[In Kooperation mit dem Weingut Sander] Ihr wisst ja möglicherweise, dass ich in diesem Jahr öfter bei Stefan Sander in Mettenheim bin, weil mich einfach interessiert, was in so einem Weingut rund ums Jahr passiert. Als ich im Winter dort war, um Stefan erst einmal näher kennenzulernen, hatte ich ihn auch gefragt, was denn sein Lieblingsort in den Weinbergen sei. »Schlossberg!« sagte er darauf, ohne eine Sekunde zu zögern. Logisch, dass ich das auch sehen wollte. Aber bitteschön im Sommer, wenn es (leidlich) grün ist. Also bin ich wiedergekommen.
Wo bin ich da überhaupt?
Der Schlossberg ist eine von drei Mettenheimer Weinlagen und befindet sich nordwestlich des Ortes. Wie fast überall in Deutschland, hat das Weingesetz von 1971 seine Spuren hinterlassen und für die Lage mehrere vorher eigenständige Gewanne zusammengefasst. Da gibt es das Fuchsloch, da gibt es Hinter Rechen oder den Steinsweg. Letzteren nimmt man auch, wenn man vom Dorf in die Weinberge kommen will. Hoch stehen die Böschungen rechts und links, dicke Lössschichten lassen sich ebenso erkennen wie Spuren früherer Weinbautätigkeiten. Überall sprießen halbwilde Reben aus den Büschen hervor. Der Schlossberg ist uraltes Kulturland, der Weinbau belegt seit 1.200 Jahren.
Sommer im Schlossberg
Eigentlich suche ich nach der spektakulärsten Stelle für ein Foto im Fuchsloch, denn dort befinden wir uns in Stefans Lieblingsparzelle. Aber irgendwie ist das Ganze zu stufig und zu kleinteilig. Einerseits ungünstig, weil man für einen Überblick eine Drohne bräuchte. Aber ehrlich gesagt andererseits auch ideal, denn Büsche, Hecken, Terrassen, schmale Parzellen, zumindest jene von Stefan auch seit Jahrzehnten im Bioanbau – das ist doch eigentlich genau die Diversität, die wir uns immer wünschen.
Ich frage Stefan, was er hier stehen hat. »Riesling natürlich«, strahlt er und scheint die Rebsorte irgendwie zu mögen. »Es gibt jüngere und ältere Reben, und es gibt je nach Situation eine unterschiedlich dicke Lössauflage. Direkt hinten an der Böschung können das bis zu zwei Metern sein, was eine gute Wasserhaltefähigkeit bedeutet. Vorn an der Abbruchkante ist das viel flachgründiger, da kommt gleich der Kalkstein im Untergrund.«
Mir fällt auf, dass die Reben bei Stefan trotz der Trockenheit eigentlich ziemlich gut dastehen. Woanders sind schon sehr viele Blätter gelb wie im Herbst. Liegt das nur an dem fehlenden Regen? »Daran natürlich auch, aber die gelben Blätter, das ist Chlorose, Eisenmangel. Die Reben sind wegen der Wärme zu schnell gewachsen, bekommen bei der Trockenheit aber zu wenig Nährstoffe. Bei uns ist das zum Glück kein Problem, weil wir hier jahrzehntelang Humus aufgebaut haben in den Parzellen.« Viel Grün steht in den Zeilen aber nicht mehr. »Nein, wir haben dieses Jahr die Begrünung relativ früh umbrechen müssen, weil es an Wasser gefehlt hat. Wenn es feuchter wird, säen wir wieder ein.«
Wie wird die Ernte 2022?
Natürlich wollen alle immer wissen, wie es mit der Ernte 2022 aussieht. Ist es ein Jahr wie 2018? »Nein«, sagt Stefan, »da gibt es schon Unterschiede. Zum einen wissen wir natürlich nicht, wie der August noch wird, der ja 2018 weiter heiß und trocken war. Aber vor allem sind die Voraussetzungen anders. Bei uns gab es dieses Jahr während der Blüte eine kühle Periode.« Sind die Blüten dann erfroren? »Nein, erfroren nicht, eher getrocknet und abgefallen. Verrieseln heißt das. Das hat die Menge erheblich reduziert.«
Was jemanden ärgert, der auf Maximalertrag setzt, macht dem Qualitätswinzer nichts aus. Im Gegenteil. »Schau mal, wie schön lockerbeerig das aussieht!«, begeistert sich Stefan. »Da werden die einzelnen Beeren aromatischer, und eine geringere Anfälligkeit gegen Krankheiten gibt’s auch noch.« Soll das heißen, dass er mit dem bisherigen Jahresverlauf zufrieden ist? »Ja, schon. Sehr trocken ist es natürlich, das gefährdet die Junganlagen nicht unerheblich. Aber die alten Reben wurzeln tief, das funktioniert hier eigentlich noch ganz gut.«
Stellt sich für mich nur die Frage, welche Reben Stefan für welchen Wein verwendet. Ist das nicht alles Schlossberg? »Die jüngeren Anlagen nehme ich für den ‘Löss’-Riesling. Für meine Schlossberg-Rieslinge ist es mir lieber, wenn die Reben etwas mehr Wurzelmasse haben, sprich älter sind. Ich will aber auch da nicht total auf Minimalertrag gehen, denn ich möchte die Traubenfrucht im Riesling spüren und nicht bloß Steine und trockene Kräuter.« Also schauen wir doch mal, was die beiden Schlossberg-Rieslinge können.
Sander Riesling Schlossberg
Der Schlossberg Riesling 2019 (21,50 € ab Hof, rechts auf dem Foto) stammt aus mehrfach selektierten Trauben, die erst einmal 18 Stunden auf der Maische verbracht haben. Anschließend wurde er jeweils zur Hälfte im Stahltank und im Stückfass ausgebaut. Hefelager bis Juni und Füllung mit beachtlichen 7,3 g Säure und 3,0 g Restzucker je Liter. EU-Bio und Naturland, versteht sich hier von selbst.
Mittleres Gelb im Glas, und wow, sofort sehr attraktive Rieslingnase! Aprikose steht im Vordergrund, dazu gibt es ein winziges bisschen Minze und einen ebenso feinen Touch Ingwer. Im Mund spüre ich sofort, weshalb Stefan von »vollreifen, goldgelben« Trauben gesprochen hat. Die Säure ist in eine sehr dichte Materie eingebunden, es gibt viel reife Frucht, Aprikose, Pink Grapefruit, Salzorange, fast vollmundig wirkt der Wein. Das Ganze ist aber nicht etwa fett, sondern einfach reif und saftig. Ich persönlich würde den Schlossberg-Riesling noch ein bisschen weglegen, aber wenn man die Frucht so präsent haben würde, macht das natürlich auch jetzt schon viel Spaß.
Sander Riesling Reserve
Die Trauben für die Riesling Reserve 2018 (32 € ab Hof) haben fast doppelt so lange auf der Maische gelegen wie beim Schlossberg-Riesling, 30 Stunden insgesamt. Danach Spontangärung und zehn Monate Feinhefelager. In der Säure mit 6,6 g analytisch etwas geringer als beim Schlossberg, dafür mit 1,4 g Restzucker richtig trocken.
In der Nase ist das faszinierend anders als beim »normalen« Schlossberg, obwohl beide Weine keinerlei Ausbauspuren besitzen. Die Frucht bei der Reserve ist bereits in der Nase heller, der Gesamtausdruck mehr von pflanzlichen Elementen geprägt. Zitronenzeste, Lindenblüte, Senfmehl, diese Assoziationen kommen mir in den Sinn. Im Mund wirkt die Reserve verblüffenderweise etwas schlanker als der Schlossberg und zeigt einen gefährlich zugänglichen Trinkfluss. Die Frucht ist gelber in Richtung Zitrone, dazu kommt weißer Pfirsich, weniger Aprikose als beim Schlossberg. Nach und nach spürt man die hohe Nachhaltigkeit und die Eleganz, noch einmal hochwertiger als bei seinem Bruder. Aber auf eine richtig feine Art. Tiefe und Struktur sagen mir, dass dieser Wein ebenfalls wunderbar reifen kann. Trotzdem auch hier: einmal aufgemacht, keine Reue.
Der Preisunterschied zwischen beiden Weinen macht für mich Sinn, aber auf ihre Weise sind das beides äußerst attraktive Weine (und ich bin ja sonst nicht so der totale Riesling-Freak). Wegen der knochentrockenen Interpretation und der Eleganz ist die Reserve für mich ein sehr hochwertiger Begleiter in der Gastronomie. Mit der Wachskappe, die man anders als neulich beim Tissot gut abbekommt, sieht die Flasche auch edel aus. Wenn ich »Gastronomie« sage, meine ich übrigens eher die feine Küche der erweiterten Region als die Avantgarde mit fermentiertem Rhabarber auf Holzasche. So einen Wein will ich beim 80. Geburtstag der Schwiegermutter haben, und ja, das sind absolut positive Assoziationen!
Epilog
Deutscher Sommer 2022, das ist nicht nur Hitze und Trockenheit, sondern das ist auch das 9 €-Ticket. Und weil zu einer richtigen Expedition auch abenteuerlichere Elemente gehören, nehme ich den Regionalzug. Von Bamberg nach Mettenheim und wieder zurück. Über die günstigere Umweltbilanz brauche ich da natürlich gar nicht nachzudenken, aber interessanterweise fahren die Züge sogar pünktlich, und ich habe durchgängig einen Sitzplatz.
Nur Zeit braucht man durchaus, aber deswegen habe ich auch ein Fachbuch über Pilze dabei. Neue Erkenntnisse zur Mykorrhiza. Auf jene sind die Reben nämlich auch angewiesen. »Wenn du einen Stein hast und eine Wurzel, dann passiert da nicht viel«, sagte mir Stefan im Schlossberg. »Deshalb braucht man ein Bindeglied, das die Nährstoffe aus dem Boden in die Wurzeln leitet – die Mykorrhiza-Pilze. Und die musst du pflegen, ähnlich wie die Pflanze selbst.« Wie er das macht, wird er mir dann beim nächsten Mal erzählen können. Wie es momentan aussieht, wird es nämlich gar nicht so lange dauern, bis ich wieder in Mettenheim bin. Die Ernte wird früh sein dieses Jahr…
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