Retsina, der geliebte wie verschmähte Wein aus Griechenland, wird ja mit Pinienharz verfeinert. Dieses Harz dient aber nicht nur der geschmacklichen Abrundung, wie Fans das ausdrücken würden, sondern es hat auch ganz klar einen antibakteriellen Effekt. Eigentlich müsste es doch dann möglich sein, einen Retsina herzustellen, der nicht nur aus Bioanbau stammt, sondern im Keller dann so richtig schön nicht-behandelt wird. Genau das dachte sich vermutlich Dimitrios Kioutsoukis auch und legt nun einen schlierig-naturtrüben Retsina Naturel vor. Richtig, es handelt sich nicht um einen Silvaner. Aber probieren musste ich ihn natürlich trotzdem…
Ein kurzer Abriss zum Retsina
Im antiken Griechenland, wir wissen es alle, waren Amphoren schwer angesagt. Weil aber der Sauerstoff der verderblichen Ware namens Wein schwer zusetzte, versah man die Amphoren mit einer Art Deckel aus wasserfestem Harz. Zwar erfüllte das Pinienharz seinen Zweck, versetzte dafür aber den Wein mit seinem eigenen Geschmack. Lustigerweise war es genau dieser Geschmack, der so in Mode kam, dass sogar Plinius der Ältere die Harzung ausdrücklich empfahl. Auch nachdem das alte Griechenland längst Geschichte war, harzte man fleißig weiter.
Spätestens mit der Aufspaltung des Römischen Reiches in einen westlichen und einen östlichen Teil hörten die Weströmer aber damit auf. Nicht jedoch die Athener. Einen Beweis dafür lieferte der italienische Geistliche Pietro Casola, der im Jahr 1494, also viele Jahrhunderte später, durch Griechenland reiste. Köstliche Speisen habe er dort genießen können, schrieb Casola. Allerdings hätten sich die Gastgeber nicht davon abhalten lassen, ihm auch immer wieder ihren geliebten geharzten Wein vorzusetzen. Pietro, damals vermutlich schon auf dem Supertuscan-Trip, zeigte sich wenig begeistert. Das, liebe Freundinnen und Freunde des Natürlichen Dienstags, nur zur vorbauenden Erläuterung, falls euch mal wieder jemand weismachen möchte, dass Retsina einzig für die doofen Touristen erfunden wurde.
Retsina Nimbus Ritinitis von Kamara Pure
Hier haben wir nun einen Retsina vor uns, der möglicherweise sehr in Richtung dieser antiken Tradition geht. Dimitrios Kioutsoukis stammt zwar großelterlicherseits aus einer Winzerfamilie, arbeitete aber zunächst als Chemieingenieur. Irgendwann war die Weinliebe zu stark geworden, so dass er beschloss, im kalifornischen Davis den Weinbau professionell zu erlernen. Zurück in Griechenland baute Dimitrios ein 11 ha großes Weingut namens Kamara in der Nähe von Thessaloniki auf. Hauptsächlich autochthone Rebsorten werden angepflanzt, seit 2015 geht er zunehmend in Richtung Bio (zertifiziert) und Natural.
Der Nimbus Ritinitis ist dabei nicht aus der Rebsorte Savatiano gekeltert worden, die als Retsina-Standard gilt, sondern aus Assyrtiko. Assyrtiko kennt der gemeine Freak ja von der Insel Santorin, wo diese Rebsorte die vielleicht erstaunlichsten Weißweine des gesamten Mittelmeerraums hervorbringt. Aber auch dem Retsina stehen Säure, Mineralität und Pep des Assyrtiko nicht schlecht. Nach einer Maischestandzeit von einer knappen Woche lässt Dimitrios ausschließlich den Vorlaufmost spontan vergären. Auch der biologische Säureabbau wird zugelassen, der Wein lagert für gute drei Monate auf der Feinhefe und wird ungeschwefelt abgefüllt. Und hier ist er nun.
Wie schmeckt der Wein?
Eines ist der Nimbus Ritinitis definitiv: trüb. Es ziehen sich sogar gewisse Schlieren durch die Flasche, die man entweder so belassen oder mit Hilfe eines sanften Schülpens harmonisieren kann. Das erinnert mich daran, als ich mit ein paar illustren Weinleuten wie Holger Schwarz oder Frank Krüger im Hinterzimmer der wunderbaren Weinkostbar in Berlin saß. Gemeinsam mit Jürgen Hammer und Manuela Sporbert diskutierten wir am Beispiel eines ebenso schlierigen Weins von Sébastien Riffault, ob man sowas im Restaurant seinen Gästen anbieten könnte. Obwohl das eigentlich noch nicht so furchtbar lang her ist, gab es damals keine einzige Vin Naturel-Bar in ganz Deutschland. Und die absolute Mehrheit in unserer Runde war der Meinung, nein, sowas kann man höchstens selbst zu Hause trinken, das vertreibt die Gäste sofort aus dem Lokal.
In der Nase ist das ein Wein, der für mich viel eher die Leute aus dem Lokal treibt als das bisschen Trubstoff. Es gibt praktisch keine Frucht, stattdessen Pinienharz (logisch), aber auch insgesamt eine extrem pflanzliche und erdmaterielle Komponente. Trockener Laubhaufen, Ahnung von Kellerschimmel, da muss man offenbar durch. Das ist aber wie gesagt eher die Retsina-Art und hat mit der Ungeschwefeltheit des Weins wenig zu tun.
Am Gaumen wandelt sich das Bild. Der Retsina ist erstaunlich geschmeidig und schmeckt ein bisschen nach viskosem Pfirsichsaft – in Trocken natürlich. Dazu gibt es eine dezente Harznote, aber auch viele Kräuter der Garrigue, Salbei vor allem. Keine flüchtige Säure, keine sonstigen Devianzen und – das darf ich jetzt schon verraten – auch nach drei Tagen offen komplett sauber.
Trotzdem finde ich, dass man einen solchen Retsina nicht solo trinken sollte, sondern zwingend als Speisenbegleiter. Weil das Harz nicht gar so streng ist, geht der Wein sogar zu vegetarischen Sachen. Kleine frittierten Fische wie auf meinem alten Griechenland-Urlaubsfoto sind für mich allerdings immer noch die Ideal-Kombination.
Wo habe ich ihn gekauft?
Gekauft habe ich den Nimbus Ritinitis bei der Vincaillerie, die im Moment des Schreibens lediglich zwei andere Naturals von Dimitrios auf Lager hat. Ein kurzes Googeln wird euch allerdings zu der Erkenntnis verhelfen, dass es den Wein für rund 20 € auch bei Shops wie Vinocentral, Stelios, Vin du Sud und anderen zu kaufen gibt. Dimitrios hat sämtliche Ausgaben der RAW abgeklappert und kann mit dem Ergebnis wirklich zufrieden sein. Dass er seine Weine in alle Welt verkauft, hat vermutlich nicht nur damit zu tun, dass Retsina als vin naturel eine wirklich seltene Sache ist. Auch die Designs von Kamara finde ich nämlich durchaus gelungen, und das Auge trinkt ja bekanntlich mit.