Was ist das Schöne, wenn man sich für Wein interessiert? 50 Antwortmöglichkeiten im Multiple Choice-Test, und alle 50 treffen zu. Was ich aber hier meine: Das Schöne am Wein ist, dass immer etwas Neues passiert. Ich lerne ständig dazu, und es macht auch noch Spaß. Ein neuer Jahrgang, eine neue Region, die ich vorher nicht so kannte, eine neue Rebsorte, die ich nicht beachtet hatte. Oder sogar ein neues Gesicht in der Weinwelt, eine Winzerin, die zum ersten Mal ihren eigenen Wein abfüllt. Und wir sind mit dabei. Genau darüber möchte ich heute schreiben, denn auf dem Titelfoto seht ihr einen Wein namens Hiltja, betreut und bereitet an der Mosel von Jasmin Swan. Erster Jahrgang, und alles daran ist eben nicht same as it ever was.
Hiltja 2019 – Moselwein von Jasmin Swan
Irgendwie bin ich geneigt, im Zusammenhang mit Jasmin Swan immer gleich ins Englische zu verfallen, denn öffentlich existiert sie fast ausschließlich als englischsprachige Person. Dabei stammt sie ursprünglich aus Deutschland, hat allerdings das letzte gute Jahrzehnt woanders verbracht, in England, Schottland und Island. Ein bisschen auch in Frankreich. Darüber, über ihren persönlichen Parcours, über Piwis und ihre Philosophie spricht sie übrigens in Folge 9 von Ungrafted, dem superinteressanten Podcast mit Icy Liu. Dicker Tipp zum Anhören. Zudem stellt sie auf ihrem Instagram-Profil Terroir Merroir nicht nur ihre eigenen Weine vor, sondern sie talkt mit anderen Leuten vornehmlich aus der Natural Wine-Szene auch über dieses und jenes, mittlerweile über Klimawandel und über Piwis. Das sind wichtige Themen im Weinbau.
Auf dem Foto oben seht ihr einen gewöhnlichen Pestizid-Hubschraubereinsatz in der Kinheimer Gemarkung, dem Nachbarort von Kröv, wo Jas Swan ansässig ist. Genau so ein Procedere (egal ob mit Hubschrauber oder Handspritze) muss bei den Piwis ja nicht oder kaum sein. Deshalb, sagt Jas mit einer gewissen Berechtigung, wären eigentlich die Piwis ideal für Natural Wines, weil man halt noch weniger eingreifen muss.
Ansonsten ist so ein Weinunternehmen aber schon eine Herausforderung. Inwiefern? Nun, als Regionsfremde auf dem Land Wein machen zu wollen, ohne Kontakte, urban geprägt, mit internationalem Mindset, ohne formelle Ausbildung, ohne viel Geld, noch dazu als junge Frau mit Hands On-Mentalität. Ich glaube, dass vielen Leuten in den arrivierten Winzer- und Weinkritiker-Kreisen oft gar nicht bewusst ist, was so ein Schritt bedeutet. Und auch nicht, wie wichtig es für die Weinwelt ist, dass so etwas stattfindet. Stichwort Lebendigkeit und, ja, natürlich auch Stichwort Diversität. Freuen wir uns also uneingeschränkt, wenn jemand den Mut besitzt, so etwas aufzubauen und durchzuziehen.
Wie schmeckt der Wein?
Wir haben hier den 2019er Hiltja vor uns, einen Weißwein von Jas Swan a.k.a. Katla Wines. Katla ist ein Vulkan und Geopark in Island, aber auch ein weiblicher Vorname. Hiltja hingegen heißt Kampf auf Althochdeutsch, und ich weiß nicht, ob das ein Hinweis auf den Werdensprozess dieses Weins war. Jedenfalls sagt Jas in dem oben empfohlenen Podcast, dass sie 2019, als sie bei einem anderen Weingut an der Mosel ausgeholfen hat, wahnsinnig viele Trauben mit Sonnenbrand auslesen musste – interessanterweise aber nicht bei Cabernet Blanc. Also fand sie die Idee schon verlockend, als sie die Gelegenheit bekam, Cabernet Blanc-Trauben zu kaufen, aus Bio-Anbau, drei Jahre lang ungespritzt. Dazu kommen noch 40% Riesling, und fertig ist der Wein. Wo er genau ausgebaut wurde, weiß ich allerdings nicht, aber ungeschönt, unfiltriert, ungeschwefelt ist er.
Farblich bin ich erst einmal überrascht. Das ist mindestens medium lemon nach WSET-Diktion. In der Nase folgt gleich die nächste Überraschung. Bei Cabernet Blanc dachte ich eher an grasige Sauvignon Blanc-Noten, aber dies scheint definitiv die reife Version zu sein. Quitte, Birnenschale und so etwas wie Estragon spüre ich. Am Gaumen setzt sich dieser Stil fort. Die Säure ist auf mittlerem Niveau, nicht spitz sondern flächig, der ganze Wein recht viskos und reif mit einer gewissen Phenolik, die das Ganze zusammenhält. Irgendwie erinnern mich die Aromen ein bisschen an die Sauvignons der Brüder Pinard, die auch nicht grün-pieksend daherkommen. Gelbe Stachelbeere, gelbe Paprika mit Chili-Touch, aber nur vom Aroma her, nicht von der Schärfe, etwas Ananas. Fast denke ich an einen Silvaner aus dem Betonei.
Auch wenn das ein richtiger, ungeschwefelter vin naturel ist, gibt es keine flüchtige Säure, keine übermäßige Funkiness, sondern viel Fläche und Subtilität. Ich finde, ein bisschen Luft tut dem Wein auch ganz gut. Aber Achtung, am zweiten Tag spüre ich leichte Brauntöne hinten. Wie oft bei den Naturals sollte man bei Transport und Lagerung vorsichtig sein, den Wein nicht zu langsam trinken.
Wo habe ich ihn gekauft?
Gekauft habe ich Hiltja bei der Vincaillerie in Köln, und zwar für 24 €. Jas Swan hat zwar in ihrem ersten Jahrgang noch nicht einmal 3.000 Flaschen insgesamt gemacht, aber die Weine sind weit in die Welt hinausgegangen. Es gibt ein paar einschlägige Shops in Deutschland, die die Weine führen, in Skandinavien sowieso, gar in San Francisco oder Singapur, und das TRINK Magazine hat kürzlich auch einen schönen Artikel über die Alt Mosel verfasst.
Das Faszinierende gegenüber früheren Quereinsteiger-Versuchen in die Weinwelt ist mittlerweile nämlich die Möglichkeit der digitalen Vernetzung. Ja, ich kann mir Tipps von erfahrenen Weinleuten holen, indem ich sie wie Jas einfach per Twitter anschreibe. Ja, ich kann meine neuen Labels, meine Ideen und Fotos aus dem Weinberg auf Instagram posten und mir (mit einer gewissen Hartnäckigkeit) eine Community aufbauen. Und ja, ich kann damit Leute in ganz anderen Ecken der Welt erreichen, denen es ähnlich geht oder die ähnlich denken. Ich kann meine Weine auch dorthin verkaufen, selbst wenn mich schon im Nachbardorf kein Mensch mehr kennt. Ein bisschen erinnert mich das an Anke und ihre Woll-Community, über die ich an anderer Stelle geschrieben hatte. Das ist irgendwie eine Form der Glokalisierung, ein geographisch weitmaschiges Netz mit festen Knoten. Um in der Woll-Methaphorik zu bleiben.
Wie geht es also weiter mit Jas Swan und ihrem Mosel-Mini-Négoce? Nun, sie möchte natürlich bald ihre eigenen Reben haben, also pachten zumindest. Und mit dem neuen Jahrgang hat sie Unterschlupf gefunden bei Jan Matthas Klein vom Staffelter Hof. Obwohl ich schon über das Weingut und über die Wein-Solawi von Jan-Philipp Bleeke berichtet hatte, wusste ich das bis vor kurzem nicht. Aber es passt total. Da entsteht wirklich ein Epizentrum für neue Ideen an der Mosel.
Entschuldige bitte diese Anfängerfrage: Warum steht auf dem Etikett “enthält Sulfite”, wenn der Wein ein richtiger, umgeschwefelter vin naturel ist?
Danke für die Frage, ist nämlich überhaupt keine Anfängerfrage!
Es gibt ein gesetzlich festgelegtes Sulfit-Limit von 10 mg/l. Hat ein Wein mehr als diesen Wert, muss auf dem Etikett “enthält Sulfite” stehen, sonst gibt es Ärger. Es kann aber durch z.B. Vulkanboden oder (gar nicht unwahrscheinlich) Gärvorgänge natürlicherweise ein Schwefelgehalt entstehen, der leicht über dieser Grenze liegt. Auch ohne Schwefelung. Für diesen Fall schreiben viele vin naturel-Winzer*innen vorsichtshalber den Passus “enthält Sulfite” mit drauf. Manchmal auch “enthält Sulfite, nicht zugefügt”.
Einen komplett schwefelfreien Wein im Sinne von 0,0 mg gibt es also von Natur aus nicht.