Die meisten Leute, die jemals mit mir weinbezogen zu tun hatten, kennen meine Begeisterung für die Weine von der Loire. Per Zufall hatte ich kürzlich wieder einmal einen meiner ganz alten Artikel von vor zehn Jahren gesehen, in dem ich argumentiere, warum die Loire-Weine so gut sind. Ganz so pauschal würde ich es jetzt vielleicht nicht mehr schreiben, aber die Grundsätze sehe ich immer noch ähnlich. Es handelt sich um eine Region mit charakteristischen Rebsorten, die auch wirklich hochwertig sind. Zudem sind die Bodenpreise relativ niedrig, was auch Quereinsteigern den Start ermöglicht. Jene (sonst würden sie ja nicht quer einsteigen) gehen entsprechend enthusiastisch und engagiert an die Sache. Genau auf ein solches Weingut möchte ich euch heute aufmerksam machen, die Domaine de l’Enchantoir (Website). Ganz im Süden der Appellation Saumur gelegen, haben die Brunets vor fünf Jahren die Domaine erworben. Heute gibt es bei mir also klassischen Chenin Blanc.
Saumur Terres Blanches 2019 von der Domaine de l’Enchantoir
Ich muss zugeben, dass ich von dem Weingut vorher noch nie gehört hatte. Aber zum Glück gibt es ja in diesem Jahr, in dem es wiederum problematisch werden dürfte, das anderweitig zu handhaben, solche digitalen Weinmessen wie die Millésime Bio. Oben seht ihr mich mit offenbar grimmiger Miene, während sich Amandine Brunet mit der Tischplatte zu unterhalten scheint. Beides täuscht allerdings, und zwar vollkommen. Vielmehr bin ich sehr interessiert daran, was mir Amandine per telepathischer Leitung an Informationen zukommen lässt. 15 ha bewirtschaften die Brunets in Le Puy-Notre-Dame, bio-zertifiziert und verteilt auf Rot, Weiß, klassischer Schäumer und PetNat.
Im Untergrund, das kann man hier auf einem Foto sehen, das ich in einem benachbarten Ort gemacht hatte, ist es kalkig und kreidig. Das Gestein ist relativ weich, und deshalb haben die Bewohner der Gegend schon seit sehr langer Zeit Höhlen hineingegraben, um beispielsweise Wein ideal ausbauen zu können. Ein bisschen also wie in der Champagne. Auch die Brunets besitzen solche Kellerhöhlen unter ihrem Weingut. Früher als Zufluchtsort in Kriegszeiten benutzt, profitieren heute die Weine der Domaine de l’Enchantoir davon.
Zwei trockene Chenins stehen jetzt also vor mir. Das ist zum einen der 2019er Saumur Terres Blanches, den ihr oben auf dem Foto sehen könnt. Handlese, Spontangärung und dann ein langes Hefelager im Betontank. Und zum zweiten handelt es sich um Le Refuge de Chavannes aus dem Jahrgang 2016, benannt nach dem Hügel, auf dem die Reben wachsen. Hier erfolgte der Ausbau allerdings im Holz, genauer gesagt in Halbstückfässern, und das gleich für 24 Monate.
Wie schmeckt der Wein?
Hell fließt der Terres Blanches ins Glas, so hell wie der Fels, von dem er stammt. Anschließend folgt etwas, das ich als Liebe auf den dritten Blick bezeichnen würde. Ja, das soll es geben. Im wahren Leben, wenn es sich nicht um die schiere Begriffsstutzigkeit mindestens einer der beiden Seiten handelt, hat es meist etwas mit Wendungen und Entwicklungen zu tun. So auch hier.
Der Terres Blanches zeigt sich nämlich zu Anfang recht zugeknöpft. Erst nach einer Weile zeigt sich eine Mischung aus floralen und grünlicheren Noten. Unreife Pflaume, grüne Mandel, Kerbel, etwas Sellerie vielleicht, das erste Grün im Frühling. Auch am Gaumen dominiert zunächst eine verschlossen-grüne Note, apfelig, ziemlich kernig. Mit viel Luft und Temperatursteigerung fächert sich der Wein dann auf, ohne seinen Charakter grundlegend zu ändern. Zerstoßene Korianderkörner zeigen sich dann stärker, Brennesselnoten, die Dynamik nimmt zu, und die Frische wird immer geschmeidiger.
Spontan denke ich bei der Speisenbegleitung an vegetarische Gerichte, die aber nicht zu rohkostig daherkommen sollten. So eine grießdominierte Version von Taboulé wie oben auf dem Foto passt da schon sehr gut. Reisgerichte, gedämpfter Süßwasserfisch, die Verwendungsbreite ist groß.
Wo habe ich ihn gekauft?
Shocking News in Absatz # 8: Es gibt die Weine der Domaine de l’Enchantoir überhaupt (noch) nicht in Deutschland zu kaufen. Aber es gibt einen gut gepflegten Online-Shop, und innerhalb der EU sind wir ja eh alle Freunde, n’est-ce pas? Der Terres Blanches kostet dort 13,50 €, der Refuge de Chavannes 20,50 €. Das ist genau meine Kragenweite.
Das bringt mich darauf, dass ich ja ebenfalls den Refuge de Chavannes probiert habe, Halbstückfass, ihr erinnert euch. Da habe ich zunächst auch überlegt, was ich damit mache. Der Chavannes ist ein energiegeladener Wein mit Spannung, Zimtnoten vom Holzausbau, definitiv eher im oxidativen als im reduktiven Stil gehalten, ein bisschen altmodisch-fordernd auf sehr sympathische Art. Und mittlerweile habe ich auch die kongeniale Begleitung gefunden.
Auf dem Place Flagey in Brüssel gibt es am Wochenende einen sehr schönen Markt, nicht riesengroß, aber interessant. Und auf diesem Markt wiederum gibt es einen Stand mit, nun ja, Maghreb-Küche, würde ich sagen. Da findet ihr aber nicht nur Couscous oder Tajine, sondern auch geniale Pasteten, mit und ohne Fleisch, wunderbar gewürzt. Genau zu solchen Speisen harmonieren die zimtig-apfelig-kreuzkümmeligen Noten des Refuge de Chavannes hervorragend.
Abschließend bleibt mir nur zu sagen… nein, ich spule zurück. Zwei Dinge bleiben mir zu sagen. Zum einen mag ich einfach die Weine des Loire-Tals, aus objektiven und auch aus persönlichen Gründen. Zum zweiten bin ich froh, dass es in dieser so seltsam ereignislos dahintröpfelnden Zeit solche Veranstaltungen wie die Millésime Bio gibt. Mit echten Winzerinnen und Winzern in Lieblingsregionen zu kommunizieren und sogar ganz neue Dinge kennenzulernen wie die Domaine de l’Enchantoir, das hätte man sich noch vor fünf Jahren in den heimischen vier Wänden kaum vorstellen können. So seltsam sich das derzeit anhören mag, aber irgendwie trifft es das alte kölsche Motto ganz gut: “Wer weiß, wofür et jot es…”