Ursprünglich wollte ich gleich mit meinen ersten englischen Biertests loslegen, als mir bewusst wurde, dass sich ja die hiesigen Bierstile enorm von den in Deutschland üblichen unterscheiden. Wie in Deutschland auch, gibt es allerdings in England keine gesetzlichen Geschmacksregelungen, die irgendwelche Kategorien genau definieren. Gärungsform, Art und Menge des verwendeten Hopfens, Art und Menge des verwendeten Malzes und ein bisschen auch die lokalen Traditionen geben die grobe Richtung vor. Hier also die verschiedenen Bierstile und wie die jeweiligen Biere schmecken sollten:
Vorweg geschickt werden muss noch, dass der Engländer im Allgemeinen dem Flaschenbier bis vor kurzem überhaupt nicht zugetan war. Dieser Umstand ist weniger auf die bemitleidenswerte Qualität damaliger Flaschenabfüllungen zurückzuführen als auf die Brau- und Lagertraditionen. Zunächst einmal sind alle englischen Biere traditionell obergärig, genau wie unser Weizenbier. Anders aber als beim Weizen, das seine zweite Gärung in der Flasche durchmacht, wurden die englischen Biere nicht in Flaschen, sondern in Fässer abgefüllt. Diese Fässer lagerten im Keller des Pubs und konnten mit der Schankanlage über einen Schlauch verbunden werden. Wenn der „Publican“, also der Wirt, der Meinung war, dass das Bier nun „reif“ ist, wurde der Schlauch an das Fass angeschlossen und das Bier mit Hilfe der „Handpump“ am Tresen direkt aus dem Keller ins Glas gesogen. Soweit der Ausflug ins Merry Old England.
Nachdem aber die Pilsinvasion vom Kontinent billigen Bölkstoff in die Supermärkte geliefert hatte und der gemeine Engländer nun auch zu Hause vor dem Fernseher sein Bier trinken konnte, gingen in Schritt 1 erst einmal eine ganze Menge Brauereien ein. In Schritt 2 überlegten einige der übrig Gebliebenen, dass sie selbst auch billigen, pasteurisierten Bölkstoff in Flaschen abfüllen könnten, hatten damit aber nur mäßigen Erfolg. In Schritt 3 merkten einige vivere Brauer dann, dass das beim Weizen oder den belgischen Abteibieren ja auch funktioniert mit dem Abfüllen obergäriger Biere auf Flaschen. Und schließlich kamen in Schritt 4 etliche Neueinsteiger dazu, belebten die Szene, und heute zeigt sich die englische Flaschenbierlandschaft so vielfältig wie nie zuvor.
Die entscheidende stilistische Differenz ist aber bis heute erhalten geblieben: Alle obergärigen Biere werden als „Ale“ bezeichnet, alle untergärigen als „Lager“. Weil es hier um englische Bierstile geht, also zunächst zu allen möglichen Varianten von „Ale“.
Mild: Ein meist dunkles, schwach gehopftes, dafür deutlich malziges Ale mit geringem Alkoholgehalt (selten über 4%vol.). Entstanden ist der Mild-Stil im Zuge der Industrialisierung. Die Kunden verlangte es nach einem kräftezehrenden Arbeitstag auf dem Feld oder in der Fabrik nach einem Bier, das den Körper wieder aufbaut (deshalb der Malzzucker), aber nicht so alkoholreich und teuer war wie die damaligen Porters und Stouts. Mit dem Niedergang der Schwerindustrie Mitte des 20. Jahrhunderts ging auch die Nachfrage nach Mild zurück. Heutzutage ist ein gutes Mild in der Flasche eine Seltenheit, aber die Suche danach alle Mühen wert.
Bitter: Ein gewöhnlich amber- bis kupferfarbenes Ale mit deutlicher Hopfung, oft das Standardbier einer Brauerei, meist knapp unter 5%vol. stark. Am Ende des 19. Jahrhunderts begann die Ära der brauereilizensierten Pubs, die oft nur eine vertraglich verpflichtende Bierlieferung innerhalb mehrerer Monate bekamen. Ein Mild wäre inzwischen verdorben, also brauchte man für diese Art der Distribution ein robusteres Bier mit mehr Hopfen als Präservativ. Bitter oder – meist die alkoholstärkere Version – Best Bitter schmecken meist würzig, pfefferig und im Abgang hopfenbetont. Soweit ich weiß, sind Bitters die meistverkaufte Ale-Sorte.
Golden Ale: Der Name sagt es schon, ein goldfarbenes, also vergleichsweise blasses, eher leichtes und hopfenfrisches Ale, Stärke in der Regel zwischen 4 und 5%vol. Golden Ales sind eine Reaktion der Obergärbrauer auf die ganzen Lagertrinker, denn dieser Stil begann sich erst in den 1980er Jahren zu etablieren. Im Allgemeinen sind solche Golden Ales erfrischende Sommergetränke, man sollte sie auch kälter trinken, als das bei traditionellen Ales der Fall ist
India Pale Ale: Die Farbe ist meist nicht gar so blass wie der Name, eher bronze- bis kupferfarben, der Geschmack sehr aromatisch, kräftig und vor allem stark hopfig im Abgang. Ein echtes IPA hat etwa 7,5%vol., wenn es weniger hat, ist es ein im Laufe der Zeit müde gewordener Abklatsch. Der Name dieses Bierstils deutet schon auf seine Herkunft hin. Aber nicht doch, dieses Bier wurde nicht in Indien gebraut, sondern für Indien, und dort natürlich auch nicht für die einheimische Bevölkerung, sondern für auf dem Subkontinent lebende englische Kolonialherren, Kolonialbeamten, Soldaten und andere Expats. Und für die indischen Herrscher, die – wer hätte es gedacht – eben nicht nur Chai tranken. Um den Schiffstransport durch tropische Gewässer zu überstehen, mussten Alkohol- und Hopfengehalt nochmals deutlich angehoben werden. Die Hochphase des IPA war allerdings nur von kurzer Dauer, bereits Ende des 19. Jahrhunderts verdrängte das weniger starke, aber ebenso hopfige und vor allem unempfindlichere Pils sämtliche Ales in tropischen und subtropischen Breiten. Erst seit wenigen Jahren sind vor allem Kleinstbrauereien in den USA wieder absolut wild darauf, ein IPA zu machen, das bitter, noch bitterer, am allerbittersten schmeckt. IPA ist auch in England wieder ziemlich in Mode.
Old Ale: Auch hier ist der Name Programm, vielleicht der älteste Bierstil, leider sehr unterschiedlich interpretiert, im originalen Fall eher dunkel und eher mittel im Alkohol, gern auch mit einer leichten Säurenote von den wilden Hefen und den Gerbstoffen des Holzfasses. Weit vor der industriellen Revolution, als viele Brauverfahren noch nicht bekannt waren, wurde in England vor allem dieser Bierstil bevorzugt. Mit Großbrauereien hatte das wenig zu tun, die Hausgebräue lagerten oft über Monate, wenn nicht gar Jahre in alten Fässern. Was damals durchaus nicht selten auch nach hinten losgehen konnte, ist heute natürlich kein Problem mehr. Bei aller Variantenbreite haben die heutigen, übrigens auch erst seit wenigen Jahren wiederbelebten Old Ales meist eines gemeinsam: Es sind Biere, die eine lange Reifezeit hinter sich haben. Manche gehören vom Alkoholgehalt zu den stärksten Bieren überhaupt, aber das ist dann kein Old Ale wie früher. Wer diese leicht laktischen, fassigen Noten eines echten Old Ale probiert, kann sich gedanklich unmittelbar in alte Zeiten zurückversetzen. Da tut man sich mit der Lektüre von König Lear gleich viel leichter.
Barley Wine: Der „Gerstenwein“ ist ein absolutes Winterbier, meist eher mäßig braun in der Farbe, stark gehopft, was man aber zunächst nicht merkt, denn ein Barley Wine hat im Allgemeinen so zwischen 10 und 12%vol., ein Tripelbock, würde man vielleicht bei uns sagen. Auch der Barley Wine hat seine Geschichte: Im 18. und 19. Jahrhundert lag England ständig im Clinch mit Frankreich, und kein anständiger Patriot hätte es gewagt, nach einem schmackhaften Bordeauxwein zu verlangen. Da vor allem die Upper Class allerdings diese stärkeren Getränke gewohnt war, wollten sie sich nicht mit den schwachbrüstigen gewöhnlichen Ales zufrieden geben. In ihren eigenen Besitzungen brauten Adlige (beziehungsweise der Butler) deshalb als Ersatz ein Starkbier als Weinersatz, das auch zu Tisch gereicht werden konnte. Dass bei einer solchen Stärke ein wie auch immer geartetes Reinheitsgebot nicht von wesentlicher Bedeutung war, versteht sich von selbst. Heutzutage sind gute Barley Wines ungeheuer komplex, süßmalzig, feurig und hopfenbitter gleichzeitig oder vielmehr hintereinander. Deshalb ist es eher ein Stil für Fortgeschrittene und auch nichts für jede Stunde. Fans lagern diese Biere jahrelang im Keller, denn auch ein 15 Jahre alter Barley Wine ist nicht schlecht geworden, eher noch weinähnlicher als ohnehin schon.
Porter & Stout: Diese beiden Bierstile haben ein und denselben Ursprung, weshalb ich sie hier zusammenfasse. Dunkelbraun bis fast schwarz in der Farbe, je nach Interpretation sehr unterschiedlich im Alkoholgehalt, zeichnen sie sich durch ihre röstigen, kaffee- und schokoladigen Geschmacksnoten aus, gern auch mit einem leicht rosinenartigen Ton. Porter wurde im London des frühen 18. Jahrhunderts „erfunden“ und war besonders populär unter den vielen Trägern und Marktbeschickern (deshalb der Name). Die stärksten Versionen des Porter wurden zunächst „Stout Porter“ genannt, später dann zu „Stout“ verkürzt. Erst mit dem Export von Porter und Stout nach Irland fasste dieser Stil auch dort Fuß. Arthur Guinness war derjenige, der mit seiner eigenen Interpretation (Hinzufügen von ungemälzter, gerösteter Gerste) schnell großen Erfolg hatte. Während des Ersten Weltkriegs war es den Engländern aus Gründen der Hungersnot-Vorbeugung verboten, Gerste zu rösten. Getreide brauchte man für Brot und nicht für Bier. Damit bekamen die Iren ein Quasi-Monopol über den Porter- und Stout-Markt. Mittlerweile sind diese dunklen Röstbiere allerdings wieder überall zu haben – Guinness selbst stellt allerdings kein „Real Ale“ (was ist das? siehe weiter unten) mehr her, sondern nur gefiltertes.
Speciality Beer: Als „Speciality Beer“ bezeichnen die Engländer gern alles, was nicht in eine der anderen Ale-Kategorien passt. Die Variationsbreite ist deshalb riesig. Weizenbiere („Wheat“) gehören ebenso dazu wie Kopien belgischer Fruchtbiere, Biere mit „alten“ Zutaten aus der Zeit vor dem Aufkommen von Hopfen und Malz als unvermeidlichen Bestandteilen – und allerlei verrücktes Zeug, was halt dabei herauskommen kann, wenn man einen kreativen Brauer freilässt. In gewisser Weise gehören auch die traditionellen schottischen Biere in diese Kategorie, weil sie mit Hafer gebraut werden. Für Gerste und erst recht Weizen ist es da oben meist etwas zu frisch. „Speciality Beers“ können großartig oder fürchterlich sein. Aber für Neugierige sind sie in jedem Fall einen Versuch wert, denn wer nicht selbst probiert, lernt auch nichts dazu.
Und was ist jetzt „Real Ale in a Bottle“? Ganz einfach: Während viele Ales nach ihrer Fermentation im Tank erst gefiltert, sterilisiert und pasteurisiert und dann auf Flaschen gefüllt werden, ist das bei „Real Ale“ anders. Hier wird alles direkt mit dem Hefedepot aus Fass oder Tank in die Flasche gebracht oder – mittlerweile häufiger – das Bier zunächst gefiltert in die Flasche gegeben und dann mit frischer Hefe versetzt. In beiden Fällen ist das leicht erkennbar, indem man die Flasche umkippt und gegen ein Licht hält. Ziehen sich dann Schlieren in das Getränk, ist das Bier gut, bleibt alles klar, dürfte es kein „Real Ale“ sein. Ob man das Bier letztlich lieber trüb trinkt, die Hefe zum Schluss mit dazugibt (wie beim Weizen) oder lieber so vorsichtig eingießt, dass das Hefedepot in der Flasche verbleibt (wie die Belgier), ist Geschmackssache.
Lager: Ein „Lager“ kann alles das sein, was bei uns als Pilsener, Helles, Dunkles oder einfach als „Bier“ bezeichnet wird. Untergärige Biere halt. Englische Lager waren bis vor ganz kurzer Zeit sämtlichst in der Pfeife zu rauchen respektive besser in der Flasche zu belassen. Englische Bierkenner loben zwar deutsche und tschechische Biere (ich meine nicht die von internationalen Großkonzernen aufgekauften…Moment, gibt’s dann überhaupt noch welche?), wenn es um einheimisches Lager geht, rümpfen sie aber die Nase. Lager steht in England für Massenproduktion, Sterilität, eine junge, bedürfnislose Klientel, die ihren „Booze“ zum Besaufen und nicht wegen des Geschmacks kauft. Mittlerweile gibt es ein paar ganz anständige Lagerbiere ohne Reis und Mais, deren Namen wie „Lord Kulmbach“ oder „Green Daemon Helles“ darauf schließen lassen, wo sie ihre Herzensheimat haben. Aber um ehrlich zu sein, zum Lager-Trinken bin ich nicht nach England gekommen.
Uff uff, das war ein Parforceritt, ein nicht bebilderter noch dazu. Aber weil es in der nächsten Zeit eben etliche Biertests hier geben wird, dachte ich mir, dass es besser ist, gleich alles zu erklären statt nach und nach.
P.S. Noch eine Sache, die einem hier ständig begegnet: die Definition des Territoriums und die dazu passende Bezeichnung. Konnte ich mir früher auch nie merken, hier ist es aber wichtig im täglichen Leben, um nicht irgendwem auf die Füße zu treten.
England ist England, kennt man vom Fußball, rotes Kreuz auf weißem Grund. Im Norden ist kurz hinter Newcastle Schluss, im Westen geht’s hinter Liverpool nicht mehr weiter.
Großbritannien (= „Great Britain“) schließt Schottland und Wales mit ein.
Beim Vereinigten Königreich (sprich „United Kingdom“ oder kurz UK) kommt noch Nordirland mit dazu.
Der Begriff der Britischen Inseln erfasst schließlich auch ganz Irland.
Hallo Matze, das hätte ich nicht gedacht, dass auch Biere eine Art Wissenschaft sind. ich trinke im Irish Pub manchmal ein Guiness, und habe gedacht, dass ich damit weiß, was englisches Bier so ausmacht! Worunter wäre das denn einzuordnen? Liebe Grüße, yvonne75
Hallo Yvonne,
naja, irgendwie kann alles eine (kleine) Wissenschaft sein, wenn man sich mit den Dingen näher beschäftigt. Dabei bin ich wahrhaftig kein ausgewiesener Bier-Profi, da gibt es noch ganz andere Experten. Guinness ist übrigens ein Stout. Neulich habe ich einen Artikel über die Bierszene in Irland selbst gelesen, die ziemlich darnieder liegen muss (es gibt nur noch ein Dutzend Brauereien, keine davon braut ein “Real Ale”). Zum Glück sieht das in England freundlicher aus, heute Abend mache ich zum Beispiel meinen ersten Video-Biertest!
Viele Grüße, Matze