Ja, meine lieben altmodischen Freundinnen und Freunde, ihr seid nicht allein! Es gibt tatsächlich noch mehr Menschen, die sich an Büchern erfreuen. Das sind diese dicken, schweren, Platz einnehmenden Objekte, die nichtsdestoweniger die Kulturgeschichte der Menschheit geprägt haben. Weil wir uns ja kurz vor Weihnachten befinden und alle noch nach Geschenken suchen, habe ich hier die fünf Bücher ausgebreitet, die mich in diesem Jahr 2023 am meisten beeindruckt haben. Natürlich geht es um kulinarische und vinophile Themen. Und es geht um Freak-Stoff, um Kompendien, um Bücher, die ich immer wieder zum Nachschlagen und Inspirieren aus dem Regal hole. Vorhang auf also zur kleinen Bücher-Schau!
Kauft man überhaupt noch Bücher?
Ich muss zugeben: Die große Zeit des Bücherwahns ist bei mir ebenso wie die große Zeit des Platten- oder CD-Kaufs vorbei. Viele Informationen lassen sich auch digital finden, und Bücher, die man sich nur als Zierde auf den Coffee Table legt, brauche ich nicht. Aber dann gibt es wieder Exemplare wie diese fünf, bei denen ich im Nachhinein wirklich frohlocke, sie erworben zu haben. Als Warnung vorweg sollte ich allerdings darauf hinweisen, dass ich meine Scheu vor fremdsprachigen Büchern schon vor längerer Zeit verloren habe. Ich muss aber auch nicht jedes Wort auf Anhieb verstehen, schließlich handelt es sich nicht um Romane, sondern um Sachbücher. Und mithilfe des Handy-Übersetzers kann man es mittlerweile sogar schaffen, japanische Zeitschriften zu entziffern. Im Vergleich dazu ist das hier in jedem Fall handhabbar. Glaubt es mir.
Ach, und noch etwas. Ich hätte euch zur besseren Veranschaulichung gern mal eine Seite im Original abfotografiert, aber die Copyright-Regeln verbieten so etwas natürlich. Also gibt es links das Cover und rechts ein unscharfes Beispiel aus dem jeweiligen Buch.
1. Die Gourmetreise durch Italien
»Atlante Slow Food dei Prodotti Regionali Italiani«. So heißt dieser von einem Kollektiv beschriftete und bebilderte Wälzer von 700 Seiten. Anders als bei dem, was ich persönlich als »Atlas« bezeichnen würde, gibt es hier allerdings keine Karten. Dafür sind alle Produkte nach Regionen geordnet, so dass ihr Italien von Nord nach Süd durchreisen könnt. Genau das liebe ich so an diesem Buch. Die Informationen sind äußerst präzise, es gibt gut verständliche Piktogramme, und zwei Produktbeschreibungen bilden eine Seite. Die Art der Produkte reicht dabei von Käse- über Brotsorten, Wurst und Schinken bis hin zu Pasta und Süßem. Bei meiner diesjährigen Piemont-Reise hat sich das Buch besonders bewährt, denn ich habe in den Läden, auf den Märkten und auf den Speisekarten genau die Produkte wiedergefunden, die im Buch beschrieben werden.
Weil das Buch nicht so großformatig ist, lässt es sich sogar gern in eine Ferienwohnung tragen. Und die Übersetzungs-App auf dem Handy funktioniert einwandfrei. Wenn man sich bei den Eigennamen nicht kirre machen lässt… Gekauft habe ich den Slow Food-Atlante übrigens nicht online, sondern bei Eataly. Es gibt ihn aber auch bei La Feltrinelli und anderen großen Buchketten.
Mein Fazit: Wer sich wirklich für die italienische Küche interessiert, sollte über regionale Spezialitäten Bescheid wissen. Und dafür gibt es nichts Besseres als dieses Buch.
2. Burgundwein komplett
Weinbücher, die wirklich etwas Neues zu erzählen haben, sind alles andere als häufig. Neben den vielen Guides mit ihren vielen schönen Punkten stehen da oft Bücher im Regal, die so aussehen, als seien sie als Geschenke für Menschen gedacht, die man nicht allzu gut kennt. Bei »Inside Burgundy« von Jasper Morris passiert das weniger. Vielmehr habe ich das Gefühl, dass man sich dieses Buch am liebsten selbst als Geschenk zulegt. Und zwar im geschätzt dritten Jahrzehnt seiner eigenen Weinkarriere. Vorher beeindruckt es zwar ebenso, vor allem seines Gewichts wegen, aber Burgund als Weinregion muss man sich meiner Erfahrung nach erst erschließen. Ich habe beispielsweise letzten Herbst zum ersten Mal Romanée-Conti und Montrachet gesehen.
Hat man das einmal getan, ist es schlicht das ideale Freakgebiet. Gut, es gibt nur eine Handvoll Rebsorten, aber eine mehr als reiche Tradition, ungeheuer viele Weingüter und Hunderte von Einzellagen. Und weil die Region die mit Abstand begehrteste der Welt ist (auch wenn die Spekulationsblase wieder etwas abzunehmen scheint), lohnt es sich gleich auf mehreren Ebenen, sich hier ein bisschen auszukennen. Bei Jasper Morris gibt es Informationen zu allen Weingütern und allen Lagen. Bei den berühmtesten Appellationen sind auch die Parzellen der einzelnen Weingüter eingezeichnet. Leider ist das Buch begehrt, und ich habe derzeit nur einen einzigen, etwas dubios aussehenden Webshop in Österreich gefunden, wo man es bestellen kann. Ich selbst hatte es in Beaune erstanden, also vor Ort.
Mein Fazit: Wer tiefer in der Weinwelt drinsteckt, wird automatisch irgendwann auf Burgund kommen – und wenn es nur privat ist. Dies ist das Standardwerk.
3. Die crazy world der Aromen
Hatten die ersten beiden Bücher noch eine ganze Menge Fließtext zu bieten, geht es bei diesem Werk ausschließlich ums Nachblättern. Peter Coucquyt und seine Co-Autoren liefern nämlich nichts anderes als food science für die praktische Anwendung. Ihr Kompendium »The Art & Science of Foodpairing« ist zum Glück relativ leicht zu bekommen – für gut 30 € auf Englisch, für derzeit 49 € auch auf Deutsch. Und was ist drin? Nun, die Autoren haben sich eine riesige Menge an Zutaten besorgt und von jenen systematisch gaschromatographische Aromenprofile erstellt. Im zweiten Schritt wurde dann alles miteinander kombiniert, so dass in dem Buch nicht weniger als 10.000 verschiedene Zutatenkompositionen zu finden sind.
Dabei gingen die Autoren von einem einfachen Prinzip aus (und erläutern das auch nachvollziehbar): Gleich und gleich gesellt sich gern. Zutaten, deren flüchtige organische Komponenten sich ähneln, lassen sich besser miteinander kombinieren als jene, die sich in dieser Hinsicht unähnlicher sind. Weshalb mir das Buch so gefällt, hat aber auch damit zu tun, welche Zutaten dafür gewählt wurden. Da heißt es nicht »Weißwein passt zu Fisch«, sondern (um mal ein konkretes Beispiel zu nennen) eine Zutat wie Meerrettich-Püree wurde ausgewählt. Dazu passen beispielsweise Haselnussnougat, Tomatensaft oder Jasminblüte. Fasan passt zu Grenadille oder gelbem Paprika-Coulis, Kabeljau zu Kokosnuss-Wasser, gekochte Adzuki-Bohnen zu Kakaopulver. Die Art der Zutaten zeigen dabei: Das ist ein Buch für die ganze Welt.
Mein Fazit: Wer kreativ in der Küche steht, findet hier Anregungen bis ans Lebensende.
4. Alles über japanische Zutaten
Die japanische Küche ist erst einmal eins: nicht einheitlich und nicht statisch. Autor Keita Wojciechowski, den einige von euch sicher aus der Natural Wine- und Sushi-Szene kennen, hat das in seinem Vorwort schön beschrieben. »Japanische Küche«, sagt er da, »bedeutet, dass Menschen nach Japan kommen, dass neue Zutaten eingeführt werden, dass Techniken erfunden, importiert, angepasst und verfeinert werden – ein Prozess, der immer noch im Gange ist.« Und von dieser Dynamik und dem wirklich atemberaubenden Reichtum an Zutaten erzählt dieses Buch. Es gibt hier kein einziges Rezept (ebensowenig in den vier anderen vorgestellten Büchern), kein einziges Foto, sondern ausschließlich präzise Informationen.
700 verschiedene Pflanzen, 130 Algensorten, 110 Pilzsorten und nicht weniger als 1.300 Fische und Meeresfrüchte bilden die Überschriften dieser lexikalischen Texte. Auch hier kann man den Reichtum des Inhalts am besten anhand eines zufälligen Stichworts erahnen. »Makombu« zu Beispiel ist die Kombu-Sorte mit dem höchsten natürlichen Glutamat. Dashi kann trüb werden, wenn man Makombu dafür verwendet. Zwei Jahre dauert es, bis die Wildpflanze geerntet werden kann, Herkunft südliches Hokkaidō oder nördliches Tōhoku. Wird sie künstlich gezüchtet, heißt sie Sokusei Kombu, die Saison ist im Juli und August. Es gibt schlichtweg keine Zutat in der japanischen Küche, die hier nicht erklärt wird. Ein Lebenswerk im Eigenverlag, und deshalb nicht nur großartig, sondern auch total unterstützenswert. Die »Culinary Encyclopedia of Japan« gibt es gebunden bei Amazon für 55 €.
Mein Fazit: Wer sich wirklich für die japanische Küche interessiert, und zwar in depth, ist auf dieses Buch angewiesen. Ganz hohes Nerd-Suchtpotenzial.
5. Die Weinwelt, wie wir sie kennen sollten
Zweimal bin ich schon daran gescheitert zu erklären, was die New Yorker Sommelière und studierte Philosophin Pascaline Lepeltier hier gemacht hat. Aber vielleicht ist das auch kein Wunder. »Mille Vignes« heißt das Werk nämlich, tausend Reben. Und so vielfältig wie die Reben draußen in der Welt, so vielfältig ist auch dieses Weinbuch. Man könnte sich darauf beschränken, zumal mit weniger brillianten Französisch-Kenntnissen gesegnet, sich durch die vielen interessanten und erhellenden Abbildungen der wunderbaren Illustratorin Loan Nguyen Thanh Lan zu hangeln. Jene reichen vom Wurzelwerk der Rebe über Zusammenhänge zwischen historischen Vulkanausbrüchen und Lesebeginn über das Panoptikum der Hefen bis zu Typen von Weinetiketten.
Die Autorin möchte jedoch mehr zeigen als viele Details. Der Untertitel des Buches lautet nämlich »penser le vin de demain», also den Wein von morgen denken. Und da geht es zwangsläufig auch um Positionen. Man merkt deshalb, dass Lepeltier eine Anhängerin des Terroirgedankens, des holistischen Ansatzes im Weinberg, des Weglassens önologischer Eingriffe im Keller ist. Aber irgendwie schafft sie es, philosophische Ansätze und Naturwissenschaft oder auch Naturweinwelt und Fine Dining in eine Balance miteinander zu bringen – vermutlich, weil sie diese Balance selbst finden musste. In diesem Buch (45 € bei Amazon) das sich wiederum eher als Selbstgeschenk eignet, finden Fortgeschrittene ungemein viele Anregungen.
Fazit: Keine Portraits berühmter Weinregionen, Weingüter oder gar Verkostungsnotizen. Wer aber immer einen Schritt voraus sein will, hier werden die hot topics der Weinszene diskutiert.
Zum Schluss
Damit bin ich am Ende der Vorstellung angelangt. Fünf Bücher für Menschen, die schon als Kind Briefmarken gesammelt und Vögel bestimmt haben. Not for everyone also, aber das war auch gar nicht meine Absicht. Genau deshalb nämlich liebe ich diesen Ansatz so, weil man instinktiv spürt, dass die Autor*innen ihr jeweiliges Sujet ebenso lieben. Schön also, dass es weiterhin Menschen mit Leidenschaften gibt. Und dass wir auf diese Weise davon profitieren können.
Der Web-Shop in Österreich, der das Jasper Morris Buch anbietet ist durchaus seriös. Mein Buch war ruck-zuck in Berlin.
Danke für die Rückmeldung, freut mich zu hören!
Ich habe das Buch auch zügig aus Österreich erhalten.