Argentinien ist ein Weinland der Extreme. Und eines, das man hierzulande gar nicht so gut kennt. Bei der Präsentation argentinischer Weine sagte Phil Crozier, offizieller Weinbotschafter für Europa, dass in England eigentlich in jedem anständigen Thai-Restaurant ein weißer Torrontés auf der Karte stehen würde. Nun, ich würde fast behaupten, in deutschen Thai-Restaurants steht oft überhaupt kein Wein auf der Karte. Ganz sicher aber kein argentinischer. Dabei gibt es in diesem fünftgrößten Weinproduktionsland der Welt mittlerweile unheimlich spannende Sachen, weit entfernt von Massenware für den Supermarkt. Was ich euch hier also vorstelle? Den südlichsten Weinberg der Welt, das Revival verschmähter Rebsorten, einen Wein vom Atlantik – und natürlich einen Malbec aus den Anden, claro.
Into the extremes – Wein aus Argentinien
Falls wir es kurzzeitig vergessen haben sollten, es ist immer noch die Zeit, in der Pandemievarianten um die Welt ziehen. Deshalb sind wir nicht in Argentinien, treffen uns auch nicht an einem Stand auf einer großen Messe, sondern sitzen alle zu Hause am Schreibtisch. Das argentinische Generalkonsulat hatte es in Zusammenarbeit mit Wines of Argentina in einer offenbar sehr komplexen Logistikvolte geschafft, uns Weinschreiber perfekt mit elf ziemlich exklusiven Weinen zu versorgen.
Argentinien ist das zweitgrößte Land in Südamerika und hat allein deshalb Anteil an ganz unterschiedlichen Klimazonen. Ganz im Norden an der Grenze zu Paraguay reicht es fast bis an die Tropen heran. Ganz im Süden auf Feuerland haben wir schon polare Verhältnisse. Der Aconcagua als höchster Berg der Anden ist fast 7.000 Meter hoch. Und schließlich gibt es auch noch sagenhafte 5.000 Kilometer Küstenlinie am Atlantik.
Der Weinbau in Argentinien begann im 16. Jahrhundert, nachdem spanische Siedler Weinstöcke aus ihrer Heimat mitgebracht hatten. Relativ schnell hatten sich die Regionen am Fuß der Anden als erfolgversprechend herausgestellt. Der Inlandsverbrauch war hoch, die Krankheitsbelastung durch die große Trockenheit gering, und das Schmelzwasser aus den Anden garantierte dank des Inkazeit-Grabensystems stets eine ausreichende Wasserversorgung. Von den Ultrahocherträgen der 1970er Jahre hat man sich inzwischen verabschiedet. Die neue Entwicklung heißt: immer bessere Weine, immer mehr in die Höhe, immer tiefer in den (kälteren) Süden.
Der Andenwein – Pyros Malbec
Bis vor relativ kurzer Zeit kannte ich in Argentinien eigentlich nur Mendoza als Herkunftsbegriff für dunkle Rotweine. Das ist der Name der Provinz und ihrer Hauptstadt am Fuß der Anden – das absolute Zentrum des Weinhandels. In den 1990er begann man dann einzelne Subzonen für hochwertige Rotweine zu definieren, von denen mittlerweile Valle de Uco wahrscheinlich die bekannteste ist. Das Valle de Pedernal, aus dem der Pyros Malbec stammt, ist eine der neueren Explorationen. Pedernal liegt nicht mehr in der Provinz Mendoza, sondern nördlich in San Juan. Der Reben stehen auf 1.400 Metern Höhe mit entsprechend großen Temperaturunterschieden zwischen Tag und Nacht. Kaltmazeration vor der Gärung, 18 Monate Ausbau in 50% französischer und 50% amerikanischer Eiche, ein international ausgerichteter Wein.
Die Rebsorte Malbec, im 19. Jahrhundert aus Frankreich ins Land gebracht, ist mittlerweile zu der argentinische Nationaltraube schlechthin geworden. Vermutlich hat neben der unbestrittenen Qualität dabei die Tatsache geholfen, dass Malbec anders als Cabernet Sauvignon noch nicht so sehr als “Weltrebsorte” gilt. Dadurch war es leichter, bei Konsumenten eine festere Verknüpfung zwischen Rebsorte und Anbauregion zu etablieren. Sprich: Argentinien = Malbec.
Der Pyros Malbec lässt in der Nase das Barrique durchscheinen, dazu Süßholz, ein reifer Typus. Interessanterweise wirkt er dann am Gaumen viel leichter als gedacht, blaubeeriger, gebirgiger. Es gibt Tannin, gleichzeitig auch eine resche Säure, Eukalyptus, dazu eine modernere Holzinterpretation mit Kokosnoten. Für Jahrgang 2015 und 14 vol% ist das ganz schön frisch, das neue Argentinien halt.
Das Urgewächs – Rocamadre Criolla
And now for something completely different… Weit weit sind wir hier entfernt von internationalen Supermarktweinen. Rocamadre heißt das Projekt, hinter dem sich der Winzer (und Jazztrompeter) Juanfa Suárez verbirgt. Juanfa gehört zu einer Gruppe junger Weinenthusiasten, die einen etwas schrägeren Blick auf die argentinische Weinwelt wagen. Sein Criolla ist kein geschliffenes Produkt, das für Glanz auf dem internationalen Parkett sorgen soll. Vielmehr handelt es sich um die Neubelebung des Vernachlässigten. Dies ist ein field blend aus Criolla Chica und Criolla Grande, 80 Jahre alte Reben, gewachsen im Valle de Uco auf 1.100 Metern Höhe. Die Rebsorten wurden im 16. Jahrhundert von den Kanarischen Inseln nach Argentinien gebracht und galten lange Zeit als ertragreich aber minderwertig. Juanfas Version nimmt hingegen den neuen Spirit auf: spontanvergoren, sechs Monate gebrauchtes Holz, unfiltriert abgefüllt, 2.000 Flaschen nur.
Farblich ist das eine ausgesprochen helle Angelegenheit, und nichts anderes hatte ich erwartet. Trotzdem handelt es sich auch charakterlich keinesfalls um einen Rosé, denn der Rocamadre besitzt durchaus mittleres Tannin. Von den Aromen her geht es in Richtung kleine rote Beeren, kräuterig, minzig, mit vegetabilen Untertönen, eher herb, leicht und trinkig. So einen Hellroten kann man sogar leicht gekühlt genießen und zum herzhaften Essen oder auf der sommerlichen Terrasse am Abend reichen. Ein extrem authentisches Produkt. Für mich ist das eine Version der Neuen Welt, die aus sich selbst heraus existiert, die nicht für den Weltmarkt konstruiert wurde. Sehr sympathisch, I like.
Der Atlantik-Wein – Wapisa Pinot Noir
Auf dem Etikett des nächsten Weins ist eindeutig eine Walflosse abgebildet, die hinter einem Rebfeld auftaucht. So absurd diese Kombination erscheint, sie hat tatsächlich etwas mit dem Wein zu tun. Wapisa heißt nämlich Wal in Yámana, der Sprache der Feuerländer. Und die Reben stehen nur gut 30 km vom Atlantik entfernt. Weinbau hat hier in Patagonien eigentlich keine Tradition, die Häfen dienten in früheren Zeiten tatsächlich primär dem Walfang. Aber die Suche nach neuen cool climate-Anbaugebieten ist in den letzten Jahren in Argentinien immer mehr in Schwung gekommen. Zunächst gab es 2004 als Vorreiter der Welle den Marchese Incisa della Rocchetta mit seiner Bodega Chacra in Neuquén. Vielleicht kennt ihr die Weine, man bekommt sie mittlerweile ganz gut in Deutschland. Aber mit dem Wapisa sind wir noch einmal 500 km weiter nach Südosten zum Meer gegangen.
Da wir ja dank des Rocamadre die Furcht vor hellroten Weinen verloren haben, voilà, noch einer davon. Wer Tiefe und Raffinesse sucht, gar Kraft und Körper, dürfte sich mit dem Wapisa Pinot Noir schwer tun. Aber dafür gibt es viel Frische, Mineralität, Salzigkeit, Holunderholz, und auch das kombiniert mit durchaus präsenten Tanninen. Mich erinnert der Wapisa mit seiner sehr zarten, sehr hellen, sehr kräuterigen Art an Rotweine von der französischen Atlantikküste. Brem-sur-Mer. Auch hier gilt es, die eigenen Vorstellungen von argentinischen und überhaupt überseeischen Weinen offener zu fassen. Der atlantische Charakter, der cool climate-Aspekt, alles das passt irgendwie sehr ins 21. Jahrhundert.
Der antarktischste Wein der Welt – Otronia Chardonnay
Es geht sogar noch extremer in Argentinien als beim Wapisa. Der Otronia (aus den Parzellen III und VI stammt nämlich vom viñedo más austral del mundo, vom australischsten Weinberg der Welt. Australisch? Ja, so bezeichnet man im Spanischen die zunehmende Nähe zum Südpol. Um diese Bezeichnung gibt es tatsächlich seit einiger Zeit ein regelrechtes Wettrennen. Ehemaliger Titelträger war der Grasshopper Rock auf der Südinsel Neuseelands. Momentan hat Otronia in dieser Hinsicht die Nase vorn, aber es gibt bereits eine neue Pflanzung in der Nähe von Comodoro Rivadavia, also auch in Argentinien, die noch einmal weiter südlich liegt. Otronia befindet sich weiter im Inland, aber wirklich absolut in the middle of nowhere. Zwar gibt es einen nahe gelegenen See, was wichtig ist für die Wasserversorgung, aber Infrastruktur und Personalgewinnung sind an einem solchen Ort natürlich eine Herausforderung.
Als ich den langen Korken aus der Flasche gezogen und den Wein ins Glas gegeben habe, bin ich erst einmal überrascht. Das ist ein wahrlich nicht billiger Wein, Chardonnay aus der Neuen Welt, und es gibt überhaupt keine Holznoten. Stattdessen nehme ich frisch-mineralische Aromen wahr, Ananas, würzige Mandarine, ein Touch Papaya. Dabei ist der Otronia straff gehalten mit präsenter Säure und vielleicht sogar ein bisschen Flintigkeit. Ich suche nach Vergleichen und lande bei Ausschlüssen. Nein, nach Burgund schmeckt das nicht, höchstens ein bisschen nach der nördlichen Version in Richtung der Jungweine von Goisot. Am meisten fühle ich mich aber an einen guten Albariño aus Galicien erinnert. Natürlich, diesen Wein wird man vor allem wegen seiner Story kaufen. Aber genau wegen dieses Kopfkinos lieben wir ja Weine so, oder etwa nicht? Und der sehr pure Charakter des Otronia passt da genau.
Mein Fazit
Nein, ich war noch nie in Argentinien. Aber ich kenne natürlich die Fotos von Rebfeldern mit den schneebedeckten Anden im Hintergund. Was ich bislang bei diversen Messen an argentinischen Weinen probieren konnte, waren kräftige, strukturierte Rote und parfümiert-aromatische Weiße. Malbec aus Mendoza und Torrontés aus Salta. Diesmal allerdings hatte Wines of Argentina richtig in die Schatzkiste gegriffen und ein paar wirklich erstaunliche Wines & Stories herausgezogen. Ja, elf Weine waren es insgesamt, und ich habe euch hier nur vier davon vorgestellt. Aber es sind eben die vier, die am meisten zu mir persönlich gesprochen haben.
Falls ihr jetzt Lust bekommen haben solltet, diese wirklich besonderen Weine aus Argentinien einmal zu probieren, es gibt sie teilweise auf dem deutschen Markt. Julián García ist mit nicht weniger als 79 argentinischen Weinen wahrscheinlich der größte Importspezialist. Der Wapisa Pinot Noir kostet dort 16,49 €. Zudem importiert er zwar nicht die Criolla, aber die anderen Weine von Rocamadre. Shiraz & Co. bietet den Pyros Malbec für 22,95 € an. Den Otronia gibt es bislang (soweit ich weiß) hierzulande noch nicht. Der Preis für dieses besondere Schätzchen dürfte, für den Fall dass, knapp oberhalb von 60 € liegen, was natürlich nicht günstig ist. Aber wer kann schon von sich behaupten, einen Wein vom südlichsten Weinberg der Welt getrunken zu haben? Eben.