Gérard Bertrand ist jemand, den man kennen sollte in der Welt des Weins. Ehemaliger Rugby-Profi, ein bisschen Prediger, ein bisschen Popstar, hat er aus dem winzigen Weingut seiner Eltern ein Unternehmen mit 890 ha gemacht. Das Ganze biologisch, teils biodynamisch zertifiziert, aber ohne Wollsocken, sondern mit Glamour. 136.000 Follower besitzt Gérard Bertrand auf Instagram, seine Weine gibt es in 170 Ländern der Welt zu kaufen. Was hat dieser charismatische und manchmal kontroverse Mann wohl zu sagen? Um das zu erfahren, fragte ich einfach an, ob ich ihn auf der ProWein für ein kurzes Gepräch treffen könnte. Et bien voilà…
Gérard Bertrand und das Cevennen-Projekt
Gérard Bertrand stammt von der Domaine Villemajou im Hinterland von Narbonne, aber er hat schon früh das ganze Languedoc als seine Heimat begriffen. Dort gibt es auch Bereiche, die weniger strahlen, und deshalb dreht sich gleich das Erste, was Gérard mir erzählt, um sein aktuelles Projekt dort. Am Fuß der Cevennen gibt es zwar viel wunderschöne Landschaft. Aber Alès, die Kapitale des »vallée heureuse«, wie sie bei Gérard Bertrand das Tal nennen, ist ein ziemlich rougher Ort, die Gegend geprägt vom Kohlebergbau der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Auch der traditionelle Nebenerwerb, die Bienenzucht, erscheint wenig lukrativ, wenngleich ungemein wichtig für die gesamte Landwirtschaft, denn Bienen bestäuben nun einmal Blüten. Kurz: ein Ort, an dem es etwas zu tun gäbe.
Also haben sich vor zwei Jahren die Appellation IGP Cévennes, vier Winzergenossenschaften, die »Groupe Gérard Bertrand« und das Label BEE FRIENDLY zusammengetan. 50 Winzer sind mittlerweile Mitglied in diesem Verbund, die dazu angehalten werden, Hecken zu pflanzen, einzusäen und die bei der Imkerei unterstützt werden. Alles ist zusätzlich bio-zertifiziert und schlichtweg eine gute Sache. Weine kommen dabei natürlich auch heraus…
Meine drei Picks
Und die möchte ich jetzt probieren, wobei sich die Auswahl nicht ganz so einfach gestaltet. Die »Groupe Gérard Bertrand« verfügt nämlich über Partnerschaften mit einer Vielzahl von Winzern. Dazu kommen elf aufgekaufte Einzelweingüter, oder vielmehr zehn, denn Villemajou war ja von Anfang an dabei. Im Online-Shop kann man unter 233 verschiedenen Produkten wählen und unter sechs verschiedenen Zertifikaten. Also probiere ich einen Querschnitt und greife meine drei Favoriten heraus.
Solar 6 Syrah
Der Bienenwein von den Cevennen, hier mit dem brandneuen Jahrgang 2021, der in Kürze für gut 7 € auf den Markt kommt. 24 Stunden Kaltmazeration vor der Gärung, damit die Frucht besser erhalten bleibt. Natürlich ist das kein komplexer Wein, noch nicht einmal ein besonders südlicher Wein. Kirschy, Waldbeerenanklang, gute Säure – ein top sauberes Produkt. Gérard weist bei der Gelegenheit noch darauf hin, dass die Winzer in dem Verbund auch bei administrativen Fragen unterstützt werden wie den Zertifikaten oder der Betriebsübergabe auf die nächste Generation. Und dass sie langfristige Kooperationsverträge erhalten.
Tatsächlich denke ich auch, dass es im Basissegment wichtigere Dinge gibt als (traue ich mich das wirklich zu sagen?) die exorbitante geschmackliche Qualität eines Weins. »Leckere Weine« für ein großes Publikum gibt es nämlich mittlerweile wie Sand am Meer. Aber langfristige, nachhaltige Konzepte, zudem eine möglichst wahre Story, die man auch weitererzählen kann – solche Dinge machen schon einen entscheidenden Unterschied.
Cigalus blanc
Cigalus ist eine Domaine in Fontfroide, ganz in der Nähe von Gérards Elternhaus. Es war auch eine der ersten, die er im Jahr 1995 erwarb. Heute lebt er mit seiner Familie dort, wenn er mal nicht in der Welt unterwegs ist. Erzeugt werden auf Cigalus ein Roter und ein Weißer, beide mit knapp 30 € auf dem Markt eher hochpreisig angesiedelt. Den weißen Cigalus gibt es bei Jacques, bei Belvini, bei Hawesko, ihr werdet also keine Schwierigkeiten haben, ihn zu besorgen.
Womit ihr vielleicht mehr Schwierigkeiten haben könntet, ist die Machart. Die Rebsorten heißen nämlich Chardonnay, Sauvignon Blanc und Viognier, und keine davon ist im französischen Süden heimisch. Zudem gibt es 70% Neuholz im Ausbau und regelmäßige Bâtonnage, beides völlig unüblich für das traditionelle Languedoc. Das Fiese ist jedoch, dass der Wein gut schmeckt. Vielleicht auch deshalb, weil ich ihn zuerst probiert und dann erst nach den technischen Details gefragt hatte. Sauvignon Blanc kann im Süden nämlich wirklich etwas, nämlich Frische ohne nervig grasiges Aroma liefern. Hatte ich schon bei den Weinen von Le Soula, Les Eminades oder gar Naturel-Winzern wie Jérôme Jouret gemerkt. Floral und würzig in der Nase, im Mund dann dicht, aber nicht zu flach. Das Holz ist schon sehr deutlich präsent, aber Phenolik und feine Säure halten den ganzen Wein zusammen. Eigentlich ein idealer weißer Châteauneuf, der auch noch lange liegen kann.
Orange Gold
»Das ist schon ein Orange Wine«, sagt Gérard, »aber für Leute, die so etwas zum ersten Mal trinken.« Deshalb gab es auch keine wilde Maischegärung auf den Schalen, sondern eine macération semi-carbonique über 10-15 Tage. Dann wurde abgepresst, und der Saft konnte im Stahltank fertiggären. Das Ergebnis ist ein, nun ja, orange-goldener Wein mit nur ganz zartem Tannin. Anders als bei »richtigen« Maischegärern erscheint der Orange Gold extrem aromatisch und fruchtig. Beides liegt sowohl an der Vinifikation als auch an der Verwendung von Rebsorten wie Muscat. »Das ist der zweite Jahrgang, der erste war ein riesiger Erfolg«, sagt Gérard. Den Wein gibt es entsprechend für 14,90 € bei Jacques, bei Hawesko, … Wer ohne Vorurteile rangeht, findet hier jedenfalls ein sehr charmantes Exemplar.
Wie sieht die Weinzukunft aus?
Zum Abschluss wollte ich allerdings auch noch etwas von Gérard Bertrand wissen. Ich dachte mir, jemand, der ein bedeutendes Unternehmen praktisch from scratch aufgebaut hat, ist doch sicher ein Mensch mit einem hinreichenden Weitblick. Wie wird sie also aussehen, die Weinwelt im Jahr 2050?
»Ganz anders als heute«, antwortet Gérard Bertrand nach null Sekunden Bedenkzeit. »Kein CO2-Ausstoß dank besserer Bodenarbeit, komplett biologisch oder biodynamisch, mit neuen Rebsorten, neuen resistenten Rebsorten… Aber nicht nur weinbaulich.«
Sondern auch von den Produkten her? »Ja. Mehr alkoholarme Weine – und mehr Schaumweine, überall auf der Welt. Ohnehin wird Wein noch stärker als heute ein globales Produkt, aber nicht nur auf dem Massenmarkt. Es wird mehr Weinliebhaber geben, Sammler, deshalb sehe ich da mehr Verbindungen zwischen Wein und Kunst. Dafür braucht es noch mehr Zusammenarbeit, Partnerschaften. Nicht ein Weingut, das Wein macht, und das war’s dann. Sondern mehr gemeinsame Projekte.«
Und wo wird er selbst stehen? »Nun, ich denke, Gérard Bertrand wird das Nummer-Eins-Unternehmen in der Weinwelt sein«. Das sagt er mit einem so dicken Augenzwinkern, dass man unwillkürlich spürt, er meint es ernst.
Gérard Bertrand – Bio in Gold
Oben auf dem Foto seht ihr den Flaschenboden des Orange Gold. Irgendwie steht er ein wenig für das, was Gérard Bertrand ausmacht. In einer ähnlichen Flasche gab und gibt es immer noch süßen, unangesagten und deshalb sehr preisgünstigen Muscat de Frontignan zu kaufen, den man im französischen Supermarkt nicht bei den Weinen, sondern im Likörregal findet. Gérard Bertrand nimmt solche Traditionsanklänge auf, aber er interpretiert sie in Gold. Es ist bio, und es ist schick.
Ich glaube, ich verschätze mich nicht, wenn ich behaupte, dass es eine solche Wein-Persönlichkeit wie Gérard Bertrand in Deutschland nicht gibt. Mit einem unerschütterlichen Selbstbewusstsein ausgestattet, das bescheidenere Naturen ein wenig verschrecken mag, merkt man ihm an, dass er wirklich etwas verändern will. Und dass er auch weiß, so etwas funktioniert nur, wenn es für mehr als eine Handvoll Nerds attraktiv ist. Es ist der Weg, den auch andere Granden wie Alois Lageder oder Miguel Torres beschreiten. Sicherlich, es handelt sich nicht um die einzige Möglichkeit, den Wein auf ein nachhaltiges Fundament zu stellen. Aber, und das wird niemand bestreiten, es ist eine mit impact.
Ich bin jedenfalls sehr froh, Gérard Bertrand getroffen zu haben (merci bien an ff.k für die Vermittlung!). Nicht etwa, weil ich ein gesteigertes Interesse an Promis habe. Sondern weil er für einen global wichtigen Bereich der Weinwelt steht – und weil seine Philosophie der Kooperation Anregungen bietet. Anregungen, die unserer relativ überschaubaren deutschen Weinwelt durchaus auch gut tun würden.
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