Dieser Artikel kommt völlig ungeplant. Eigentlich wollte ich nämlich bei meiner GROSSEN SEKT-GALA mit wilderen Dingen weitermachen, zumal ich vorgestern bei der RAW WINE Berlin war. Möglicherweise kennt ihr diese Messe, und falls nicht, lest euch doch mal mein Interview mit Gründerin Isabelle Legeron durch. (Jetzt wo ich’s grad selbst nochmal durchlese, merke ich wieder, dass es superinteressant ist; das nur am Rande.) Überraschenderweise gab es dann aber bei der RAW WINE Berlin einen Presse-Talktermin mit …Champagnerwinzern! Also richtig AOC Champagne, Premier Cru, Grand Cru, was mich doch sehr überrascht hat. Es handelt sich dabei um Bio-Champagner, genauer um die A.C.B., bei der 114 Anbauer*innen Mitglied sind (laut Website, Pascal Doquet sprach von 170!). Und was die zu erzählen hatten, war fachlich viel zu spannend, um einfach so zu verschwinden…
Die RAW WINE ist, wie ihr vielleicht wisst, immer noch eine Veranstaltung, bei der ähnlich wie bei der Dive Bouteille das Element der counter culture eine Rolle spielt. Isabelle erzählte mir vorgestern, wie es vor zehn Jahren war, als sie mit der RAW angefangen hat. »Das waren Naturwein-Winzer, Naturwein-Händler, Freunde von Freunden, alles supernett, aber halt doch eine ziemlich abgeschlossene Blase. Und mein Wunsch war es von vornherein, diese Blase zum Platzen zu bringen.« Mission accomplished, würde ich sagen.
Die A.C.B. war allerdings, anders als ich gedacht hätte, nicht zum ersten Mal bei der RAW. In Berlin schon, aber in Los Angeles hatten sie 2019, also vor der großen Covid-Pause, bereits sich, ihr Konzept und ihre Weine vorgestellt. Isabelle findet das gut, nicht nur, weil die Stände schon vormittags dicht umlagert sind. »Ich finde, Champagner gehört auch auf den Naturweinmarkt. Einfach damit man sieht, man kann Champagner anders herstellen.«
Bio-Champagner auf der RAW
Wie das passiert, das berichteten uns die drei Winzer Jérôme Lefèvre, Pascal Doquet (gleichzeitig Präsident der A.C.B.) und Jean-Sébastien Fleury. Das Setting war dabei richtig schön, äh, raw. Kein schickes Kronleuchter-Ambiente, in dem Hostessen edle Kreszenzen zum Verkosten ausschenken. Vielmehr gab es überhaupt nichts zu trinken, wir hockten auf Plastikstühlen in einer kühlen Dachkammer, und es ging ausschließlich um Inhalte. Das ist ganz Isabelle, und dafür mag ich sie einfach.
Zunächst stellten sich die Winzer vor. Jérôme Lefèvre fing im Jahr 2009 mit dem Bio-Weinbau an, neben seinem Hauptjob. Unter seinem eigenen Namen macht er mit irrwitzigem Aufwand genau einen Champagner pro Jahr, als Champagne Delalot sind es ein paar mehr. 4.000 Flaschen, um genau zu sein, minuscule.
Pascal Doquet ist dank der Qualität seiner Produkte mittlerweile auch international ziemlich gefragt. In der Côte des Blancs produziert er 70.000 Flaschen pro Jahr. Sieben Cuvées gibt es, darunter den Grand Cru Le Mesnil. Ich werde noch an anderer Stelle über seine Weine schreiben.
Champagne Fleury ist hingegen der Bio-Champagner-Primus. Im Département Aube beheimatet, gibt es hier primär Pinot Noir-Schampus. Biodynamisch bereits seit 1989, ist Fleury mit knapp 200.000 Flaschen im Jahr der größte Bioproduzent. Mit Jean-Sébastien hat die zweite Generation das Ruder übernommen und steht jetzt vor dem interessanten Problem, Pioniertaten weiterentwickeln zu müssen.
Herausforderung Klimawandel
Pascal Doquet erzählte vom Jahrgang 2022, der ja gerade erst eingetütet wurde. Auch in der Champagne war dies der heißeste Sommer seit Beginn der Aufzeichnungen. Viele Leute meinen ja, und dazu gehören auch manche PR-Abteilungen großer Champagnerhäuser, dass die sommerliche Erwärmung der Champagne die Auszeichnung »Klimagewinner« verleihen würde. Tatsächlich aber ist dem nicht so.
»Zunächst einmal«, sagte Pascal, »haben wir den Alkohol. 2022 hatten wir vom potenziellen Alkoholgehalt her bereits bei der Ernte eine Prognose von 11,9 vol% für den fertigen Wein. Als der dann aber durchgegoren war (ausschließlich spontan), hatten wir 12,5 vol%. Und das bereits im Grundwein! Bei der Zweitgärung kommen ja normalerweise noch 1-1,5 vol% dazu, und das führt zu einem Produkt, das eigentlich völlig anders balanciert werden müsste.«
Zweite Herausforderung: die Reife. Jean-Sébastien Fleury erklärte, wie sie da vorgehen. »Wir brauchen für unseren Grundwein phenolisch wirklich reife Trauben mit gleichzeitig hohen Säurewerten. In heißen Jahren ist die Reifeperiode aber extrem verkürzt. Wir mussten bereits im August ernten, um die notwendige Säure zu erhalten, aber da war die phenolische Reife noch nicht da.« Man sieht also, das ist ein durchaus fragiles System, bei dem wärmer, reifer, schneller alles andere als easier und besser bedeutet.
Bio-Champagner und Piwis
Natürlich wären die Bio-Champagner-Winzer keine solchen, wenn sie sich nicht mit Lösungsmöglichkeiten beschäftigen würden. Pascal Doquet sieht eine davon in den Regularien. PetNat mit nur einer Gärung, was den Alkohol im Zaum halten würde, dürfen sie nicht machen. Einfach Traubensaft bei der Zweitgärung hinzufügen, könnte ebenso positiv für die Balance sein, ist laut Bestimmungen aber auch nicht erlaubt.
Draußen im Weinberg gibt es natürlich Möglichkeiten. Eine niedrigere Laubwand zum Beispiel, die die Verdunstung verringert. Aber weiß man im Juni schon, wie sich der Jahrgang entwickeln wird? Ganzjährige Begrünung (auch zwecks Kühlung) machen sie ja eh schon, was der Glyphosat-Wüste, der viele Champagne-Weinberge teilweise immer noch ähneln, definitiv sehr gut tut.
Eine Ausweichvariante wäre, ganz einfach auf die frühe Lese mit geringer Gradation zu verzichten und stattdessen Stillwein zu machen. Tatsächlich sagten alle drei, dass sie das zukünftig vorhätten. Aber bei einem USP, wie ihn die Champagne besitzt, kann das natürlich niemals einen großen Teil der Produktion betreffen.
Eine vierte Möglichkeit wäre die Verwendung anderer Rebsorten. Wenn es für die drei Großen (Pinot Noir, Chardonnay und Pinot Meunier) zu heiß wird, wie wäre es mit den alten Sorten Arbane und Petit Meslier, die ja auch zugelassen sind? Jean-Sébastien Fleury findet Petit Meslier gut, aber Pascal Doquet meint, für einen zuverlässigen Anbau wären die Erträge zu gering und zu schwankend. Zumal bei Bio-Champagner.
Was deshalb groß erforscht wird, sind neue Piwi-Sorten. Einerseits um Pestizide einzusparen, andererseits aber auch wegen bestimmter Eigenschaften. »400 Piwis werden derzeit bei uns in der Champagne im Feld erforscht«, sagt Pascal Doquet. Alle hätten als einen Elternteil eine der drei großen Sorten, der andere Elternteil ist der robuste. »Trotzdem hat das Endprodukt 96-97% Vinifera, ähnelt also den traditionellen Sorten stark.«
Neues Leben mit Voltis
Was von den Eigenschaften neben der Resistenz wichtig ist, sind späte Reife und hohe Säurewerte. »Irre«, sagt Jérôme Lefèvre. »Wenn uns vor 50 Jahren jemand gesagt hätte, dass wir hier in der Champagne bei neuen Sorten nach so etwas suchen, wir hätten ihn für verrückt erklärt.« Tatsächlich ist mittlerweile aber eine dieser neuen Piwi-Sorten höchst offiziell für die Produktion von AOC Champagne zugelassen. Sein Name (den ich jedesmal vergesse): Voltis.
Voltis habe genau diese gewünschten Eigenschaften, erklärt Pascal Doquet, was ihn gleichzeitig natürlich daran hindere, für andere Zwecke verwendet zu werden. Soll heißen, auch Piwis sind nicht alle gleich, und man muss genau wissen, wofür welche Sorte gezüchtet wird und wo man sie dann einsetzt. Daran denkt bei uns in good old Germany noch kaum jemand, würde ich behaupten.
Interessant waren dann die Ergebnisse eines Geschmackstests unter Konsument*innen, von dem Pascal Doquet berichtete. Eine Cuvée mit 5% Voltis und 95% Pinot Noir sei dabei deutlich schlechter bewertet worden als ein 100% Pinot Noir-Wein. Aber bei Chardonnay sei das umgekehrt gewesen. 5-10% Voltis im Chardonnay hätten zu besseren Geschmacksergebnissen geführt als 100% Chardonnay. Das ist doch absolut verblüffend, oder nicht?
Haben die Piwis also auch qualitativ und geschmacklich eine Zukunft? In der Champagne, die mehr auf Kühle angewiesen ist, als das die meisten denken, scheint das tatsächlich (in bestimmtem Umfang) der Fall zu sein…
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