Biofach 2024, Nürnberg. Ich sitze in einem mäßig gefüllten Saal, um einer Podiumsdiskussion zu lauschen. Das Thema: »Essen aus Labor und Fermenter – Lösung für die Welternährungskrise?« Auf dem Podium befinden sich unter dem Zeichen der Erbse neben Moderator Bernward Geier unter anderem Renate Künast von den Grünen (für immer Vollblut-Politikerin), Lawrence Woodward (Wissenschaftler und Foodaktivist) und Dr. Wolfgang Kühnl, CEO einer Firma, die Zellkulturen züchtet, so genanntes »cultivated meat«. Eine spannende Veranstaltung, wie sie tatsächlich nicht unüblich ist auf der Biofach. Schließlich besitzt diese Messe gewissermaßen auch einen politischen Auftrag. Oder nicht?
Was ist politisch an der Biofach 2024?
Nicht alles erscheint derzeit im Gleichgewicht. Da gibt es die Tendenz zu viel mehr Reich und viel mehr Arm, als wir das vor 20 Jahren gehofft hatten. Es gibt technische Fortschritte, die bisherige Abläufe völlig ins Wanken bringen. Und es gibt einen ziemlich großen Anteil in der Bevölkerung hier in good old saturated Europe, der stänkert, schreit, blockiert, damit die Uhren bittebitte doch wieder rückwärts gehen mögen – Diktatur ist doch gar nicht so schlimm. Ernährung als Thema kommt da wahrscheinlich gar nicht mal unter die Top Ten. Und wenn, dann nur unter der Überschrift »Alles wird teurer«, obwohl wir uns doch so viel Mühe gegeben haben, die Nahrungsmittel so industriell wie möglich zu produzieren.
Was also tun? Renate Künast möchte erst einmal das Thema der Überschrift abwandeln. Nicht so stark in Richtung Welternährungsdiskussion. Sie sagt: »Der Mensch braucht Proteine. Wo sollen die zukünftig herkommen?« Da gäbe es drei Säulen, tierische Produktion, plant-based und Zellkultivierung. Bei der tierischen Produktion gehe es um bessere Tierhaltung und weniger Tiere. Plant-based bedeute Proteine aus Erbsen, Nüssen etc., das hätte ihrer Meinung nach Stand heute die größte Zukunft. Wie sieht es jetzt aber mit der Zellkultivierung aus, zum Beispiel mit tierischen Zellen, die vervielfältigt werden im Labor?
Fleischersatz aus dem Labor bei der Biofach 2024?
»Warum«, so stellt sich Künast die Frage selbst, »schließe ich so etwas zukünftig nicht aus – als Mutter des deutschen Bio-Siegels, als Grüne, als Slow-Food-Mitglied?« Und wie weiland Klaus Augenthaler beantwortet sie die Frage gleich selbst: weil politische Rahmenbedingungen und Klimawandel das verlangen. Derzeit hätten wir, was Pflanzen anbelangt, in Deutschland einen Selbstversorgungsgrad von 20%. Wenn ich das richtig verstanden habe, wäre das extrem wenig. Wer sagt also, dass die BRICS-Staaten, dass Brasilien oder China zukünftig geopolitisch Lust haben, ihre Erzeugnisse nach Europa zu verkaufen? Was den Klimawandel anbelangt, ist der tatsächlich noch deutlich schneller auf Touren gekommen, als das die Prognosen nahegelegt hatten. Zukünftig müssten die Gewächshäuser in Spanien gekühlt werden, und wer sollte dann das Gemüse daraus bezahlen?
Wolfgang Kühnl produziert mit seiner Firma Lebensmittel in allen drei Bereichen: klassisch Fleisch, pflanzenbasierte Proteine und Kulturfleisch. Er sagt, dass man mittlerweile soweit sei, »einfaches Fleisch« à la Hähnchenbrustfilet aus der Petrischale zum selben Preis anzubieten wie aus dem Stall. Und es würde noch deutlich günstiger werden. Biopionierjournalist Erich Margander, der auch auf dem Podium sitzt, hofft da nur stöhnend, dass dieses Geschäftsmodell schief geht. Aber warum eigentlich? Wer mal in einem Großproduzenten-Stall gewesen ist, wie ich sie vor langer Zeit überraschend aus der Luft gesehen habe, weiß, dass das nicht schön ist. Nicht für die Menschen, die hier arbeiten müssen, für die Tiere erst recht nicht. Dagegen wirkt Kulturfleisch für den Massenmarkt richtiggehend sympathisch. Und wenn nach der Kultivierung keine Spuren mehr vom Wirtsorganismus drin sind, gilt das in der EU auch nicht als GMO.
Was spricht gegen Laborfleisch?
Dagegen sprechen meiner Meinung nach nur drei Argumente (ja, richtig, Erbsenprotein wäre noch besser). Das erste hat hier niemand angebracht, weil offenbar keine Gläubigen auf dem Podium saßen. Es ist die Sache mit der Schöpfung. Da kann man unterschiedliche Meinungen haben, aber natürlich kann man Ethik als Argument nicht negieren. Das zweite Argument brachte Lawrence Woodward ein: Die Nahrungsmittelproduktion entferne sich so immer stärker vom Menschen. Brache statt Kulturlandschaft. Das Land leert sich, weil das Essen aus dem Reaktor in Wanne-Eickel kommt. Kein Kind weiß mehr, wie das mit der Natur so ist. Ein kulturelles Argument.
Und schließlich die dritte Sache: Es braucht dringend verbindliche Regelungen, um diese (je nach Sichtweise vielversprechende oder abgrunddrohende) Produktion irgendwie in den Griff zu bekommen. Die EU wird das schon tun, schnell und unkompliziert. Nein, das habe ich gerade verwechselt. Die EU mit der wirklich oft sehr fortschrittlichen Kommission ist eine großartige Errungenschaft, aber mit ständig blockierenden Lobbygruppen und (vor allem für kleine Unternehmen) praxisfernen bürokratischen Anforderungen kann sie leider ausgerechnet »schnell« und »unkompliziert« nicht. Genau das fürchten auch Künast und Kühnl, die ansonsten ja relativ wenig fürchten. »Bekommen wir das nicht wenigstens in den nächsten zehn Jahren geregelt«, sagt Kühnl, »machen das die USA oder Singapur, und damit sind die Sachen in der Welt.« Und wir wieder mal zweiter Sieger.
Zugegeben, das ist alles kein Thema, wie ihr das auf einem Wein- oder Genuss-Blog erwarten würdet. Aber es zeigt mir zweierlei. Zum einen natürlich, dass es wichtig ist, sich mit Zukunftsthemen zu beschäftigen, die Entwicklungen mitzubekommen, die Diskussionen, die Knackpunkte. Denn nur wer informiert ist, kann auch bei der Gestaltung mitwirken – anstatt immer nur in Archie Bunker-Manier (kannte ich nicht, hatte Lawrence Woodward eingebracht) zu verfahren: »Just say No to everything«. Zum anderen ist mir wieder dieses Privileg bewusst geworden, überhaupt in einer Gesellschaft zu leben, in der man verschiedene Meinungen hören und äußern kann. Insofern empfinde ich die Biofach auch unabhängig vom engeren Bio-Kontext immer als bereichernde Veranstaltung, bei der genau so etwas geschieht.
Biofach 2024 – die Neuheiten
Allerdings gibt es ihn dann doch, den engeren Bio-Bereich. Genau jenem möchte ich mich hier noch in aller Kürze widmen. Dafür bin ich in die Halle 3A gegangen, um mir anzuschauen, welche Neuigkeiten herauskommen werden. Die folgenden Novelties haben mir dabei besonders gefallen.
Peter Riegel Pfandflasche für Wein
Erst seit dem Start der Biofach 2024 hat die Firma Peter Riegel Weinimport ihren Pfand-Tastico auf den Markt gebracht. Das sind drei spanische und zwei italienische Weine, die – richtig geraten – in einer Pfandflasche erscheinen. Und zwar in der Pfandflasche der Wein-Mehrweg eG, welche die Württemberger Genossen bei der letzten ProWein vorgestellt hatten. Wie immer im Pfandbereich, heißt es auch hier: Je mehr mitmachen, desto besser. Die Riegel-Bioweine sollen im Preiseinstiegsbereich um die 5 € auch in Rewe und Edeka zu haben sein. Umso mehr Pfandautomaten werden dann umprogrammiert, damit man die Flaschen unkompliziert wieder in den Kreislauf geben kann. Mehr zum Thema sicher noch mal an anderer Stelle. Mit dem Best New Product Award in der Kategorie Getränke ist der erste Preis schon mal eingeheimst.
Nabio Zimtschnecke Aufstrich
Wenn ich in Hamburg bin, kaufe ich immer eine Zimtschnecke bei Zeit für Brot, und ich bin nicht der einzige, der das tut. Offenbar ist die Zimtschnecke ein hippes Produkt geworden. Deshalb gibt es jetzt den Zimtschnecken-Aufstrich von Nabio. Damit kann man vielleicht sogar den lahmen Dinkelkräcker in eine aufregende Zimtschnecke verwandeln.
Genusskoarl Fischsauce
Asiatisch kochen (okay, ungefähr ähnlich präzise wie »europäisch kochen«) ist ja auch sehr angesagt. Fischsauce gehört bei vielen südostasiatischen Gerichten zwingend dazu. Aber ich möchte da nicht immer auf die E-Stoff-Parade aus dem Asia-Shop zurückgreifen müssen. Insofern könnte die fermentierte Alpenfisch-Würzsauce aus Mariazell von Decleva (distribuiert von Genusskoarl) durchaus eine gute Alternative sein…
Green Coco Aygan
Wer es noch nicht wusste: Vegane Produkte sind nicht unbedingt im Drei-Sterne-Bestverdiener-Milieu angesiedelt. Viele junge Leute aus weniger privilegierten Schichten möchten gern vegane Alltagsprodukte kaufen. Jetzt kann ich darob den Untergang des kulinarischen Abendlands herbeibefürchten, ich kann aber auch einfach mal anderen Leuten ihre Vorlieben zugestehen. Ayran zum Beispiel, den ich gern zum Döner aus dem Budenkühlschrank ziehe. Den gibt es jetzt auch in der veganen Version auf Kokosbasis vom waschechten Istanbuli Antonio Martins. Leider leider habe ich den Aygan im Gegensatz zu anderen Sachen hier nicht probieren können, weil es bei der Biofach 2024 dann zu spät wurde. Wird aber nachgeholt.
Wohlrab Champignons geräuchert
Viele Leute, die schon lange Jahre mit Bio und Kulinarik leben, beschweren sich darüber, dass bei der Biofach die prozessierten Lebensmittel das reine und gute Naturprodukt so stark verdrängt hätten. Und ja, das ist tatsächlich nicht ganz von der Hand zu weisen. Bio im Mainstream bringt so etwas mit sich. Auch in dem Sinne, dass extrem viele Ersatzprodukte für alle möglichen Originale präsentiert werden, welche aus den verschiedensten Gründen gemieden werden sollen. Having said that, es gibt auch den guten Ersatz, der in Wirklichkeit gar keiner ist. Hier habe ich zum Beispiel beim Pilzspezialisten Wohlrab die getrockneten, geräucherten Champignons gefunden. Ja, kann man als Ersatz für Fleisch oder Speck verwenden. Ist aber auch an sich ein wunderbares Doppel-Umami, schon in der Nase schön rauchig.
BioGourmet Südtiroler Nudeln
Eiernudeln von einem Hof auf 1.200 Meter Höhe in den Bergen sind an sich schon eine nette Sache. Umso mehr, wenn dieser Hof in Bio produziert und sich in Südtirol befindet, seit Generationen Traumziel aller Süddeutschen. Am Neuheitenstand hatte ich gesehen, dass die Firma BioGourmet (vertreiben auch Leksands Knäckebrot, ein Staple in unserem Haushalt) derartige Nudeln anbietet, und zwar in sehr attraktiven Geschmacksrichtungen. Die Rede ist von »Latschenkiefer & Bergkräuter« (tatsächlich mit diesem ätherischen Gefühl im Abgang), von »Südtiroler Speck« und von »Schüttelbrot«. Eigentlich kann man diese Nudeln ganz für sich allein essen. Oder zumindest mal probieren.
Solange’s Cuisine Fonio
Letzter Tipp der Biofach 2024: Solange’s Cuisine. Die Frau vom Label gibt es übrigens wirklich, sie war nur leider gerade woanders auf der Biofach unterwegs, weshalb ihre Kollegin Martha sie verteten hat. Solange Domaye stammt aus dem Tschad, ist wahrhaftige Unternehmerin und möchte dem Sahel-Urgetreide Fonio zu mehr Bekanntheit verhelfen. Wie, ihr kennt Fonio nicht? Dann schnell den Wikipedia-Artikel nachgelesen. Diese Art der Hirse gibt es noch in Form von Landsorten, die nicht von Multis patentiert sind. Solange lässt ihr Fonio von Frauenkooperativen in Burkina Faso anbauen – mit jeder Menge durchdachter Details, zumal ihre Kolleg:innen Poppe, Martha und Jurrien eine jahrzehntelange Erfahrung im Bereich Bio, Anbau und Distribution mitbringen.
Wenn es um Lebensmittel geht, ist es natürlich ganz vorteilhaft, wenn die Projekte nicht nur ehrenhaft erscheinen, sondern die Ergebnisse auch gut schmecken. Mission accomplished, würde ich sagen. Martha gab mir nämlich das letzte Päckchen vom Fonio-Mafé-Mix mit, den man eigentlich nur mit kochendem Wasser aufgießen muss. Erdnuss, Tomate und Kräuter sind im Mix schon enthalten, man kann ihn aber auch mit ein paar frischen Zutaten aufpeppen. Sowas ist für mich typisch Biofach. Und (neben den Food-Diskussionen und Seminaren) einer der Gründe, weshalb ich schon öfter hier war. Nicht nur bei der Biofach 2024, sondern auch 2023, 2022, 2021 (online), 2020, 2019, 2018, 2017, 2016, 2015 und 2013. Meine Güte, ich werde zum Urgestein…