Der Pariser ist ja ein bisschen verschrien dafür, alles Außerpariserische erst einmal von oben herab zu betrachten. Solche Vorurteile sind allerdings nicht nur dumm, sondern manchmal auch schrecklich unzutreffend. Eigentlich wollte ich an dieser Stelle ja neutral und zurückhaltend die Pariser Weinhandelsszene beschreiben, aber leider geht das nicht. Zwei der stärksten Momente wahrer Menschenfreundlichkeit konnte ich nämlich hier erfahren, und davon möchte ich berichten.
Tatort 1, die Caves Legrand in der Rue de la Banque im 2. Arrondissement. Die Nachbarschaft ist illuster: Wenige Meter entfernt von der noblen Atmosphäre des Palais Royal treffen hier internationale Finanzberater und ebenso internationale Model-Agenturen aufeinander. Die Caves Legrand selbst sind nach der Flaschenvielfalt die zweitgrößte Pariser Weinhandlung, 6.500 Preziosen insgesamt, alles eingehüllt in eine Wolke allerältester und allernobelster Tradition. Wenn man den Raum betritt, befinden sich linkerhand die Weinregale, rechterhand gibt es Spezialitäten wie Honig und Konfitüren. Leider ahnt der Eingetretene nur, was sich in den Katakomben dieser Weinhandlung noch alles befinden mag, denn als spontaner Besucher besitzt man natürlich nicht den gedruckten Katalog. Das Internet-Angebot ist zudem mager, vielleicht 300 der 6.500 Flaschen gibt es dort zu bestaunen. Dies ist ein überaus klassischer Ort, ein Ort der Beratung. Wer hier einkauft, lässt sich entweder gern überraschen oder weiß schon genau, was er will. So wie ich.
Die Appellation „Bellet“ befindet sich auf den Hügeln von Nizza, ungeheuer klein und von fast legendärem Ruf. Die Weißweine werden aus Rolle (= Vermentino) gekeltert, die Rot- und Roséweine hingegen aus Trauben, die es nur hier gibt, Überbleibsel einer anderen Epoche. Sie heißen Braquet und Folle noire und sollen den Duft der Garrigue und den verwelkter Rosenblüten ausströmen. Der Rosé vom Château de Bellet aus 100% Braquet ist einzigartig auf der Welt in seinem Duft- und Aromenspektrum, und genau den möchte ich haben. Natürlich bin ich nicht der einzige, der Wein ist längst ausverkauft, der nächste Jahrgang noch lange nicht soweit.
Auftritt Gérard. Gérard Sibourd-Baudry führt das noble Weinhaus und kommt gerade vom Mittagessen, untadelig in einen beigefarbenen Anzug mit rosa Krawatte gewandet, ausgestattet mit einer beachtlichen Adlernase. „Was denn“, meint er, „ein Kunde aus Deutschland, der nur kurze Zeit in Paris ist und noch nie einen Bellet getrunken hat? Monsieur, das ist ein Erlebnis, das jeder in seinem Leben einmal genießen sollte! Und kein Wein mehr auf Lager? Da muss sich doch etwas machen lassen.“ Spricht’s und wählt flugs auf seinem Handy eine Nummer, mir dabei verschwörerisch zuzwinkernd. „Oui, Ghislain, c’est toi?“ Er ruft direkt beim Winzer an, Ghislain de Charnacé. Natürlich hat auch Ghislain keine einzige Flasche mehr übrig, aber Gérard lässt nicht locker. Ein deutscher Kunde, Ghislain, bedenke die Mission, der Wein von Bellet! Schließlich meint Ghislain, er hätte eine letzte Kiste von sechs Flaschen noch da, aber schon längst einem anderen Kunden versprochen, zudem bezahlt. Gérard kann ihn aber davon überzeugen, eine Flasche davon abzuzwacken und diese ganz allein auf die Reise nach Paris zu schicken. Für mich!
Als ich ein paar Tage später wieder zu Legrand gehe und die Flasche in einem kleinen Päckchen angekommen ist, da weiß ich, was der angestellte Sommelier und Verkäufer denkt: Eine Meise hat sein Chef, alles für eine einzige Flasche und einen einzigen Kunden, der noch nie vorher hier war und vielleicht auch nie wiederkommen wird. Aber darin könnte er sich täuschen. Diese Energie, dieser Wunsch, einem völlig unbekannten, touristenähnlichen Wesen auf diese Art einen der seltensten französischen Weine zu beschaffen, das hat mich schwer beeindruckt. Und deshalb schreibe ich davon.
Tatort 2, die Cave de l’Insolite im 11. Arrondissement, Métro Oberkampf, eine rockige Gegend. Ich bin gekommen, weil ich gelesen hatte, dass vor einiger Zeit ein Winzer aus Savoyen hier seine Weine vorgestellt hat. Patrick und Dominique Belluard aus dem Mont-Blanc-Gebiet besitzen nämlich einen einmaligen Schatz, der nur noch auf 20 ha insgesamt angebaut wird: die Gringet-Rebe. Da ich ein Freund alter, autochthoner Rebsorten bin und vom Gringet bis vor wenigen Tagen noch nie etwas gehört, geschweige denn probiert hatte, musste ich unbedingt in diese Weinhandlung. Die Cave de l’Insolite strahlt dabei eine völlig andere Atmosphäre aus als Legrand: Ein lichter Raum wie ein Atelier für Holzskulpturen, die Weine fast ausschließlich aus biodynamischem Anbau, viele gar Vins Naturels. Auf einer Art Podium befindet sich ein grob gezimmerter Tisch, daran drei Herren, die Wein trinken und eine Mahlzeit verspeisen.
Auftritt Michel. Michel Moulherat besitzt diese Weinhandlung, und er ist einer der drei, die dort sitzen und essen. Als ich ihm meinen Wunsch mitteile, überlegt er kurz, muss dann aber doch feststellen, dass keine einzige Flasche Gringet mehr in seinem Laden verfügbar ist. Schade, meint er, aber vielleicht fällt ihm etwas ein. Dabei stellt sich heraus, dass Michel ein ziemlich gutes Deutsch spricht, einige Jahre hat er dort als Student in den Semesterferien gejobbt, es gab zu der Zeit mehr Geld in Deutschland als in Frankreich zu verdienen. Sein Freund am Tisch, Jean, gesellt sich dazu. Er kennt Deutschland auch gut, vor allem Köln. Oft hat er schon mit Kölner Avantgarde-Musikern zusammen gearbeitet, Festivals veranstaltet, und die Kontakte würden immer noch existieren. Haar- und Barttracht erinnern in der Tat stark an Holger Czukay, nur müsste der inzwischen noch älter sein.
Wie auch immer, wir bekommen erst einmal ein Glas Wein angeboten, so auf dem Trockenen lässt sich schließlich schlecht plaudern. Michel zeigt sich von der Idee begeistert, alte Rebsorten sozusagen zu retten, ob per Anbau, per Konsum oder per Weitererzählen. Wir kommen schnell auf die uralten einstigen Massenträger aus deutschen Landen, Gelber Orléans, Heunisch, Elbling, Gänsfüßer. Wie gern würde Michel einen solchen Wein einmal probieren, oder auch einen gemischten Satz aus einem alten Weinberg. Durchaus könnte er sich vorstellen, dass so etwas auch bei seinen Kunden gut ankommen würde, und da er ein Networker ersten Ranges ist, wäre das hier doch eine großartige Anlaufstelle für einen Jungwinzer, der sich traut, die alten Sorten anzubauen.
Wir kommen aber wieder zurück zum Gringet. Michel meint, es gäbe da jemanden, dem er es zutrauen würde, diesen Wein zu besitzen: Marc von den Caves Augé. Der würde alles kaufen, was ein bisschen ausgefallen sei, und wer weiß, vielleicht hätten wir Glück. Gesagt, getan, Michel ruft bei den Caves Augé an, und tatsächlich, es gibt dort noch ein paar Flaschen vom „Le Feu“, dem gesuchten Wein der Domaine Belluard. Mit viel Herzlichkeit und guten Wünschen werden wir verabschiedet. Nicht ohne die Karte von Michel in die Hand gedrückt zu bekommen: Falls wir einen Winzer in Deutschland kennen lernen, der interessante Weine macht oder einfach das nächste Mal in Paris sind. Keinen Cent haben wir in der Weinhandlung gelassen, dafür ein Glas Wein bekommen und ein interessantes Gespräch mit herzlichen und ungemein weltoffenen Menschen geführt. Und schließlich bei Augé den Wein tatsächlich bekommen.
Kleiner Epilog: Ich war in den wichtigsten Weinhandlungen in Paris, habe mich in den Galeries Lafayette, in der Grande Epicerie und bei Lavinia durch das beeindruckende Sortiment gesucht. Auch dort bin ich freundlich bedient worden, auch dort kann man gut einkaufen. Vor allem, weil man das Sortiment stets vor Augen hat. Aber niemals wären Erlebnisse wie meine an Orten möglich, an denen Verkäufer nicht autorisiert sind, nach ihrem eigenen Gusto zu handeln. Deshalb mag ich die kleinen Weinhandlungen mit ihrem individuellen Sortiment und ihren Typen. Auch und vielleicht jetzt erst recht in Paris.
Legrand Filles & Fils, 1 rue de la Banque, 75002 Paris; Mo 11-19, DI-FR 10-19:30, SA 10-19
Cave de l’Insolite, 30 rue de la Folie-Méricourt, 75011 Paris; DI-SA 10:30-20, SO 11-13
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