90% der deutschen Bildungsbürger, so schätzt der Tech-Blogger Armin Hanisch, würden die Fattoria La Vialla in der Toskana kennen. Nun, 90% sind schon gewagt hoch. Ich würde deshalb noch die einschränkenden Merkmale Süddeutschland, Altersgruppe 50-75 und genussorientiert hinzufügen, um einen solchen Wert zu erreichen. Dennoch ist das sehr beachtlich, vor allem für ein Unternehmen, das in Italien selbst fast unbekannt ist und dessen Produkte man nur per Direktvertrieb erwerben kann. Irgendwas müssen die Brüder Lo Franco also beinahe erschreckend richtig gemacht haben.
Torbolino 2019 von der Fattoria La Vialla
Tatsächlich ist die Fattoria La Vialla ein Gesamtkonzept, das enorm darauf bedacht ist, den schwierigen Spagat zwischen Professionalität und Authentizität so leicht wie möglich aussehen zu lassen. Begonnen hat alles im Jahr 1978, als der Textilunternehmer Piero Lo Franco einen Landsitz für sich und seine Familie suchte. Sie kauften ein altes Haus in der Nähe von Arezzo mit ein paar Hektar Land, ließen es restaurieren und begannen peu à peu eine Leidenschaft für das dortige Leben zu entwickeln. Von Anfang an Bio, konnten sie ihre eigenen Erzeugnisse zunächst auf den Märkten schwer verkaufen. Die Wende brachte ein Mitarbeiter, der Ziegenkäse und Öl bei einem Heimatbesuch nach Schwaben brachte und dort alles im Handumdrehen loswurde. Ab da fuhren die drei Brüder regelmäßig mit ihrem Fiat gen Norden und verkauften ab Heckklappe.
Geld gab es allerdings von Anfang an durch die Einkünfte aus der Textilwirtschaft. Und so vergrößerte sich der Betrieb schrittweise auf heute knapp 1.580 Hektar und 160 feste Mitarbeiter/innen. Es gibt schlichte Ferienunterkünfte, es gibt Wein, Olivenöl, Pasta, Honig, Kosmetikprodukte, Eingemachtes und Süßes. Zudem ist der gesamte Betrieb Demeter-zertifiziert, arbeitet also nach biodynamischen Methoden. Das Besondere an La Vialla ist aber, dass man bis heute alles in eigener Hand betreibt, was den Verkauf mit einschließt. Die Bibel der Viallisten ist ein 200seitige Katalog, eine Mischung aus Produktinformation und Sehnsuchterzeuger, sehr textlastig und auch nach all den Jahren in der zwar gewöhnungsbedürftigen aber mittlerweile gar rechtlich gesichterten Computer-Handschrift gehalten. In den sogenannten Speisekammern (jeweils eine Verkaufshalle in Hessen, Baden-Württemberg, Bayern und der Schweiz) können registrierte Kunden mit Hilfe eines Digitalschlüssels kassenfrei einkaufen.
Alles an der Fattoria erinnert je nach Perspektive an eine harmonische Großfamilie, eine Closed User-Group oder eine eingeschworene Kommune. Jedenfalls wird der deutsche Traum von der Toskana nirgends so konsequent auf allen Ebenen umgesetzt wie hier.
Wie schmeckt der Wein?
Wein ist eines der Haupterzeugnisse der Fattoria La Vialla. Aufmerksame Beobachter von Biowein-Wettbewerben in Deutschland haben sicher schon bemerkt, dass La Vialla dort gern mit der maximal zulässigen Zahl an Weinen an den Start geht. Auf diese Weise hat die Fattoria über die Jahre unzählige Preise und Medaillen mit nach Hause gebracht. Derzeit stehen jeweils etwa zehn Rot-, Weiß- und Schaumweine sowie (sehr beachtlich) vier klassische Dessertweine im Portfolio.
Den Torbolino gibt es dabei in zwei Varianten, einmal filtriert und einmal unfiltriert. Für welche Variante ich mich entschieden habe, ist auf den Fotos unschwer zu erkennen. Es gibt auf der Fattoria zwar auch Weine aus den klassischen italienischen Rebsorten wie Sangiovese oder Verdicchio, der Torbolino gehört jedoch nicht dazu. Vielmehr handelt es sich um eine Cuvée aus Chardonnay, Viognier, Sauvignon Blanc und Traminer, wobei die beiden ersten Rebsorten die Hauptsache ausmachen.
Im Glas ist der Torbolino derartig unfiltriert wie kaum ein anderer Wein. In der Nase gibt es feine Noten nach Birne und Zimt, grundsätzlich prägt aber eine fast Federweißer-artige traubige Hefe den Eindruck. Im Mund perlt der Torbolino noch leicht, ist aber definitiv durchgegoren und trotz der 13,5 vol% keinesfalls brandig. Das Erstaunlichste für mich ist allerdings die überaus kräftige Säure. Zusammen mit den Fruchtnoten nach saurem Apfel und viel gelber Pampelmuse, mit dem hefigen Gefühl und dem leicht nussigen Abgang ist das ein ganz individuelles Getränk. Dabei bleibt natürlich alles absolut sauber, also keine flüchtige Säure, kein Mäuseln, kein reduktiver Ton. Vermutlich ist das ein Wein, der immer sehr früh abgefüllt und immer sehr jung getrunken wird.
Die Toskana erkenne ich im Torbolino nicht unbedingt. Was hingegen klar transportiert wird, das ist eine gewisse Naturnähe. Und ich habe “nice & spaßig” auf meinen Probenzettel geschrieben, das ist doch auch nicht schlecht.
Wo habe ich ihn gekauft?
Diese Flasche, 187 ml klein statt normalerweise 750 ml, ist ein Probesample von irgendeiner Messe. Wenn ihr nämlich richtig bei der Fattoria La Vialla einkaufen wollt, müsst ihr das entweder online machen (hier der Link zum Online-Shop) oder aber bei den Speisekammern oder aber direkt ab Hof in der Toskana. Viele machen das übrigens tatsächlich. In den ersten beiden Fällen müsst ihr euch allerdings erst einmal registrieren. Die Sache mit dem digitalen Schlüssel aus Olivenholz für den kassenlosen Einkauf in den Speisekammern ist auf jeden Fall eine spannende Idee.
Ein wichtiger Teil des Konzepts von La Vialla ist es, dass die meisten Produkte nur in größeren Gebinden à drei, vier oder auch sechs Flaschen zu haben sind. Den Torbolino 2019 gibt es deshalb nur im Sechserkarton für derzeit 42,72 €, was genau 7,12 € pro Flasche bedeutet.
Beim Probieren hatte ich ja schon viel eher das Gefühl, in einem Restaurant der New Nordic Cuisine zu sitzen statt in Arezzo in der Pizzeria. Deshalb habe ich als Speisenbegleitung das Ganze mal etwas anders gestaltet: Matjes, Knäckebrot, Linsensprossen. Und es funktioniert tatsächlich.
Was definitiv auch funktioniert, das ist das Konzept der Fattoria La Vialla. Wäre ich ein mittelständischer Unternehmer, der Konsumgüter produziert, würde ich die einzelnen Elemente auf jeden Fall einmal analysieren und für mich durchtesten. (Hier ein interessanter Artikel dazu in der brand eins.) Zwar mussten die Lo Francos einige Zeit auf ihren Erfolg warten, aber dafür wachsen ihre Kunden mit ihnen jetzt nicht nur altersmäßig durch. Es steht sogar anzunehmen, dass die nächste Generation genauso bereitwillig auf den Toskana-Traum aufspringen wird.
Seit Jahren lässt mir ein Freund ein-, zweimal im Jahr ein Mottopaket von der Fattoria schicken, mal größer, mal kleiner. Für mich ist fast alles okay, mehr aber auch nicht. Der Katalog mit der Computerhandschrift geht mir nicht nur typographisch auf den Keks.
Und jetzt fürchte ich mich schon vor dem diesjährigen Weihnachtspäckle von der “Familie”.
Das Geschriebene ist bitte zumindest partiell ironisch zu verstehen.
🙂
Ich habe ja schon ein paarmal die Sachen probiert, meistens bei Messen. Und ja, in meinem Bekanntenkreis gibt es auch öfter die Päckle 😉 . Als ich mich jetzt aber mal näher damit beschäftigt habe, fand ich tatsächlich die Geschäftsidee und die Konsequenz ihrer Umsetzung richtig interessant, wesentlich interessanter als die Produkte selbst (die aber wirklich absolut okay sind, das nur nebenbei). Was den einen ein bisschen auf die Nerven geht, zieht die anderen wegen dieses “wir sind eine Gemeinschaft” erst recht an. Rein psychologisch sind das ein paar sehr interessante Elemente, die ich auch und gerade in der heutigen Zeit nicht unterschätzen würde. Meine Empfindung: Es wird ein Rekord-Weihnachtsgeschäft geben 😉
Ich stimme allem zu. Aber dieses “Wir sind alle eine große harmonische Familie mit den gleichen Leidenschaften” mag ich einfach nicht. Mir ist das zu zwanghaft. Und in fast jedem Päckle findet sich ein Glas mit stacheligen Artischocken, die ich so nicht mag – auch zu sauer.
Das Weihnachtsgeschäft wird boomen. Ja.