15 Kilometer und eine nicht unerhebliche Zeit fahren wir auf der schmalen Bergstraße bergauf. Dann sind wir angekommen auf dem Fennberg, Christof Tiefenbrunner am Steuer und ich auf dem Beifahrersitz. Anfang April liegt hier zwar kein Schnee mehr, aber Blätter sind auch noch keine zu sehen. Interessanterweise gibt es vom Fennberg keinen Tiefblick ins Tal, und so fällt gar nicht auf, dass wir uns hier auf mehr als 1.000 Metern über dem Meer und 800 Meter über dem Etschtal befinden. Der Berg im Hintergrund, die Rocca Piana, befindet sich bereits im Trentino. Dies ist also der Ort, an dem der teuerste, hochwertigste und – seien wir ehrlich – vielleicht auch einzige Müller-Thurgau von Weltrang gedeiht. Der Feldmarschall von Fenner.
Christof Tiefenbrunner rettet den Müller
Ich erzähle Christof Tiefenbrunner davon, dass ich eine kleine Serie auf dem Blog machen möchte mit Namen “Rettet den Müller!” – wegen seines doch etwas mitgenommenen Rufs. “Interessant”, sagt er darauf. “Soweit ich das beurteilen kann, hat der Müller-Thurgau in Italien nämlich überhaupt keinen schlechten Ruf. Das ist für die Italiener ähnlich wie Sylvaner ein Wein aus dem Norden, aus den Alpen, aus der Höhe. Frische Weine, die gut zu Tisch passen.” Etliche Male hat Tiefenbrunner für seinen Feldmarschall schon die begehrten drei Gläser im Weinguide Gambero Rosso eingeheimst. Rettung offenbar nicht erforderlich. Aber vielleicht kann ich ja stattdessen herausbekommen, was diesen Wein so besonders macht. Als Müller-Role Model sozusagen.
Auf dem Fennberg
Reben standen auf dem Fennberg in bester Alleinlage nicht immer. Aber dennoch waren im Sommer nicht wenige Menschen hier oben – einige zum Arbeiten, andere zum Ausruhen. Die Hofstatt, wie das Gebäudeensemble mitsamt angrenzender Landfläche heißt, gehörte einst dem Feldmarschall von Fenner höchstselbst. Ende des 19. Jahrhunderts war sie in Besitz von Bortolo Arneis, der sie im Jahr 1909 seinem Neffen schenkte. Dessen Initialien I.T. (T wie Tiefenbrunner) schmücken auch heute noch die Gedenkplakette in der Stube.
Christof Tiefenbrunner kann sich noch gut an die Sommer seiner Kindheit erinnern, die er hier oben verbrachte – zu Anfang ohne Straße, Strom und Kanalisation. Viele wohlhabende Familien aus dem Tal flüchteten damals vor der Hitze in die Sommerfrische. Es gibt einen Moorsee, in dem man schwimmen kann und einfach viel frische Luft. Auf der anderen Seite eines Bachtales sehe ich einen Hof, der auch ein paar Rebzeilen zu besitzen scheint. “Ja”, sagt Christof Tiefenbrunner, “das waren sozusagen unsere Nachbarn hier oben. Während unseres Aufenthalts haben wir uns immer einmal getroffen. Wir haben dann Blent gegessen, das ist die hiesige Polenta, mit den Händen aus dem Topf.” Ein Tag vor dem anvisierten Treffen hätte man sich die gegenseitige Anwesenheit zugejodelt. Telefon gab es ja keins. Und obwohl es so nah aussieht bis zum gegenüber liegenden Hang, sei das gerade für Kinder ein echter Tagesmarsch durch das tief eingeschnittene Tal.
Das Werden des Feldmarschalls von Fenner
Unter diesen Bedingungen einen Weinberg anzulegen, ist in der Tat eine kühne Idee. Genau das tat Christofs Vater Herbert jedoch im Jahr 1972. “Die Lage ist zwar kühl, aber licht- und windexponiert. Außerdem kommen hier im Sommer keine Pestizidwolken aus dem Tal hoch.” Heute besteht der Fennberg-Weinberg aus drei nebeneinander liegenden Parzellen und umfasst insgesamt 3,1 ha. Neben Müller-Thurgau gibt es auch ein wenig Kerner. Die ältesten Reben stehen an Einzelpfählen, der Rest klassisch im Spalier. Der Boden wird nicht bearbeitet, um die Bodenfeuchte zu halten. Allerdings gibt es Netze und Tropfbewässerung, ähnlich wie in den fortschrittlichen Plantagen im Tal. Ein bisschen zusätzliches Wasser aus dem Rückhaltebecken bräuchten die Reben in dieser Exposition im August, die Bodenauflage sei extrem dünn, darunter gibt es nur reinen Fels. Dafür gibt es auch im Hochsommer kaum Nächte mit mehr als 15°C, was die Aromenintensität fördert.
Was mich am meisten verblüfft, sind die Erntezeitpunkte, von denen Christof Tiefenbrunner berichtet. Allgemein sei die Ernte hier drei bis vier Wochen später als im Tal. Aber das sei keineswegs einheitlich. Denn obwohl die drei Parzellen direkt benachbart auf derselben Höhe liegen, gebe es zwischen ihnen einen internen Reifeunterschied von drei Wochen. Dabei würden solche Elemente wie Morgensonne und Abendsonne eine Rolle spielen, offenbar aber auch ganz lokal begrenzte Luftbewegungen. Und anders als vermutet, ist es nicht der sonnenärmste Bereich, der am spätesten reift.
Tasting – Feldmarschall von Fenner 2020
Wieder unten im Tal, gibt es dann den Feldmarschall zu kosten. Bis zum Jahr 2010 durfte der Wein nicht die DOC Südtirol führen, weil der neu angelegte Weinberg per damals geltender Definition dafür genau 50 m zu hoch lag. Der Ertrag liegt durchschnittlich bei 31 hl/ha. Meist werden vier Lesedurchgänge absolviert, und zum Schluss gibt es auch immer ein paar botrytisierte Beeren. Auf diese Weise hat der 2020er Jahrgang, der im September 2022 auf den Markt kommt, auch eine (sehr) kleine Menge an Restzucker. Säure gibt es auf der Höhe ja immer genug. Sechs bis acht Stunden bleiben die Beeren auf der Maische, ausgebaut wird dann zur Hälfte im großen Holz, zur Hälfte im Beton. Nach der Füllung bekommt der Feldmarschall noch einmal ein ganzes Jahr Flaschenreife.
Kraftvoll ist der Wein auf der einen Seite, immerhin 13,5 vol% stehen auf dem Etikett. Auf der anderen Seite gibt es einen feinwürzigen, blütigen Touch. Was den Feldmarschall von einem gewöhnlichen Müller unterscheidet, ist zum einen seine mineralisch-gleißende Nase, die fast an einen Chablis erinnert. Zum anderen wird der Wein im Mund mit zunehmender Luft immer feuriger und geschmeidiger. Ich finde es interessant, dass hier trotz der Hochwertigkeit (der Feldmarschall kostet ab Hof immerhin 44 €) kein spürbarer Holztouch mit hineingenommen wurde. Der Müller behält seinen floralen Charakter bei, gewinnt dann aber an Ausdruck durch Intensität und Tiefe.
Tasting – Der andere Feldmarschall von 2016
Das zweite Fläschchen Feldmarschall mit der Jahreszahl 2016 auf dem Etikett ist nicht etwa eine ältere Ausgabe, sondern eine süße Variante. Entstanden ist sie gewissermaßen aus der Not heraus. 2016 sei die Ernte so spät gewesen, berichtet Tiefenbrunner, dass sie einen Teil nicht gelesen hätten. 65° Oechsle hätte der nämlich nur gehabt. Zu Weihnachten seien sie dann noch einmal oben gewesen und hätten die restlichen, nun komplett botrytisierten Beeren eingebracht. Die dünne Schale des Müllers und die nächtliche Taunässe hätte den edelsüßen Wein möglich gemacht.
Bei 9,5 vol% besitzt der süße Feldmarschall 95 g Restzucker und definitiv auch eine gute Säure. Das ist in der Tat ein ganz verblüffendes Exemplar. Es gibt einen leicht edelpilzigen Anklang und hellen Honig, aber alles bleibt federleicht, frisch und floral. Definitiv einmalig für Italien. Was als Zufall begann, wurde dann Kontinuität. Eigentlich wollen sie eine solche Ausgabe nämlich in jedem Jahr machen, aber 2017 und 2019 gab es keine entsprechenden Bedingungen. Auch der 2016er ist übrigens noch nicht auf dem Markt.
Tiefenbrunner Schloss Turmhof
Nach dem Tasting schaue ich mir noch ein wenig die Weinberge um das Tiefenbrunner’sche Weingut Schloss Turmhof an. In der Ebene wachsen in Südtirol primär Äpfel, nur die Hänge sind für den Wein reserviert. Oberhalb des Hofes schließt sich die Vigna Au an, aus der Christof Tiefenbrunner einen der hochwertigsten Chardonnays ganz Italiens holt. Hier ist die Vegetation schon viel weiter, und die Zypressen verleihen dem Weinberg einen fast mediterranen Touch.
Ich erinnere mich an das, was Christof Tiefenbrunner mir während der Abfahrt vom Berg erzählte. Da deutete er er mehrfach auf bestimmte Parzellen, in denen je nach Höhenlage unterschiedliche Rebsorten wuchsen. Das sei gleichzeitig das Großartige, aber auch das Herausfordernde an den Kurtatscher Lagen. “Merlot wächst zum Beispiel in den warmen Lagen, Cabernet Sauvignon kann sogar die Trockenheit vertragen. Aber Müller-Thurgau macht meiner Meinung nach nur Sinn oberhalb von 700 Metern Höhe. Da ist es mikroklimatisch ideal, da würden die anderen Rebsorten nicht ausreifen. Und ich will ja, dass sich auch beim Müller das Aroma bildet und ich nicht stattdessen in einer warmen Lage phenolisch unreif lesen muss. Jede Rebsorte hat ihre Ansprüche, und der Müller gehört an die Anbaugrenze.”
Das ist doch ein perfektes Schlusswort. Vielleicht schaffe ich es ja, so denke ich mir, vor meiner Rückfahrt nach Bamberg noch einen anderen Müller aus großer Höhe zu finden…
Meine Top-Müller (ganz subjektiv): Frank&Frei (v.a. einst vom Weingut am Stein, Brennfleck und vom Schoppenhäusle in Volkach… inzwischen ja nicht mehr in dieser Equipe, sowie Burrlein und Fröhlich). Lange auch Stahls Hasennestle – bis vor etwa zehn Jahren – dann ab und an nachgetestet, aber irgendwie beeindruckt er mich nicht mehr. Mineralisch: Krämer Müller-Muschelkalk 2016, in den neunziger Jahren top: Müller vom Weinbau Schäfer in Gleisenau sowie der Bausewein Müller-Thurgau Einheit 2018 ebenfalls aus der Literflasche (den inzwischen 2019 erhältliche finde ich zu dünn). ebenso die Müller im Liter von Schäffer (war lange mein Geheimtipp als Schoppenwein zur Brotzeit). Hillabrands Müller Alte Reben hab ich stets saugut in Erinnerung. Gern gekauft hab ich ihn stets auch im Bocksbeutel bei Horst Sauer, Wirsching, Gerhard Roth, Schmitts Kinder und in der Domäne Castell. Inzwischen haben meine Silvanerwünsche den Müller auf meinem Einkaufszettel jedoch tatsächlich zunehmend ausgemerzt. Aber er war mir lange ein wirklich enger und treuer Freund. Mein Heimatwein, der für mich in Franken hier wirklich dörflich und bodenständig – und stets ein echter Klassiker – war. Ich hab ihn einfach wegen dem leicht würzigen Muskatton geliebt.
Ein paar Müllers wirst du sicher wiederfinden. Ich bin ja jetzt noch in Düsseldorf, aber ab morgen mache ich mich verstärkt auf zur Müllerei 😉 . Krämer und Schäffer sind auf jeden Fall schonmal dabei…
Schön mal wieder was von Dir über Südtiroler Weine zu lesen, besonders von einem herausragenden Wein wie dem “Feldmarschall”. Dieser Wein, der für mich bis vor wenigen Jahren ein jährliches “must have” darstellte, ist für mich nun allerdings inzwischen in preisliche Gefilde entrückt, die ich mir bewusst nicht mehr leisten will. In der Historie der Jahrgänge sehe ich keinen Qualitätsanstieg des “Feldmarschalls”, der einen Preisanstieg um deutlich mehr als 100% in einer halben Dekade nachvollziehbar lassen würde … nun ja, sei der kommerzielle Erfolg jedem vergönnt, that’s marketing, that’s wine buisness, Marktgeschehen abgekoppelt von blosen Produktionskostensteigerungen, ausreizen was geht ;-).
Eigentlich Schade … aber bekanntlich haben auch andere Weinproduzenten schöne Töchter, so tröste ich mich seither mit dem M-T “Graun” der Kurtatscher Genossen, welcher im gleichnamigen Kurtatscher Ortsteil Graun in Parzellen auf Höhen zwischen 700 – 900 Metern ü.NN. gedeit. Dieser Wein ist alles andere als ein “Grauen”, im Gegenteil.
Wie C. T. selbst aussagt, gehört der M-T in Südtirol in weinbauliche Grenzregionen um die besten Ergebnisse zu erzielen, und zum anderen ist M-T in Italien als alpiner Wein alles andere als schlecht beleumundet.
In deinem Beitrag nimmst Du auch Bezug auf Tiefenbrunners Chardonnay-Lage “Au”. Aus Interesse, hattest Du die Möglichkeit auch diesen zu verkosten? Deine Meinung würde mich interessieren.
Meine bisherigen Kontakte mit dem ’16 und ’17 waren da wenig überzeugend, mal ganz abgesehen von der preislichen Korellation, welche m.M. für alle Weine der durch C.T. eingeführten Vigna-Linie, in eine sehr ambitionierte Richtung deutet, welche mir nicht zwingend scheint.
Aber in der preislichen Ausgestaltung der überall in den letzten Jahren, bei allen sich als fürende Winzer, Genossenschften und Produzenten verstehenden Betrieben, neu geschaffenen Super-Topp-Überdrüber Weinlinien, ist man sich unübersehbar einig ;-).
Ich merke gerade zu meiner Schande, dass ich dir noch gar nicht geantwortet habe…
Die Preisentwicklung der Südtiroler Weine finde ich auch erstaunlich. Sie waren nie wirklich günstig im Vergleich, aber sie besaßen natürlich auch in den meisten Fällen eine hohe Basisqualität. Wenn man sich jetzt die Spitzenprodukte allein der Kellereien anschaut, werden da bei den Roten gar nicht so selten dreistellige Eurobeträge aufgerufen. Wenn der Markt das hergibt und die Nachfrage entsprechend ist, okay, dann kann ich es vom ökonomischen Standpunkt nachvollziehen. Ich kann es auch verschmerzen, bei irgendwelchen Sachen nicht zur Zielgruppe zu gehören 😉
Den Graun der Kurtatscher Genossen habe ich mir vor Ort gleich gesichert (kostet dort 13,90 €). Auch der Merus von Tiefenbrunner selbst ist preislich mit 11 € sehr fair eingeordnet. Hatte ich auch probiert und fand ihn gut. Den Vigna Au Chardonnay habe ich leider nicht probiert. Eigentlich wollte ich hier bei der ProWein ja dringend zu den Südtirolern, aber die Halle war ganz am anderen Ende, und ich hatte diesmal sehr viele Termine (logisch, hatte ja auch zwei Jahre nicht stattgefunden)…
In Sachen Zielgruppe:
In den letzten 3 Jahrzehnten, vorallem aber seit der Jahrtausendwende, hat sich in Südtirol m.E. eindeutig ein Trend weg vom einfachen Tourismus, hin zu Gehobener- und Luxus- Kategorie, entwickelt, bzw. nachhaltig etabliert.
Dieser Zielgruppe muss natürlich auch beim Wein preislich adäquates geboten werden …
Ja, da hast du ganz sicher recht. Und es gilt in ähnlichem Maße (bei leicht anderen Rahmenbedingungen) für viele A-Ziele der Welt. Südtirol hat ja allein mit München und Mailand zwei Großräume in Wochenend-Distanz, die bei der Kaufkraft ganz oben stehen.
Hallo,
als ich mich für Südtirol und seine Weine zu interessieren begann, 2009 war das wohl, fand ich den Feldmarschall auch klasse. Damals kostete der vor Ort 16 oder 17€, was mir durchaus angemessen erschien. Die letzten Jahre hab ich den Wein nicht mehr gekauft, wg. seiner exorbitanten Preissteigerung. Stattdessen bin ich wie Ralf auf den Grauner MT der Kurtatscher Genossen ausgewichen. Besitzt nicht ganz die Größe und Komplexität der Feldmarschall, aber ca. 30€ “Geschmacksunterschied” kann ich da nicht erkennen. Wie Ralf schon sagte: Andere Mütter haben auch schöne Töchter, und wenn es jemand mit den Preisen übertreibt, dann halt ohne mich…
Ja (hatte ich gerade bei Rald geschrieben), den Graun habe ich mir auch besorgt. Aber noch nicht probiert. Im Prinzip fände ich auch die Ausgaben aus dem Eisacktal interessant, weil das insgesamt ja ein kühleres Klima ist. Aber wahrscheinlich nimmt es sich gar nicht viel, und Graun mit 900 m Höhe, viel Licht und großem Tag-Nacht-Unterschied ist schon die Toplage für solche Weine.
Nur als kleiner Hinweis: Der Graun reift für einen M-T, ähnlich dem Feldmarschall, ausserordentlich gut.
Letztes Jahr gab’s bei meinem Besuch vor Ort eine ’14er Bonusflasche … die war trotz des mediocren Jahres sehr gut, sehr frisch, keine Altersnoten aber mehr Komplexität… eben einfach gutes Reifeverhalten.
Die Lagen Graun und Fennberg sind zwar höhenlagenmäßig durchaus vergleichbar, allerdings schaut man vom “Fennberg” nach Westen ins Trentiner Nachbartal, von Graun aus nach Süden und Osten ins Etschtal. Auch wenn die Böden in beiden Terroirs von der Beschaffenheit ähneln dürften (Kalk), werden auch hinsichtlich der lokalen Durchlüftung grössere Abweichungen vorliegen.
Dennoch haben beide Herkünfte eines gemein: sehr guten M-T
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