Hier sollen demnächst in loser (wirklich sehr loser) Folge meine Besuche bei Winzern dokumentiert werden. Den Anfang macht die “Domaine de la Rectorie” im südfranzösischen Banyuls, kurz vor der spanischen Grenze. Mitten im Ort gelegen, macht das Weingut von außen gar nicht den Eindruck, ein solches zu sein. Es sieht eher ein wenig nach Pippi Langstrumpfs “Villa Kunterbunt” aus: Eine in die Jahre gekommene und sichtbar abgebröckelte Stadtvilla, hinter dem Haus ein alter R4, aber alles eben nicht zufällig vergammelt, sondern sehr stilvoll, sehr bewusst, sehr sophisticated. Erst überlegen wir, ob wir überhaupt klingeln sollen, schließlich sind wir nicht angemeldet, aber bald öffnet sich die Tür, und Pierre Parcé bittet uns herein, ein älterer Herr, sehr dünn und zierlich, gekleidet im Yohji-Yamamoto-Stil.
(Der Rest folgt als Interview, damit’s nicht so langweilig wird für die werten Leser)
- Pierre: Kommen Sie doch herein.
- Ich: Wir wollen Sie wirklich nicht stören.
- Pierre: Nein, das tun Sie ganz und gar nicht. Wissen Sie, ich habe sowieso mein Atelier hier im ersten Stock, da kümmere ich mich gern um die Besucher.
- Ich: Ihr Atelier?
- Pierre: Ja, ich bin eigentlich Fotograf. Wir drei sind ja in Paris aufgewachsen, das hier ist das Haus unserer Großmutter. Erst ist Marc gekommen, das war Anfang der 1980er. Er hatte Psychologie studiert und arbeitete als Sonderschullehrer. Dann kam ich und zum Schluss Thierry, unser jüngster Bruder. Weinbau war etwas Neues für uns, aber wir haben schnell gelernt, die Familie stammt ja von hier. Marc kümmert sich in erster Linie um die Weinberge, Thierry um den Keller, und ich mache so ein bisschen die Distribution.
- Ich: …und das Design sicherlich, die Flaschenetiketten sehen ja sehr geschmackvoll aus.
- Pierre: Ja, danke für das Kompliment, das sind meine Fotos, schwarzweiß. Ich bin ja fürchterlich altmodisch, ich arbeite noch ganz analog in meinem kleinen Labor, wissen Sie, mit Entwickler und Fixierer, nicht mit digitalen Bildern. Dabei ist es ungeheuer schwierig geworden, die Chemikalien noch zu bekommen, das macht ja heutzutage fast niemand mehr… Aber ich will nicht abschweifen, Sie sind ja gekommen, um die Weine zu probieren.
- Ich: Wie viele Weine machen Sie denn?
- Pierre: Lassen Sie mich nachdenken… Einen Weißen, einen Rosé, drei trockene Rote, dann noch einen fruchtigen Banyuls, einen etwas oxidativeren und dann noch einen ganz speziellen, also wie viele? Acht waren das, nicht wahr? Lassen Sie uns doch mit dem Weißen anfangen.
- Ich: “L’Argile”, das heißt doch “Ton”…!?
- Pierre: Ja, lustig, nicht wahr, dabei wachsen die Reben auf reinem Schieferboden. “L’Argile” heißt die Parzelle, von der wir den Wein keltern. Früher hatten wir auch für den Rosé und die Rotweine die Namen der Parzellen angegeben. Aber das war irgendwie irreführend. Wir haben nämlich über 30 Parzellen bei etwa 15 Hektar Gesamtfläche. Wir haben uns dann entschlossen, die Cuvées nicht nach dem Namen, sondern nach den Lagen der Parzellen zu benennen, nach ihrem Charakter.
- Ich: Der Rosé hier heißt zum Beispiel “Côté Mer”…
- Pierre: Ja, weil die Parzellen dem Meer zugewandt sind.
- Ich: Huch, der hat aber einen deutlichen Holzton.
- Pierre: Ja, den haben wir im Barrique ausgebaut, genau wie den Weißen und alle Roten. Normalerweise werden Roséweine ja immer sehr jung weggetrunken, sie scheinen auch nicht viel Wert zu sein. Wir haben uns entschieden, unseren Rosé wie einen Roten zu behandeln: Er kostet 14 Euro, das ist schon mal ein Indiz, und er verbessert sich auch durch Lagerung. Ich habe trotzdem das Gefühl, dass sich kaum jemand einen Rosé in den Keller legt…
- Ich: Immerhin haben Sie für den Rosé ja in den Weinführern viel Lob bekommen. Ein Weinhändler, bei dem wir kürzlich waren, meinte sogar, das sei der beste Rosé der Welt.
- Pierre: Ja, das ist natürlich schön, aber ich denke, das lässt sich schwer vergleichen. Wir haben hier einen Rosé für die Gastronomie, für gehaltvollere Gerichte. Frisch auf der Terrasse genossen, schmecken andere sicherlich besser, fruchtiger.
- Ich: Vergären Sie eigentlich Ihre Weine spontan?
- Pierre: Die mit den roten Trauben ja, den Weißen nicht, obwohl wir es gern tun würden. Aber es ist ziemlich heiß bei uns, und der Weiße besteht hauptsächlich aus Grenache blanc, einer Traube, die zur Oxidation neigt. Das Risiko ist uns zu groß, dass wir dann einen bräunlichen Wein haben, den die Kunden nicht mehr kaufen würden.
- Ich: Dabei sind oxidativ ausgebaute Weine doch die große Tradition hier in Banyuls.
- Pierre: Ja, das stimmt.
- Ich: Stellen Sie eigentlich auch klassischen Banyuls her, den starken roten Süßwein?
- Pierre: Ja, ein wenig, aber nicht viel.
- Ich: Haben Sie auch diese großen Glasballons, die man den Winter über draußen stehen lässt, gefüllt mit Banyuls zum Reifen?
- Pierre: Nein, das machen wir nicht. Ich verrate Ihnen mal was: Das würden die anderen Winzer auch nicht machen, das ist irgendwie alles ein überliefertes Missverständnis…
- Ich: Wie denn das?
- Pierre: Schauen Sie, bei uns hier im Süden mit der Wärme, der Sonnenexposition, den leicht erwärmbaren Böden und dem trockenen Wind, der die Krankheiten fern hält, da reifen die Trauben sehr früh aus, und zwar nicht nur vom Zuckergehalt her, sondern auch phenolisch. In früheren Zeiten, also zur klassischen Banyuls-Zeit sozusagen, hat man die Trauben trotzdem ewig lang am Stock hängen lassen, so lange, bis sie fast getrocknet und überreif waren, die Frucht war weg. Die anschließende Gärung hat man dann mit reinem Alkohol gestoppt, die so genannte Mutage. Bloß waren die Weine dann entsetzlich durcheinander, die trockene Süße, der Alkohol, alles einfach. Eigentlich hätten die Weine dann mindestens zehn, wenn nicht gar zwanzig Jahre gebraucht, um sich mit der Lagerung einzubinden. So viel Zeit hatten die Winzer aber nicht, der Banyuls musste ja verkauft werden. Deshalb hat man diese ungehobelten Weine in Glasballons gefüllt, um die Reifung damit zu forcieren. Nach einem Winter hatte man zehn Jahre im Keller aufgeholt, nicht ganz natürlich, eine langsame Reifung ist natürlich besser. Aber so war das, eher unfreiwillig.
- Ich: Und was machen Sie jetzt anders?
- Pierre: Wir ernten einfach früher. Jetzt, wir haben Mitte September, haben wir fast alles schon gelesen, nur eine Parzelle ganz oben in den Bergen fehlt noch. Die Trauben sind aber reif, der Tramontane hilft uns dabei.
- Ich: Der Fallwind von den Bergen?
- Pierre: Genau. Wir ernten die Trauben also auf ihrem Frucht-Höhepunkt. Die Trauben vergären, wir stoppen die Gärung mit Alkohol, wie früher, aber dann kommt alles ins Holzfass. Die Gerbstoffe sind noch voll da, die Frucht auch, und alles bindet sich harmonischer ein. Die Weine wirken dann frischer, nicht so matt, obwohl sie natürlich auch gut und gerne dreißig Jahre im Keller lagern könnten.
- Ich: Ihre trockenen Weine sind aber Ihr wichtigstes Standbein, oder?
- Pierre: Ja, sie sind es geworden. Früher gab es für trockene Weine hier überhaupt keine Appellation, aber nach und nach hat das funktioniert. Wir haben die AOC Collioure erst nur für Rotweine gehabt, dann für Rosés, und erst seit ein paar Jahren auch für Weißweine. Marc hat sich sehr für die Etablierung der AOC Collioure eingesetzt. Wäre doch jammerschade, wenn wir alles als Tafelwein verkaufen müssten.
- Ich: Allerdings. Aus welchen Rebsorten keltern Sie eigentlich die Rotweine?
- Pierre: Hauptsächlich Grenache noir von alten Rebstöcken, dann noch Carignan, Mourvèdre, Syrah und Counoise.
- Ich: Der Wein hier heißt “L’Oriental”. Es ist ein trockener Rotwein, nicht wahr?
- Pierre: Ja, aber auf eine bestimmte Art. Er wurde aus 100% alten Grenache-noir-Reben gekeltert, fast 15% Alkohol, so etwas hätte man früher “Banyuls nature” genannt, also trocken ausgebauter Banyuls ohne Mutage. Er ist unser üppigster Wein.
- Ich: Ansonsten sind Ihre Roten aber wirklich bewundernswert frisch und fest.
- Pierre: Ja, so mögen wir sie am liebsten. Sehen Sie, die Rahmenbedingungen sind hier einfach ganz anders als in vielen anderen Teilen Frankreichs, von Deutschland ganz zu schweigen. Wir brauchen Wärme und Sonne hier nicht herbeizubeten, das kommt von ganz allein. Die Erfolgsfaktoren für einen guten Wein aus dem Roussillon sehen ganz anders aus: eine hohe Lage, damit die Trauben nicht zu heiß werden und verbrennen, ein trockener Wind, eine frühe Ernte und natürlich niedrige Erträge, aber das passiert von ganz allein.
- Ich: Wie hoch sind Ihre Erträge hier?
- Pierre: Je nach Rebsorte, Lage und Alter der Reben unterschiedlich, aber über 20 Hektoliter pro Hektar kommen wir kaum.
- Ich: Und was ist das hier für ein Wein zum Abschluss, “L’Oublée”?
- Pierre: Ja, den haben wir vergessen… Nein, natürlich nicht, “L’Oublée” heißt nämlich nicht “vergessen” (“oublié”), sondern es ist ein altes Wort für “Angebot” (“offerte”). Das ist Oxidation auf die Spitze getrieben. Der Wein funktioniert nach dem Solera-Prinzip, also eine Fässerpyramide, ins oberste Fass wird der Jungwein geschüttet, er tröpfelt langsam durch die anderen Fässer, und unten kommt die Melange raus, ein winziger Anteil Jungwein und weitere Anteile aus allen anderen Jahren – wie beim Sherry.
- Ich: Und wie alt sind die ältesten Weine, die noch in der Solera stecken?
- Pierre: Zehn Jahre, glaube ich. Aber jedes Jahr kommt ein Jahrgang dazu… Der Wein ist übrigens teuer, 36 Euro, aber es ist trotzdem ein Verlustgeschäft. Wir machen das nur aus Spaß.
- Ich: Haben Sie auch die Fotos hier auf der Broschüre gemacht?
- Pierre: Ja, das hier ist zum Beispiel meine Tochter, sie hat klassischen Gesang studiert. Und das hier stammt aus dem Tagebuch meines Vaters, wir haben mit den Ausschnitten daraus auch die Weinkartons bedruckt. Es ist eher ein Pamphlet. Es geht um Wein, aber auch um die Natur, die Wertschätzung… ein paar philosophische Gedanken. Wissen Sie, die Moden scheinen sich in Rhythmen zu wiederholen, vielleicht eine Generationenfrage. Wir machen die Weine so, dass sie einigen vielleicht altmodisch erscheinen mögen. Andere kommen jetzt aber schon und meinen, das wäre der neueste Schrei. Vielleicht wird der süße Banyuls ja demnächst wieder in Mode kommen. Für uns ist die Hauptsache, dass wir Geduld haben, dass wir ein gutes Gewissen dabei haben, was wir machen, wie wir es machen und warum wir es machen. Das ist am wichtigsten. Denn wissen Sie, die zentralen Fragen menschlichen Daseins, die bleiben immer gleich, daran rütteln die Moden kaum.
Verkostungsnotizen:
- L’Argile 2009 weiß, 20 €: Nase noch sehr vom Holz geprägt; am Gaumen feurige Note, aber weniger aggressiv, als ich es von früheren Jahrgängen in Erinnerung hatte; braucht sicher nicht so lange, um patinierter zu werden.
- Côté Mer 2009 rosé, 14 €: deutlicher Holzeinfluss, und ich weiß nicht warum; die Reife ist perfekt, ungeheuer samtige Materie, feine Frucht, die Säure auch noch schön da; ich hätte ihn nicht ins Barrique gesteckt, aber gut, dafür habe ich ihn jetzt auch zu früh getrunken.
- Côté Mer 2008 rot, 14 €: dunkelrot, strikt und firm; wirkt frisch, strukturiert, Leder und rote Johannisbeere, hat ganz sicher eine gute Zukunft vor sich; kein flacher, breiter Südwein.
- L’Oriental 2008 rot, 16 €: Nase viel üppiger als dann am Gaumen; eine seltene Erfahrung: völlig trocken, aber die Süße ist irgendwie vorstellbar, und das nicht nur wegen des Alkohols; komme mir vor wie in Beirut, das ist der Wein der Levante.
- Côté Montagne 2008 rot, 20 €: sehr verschlossen, sehr starker Mourvèdre-Charakter: die Faust im Samthandschuh; Frische und Frucht weniger als beim Côté Mer, aber diesen Wein wird man lange lagern müssen, bis er strahlend elegant hervortritt.
- Banyuls Parcé Frères 2008 rot süß, 11 € in der 0,5-Liter-Flasche: sehr aromatisch, stark tanninig, die Süße komplett im Hintergrund; ein erstaunlicher Wein, rot, frisch, süß, stark und gerbig zugleich, ist jetzt schon interessant, kann aber wirklich bis in alle Ewigkeit lagern – jetzt zum Schokodessert.
- Banyuls Léon Parcé 2007 rot süß, 16 € in der 0,5-Liter-Flasche: 18 Monate Ausbau im Holzfass, aber trotzdem noch sehr jung und tanninreich wirkend; tolles Alterungspotenzial, gar kein Zweifel.
- Le Muté sur Grains 2007 rot süß, 16 € in der o,5-Liter-Flasche: deutlich oxidativer, bräunlicher, klassischer Banyuls-Stil, aber es stimmt: Frische und Frucht haben darunter gelitten.
- L’Oublée bräunlich süß, 36 € in der (edlen) 0,5-Liter-Flasche: ein ehemaliger Weißer aus Grenache gris, oxidiert in der Solera; Cognac in der Nase; am Gaumen zunächst sensationell gute Säure, dann ein ungeheurer Nuss-Rancio-Nachgeschmack, zerlassene Butter, Karamell, Haselnuss; ein großartiges Zeugnis der Weinbaukultur, das Gegenteil eines Weins für jeden Tag.
Das Interview hat mir sehr gefallen, überhaupt die Gestaltung des ganzen Beitrags! Ich hatte wirklich das Gefühl, dabei zu sein. Ich habe noch keinen Winzer persönlich besucht, nur auf einer Weinmesse mal mit einem kurz gesprochen.
Mir ist es allerdings zu aufwendig, an solche Weine ranzukommen, ich lese aber trotzdem gern, was du über sie schreibst. Ich hoffe, die lose Folge setzt sich bald fort!
Hallo Yvonne,
das hoffe ich auch. Es geht zwar nächsten Monat erst einmal nach England, aber erstaunlicherweise gibt es dort inzwischen ja auch Winzer. Man sagt, sie sollen dort sogar recht guten Schaumwein machen. Wäre vor der festlichen Zeit ja genau das Richtige zum Testen…
Grüße, Matze
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