überrascht, viel schwarze Johannisbeeren, saure Himbeeren, sogar leichtes Tannin, sehr fruchtig. Auf jeden Fall ist dies ein kräftiger und mutiger Vertreter. Zum Essen wird das Ganze dann aber verblüffend gemäßigt, sogar elegant. “À table” muss man ihn also trinken und nicht als Apéro. Was sagte schon Hugh Johnson? “Zu Ei allenfalls Champagner.” So ist es. Ich kann mir vorstellen, dass sich der Wein mit ein wenig Lagerung sogar noch verbessert, denn die Anlagen für ein langes Leben sind durchaus da.
Mein Fazit: 4 Punkte für Eleganz, 7 für Charakter, macht 15 MP insgesamt. Dass ein Champagner nie ganz billig ist, ist eine Binsenweisweit. Ich habe für diesen Sprudler 22 € bezahlt (die große Flasche, getestet habe ich erst einmal die kleine) und halte den Preis für gerechtfertigt. Veuve, Moët und ähnliche Gelichter kosten noch einmal zehn bis fünfzehn Euro mehr und bieten deutlich weniger. Ohnehin habe ich auch ein viel besseres Gefühl, was meine Gesundheit und diejenige der Weinberge anbelangt.
Die Champagner von Erick Schreiber gibt es natürlich vor Ort, aber auch “La Vie Saine” in Essey-les-Nancy führt die gesamte Palette. Ich weiß, dass Euch das vermutlich im Moment wenig weiterhilft, aber in Deutschland kenne ich keinen Importeur. Das ist beim Champagner von Fleury anders, aber den teste ich ja erst später.
Probiert, wenn es möglich ist den 1996er Millesime. Das ist das Beste, was Fleury bisher gemacht hat, würde ich behaupten.
Wir waren ja leider nicht bei Fleury direkt, und in dem Geschäft hatten sie „nur“ den Brut und den Rosé. Aber der ’96er Jahrgangschampagner muss schon großartig sein. Der Guide Vert meint, er wirke sogar noch sehr jung… Aber zwei Champagner von Bérèche habe ich gekauft, unter anderem den „Reflet d’Antan“ mit dem Solera-Prinzip. Vielen Dank für Deinen Tipp!
Ich bin übrigens schon sehr gespannt auf die Ergebnisse Eurer morgigen großen Champagnerprobe. Wird aber sicher noch dauern, bis Du darüber postest, nehme ich an, Du hast ja derzeit alle Hände und Köpfe voll zu tun…
Ja, das stimmt. Es wird noch ein paar Tage dauern und ich fand es als Gastgeber auch noch mal schwieriger, mir so genaue Notizen zu machen. Was aber schon mal klar ist: Die Puristen, die Radikalen, die Naturweinverfechter haben sehr spannenden Stoff gemacht. Leclaparts und Bouchards Champagner waren großes Kino, gefolgt von Laval, Tarlant und Lassaigne. Auch Béréche (zu jung) und Brochet waren beeindruckend. Dagegen fallen die Champagner, die auch wie Champagner schmecken, also im klassischen Sinn mit klassischer Dosage ein wenig ab, wirken fast ein wenig langweilig, weniger spannungsvoll auch wenn mich der Comte de Champagne durchaus beeindruckt hat. aber demnächst mehr.
Darauf freue ich mich wirklich sehr, und wenn ich nicht selbst währenddessen in der Champagne gewesen wäre, ich würde es extrem bedauern, bei Deiner tollen Probe nicht dabei gewesen zu sein. Léclapart übrigens hatte ich vor einiger Zeit auch mal probiert, aber vermutlich zu kurz. Da blieb mir nämlich nur im Gedächtnis, dass es ein sehr stark säurebetonter, sehr fordernder Champagner war. Ich weiß aber, dass David Michel vom Cave des Oblats ein großer Fan von David Léclaparts Champagnern ist – nur ist halt bereits der Einstieg nicht gerade preiswert… Von Bérèche habe ich ja dank Deiner Tipps gleich mal zwei verschiedene Weine mitgenommen. Hat vor Ort in Reims, wie ich gehört habe, auch inzwischen einen sehr guten Ruf.