Eine meiner größeren Erkenntnisse des Jahres 2020 hatte ich bei einem zufälligen Gespräch. Da ging es um einen Mann in Frankreich mit Vornamen Jeff. Jeff wie Jeff Smart. Mir war ohnehin vorher schon aufgefallen, dass es die Jeffs im Französischen offenbar öfter geben muss. Aber warum nur? Nun, bei dem erwähnten Gespräch kam heraus, dass der gute Jeff in Wirklichkeit Jean-François heißt, also superklassisch französisch. Und so dürfte das auch bei den anderen Jeffs dort sein. Dass sich dieser Heureka-Effekt bei mir so stark eingeprägt hat, mag etwas über die Qualitäten des Jahres 2020 aussagen. Aber irgendwie trotzdem verblüffend, oder? Achtet mal darauf (und vergesst es nie mehr). Diesmal soll es beim Natürlichen Dienstag jedenfalls auch um einen Jeff gehen, nämlich um Jeff alias Jean-François Coutelou. Das ist nämlich eines der Naturel-Urgesteine der Welt.
5SO simple vom Mas Coutelou
Das Weingut von Jeff Coutelou befindet sich im Languedoc in Südfrankreich, ein paar Kilometer nördlich von Béziers. Früher war das ein landwirtschaftlicher Mischbetrieb, dann erfolgte die Spezialisierung auf Weinbau. Ab dem Jahr 1987 (sagte ich etwas von Urgestein?) wird hier biologisch gearbeitet. Die Rebfläche wurde auf 13 ha verkleinert, und auch der Hektarertrag ging auf fast ein Drittel des ursprünglichen zurück. Draußen legt Jeff viel Wert auf Biodiversität, pflanzt Hecken, pflegt in einigen Parzellen aber auch alte und fast ausgestorbene Rebsorten.
Jede Rebsorte (außer beim Mischsatz) und jede Parzelle werden im Keller dann getrennt ausgebaut. Dabei versucht Jeff das Spektrum ebenfalls so breit wie möglich zu halten. Mal bleiben die Trauben nur kurz auf der Maische, mal umso länger. Mal wird entrappt, mal werden die Trauben mit Stielen und Stängeln vergoren. Diese Vielfalt darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass es im Hause Coutelou auch ein paar fixe Prinzipien gibt. Eines dieser Prinzipien betrifft die Spontangärung und auch sonst den Verzicht auf sämtliche önologische Zutaten. Das geht so weit, dass die Weine am Schluss weder filtriert noch geschwefelt werden. Abgefüllt wird ausschließlich per Gravitation, also ohne Pumpen. Soll heißen: Wir sind hier im Reich des zéro-zéro, der engen Definition eines Naturweins.
Wie schmeckt der Wein?
Als ich die Flasche das erste Mal in den Händen gehalten habe, dachte ich spontan, “was zum Kuckuck sollen diese großen Buchstaben auf dem Etikett? Sieht ja aus wie eine chemische Formel und nicht wie ein Naturwein.” 5SO bedeutet aber ausgesprochen Cin(q)sault, also die Rebsorte, aus der der Wein besteht. Und das simple wiederum weist darauf hin, dass wir es hier mit einem einfachen Trinkwein zu tun haben. Das ist einerseits schön. Andererseits habe ich immer zwei latente Befürchtungen bei einem Hardcore-Naturel aus dem Süden. Erstens kann so ein Wein einen zu “karbonigen” Ton nach Himbeer-Traubenzucker besitzen und zweitens schlichtweg unsauber sein. Also über das mir persönlich genehme Maß hinaus.
Um das also gleich einmal klarzustellen: Hier beim 5SO simple von Jeff Coutelou ist alles perfekt. Ich lasse die halb gefüllte Flasche sogar einen Tag länger offen stehen (obwohl wir sie wirklich gern ausgetrunken hätten), um zu testen, ob da irgendwas braun wird. Aber nix da, auch am zweiten Tag noch stabil.
Nun ist es ja toll, wenn ein Wein keine Fehler hat. Aber ehrlich gesagt sollte auch ein bisschen was auf der echten Habenseite stehen. Die Farbe ist jedenfalls schon einmal authentisch hell. In der Nase Erdbeere, Himbeere, Cranberry, sehr auf der fruchtigen Seite, dazu ganz leicht erdig-stinkelig, aber sehr zahm für einen Naturel. Am Gaumen perlt der Wein erst leicht, was ihm gut steht, aber das lässt schnell nach. Dahinter gibt es eine sehr angenehme Frische mit nur 12,5 vol% Alkohol. Aromatisch geht es weiter wie in der Nase, zusätzlich jetzt mit roter Johannisbeere und etwas Süßkirsche. Trotzdem ist das keine Fruchtsuppe, denn es gibt zum einen einen kräuterigen Thymian-Touch, zum anderen ein leichtes Tannin als Rückgrat. Ein bisschen denke ich an einen sehr guten Trollinger, der so etwas vielleicht auch könnte. Ein Wein für große Schlucke.
Wo habe ich ihn gekauft?
Wo ich den Wein gekauft habe? Ich hole kurz aus. Im Jahr 2010 habe ich in Köln-Ehrenfeld gewohnt. Zur Zwischenmiete, bevor dann mein Asien-Projekt losging. Weil sich in dieser Luxussuite der Kochplatz ursprünglich direkt neben dem Bett befand, habe ich kurzerhand die Kochplatten auf die Fensterbank gestellt und nach draußen gekocht. Wenige Meter weiter um die Straßenecke machte damals gerade ein Weinladen auf. Ich ging zufällig am Tag des Einräumens daran vorbei und hinein, und so ging es dann los.
Der Laden war die Vincaillerie von Surk-ki Schrade. Und genau dort gibt es auch nach zehn Jahren noch wilde und halbwilde Weine wie diesen hier. Der 5SO simple vom Mas Coutelou, Jahrgang 2019, kostet bei Surk-ki in Ehrenfeld (und in ihrem Online-Shop) genau 11 €. Dass das ein guter Preis für diesen fantastisch süffigen Hellroten ist, brauche ich wahrscheinlich nicht extra zu betonen. Die Idealform des Glou-Glou.
Wer den guten Jean-François übrigens einmal in einer unverhofften Situation sehen möchte, kann das auf Street View tun. Wenn ich mich nicht täusche, schaut er nämlich gerade aus seinem Weinkeller heraus, als das Google-Auto vorbeikommt…