Kommt euch folgende Geschichte bekannt vor? Ihr geht zur Waschmaschine und seht, dass die Wäsche noch zehn Minuten braucht. Also geht ihr wieder weg. Dann klingelt das Telefon. Ein interessantes Gespräch über Wein und diese Rebsorte, die seit kurzem wieder angebaut wird. Muss man natürlich gleich mal im Internet recherchieren. Ah, eine WhatsApp vom Neffen, er hat sich den Arm gebrochen, wie blöd. Am nächsten Morgen wundert ihr euch dann über die geschlossene Tür der Waschmaschine. Die Wäsche ist immer noch drin, und ihr habt es offenbar geschafft, in den gestrigen zehn Minuten eure Erinnerung daran komplett zu tilgen. Weshalb diese lange Vorrede? Nun, sie hat mit dem heutigen Wein zu tun, dem 2015er Silvaner Indigenius von Manfred Rothe.
Silvaner Indigenius 2015 von Manfred Rothe
Vor kurzem war ich nämlich in Nordheim bei Manfred Rothe. Es war herrliches Wetter, wie ihr sehen könnt. Zu meinen Füßen erstreckt sich die Weininsel mit dem Nordheimer Vögelein, linker Hand schließt sich der Sommeracher Katzenkopf an, und geradeaus, jenseits des Mains, folgt der Escherndorfer Lump mit seinem Steilhang. Ich unterhielt mich mit Manfred Rothe über Wassermanagement und Anbaustrategien, und natürlich kaufte ich auch Wein, nämlich diesen hier, den Silvaner Indigenius. Ich war froh, einen schon etwas gereiften Jahrgang zu bekommen, denn das ist nun einmal ein Lagerwein. Den Indigenius hatte ich schon öfter probiert, aber eben noch nie mit ausreichender Muße. Logisch, dass der Wein dann auch in den Natürlichen Dienstag kommt.
Allerdings, remember the Waschmaschine, war mir völlig entfallen, aber völlig, dass ich erst vor ein paar Wochen bereits einen Wein von Manfred Rothe hier vorgestellt hatte, und zwar seinen Kvevri. Dabei hatte sich hier bislang noch nie ein Winzer gedoppelt. Aber gut, so ist es halt. Und euch aus Prinzipienreiterei diesen ganz besonderen Silvaner vorenthalten zu wollen, wäre doch sehr merkwürdig.
Die Reben für den Silvaner Indigenius stehen in den bereits genannten Lagen Nordheimer Vögelein und Sommeracher Katzenkopf auf einer relativ dünnen Bodenschicht über einer Muschelkalkplatte. Die Trauben werden von Hand geerntet und sortiert und dann eben noch nicht gepresst. Erst müssen sie nämlich in offener Bütte auf der Maische vollständig vergären. Gepresst wird mit der historischen Korbpresse nur ganz leicht, bevor der Most dann in 500-Liter-Fässern aus Spessarteiche ausgebaut wird. Nach zwölf Monaten auf der Vollhefe wird der Indigenius dann unfiltriert gefüllt. Die technischen Werte für diesen Silvaner aus dem warmen Jahrgang 2015 sehen wie folgt aus: 13,0 vol% Alkohol, 5,2 g Säure pro Liter (der BSA wurde zugelassen) und 0,1 g/l Restzucker.
Wie schmeckt der Wein?
Goldfarben fließt der Wein ins Glas. Ich habe ihn die Nacht über stehend im Kühlschrank gelagert, weshalb der Trub erst einmal in der Flasche bleibt. Trotzdem sollte man dem Indigenius einige Zeit zum Entfalten an der Luft geben. Und zu kalt servieren würde ich ihn auch nicht. Frisch geöffnet sind da nämlich noch ein paar strengere Anklänge in der Nase. Es gibt ein paar rauchige Gärnoten, etwas Apfelmostiges, Sellerie vielleicht auch, aber schon jetzt eine feine Frucht. Die Frucht kommt mit Luft und Wärme immer mehr zum Vorschein. Und sie ist ganz und gar silvanerisch: sehr gelb, reife Quitte, noch reifere gelbe Pflaume und endlich auch in Harmonie mit der würzigen Rauchigkeit.
Im Mund spüre ich natürlich den Grip, die Phenolik von der Maischegärung. Aber, das ist vielleicht auch dem etwas gereifteren Jahrgang geschuldet, die Tannine sind unglaublich samtig. Das ist irgendwie die eleganteste Art, einen Orange Wine zu machen. Dabei möchte ich gar nicht leugnen, dass es sich weiterhin um einen Charakterwein handelt, mit dem man sich beschäftigen muss. Deshalb bekommt er von mir auch das A wie Anspruch aufs Foto. Aber wenn man dem Wein ein wenig Zeit gibt und sich selbst vermutlich auch, dann ist das ein wirklich erhabenes Produkt. Von so einem Wein kann ich woanders auf der Welt mit Stolz sagen, ja, sowas wird bei uns in Franken auch gemacht.
Wo habe ich ihn gekauft?
Gekauft habe ich den Wein in Nordheim beim Weingut selbst, 25 € kostet er dort. Ihr könnt euch den Wein auf der Website des Weinguts auch anschauen. Dabei werdet ihr feststellen, dass gleich vier Jahrgänge noch auf Lager sind, nämlich 2014, 2015, 2016 und 2017. Einen Online-Shop gibt es allerdings nicht, aber am Telefon wird euch Manfred Rothe die Jahrgänge und Charaktere ohnehin besser nahebringen können.
Was ich beim Gespräch mit ihm fast am interessantesten fand, das war eine Bemerkung, die er ganz zum Schluss machte. Er sagte nämlich, dass es immer sein Wunsch sei, die Trauben zu ernten, wenn der Rebstock aus der vegetativen schon in die generative Phase übergegangen ist. Wenn die Blätter gelb sind und nichts mehr grünt und sprießt. Wenn die Reben sozusagen bereit sind, ihre Früchte, die sie ja als Samen betrachten, herzugeben. Insofern ist eigentlich ein Wein aus goldgelben, extrem spät geernteten Trauben das Optimum an Harmonie.
So hatte ich das noch nie betrachtet, aber in der Tat ist das ja letztlich auch die Philosophie der alten Griechen und der fast ebenso alten Moselwinzer gewesen. Und vielleicht sollte ich deshalb gerade in der Weihnachtszeit mal ein Fläschchen mit einem entsprechenden Elixir öffnen und über mehrere Abende verteilt aus einem kleinen Glas genießen. Goldgelber Wein aus goldgelben Trauben. Und Friede auf Erden.