Früher – ich spreche mit der leicht monotonen Stimme eines Nostalgikers, der unbestimmt in Richtung Horizont schaut – früher war das noch ganz anders im Internet. Da gab es noch Blogs, also tatsächlich Web-logs, digitale Tagebücher. Und da haben die Leute einfach aufgeschrieben, was sie erlebt haben, wo sie gewesen sind, was sie bewegt hat. Ohne gestyltes Glamour-Bildmaterial, ohne tagelange Hintergrundrecherchen. Lassen wir doch diese Zeiten wieder ein wenig aufleben. Kommt also mit in die Hobenköök in Hamburg. Das ist ein Restaurant-Laden-Veranstaltungsort-Regionalkonzept. Ich hatte als Süddeutschland-Bewohner noch nie etwas davon gehört. Aber Menschen in Hamburg zeigten sich begeistert. Also sind wir hingegangen.
Wer oder was ist die Hobenköök?
Bevor wir richtig anfangen, war mir schon aufgefallen, dass die Hobenköök auch nicht wirklich ins Internet gehört. Sie schreibt sich dort nämlich “hobenkoeoek”. Mit Umlautumlaut, was irgendwie skurril aussieht. Hobenköök ist Plattdeutsch und heißt Hafenküche. Hamburger Platt, muss man dazu sagen. Dass ich vorher noch nie davon gehört hatte, kann eigentlich gar nicht sein. Hier gibt es ein Interview vom Start, und das ist die Homepage der RegionalwertAG Hamburg, auf der alle Partnerbetriebe aufgeführt werden. Die Hobenköök ist also im Prinzip eine Markthalle für regionale und saisonale Produkte. Aber statt einzelne, dauerbesetzte Stände zu haben, die ihre Produkte verkaufen oder ihr jeweiliges Streetfood anbieten, gibt es hier genau ein Restaurant, das aber entsprechend groß.
Vom Büro aus kämpften wir uns zu Fuß über Kanäle, Lagerhallen und Baustellen irgendwie bis zur Hobenköök durch. Die Halle ist hoch und luftig, das gesamte vordere Drittel wird vom Restaurant eingenommen. Erst überlegten wir kurz, ob wir ein Tellergericht nehmen sollen. Aber da das hier ja ein außergewöhnliches Treffen ist, gehen wir all-in und entscheiden uns für das fünfgängige vegetarische Menü mit Weinbegleitung. Klar, Fleisch und Fisch gibt es hier auch, aber die Aussicht auf ein paar raffinierte Tellerchen finde ich vielversprechender als einen abendlichen Steakklumpen im Magen. Das Menü kostet ohne Wein 52 € und mit Wein 81 €. Ein Gang pur für durchschnittlich einen Zehner – das ist fair, oder?
Hier schon einmal das ganze Menü auf der Karte zum Nachchecken:
Gang 1 – Pilzgarten Helvesiek
Ich gebe freimütig zu, dass ich ein Faible für Pilze habe und diese auch leidenschaftlich gern selbst sammele. Der erste Gang war also gleich einmal ein Highlight für mich. Das Garen im Ofen hatte den Kräuterseitlingen eine Konsistenz verliehen, die mich an kurz geräucherten rohen Lachs erinnerte. Das schmeckte richtig gut und gefiel uns beiden sehr.
Der Muskateller von Wehrheim als Begleitung zeigte sich sehr expressiv in der Nase, wie man das von Muskateller erwarten kann. Am Gaumen dann saftig, animierend, sehr lecker. Wenn der Alkohol entsprechend niedrig liegt und der Zucker ebenfalls, ist das so erfreulich, dass ich es eigentlich viel öfter im Glas haben möchte. War nicht toptoptop als Begleitung des Ganges, aber ein gelungener Start.
Gang 2 – Hofmolkerei Kruse
Alles an diesem Gang war feist milchfettig. Die ja ohnehin leicht süßlich wirkenden Zwiebeln großzügig in Butter gebraten, der körnige Frischkäse milchig wie gewünscht, die Crumbles sehr fein in der Textur und, nun ja, nussbutterig. Eine größerer Anzahl derartiger Gänge wäre sicher ein bisschen too much. Aber hier passte es hervorragend. Warum? Weil es quasi die Funktion des primo piatto in der italienischen Küche übernahm. Schon mal ein wenig Substanz, damit der Magen nicht knurrt. Dieses Verständnis vermisse ich manchmal in der modernen Küche von heute.
Als Wein gab es einen richtig dicken, gelben, reifen und auch leicht laktischen Pfalz-Riesling vom Weingut Pflüger dazu. Solo ist so etwas für mich das unerquickliche Erbe eines der heißesten Jahrgänge ever, aber als Begleitung war das großartig. Und kann wiederholt werden. Weil der Jahrgang nämlich auch mengenmäßig üppig war, wird sicher noch einiges davon vorhanden sein…
Gang 3 – Jan Groth
Jan Groth war ein polnischer Schauspieler, ist ein norwegischer Maler und ein Tierarzt in einem Hamburger Vorort. Man soll ja nie ausschließen, dass auch diese Menschen talentierte Hobbyköche sind, aber vermutlich ist hier der oben bereits verlinkte Gemüsehof in Dithmarschen gemeint. Die Namen in der Überschrift bezeichnen also nicht die Köche oder Kreationeure, sondern die Erzeuger. Gut, dass ich das schon beim dritten Gang erwähne…
Kartoffeln mag ich eigentlich auch sehr. Wenn sie gut sind, also nussig-aromatisch mit ideal halbfester Textur bis zum Kern. Das war hier zweifellos der Fall. Bamberger Hörnla wären vielleicht noch aromatischer, aber regional ist regional. Brombeeren gab es übrigens nicht, sondern Heidelbeeren. Wieder ein secondo primo piatto-Gang mit Kohlehydraten.
Als Weinbegleitung gab es die Black Betty von den 2Naturkindern, einen Natural-Rosé aus Franken. Betty geht ganz schön funky los mit Schreckens-Devianzen für den konservativen Weintester. Aber Säure und Druck passen ganz hervorragend zu den Komponenten Kartoffeln und dunkelrote Beeren. Eine der besten Kombis, die ich mir vorstellen kann.
Gang 4 – Tobias Haack
“Und jetzt der Hauptgang”, kündigte die freundliche Bedienung den großen rot-grünen Teller an. Mein Mitspeiser zeigte sich begeistert von den wirklich bissfesten Schnippelbohnen – und ich auch. Tomate, Oliven-Tapenade und Frischkäse gehen auch sehr gut. Nur musste ich die Tomaten hier mit Ultraweitwinkel Frog Eye fotografieren, weil sie so riesig waren. Natürlich, das sind echte Fleischtomaten. Aber rein kubikzentimetermäßig hätte eine etwas kleinere Version eine etwas größere Harmonie in den Gang gebracht.
Für den war dann schließlich der Wein zuständig, nämlich der Sylvaner Zöld von Bianka und Daniel Schmitt. Das ist ein im heißen Jahrgang 2018 sehr gelber, sehr dichter und fast gemütlicher Natural. Mit seiner Dichte hatte er die Tomaten und den Frischkäse super im Griff. Tapenade geht eh immer.
Gang 5 – Mimi Ferments
Ich muss ja zugeben, dass ich eher ein Freund der Vorspeisen als einer der Nachspeisen bin. Was habe ich nicht schon für interessante Vorspeisen an Orten zu mir genommen, die zum Nachtisch dann Fürst Pückler-Eis oder Schoko-Mousse bereithielten. Hier ist es fast umgekehrt. Die Nachspeise, mithin der fünfte Gang, war nämlich ein absolutes Highlight. (Auch wenn Mimi Ferments nicht wirklich in Hamburg zu Hause sind.)
Aprikose ist Aprikose, und Plümmermelk-Eis ist Eis aus Dickmilch. Schon das passt natürlich hervorragend zusammen, aber zwei leicht exzentrische Komponenten stacheln das Ganze noch an. Da gibt es oben eine Haube aus Schwarzbrot, das einen unvergleichlich intensiven Touch von dunkel karamelisiertem Getreidehonig mit hineinbringt. Und schließlich waren die Aprikosen in Usukuchi Shoyu mariniert, sprich einer hell-salzigen Soyasauce. Stellt euch das alles vor wie kleine crazy Aromabällchen, die dennoch ein großes Ganzes formen können.
Der Wein musste dagegen schier ein bisschen ablaschen, hätte man sich nicht für eine ähnlich ausgefallene Sache wie trockenen Palo Cortado oder Vin Jaune entschieden. Aber die Gewürztraminer Spätlese von Jochen Beurer aus Württemberg hat uns auch sehr gefallen, gewürztraminer-like ein bisschen parfümiert, aber deutlich trockener als gedacht und deshalb auch viel passender.
Was bleibt?
Ein stellenweise marktfrisch-straight, stellenweise furios anmutendes Menü ist zu Ende. Wow. Falls ihr euch nach den ganzen Beschreibungen fragen solltet, wer sich denn die tollen Wein-Speisen-Kombinationen ausgedacht hat, wer den Ablauf managt und wer verantwortlich in der Küche steht, dann dürfte es sich um folgende Menschen handeln: Thomas Sampl, Neele Grünberg und Frank Chemnitz. Viel Respekt und ein großes Kompliment, unbekannterweise.
Was bleibt, ist also der Wunsch, das Hobenköök mit seiner Markthalle auch einmal im Hellen aufzusuchen, wenn alles geöffnet hat. Und ich wieder einmal in Hamburg bin, versteht sich.
Ein letzter Blick auf das, was in seriösen Restaurantkritiken nur höchst selten erwähnt wird: das stille Örtchen. In diesem Fall gut gepflegt und auf angenehme Weise dem rein Funktionalen zugeneigt. Eine halbe Stunde gehe ich danach über Hauptbahnhof-Trubel und Steindamm-Imbisse zu meinem Domizil. Noch schnell einen Sütlac in einem der zu Wochenanfang erstaunlich wenigen geöffneten Restaurants mitgenommen. Einen kleinen, das dürfte für das Frühstück am nächsten Morgen reichen.
Hier noch die Koordinaten:
- Hobenköök Restaurant & Markthalle
- Stockmeyerstraße 43, 20457 Hamburg
- DI-SA 9-23, Restaurant ab 11:30, Online-Reservierung hier