Azeitão, portugiesischer Käse aus Distelmilch

Azeitão, das ist zunächst einmal ein Ort südlich von Lissabon. Mit dem Pendlerbus der Transportes Sul do Tejo kann man sogar in einer halben Stunde bis nach Azeitão fahren, um dem Käsegeheimnis auf die Spur zu kommen. Das stellt sich jedoch zunächst nicht ein – so ähnlich übrigens wie beim Camembert in Camembert, beim Gouda in Gouda oder beim Appenzeller in, nun ja, klar. In Azeitão, das einer Ansammlung kleinerer Vorstadtsiedlungen ähnelt, gibt es Olivenbäume (deshalb wahrscheinlich der Name des Ortes; “azeite” = “Olivenöl”) und Weinreben. José Maria da Fonseca hat hier seinen Sitz, einer der größten portugiesischen Weinproduzenten. Alles in allem nett und mediterran, aber wo ist der Käse?

Die Antwort liegt außerhalb des Ortes, südlich, auf dem Bergkamm der Serra de Arrábida. Hier grasen die Schafe, die die Milch für den Azeitão geben. Und anders als beim Camembert oder beim Gouda oder beim Emmenthaler, die leider irgendwie vergessen haben, sich rechtzeitig regional zu verorten, darf der Azeitão auch nur innerhalb eines eng umgrenzten Gebietes hergestellt werden. Als Lohn gibt es ein Siegel als “Denominação de Origem Protegida”, ähnlich wie beim Wein.

Ein echter Azeitão darf nur aus roher Schafsmilch hergestellt werden. Die wirkliche Besonderheit ist aber das Dicklegen. Geschieht dies bei anderen Süßmilchkäsen in der Regel mit Hilfe von tierischem Lab, ist es beim Azeitão ein aus den frischen Blüten einer Distelart gewonnener Extrakt, der die Milch gerinnen lässt. Die Distelmilch sozusagen. Das würde selbstverständlich auch bei anderen Käsesorten funktionieren, und in der Tat wird bei einigen anderen portugiesischen Käsen wie dem Queijo de Évora ganz ähnlich vorgegangen. Rohe Schafsmilch mit ihrem hohen Fettgehalt eignet sich für diese Art der Herstellung besonders gut, und so erlangt der Azeitão seine unvergleichliche Cremigkeit.

Beim Kauf wird der Unkundige zunächst überrascht sein, dass der offensichtliche Hartkäse (denn so sieht er von außen aus) auf Druck derartig leicht nachgibt. Wer sich jetzt dumm anstellt, schneidet den Azeitão mit einem großen Messer in der Mitte durch, so dass sich die weiche Käsemasse aus beiden Seiten aufs Brett ergießt. Richtig hingegen geht es so: Man kaufe einen reifen Azeitão in einem Käsegeschäft seines Vertrauens, von denen es in Portugals Hauptstadt genügend gibt. Wer möchte, kann auch direkt vor Ort bei einem der Produzenten einkaufen; eine Liste befindet sich auf der Website des Regionalverbandes. Alsdann lege man den Käse mit der flachen Seite auf den Tisch und schneide die oberste Scheide horizontal ab, als ob man einen Deckel herausheben wollte. Die feste Rinde des Azeitão dient jetzt als Käseschachtel, so dass man nach und nach den cremigen Inhalt entweder löffeln oder mit einem Streichmesser entnehmen kann.

Und wie schmeckt Azeitão? Ganz eigen. Leicht würzig bis scharf, auch ein gewisser Duft geht von ihm aus. Die Textur ist optimal gereift, wirklich wie bei einem Streichkäse, nur mit kleinen eingelagerten Bläschen. Auf der Zunge spürt man einen vegetalen, blumigen Hauch. Am besten gefällt mir persönlich Azeitão auf einem in Olivenöl scharf angerösteten Weißbrot. Dazu ein kräftig-reifer, aber dennoch säurereicher Weißwein aus der Bairrada, vielleicht noch ein paar Scheibchen Hartwurst oder Schinken, und plötzlich glaubt man ganz oben in der Sierra zu sitzen, die Zikaden singen, das blaue Meer schimmert in der Ferne.

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8 Antworten zu Azeitão, portugiesischer Käse aus Distelmilch

  1. Eline sagt:

    Wahnsinnskäse! Distellab – das finde ich sehr spannend.

  2. katha sagt:

    ich hab’ vor einem monat in spanien käse gegessen, der ebenfalls mit pflanzlichem lab (kardone/artischocke) hergestellt wurde: torta del casar (schafrohmilch, extremadura, geschützte herkunftsbezeichnung). gilt auch in spanien als (teure) delikatesse, wird kaum exportiert. ich fand den geschmack interessant, weil er viel frischer und säurebetonter schmeckte, als ich das erwartet hatte. aber der leichte bitterton ist auch nicht ohne. lustig, dass wir grade beide über so eine spezialität gestolpert sind.

    • chezmatze sagt:

      Ja, Extremadura, das kann ich mir gut vorstellen! In England habe ich übrigens gehört, dass es noch traditionellen Käse gibt, dessen Milch mit Labkraut zum Gerinnen gebracht wurde. Der Pflanzenname deutet ja darauf hin… Konkret gefunden hab ich dann aber nichts, ist wohl ein Fall für den Borough Market.

  3. Rui Fernandes Afonso sagt:

    Ich suche Feinkost (Gourmet) Ketten wo ich diesen Käse in Deutschland verkaufen kann. Kann mir jemand damit helfen?

    • chezmatze sagt:

      Sorry für die späte Antwort, ich war wieder mal unterwegs. Spontan sind mir ein paar Orte eingefallen.

      “Edeka” ist eine Lebensmittelkette, die gelegentlich ein lokales oder gehobenes Segment führt. Was die Sache interessant macht: Edeka ist ein Franchise-Unternehmen, das heißt, der jeweilige Marktleiter kann nach eigenen Vorlieben Produkte ins Sortiment aufnehmen. An bestimmten Standorten gibt es also solch interessante Sachen wie Azeitao. Ich weiß, dass der Chef von einem Edeka in Köln ausgesprochen viel für gute Produkte übrig hat und selbst auch einen Blog führt (http://edekaner.blogspot.com/). Vielleicht kann er in diesem Bereich weiterhelfen.

      Dann gibt es noch das Frischeparadies (http://www.frischeparadies.de/deutsch/), das aber auch als Großhändler für Restaurants etc. dient.

      In Berlin und Hamburg gibt es die Feinkostkette Lindner (http://lindner-esskultur.de/), die in diesem Segment eher die etwas preiswerteren Sachen führt.

      Ansonsten kann ich mir als Multiplikator auch einen spezialisierten Weinhändler vorstellen wie die Weingalerie (http://www.portwine.de/shop/). Die Inhaber haben das vielleicht beste portugiesische Weinangebot in Deutschland und sind selbst sehr oft in Portugal. Das wäre auch noch eine Idee.

      Darüber hinaus gibt es natürlich auch noch Karstadt (http://www.karstadt.de/Wein/k/?kid=2976) und Kaufhof (http://www.galeria-kaufhof.de/sales/aktionen/catdetail.asp?FLEXID=0&Sub=1&Sub1=36523&Sub2=103585) mit ihren Lebensmittelabteilungen oder die Feinkosthändler Käfer (http://www.feinkost-kaefer.de/main/) und Dallmayr (http://www.dallmayr.de/) in München, die eine große Marktmacht haben.

      Ich denke, alles hängt auch von der Menge, den Preisen und der Einschätzung der Unternehmen ab, was ihre jeweilige Kundschaft anbelangt.

      Ich würde mich jedenfalls freuen, wenn man Azeitao bald in einem dieser (oder anderer) Läden finden könnte.

      Viele Grüße und viel Glück beim Verkaufen

  4. Rui Fernandes Afonso sagt:

    Ich schätze die zur Verfügung gestellten Informationen und werde mich mit diesen Unternehmen in verbindung setzen.

    Ich danke Ihnen sehr für ihre Antwort und besonders für die insider tipps. Ich bitte auch um Verzeihung wegen meiner Rechtschreibung, weil ich manchmal Fehler mache.

    Kann ich von Ihren Worten feststellen das es nicht leicht ist Azeitão Käse in Deutschland zu finden?

    Beste Grüsse
    RA

    • chezmatze sagt:

      Ja, Azeitão gibt es in Deutschland meiner Erfahrung nach nur selten. In Feinkostläden habe ich ehrlich gesagt noch nie bewusst portugiesischen Käse gesehen, höchstens in portugiesischen Community-Shops. Ihr Deutsch ist übrigens ganz ausgezeichnet!

  5. Pingback: Portugiesische Küche = Gewinnerküche? - METRO Genussblog

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