Wenn ihr wissen wollt, was ich mit der anderen Weinwelt meine, dann müsst ihr eigentlich nur das Titelfoto anschauen. Versammelt steht da der gesamte Maschinenpark des Weinguts Bastian Hamdorf. Schlepper, Mulcher, Spritzwagen, Laubschneider oder gar Vollernter? Gibt’s nicht. Braucht er auch nicht, sagt Bastian, denn wer ausschließlich steile Buntsandsteinterrassen in Handarbeit bewirtschaftet, kann da nicht eben mal reinfahren. Ihr werdet hier also vier Rotweine von vier Weingütern sehen, die irgendwie anders sind. Ein bisschen wild, ein bisschen eigen – Neues Deutschland halt.
Wo kommst du her, Neues Deutschland?
Neues Deutschland im von mir gemeinten Weinsinn bedeutet, dass da nicht der vorgezeichnete Weg gewesen ist. Auf dem Weingut aufgewachsen, Schule, Weinausbildung, den Betrieb von den Eltern übernommen, die eh schon gut vorgearbeitet hatten – fertig. Meine Protagonist*innen kommen aus Sachsen, von einer Nordseeinsel, aus Griechenland und ja, auch aus Baden, Württemberg und der Pfalz. Eine bunte Mischung. Natürlich kann man auf einem Weingut auch viel verändern, wenn man dort seine Kindheit verbracht hat. Aber wahrscheinlich haben Quereinsteiger eine Sache gemeinsam, die sie eint (ähnlich wie Konvertiten übrigens, ein naheliegender Vergleich…). Sie mussten einmal im Leben eine bewusste Entscheidung treffen. Eine Entscheidung, die nicht durch Heimatregion und familiäres Umfeld gedeckt war, sondern die einen herausgeführt hat aus der gewohnten Umgebung.
Wir als dem Weingenuss Zugetane können sehr froh sein, dass sich diese jungen Menschen seinerzeit entschlossen haben, künftig in einem Bereich arbeiten zu wollen, für den sie eine Leidenschaft empfinden. Los geht’s also mit der Parade der ungewöhnlichen Rotwein-Interpretationen.
Seckinger/Pfalz – Pinot Noir Nero
Nero heißt der Wein, verbunden mit der Frage auf dem Etikett, ob der Edelmann in beigefarbenem Fell eher ein Fuchs oder eher ein Hund ist. Als ich den Wein bei der Vinothek Edelfrei in Bamberg gekauft habe, konnte ich zufällig auch dem Gespräch von zwei Käuferinnen in spe lauschen. Sie fanden das Etikett mega und dass man allein deshalb den Wein kaufen sollte. Auch der Wein selbst ist auf seine Weise durchaus stylish, ihr werdet es gleich sehen. Kurz aber nochmal zum Hersteller. Die Seckingers, das sind die Brüder Philipp, Jonas und Lukas. Richtig, es gab vorher auch schon Trauben hier, aber die wurden nebenberuflich erzeugt und verkauft. Erst die Brüder gründeten im eigentlichen Sinne das Weingut und machten gleich total auf Neues Deutschland: Biozertifizierung mit biodynamischen Elementen, ausschließlich Spontangärung, langes Hefelager, Holzfassausbau, ganz wenig Schwefel, latent wild.
Auf 15 ha im Herzen der Pfalz wachsen zwar vornehmlich weiße Rebsorten, über 90% gar, aber genau das ist hier natürlich nicht der Fall. Der Nero besteht aus 100% Pinot Noir. Und es handelt sich um einen Nouveau, genau wie der Beaujolais Nouveau, also um einen Roten, der sofort nach der Gärung abgefüllt wird. Kohlensäuremaischung, macération carbonique, heißt das Stichwort. Tatsächlich gibt es aber nicht etwa Bubblegum-Noten ohne Gerbstoffe, sondern der Nero zeigt sich durchaus bissig. Nur 10,5 vol%, leichte Gärnoten noch in der Nase, im Mund dann erst etwas wild, ein kleiner Freak. Zum Essen macht diese frische, säuerlich-zupackende Art aber richtig Spaß. Preislich sind wir hier bei rund 11 €. So soll das sein.
roterfaden/Württemberg – Lemberger
roterfaden sind tatsächlich Neues Deutschland in Idealform. Gegründet wurde das Weingut im Jahr 2014 von Olympia Samara und Hannes Hoffmann. Olympia stammt, nein, nicht aus Olympia, aber zumindest aus Thessaloniki, Hannes aus dem württembergischen Roßwag an der Enz. Genau dort befindet sich jetzt auch das Weingut, aber vorher mussten sich die beiden erst beim Studium kennenlernen. Später haben sie ein paar Jahre überall auf der Welt im Wein gearbeitet und schließlich einen halben Hektar von Hannes’ Großvater übernommen. Alles andere könnt ihr in dem wunderbaren Artikel von Katharina Matheis lesen.
Die Roßwager Halde in ihrem alten Teil ist eigentlich eine Traumlage aus historischen Zeiten, als die Trauben bei uns nicht so richtig reif werden wollten. Steile Terrassen, wie ein Parabolspiegel nach Süden ausgerichtet, kleinteilig, nicht flurbereinigt, gehört eigentlich ins Kulturlandschaftsmuseum. Ihr seht einen Ausschnitt der Lage oben. Hier machen die beiden Handwerk pur, und zwar sowohl im Weinberg als auch im Keller. Die 2,5 ha werden biodynamisch bewirtschaftet, die Ernte ist wegen der heißen Lage und der Weingutsphilosophie früh. Im Keller wird mit den Füßen gestampft und mit der alten Korbpresse gepresst. Minimal Schwefel dazu, nix weiter.
Der einfache Lemberger hat 11 vol% und ist auf derselben Neues Deutschland-Linie wie der Seckinger Nero. Leichtes Perlen noch im Mund, tatsächlich schlank, Blaubeere, Holundersaft, deutlich Säure auch. Mit dieser schlanken, leichten, fein säuerlichen Wildheit könnte der Lemberger in jeder Vin Naturel-Bar super stehen. Aber er ist auch total sauber und zart, was ihn zu einem sehr feinen Speisenbegleiter macht. Für 15,50 € trotz der geringen Mengen (zu recht) bei einigen einschlägigen Online-Händlern zu finden.
Bastian Hamdorf/Franken – Blaufränkisch
Oben habt ihr ja schon den Maschinenpark von Bastian kennengelernt, und vieles, was für roterfaden gilt, gilt auch hier. Das Weingut Bastian Hamdorf hat ebenfalls gerade einmal 2 ha, und alles sind terrassierte Steillagen. Wir befinden uns in Churfranken, und die nicht gerade unbedeutenden Lagen heißen Klingenberger Schlossberg und Großheubacher Bischofsberg. Wer das Ganze mal aus einer anderen Perspektive lesen möchte, denen kann ich mein Interview mit Britta und Basti bei Neu auf dem Land empfehlen. However, trotz der 100% Steillagen und der 100% Handarbeit hat sich auch Bastian Hamdorf dazu entschlossen, alles biologisch zertifizieren zu lassen. Wer das Weingut noch nicht kennt, da ist viel Enthusiasmus mit einem supersympathisch-knörkig-norddeutschen Touch. Basti stammt nämlich von der Nordseeinsel Föhr und Britta aus Hamburg. Ein dicker Kennenlerntipp von mir also bereits ohne die ganzen Weine.
Der Blaufränkisch ist im Schlossberg, der vom Spätburgunder geprägt wird, ein seltener Gast. Normalerweise wäre das im Neues Deutschland-Sinne ein ebenso schlankes Exemplar wie die beiden Weine zuvor hier im Artikel. Aber wegen des heißen Jahrgangs 2018 sind es rekordverdächtige 13 vol% geworden. In der Nase zeigt sich der Wein als enorm verschlossener Geselle, aber auch das ist voll auf der Linie der anderen Weine. Kein Poser. Nach einem Jahr im kleinen Eichenfass und einem weiteren im Edelstahl gibt es am Gaumen bläuliche Beerenaromen mit einer gewissen Pfeffrigkeit. Das Holz ist kaum spürbar, der Wein eher mild in der Säure, fast extraktsüß, ein wunderbar vielseitiger Speisenwein. 18 € ab Hof im Online-Shop.
Wasenhaus/Baden – Spätburgunder
Ursprünglich hatte ich die vier Weine ausgesucht, weil sie stilistisch und von der Philosophie der Beteiligten so gut zusammenpassen. Jetzt im Nachhinein fällt mir auf, dass das Label Neues Deutschland ja auch wortwörtlich passt, denn keines der vier Weingüter ist älter als zehn Jahre. Auf dem Foto seht ihr den Jungfernwein aus dem ersten Jahrgang von Wasenhaus. Wenn die beiden in Kürze so berühmt sind wie Romanée-Conti, könnte ich mich ärgern, ihn nicht gewinnbringend versteigert zu haben. So aber hatte ich 16 € bei Viniculture in Berlin dafür gezahlt. Wasenhaus, das sind Christoph Wolber und Alexander Götze. Auch sie haben sich wie bei roterfaden erst während ihrer Berufszeit kennengelernt und arbeiten seitdem zusammen. Christoph stammt dabei aus Staufen im Markgräflerland, Alexander aus Sachsen, aber auf einem Weingut ist keiner der beiden aufgewachsen.
Was sie aber wahrscheinlich von Anfang an verbunden hat, das war ihre Hands on-Mentalität. Einfach zum Weingut der Träume hinfahren, um ein Praktikum bitten, lernen, weiterempfohlen werden, noch mehr lernen. Die Referenzen heißen Bernard van Berg, Pierre Morey, die Domaines Leflaive, de Montille und Comte Armand. Ganz große Adressen. Und jetzt Markgräflerland, nach und nach ein paar Parzellen gepachtet, ein Geheimtipp, der sich schnell herumspricht und zum Kult wird.
Ihr kleinster Roter zeigt wie die drei anderen Weine hier kaum Primärfrucht in der Nase. Eher spüre ich Kräuter, leicht Himbeere, Erde nach Regen, Karamell, ein Touch Blasentang. Am Gaumen ist das ein Wein, der glücklich machen kann. Und zwar all diejenigen, die das Zarte schätzen, das Wildlederhafte, gleichzeitig smooth und ein bisschen rau. Interessanterweise fallen mir viel mehr poetische Umschreibungen ein als klassische weinbeschreibende Begriffe, wenn ich den Wein trinke. Wahrscheinlich liegt das am Wein selbst. Ich finde: ein absolut berechtigter Hype.
Fazit: Was macht dich aus, Neues Deutschland?
Als ich die Weine zusammengesucht habe für diesen Artikel, da hatte ich natürlich eine gewisse Idee im Hinterkopf. Ich wollte Weingüter und Weine haben, die nicht unhinterfragt irgendetwas übernehmen, nur weil es halt bequemer ist. Und ich wollte auch, dass es eine gewisse We care-Philosophie gibt, dass man sich Gedanken um Zukunftsfestigkeit macht, um Nachhaltigkeit, aber ohne das ganz dick vor sich herzutragen. Sondern weil man sowieso so handelt. Neues Deutschland bedeutet für mich auch, Dinge nicht deshalb zu tun, weil sie entweder angeordnet oder angesagt sind, sondern weil man Verantwortung über sein eigenes Handeln übernimmt.
Was ich tatsächlich dabei nicht so sehr in die Auswahl einbezogen hatte, das war der eigentliche Stil der Weine. Interessanterweise gibt es jetzt aber doch durchaus Übereinstimmungen. Alle Weine wurden extrem traditionell nach Großeltern-Urgroßeltern-Art bereitet, also Spontangärung, Holzfass, keine Nachbehandlungen. Alle Weine stellen aber auch Frische und Trinkigkeit in den Vordergrund. Wenig Alkohol, wenig geschmacklichen Holzeinsatz. Und wenig Primärfrucht. Ehrlich gesagt war ich am ersten Abend beim ersten Solotest der vier Weine zunächst ein bisschen geschockt. Ja ist denn heut schon Wurzeltag? Wo bleibt denn da die leckere Frucht? Die Frucht kommt nämlich erst ganz dezent, und ohnehin ist dieses Zurückhaltende, eher Begleitende eine gemeinsame Eigenschaft der vier. Zusätzlich kommen die Weine erst nach einiger Zeit richtig in Fahrt, wirken entspannter, harmonischer, begleiten Speisen wunderbar.
Und mit diesen Rotweinen für Menschen, die neue Entdeckungen genauso lieben wie ich, wünsche ich ganz schlicht euch allen ein schönes Weihnachtsfest.
Gtn Morgen Matthias,
Wow !- wo soll man da anfangen? Mal wieder Infos die einem den Wein fast im Mund zusammenlaufen lassen und so viele Nebendinge ansprechen die für diese Art des Wein-Machens so wichtig sind und doch oft untergehen.
Ich picke zuerst einmal den Machineneinsatz raus. Das reicht tatsächlich bis zu einer bestimmten Größe und man darf einen Effekt nicht vergessen, wenn Du oft und langsam mit den Geräten durch die Reihen gehst, fallen Dir Dinge auf, die leicht übersehen werden können – wenn man kein emphatisches Interesse hat am Wein. Es kommen Ideen über Zusammenhänge von Wetter, Fauna, Symbiosen und Entwicklung. Besonders bei den so genannten “Zugereisten” ist das enorm wichtig. So kann dann Wissen entstehen.
Schwefel ! Ganz normal und nötig um überhaupt einen guten Wein zu machen, oder Kreuz, Pflock und Knoblauch raus, weil das Wort alleine schon eine Schande ist?
Es geht ohne, WENN alles im Jahr perfekt zusammengespielt hat. Aber das ist eher selten. Da muss dann jeder entscheiden, ob, wann und wie viel. Ich hatte ja schon einmal angesprochen wie (diesmal Bernard) Plageoles es gemacht hat : den frisch ausgegorenen Wein im Glas offen einen Tag stehen lassen und dann probieren. Blieb er stabil = keine Schwefelung. Nach meinen Beobachtungen war das in ca. einem Drittel der Fälle so. Interessant auch, dass es von Sorte zu Sorte im gleichen Jahr unterschiedlich ist. Aber da hat wahrscheinlich jeder seine eigene Methode. Vielleicht auch hoch wissenschaftlich.
“.. könnte ich mich ärgern, ihn nicht gewinnbringend..” – Toll und enorm lustig!
Aber es zeigt zwei Sachen exemplarisch die für solche Weine grundlegend sind.
Die eigene Liebe zum Objekt zum Beispiel. Wer kennt es nicht, das Problem der letzten Flasche. Manchmal ist es nicht nur, weil es der letzte Hochgenuss sein kann. Manchmal ist es eben nicht der Super-Duper Wein, sondern es verbindet sich eine besondere Geschichte damit. Vielleicht war er nie vermarktet worden, weil der Winzer ihn nicht für gut befand oder es ein Experiment war, oder er selbst ihn in einer Ecke vergessen gefunden hat (nach 20+ Jahren) und Du eine davon geschenkt bekommen hast. Da treffen sich dann Freude und Leid.
Der andere Punkt ist : Respekt. An eine Stelle sagst Du ja noch “Für 15,50 € trotz der geringen Mengen…” Ich bin ja immer angepisst, wenn Leute mit ihrem “für 5 Euro gibt es auch guten Wein” oder “das ist doch total übertrieben, ich kenne da einen, der die Hälfte kostet und genau so gut ..” und dann noch die Kalkulatoren des gerechtfertigten Preises und der gerechtfertigten Marge “kein Wein kostet mehr als xxx in der Produktion”. Natürlich gibt es keine guten Weine dieser Art für 5 Euro und natürlich gibt es manchmal übertriebene Preise, die tatsächlich einen halb so teuren finden lassen, der da mithalten kann. Dann liegt es aber nicht daran, dass alle Weine oberhalb X Euro einen Gegenpart finden, der besser ist. Und dann die Kalkulatoren, die einmal eine Saison dort mitmachen sollten.
Ist schon wieder zu lang, aber warum schreibst Du auch so konzentriert?
Eins noch: “Wo bleibt denn da die leckere Frucht?”
Das ist eben auch so ein Punkt der Respekt nötigt. Wenn so viel Arbeit in einem Produkt steckt, sollte man als zahlender Käufer trotzdem auch selber etwas mehr Arbeit mit dem Genuss aufbringen, als seine Smartwatch über das Bezahlterminal zu halten. Da kann es dann passieren, was Du schon in einem deiner letzten Berichte erzählt hast. Der Wein war erst nach dem vierten Tag “gar”.
Solche Weine fordern Respekt im Umgang. Also Präparation, Präsentation und aufmerksames Trinken. Ist doch auch gar nicht so schlimm – es fördert doch den eigenen Genuss und macht Spaß.
In dem Sinne und wirklich nicht weiter
Karl
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