Wir sind in sprachlich fremden Welten angekommen. Camin Larredya heißt das Weingut, und seine Weine tragen Namen wie Costat Darrèr und Au Capcéu. Ganz klar, schlussfolgert hier der Weinprofi, das muss Katalonien sein. In Wirklichkeit stimmt das zwar überhaupt nicht, ist aber auch nicht so grotesk falsch, wie es sich zunächst anhört. Das Weingut Camin Larredya von Jean-Marc Grussaute befindet sich nämlich im Südwesten Frankreichs, genauer gesagt in der Appellation Jurançon. Dort sprach man früher einen okzitanischen Dialekt, und aus jenem stammen die Bezeichnungen der Parzellen und somit der Weine. Gut, alles geklärt, dann können wir ja wieder gehen. Aber nichts da, denn diesen Wein hier sollte sich niemand entgehen lassen.
La Part Davant 2018 von Camin Larredya
Jean-Marc Grussaute ist ein Kind der Region und war vermutlich noch nie längere Zeit woanders. Mit 20 Jahren kehrte er nach der Ausbildung auf das Weingut der Familie zurück. Sein Vater war früh gestorben, und seine Mutter lieferte die Trauben der 4 ha bei der Kooperative ab. Das erste, was Jean-Marc veranlasste, war der Austritt aus der Genossenschaft. Dann begann er mit der Restrukturierung der Weinberge um das Gebäude. Der Jurançon war lange Jahrhunderte ein berühmter Wein gewesen, die Lage Larredya bereits im 14. Jahrhundert lobend erwähnt. Zur Legende gehört es natürlich auch, dass angeblich Henri IV, der spätere französische König, bei seiner Taufe süßen Jurançon-Wein und eine Knoblauchzehe zwecks Stärkung für’s Leben bekommen haben soll.
Lang war es her. Als Jean-Marc nämlich so richtig loslegte, war die Region im Begriff, ein gewöhnliches Bauernland zu werden. Bedeutende Produzenten gab es nicht, das Rebland zerstreute sich über die Hügel südlich von Pau, und Süßweine galten außerhalb von Geburtstagsfeiern zum Achtzigsten als wenig angesagt.
Jetzt, 32 Jahre später, ist Jurançon außerhalb Frankreichs immer noch ziemlich unbekannt. Aber Camin Larredya werden die Weine aus den Händen gerissen. Wie konnte das passieren? Nun, Jean-Marc, der übrigens auch lange beim Top 14-Club Section Paloise Rugby spielte, ist ganz konsequent seinen Weg zum immer achtsameren Weinbau gegangen. Biologisch zertifiziert seit 2010, biodynamisch seit 2016 mit eigenen Erfahrungen und Ansätzen der méthode Hérody (pdf), sind heute nicht weniger als zehn Personen in Vollzeit auf den 11,5 ha beschäftigt. Handwerk in Hochkultur.
Wie schmeckt der Wein?
Moment, wir wissen ja noch gar nicht, mit welchem Wein wir es hier eigentlich zu tun haben. Es handelt sich nämlich nicht um einen süßen, sondern um einen trockenen Jurançon. Der Name La Part Davant bezieht sich auf die am weitesten östlich gelegenen Parzellen von Camin Larredya. Auf der Website des Weinguts sind alle Parzellen eingezeichnet. Der Wein besteht aus 50% Gros Manseng, 35% Petit Manseng und 15% Petit Courbu, den großartigen lokalen Rebsorten. Zwei Drittel der nicht-entrappten Trauben wurden direkt gepresst, ein weiteres Drittel bekam eine Maischestandzeit von zwei bis drei Tagen. Natürlich spontan vergoren, ausgebaut im Holzfass, lange auf der Hefe belassen – und ohne den biologischen Säureabbau, damit die Knackigkeit als Kontrapunkt zur reifen Materie erhalten bleibt.
Leuchtendes Gold im Glas. Auch in der Nase macht das hier überhaupt nicht den Eindruck, als würde es sich um einen trockenen Wein handeln. Süße kann man ja nicht riechen, aber Reife, Orange, Rhabarber erstaunlicherweise, leicht Ingwer, sehr fruchtbetont und ansprechend. Am Gaumen bestimmt erst einmal die Säure die Richtung, jawoll, so geht das. Viel reife Frucht bleibt dabei, Orange, Aprikose, weiße Pflaume, etwas grün-Pflanzliches wie Angelikastängel, Sellerie dazu etwas Gerbigkeit von der Maischestandzeit. Dies ist ein enorm pikanter Wein, ein Wein, der für den langen Atem gedacht ist. Das ist sehr hochwertig, ganz vorn dran und gleichzeitig ein Blick in längst vergangene Königsthron-Zeiten. Faszinierend. Wer noch keinen (guten) trockenen Jurançon kennt, möge das bitte hiermit nachholen. Ihr erhaltet neue Anregungen, womit sich der Keller zusätzlich aufstocken lässt.
Wo habe ich ihn gekauft?
Vor einigen Jahren war ich selbst im Jurançon. Dort kann man im Maison des Vins in Lacommande Weine von fast allen Produzenten kaufen, ein wunderbarer Ort. Mittlerweile besitzen sie sogar einen Online-Shop. Corona sei Dank, wenn ich das mal so leicht unpassend sagen darf.
Die konkrete Flasche auf dem Titelfoto habe ich allerdings bei Ill Vino in Sélestat gekauft. Das ist ein richtig gut ausgestatteter elsässischer Weinladen im Einkaufszentrum mit dem Intermarché. Weil ich so begeistert war, habe ich gleich alle drei Halbflaschen mitgenommen und die erste jetzt geöffnet.
Eigentlich profitiert Jurançon von einer längeren Lagerung. Ohnehin sind die beiden Mansengs fantastische Rebsorten, die – sollten uns klimatisch noch hitzigere Verhältnisse bevorstehen – auch für Deutschland interessant werden könnten. Ich hatte bei einem meiner abenteuerlichsten Weingutsbesuche bei der Coco Farm in Japan mit den Leuten dort gesprochen. Sie hatten Petit Manseng in einer Art Pergolaerziehung angepflanzt und waren höchst zufrieden. Recht robust gegen Pilzkrankheiten, kräftig und lagerfägig. Und vor allem hält Manseng auch die Säure bei hoher Reife, während sie bei den meisten anderen Rebsorten in den Keller geht.
Wenn ihr euch selbst von der Qualität dieses Weins überzeugen wollt, müsst ihr allerdings gar nirgends hinfahren. Anders als bei Jean-Marc auf seiner Website angekündigt, besitzen zwar die geschätzten Weinhändler K&U, Viniculture und der Kölner Weinkeller nichts mehr von Camin Larredya. Aber dafür ein Shop, den ich selbst nicht kenne, der aber auch ansonsten eine ziemlich gute Auswahl hat, nämlich Mesters in Münster. 26,50 € kostet die (normalgroße) Flasche La Part Davant dort.