Was Ihr bestimmt nicht wissen wollt, ich Euch hiermit aber trotzdem aufs Butterbrot schmiere: In den letzten beiden Tagen habe ich den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Wie man so sagt. Ich habe aufgrund des großartigen Wetters nämlich mein Wochenende vorverlegt und werde nun Samstag und Sonntag arbeiten. Wenn Ihr meint, dass sich das unverschämt privilegiert anhört, dann habt Ihr ziemlich recht. Als ich allerdings mittags um eins im brasilianischen Strandrestaurant “Atira-te ao Rio” saß, traf ich dort einen amerikanischen Diplomaten (Klarname ist dem Autor bekannt), der kurzerhand einen “dienstlichen Termin” an diesem gastlichen Ort anberaumt hatte – mit einem alten Kumpel, einer Flasche Wein und (wegen der schwierigen Verhandlungen vermutlich) einem nach hinten offenen Zeitfenster…
Den Tipp, dieses Restaurant zu besuchen, habe ich übrigens Marco vom Marien-Eck in Köln zu verdanken. Dir sei an dieser Stelle herzlich gedankt! “Atira-te ao Rio” heißt übersetzt “Wirf dich in den Fluss”, was darauf hindeutet, dass derselbe nicht weit sein kann. So ist es auch. Dieses Restaurant, das von einem sechsköpfigen brasilianischen Frauen-Kollektiv geführt wird, steht im Time Out und sicher auch in mehreren anderen Reiseführern. Lasst Euch davon aber nicht abschrecken, denn diese Gegend besitzt einen ganz besonderen Zauber. Noch. Während ich dort aß, stapfte nämlich ein Architektenteam herum und beäugte alles kritisch. Wirtin Rosane erzählte dann, dass die ganzen alten Abbruchhäuser am Kai kürzlich von einem Unternehmen aufgekauft worden seien. Wenn ich mir die zubetonierte Promenade am Ufer in Richtung Belém so anschaue mit ihrer menschenfeindlichen Architektur, ahne ich nichts Gutes. Fahrt also hin, solange der fuchsrote Gockel “Zé” noch krähend in den Hinterhöfen herumläuft.
Jetzt aber zum Essen: Direkt am schwappenden und nicht hundertprozentig sauber aussehenden Tejo sitzend, kamen nach kurzer Zeit zunächst als Couvert ein Brötchen und ein kleiner Topf mit Pfefferbutter. Also die fünf Pfeffer der Shaolin, dazu ein paar Kräuter. Vielversprechend. Der zweite Küchengruß (findet man alles auf der Rechnung wieder, ich sehe das aber ähnlich wie die Italiener, ohne Coperto brauche ich auch keine Tischdecke) ist ein “Pão de Queijo”, ein kleiner, heißer Bollen aus gebackenem Frischkäse und Maniokmehl.
Als echt brasilianische Hauptgerichte gibt es vor allem die “Moqueca Atira-te” und das “Bobó de Camarão”. Was ist das? Die “Moqueca” ist an sich ein Fischeintopf, hier allerdings in der edel gedämpften Art: Filetstücke vom Leng und Gemüsestreifen in einer Kokosmilch-Sauce mit Schwarzkümmel-Reis. Sehr fein abgeschmeckt, sehr elegant, mir persönlich (ich bitte um Verzeihung) ein bisschen zu wenig tropisch, deshalb habe ich einen Löffel Piri-Piri mit hineingeben müssen.
Das “Bobó de Camarão” fand ich noch besser. An sich ist das ein astreiner Pframpf aus gekochten Garnelen und Maniok. Meine Hochachtung vor dieser Version. Und das bezieht sich selbstverständlich nicht auf die Garnelen, denn die gibt es in Lissaboner Lokalen häufiger in guter Qualität. Nein, die Maniokpampe ist es, die eine große Herausforderung darstellt. Wie schafft man es also, den erdigen Geschmack zu erhalten, ihn mit Gewürzen zu ergänzen und das Ganze nicht wie einen grauen Schleim aussehen zu lassen? Letzteres ist relativ leicht: mit Kurkuma. Schimpft meinetwegen mit mir, aber dieses Gelborange lässt tropische Gerichte erst so richtig appetitlich aussehen, auch ohne E-Stoffe. Palmöl (ein gutes natürlich) hilft ebenfalls weiter, Knoblauch, Zwiebeln, Limettensaft, Kokosmilch, Salz, Chili, Reismehl, köcheln, zerstampfen, abschmecken. Ich habe schon viele afrikanische Restaurants besucht, und ich bin ein großer Freund von Maniok als Beilage. Aber so gut zubereitet habe ich ihn selten gegessen.
Zum Dessert darf dann natürlich ein “Quindim” nicht fehlen, ein Eidotter-Küchelchen mit Kokosboden. Da vermählen sich doch die portugiesische und die brasilianische Süßspeisen-Leidenschaft aufs Trefflichste. Am Ende noch ein starker Cafézinho, und es kann weiter gehen. Das Essen war sehr elegant, die Location traumhaft – nur ein bisschen mehr Pep oder starker Geschmack oder Schmutz hätte es nach meinem persönlichen Goût sein können. Wer von Euch allerdings fand, dass ich mit Percebes, Neunauge und Degenfisch schon etwas zu weit in die kulinarischen Abgründe vorgestoßen war, der wird auf der anderen Seite des Tejo vorbehaltlos glücklich werden.
Und wer kein Hauptgericht essen möchte, sollte am besten zum Sundowner kommen. Einen schöneren Blick auf Lissabon gibt es nirgends. Wie sagte noch der amerikanische Diplomat: “Die Skyline von New York sieht man am besten von New Jersey aus.” Was es mit der Katze auf sich hat, die pünktlich zur Mittagszeit einen dicken Flussfisch mit Haut und Gräten verspeiste, muss ich Euch dagegen in einem gesonderten Post berichten.
Restaurante “Atira-te ao Rio”, Cais do Ginjal, Almada, jeden Tag 13-24 Uhr, Hauptgerichte 14 €. Nehmt die Fähre nach Cacilhas vom Cais do Sodré aus und geht direkt am Wasser etwa 15 Minuten in Richtung Westen (in Richtung der großen Tejobrücke, ist bei Google zu früh eingezeichnet). Wer mit dem Auto kommt, kann es auch oben in Almada stehen lassen und sich mit dem Aufzug am Largo Boca do Vento zum Tejo hinabgleiten lassen.
Die Geschichte mit der Katze würde mich als Katzenfreund natürlich brennend Interessieren Matze!!!
Grüße Jens
P.S. Zum Glück haben wir heute in NRW auch 25 Grad und Sonne – wenn nur der grippale Infekt schon vorbei wäre!
Das mit der Katze hat auch mit einem Katzenfreund zu tun! Heute ist es hier trüb, ausgerechnet am Samstag. Aber die Lisboetas werden diesen Sommer noch mehr als genug Sonne haben, denke ich.
Im Porto final haben wir vor einigen Jahren einen sensationellen Fisch gegessen (auf dem Tisch direkt am Wasser). Ich erinnere mich noch heute an den tollen Geschmack.
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