Der Vorteil beim professionellen Verkosten ist ja, dass man sich nicht aussuchen kann, was da vor einem auf den Tisch kommt. Hört sich nicht nach Vorteil an? Okay, zugegeben, für Menschen, die immer nur Wein trinken, den sie bereits kennen, ist es das auch nicht. Und ebenfalls zugegeben, bei manchen Weinen denkt man sich auch, uff, wäre ich mal besser davon verschont geblieben. Aber die Vorteile überwiegen. Wer sich nämlich wirklich für Wein interessiert, verschafft sich auf diese Weise das Wichtigste, was man bei der Beschäftigung mit irgendetwas haben kann: Überblick. Und tatsächlich sind immer wieder Entdeckungen und Erweckungen dabei, die man noch überhaupt nicht auf dem Schirm hatte. Wie dieser Wein, ein echter Naturel der Gebrüder Siegloch aus Württemberg.
Trollinger Red Booom 2019 vom Weingut Siegloch
Das Weingut zeigt sich jetzt nicht sonderlich auskunftsfreudig auf seiner Website, was ihre Geschichte allgemein und diesen Wein speziell anbelangt. Jedenfalls haben die Brüder David und Markus mit Ausbildungen in Weinsberg und Geisenheim und Lehrherrn wie Haidle und Schnaitmann entsprechende Referenzen aufzuweisen. Nach dem frühen Tod des Vaters vor sieben Jahren mussten sie dann ziemlich überlegen, was passieren sollte. Die Entscheidung nach einer Weile lautete: Weingut ja, auch gemeinsam, aber stilistisch ganz anders als vorher. Seitdem werden die Weine nicht mehr zur Qualitätsweinprüfung angestellt, sind wilder und freier geworden.
So wie dieser Trollinger aus der kleinen Booom-Serie, der im gebrauchten Barrique ausgebaut wurde und dann direkt auf die Flasche kam. Hinten auf dem Etikett steht alles drauf, was die einen begeistert zur Kenntnis nehmen, die anderen hingegen erschaudern lässt: Ungefiltert, ungeschönt, ungeschwefelt, mit höchstens einem Gramm Restzucker voll durchgegoren und ganze 10 vol% stark.
Wie schmeckt der Wein?
Junge Farbe mit blassem Rand, in Wirklichkeit etwas heller, als es das Spitzenfoto auf dem Karton oben suggeriert. Die Nase ist erst ein bisschen verschlossen, auch etwas reduktiv. Dann kommen kräuterig-buschige Noten zum Vorschein, Holunder und Wacholder. Das ist vielleicht ein bisschen herber als sonst, aber bislang nicht total irritierend. Bevor es weitergeht, schweife ich kurz ab.
Also: Ich war ja vor ein paar Wochen am Mittleren Neckar und hatte dort unter anderem mit Fabian Lassak und Alex und Eva Eisele gesprochen. Es gibt in der Region wunderbare Weinberge, fast alle mit Trollinger bestanden, und fast überall wird ein süffiger, aber ziemlich technischer, nicht selten auch in den halbtrockenen Bereich hineinlugender Wein daraus gekeltert. Viel kostet er nicht, das stimmt, wirkt aber doch irgendwie ziemlich aus der Zeit gefallen. Dabei waren wir alle der Meinung, dass Trollinger wirklich großartig sein kann, Spaß machen kann, und dass wir ihn gern trinken. Wer will schon jeden Tag Pétrus im Glas haben? Also ich nicht, ganz ehrlich.
Was uns beim Fabulieren ein wenig vorschwebte, war ein Exemplar …wie dieses hier. Zurück also zum Tasting. Frisch, kühl, herrlich animierend ist der Siegloch Red Booom, man muss ihn sofort runterschlucken. Gut, nicht im Büro, aber ich sichere mir für später den Rest der Flasche. Es ist für mich absolut nachvollziehbar, wenn andere Menschen bemängeln, hier handele es sich um ein herbes und saures Exemplar, kurz und ohne Körper. Aber der soll so. Und er ist in sich absolut stimmig. Gerbstoffe sind tatsächlich da, aber hier haben wir keinen ausgezehrten Wein vor uns, sondern einen höchst lebendigen. Absolut sauber am Gaumen übrigens auch am dritten Tag.
Wo habe ich ihn gekauft?
Gekauft habe ich ihn natürlich nicht, sondern aus einem der vielen Kartons gezogen und auf Idealtemperatur gebracht. Ich hätte es aber tun können. 10,90 € kostet der Trollinger Red Booom 2019 vom Weingut Siegloch. Und zwar genau dort. Sagt mir, wenn ich mich täusche, aber bislang habe ich ihn online auch nirgends anders gesehen.
Ich könnte mir aber vorstellen, da ihr ja diese Rubrik hier lest, dass es sich ohnehin lohnen würde, die Sieglochs einmal zu konsultieren. Ich habe nämlich auch einen maischevergorenen Riesling namens Sandhase verkostet, einen trüben Sprudel-Rosé aus Syrah, ebenfalls aus der Booom-Reihe, und auch ein paar minimal konventionellere Geschöpfe.
Die Sonnenbrille auf dem Etikett zeigt übrigens deutlich, dass wir den Wein genau jetzt wollen sollen. Und das passt. Und ich erinnere mich spontan daran, vor genau neun Jahren schon einmal eine Handvoll Trollinger verkostet zu haben. As times go by…
Den Sandhasen hatte ich im Mai im Glas, ein saftiger Most mit viel Grip.
Zuletzt hatte ich von Siegloch den Muskattrollinger Rosésekt auf Balkonien genossen, was herrliches an so heißen Sommertagen.
Einiges mehr wartet noch im Keller …
Absolut, so habe ich den Sandhasen auch empfunden! Ich fand, durch den Grip und die automatisch geringere Fruchtigkeit ist er vielseitiger zum Essen einsetzbar als ein “gewöhnlicher” Riesling.
Der Syrah Rosé Booom hatte nach dem Öffnen erst ordentlich gesprudelt, dann kam er mir zunächst ausschließlich spaßbrausig vor, also sehr fruchtbetont. Am nächsten Tag fand ich ihn deutlich schöner. Aber wie du sagst, im Keller steht noch mehr als der Sommer lang ist… 😉
„…am nächsten Tag deutlich schöner …“, ja das ist mir in den letzten Monaten öfter passiert, sogar nach einer Woche oder 10 Tagen deutlich schöner 😀. Nur: Warum sollte man nen geöffneten Wein so lange stehen lassen?
Da bin ich zum Glück so viel unterwegs (und habe fast immer 2-3-4 Flaschen gleichzeitig im Anbruch) dass ich dann nach Rückkehr manche Überraschung erschmecke 😁👍
Ich mache das mittlerweile sogar öfter absichtlich. Gerade bei sehr jungen Weinen, bevorzugt in Rot. Also ich weiß, dass ich die nächsten vier Tage weg bin, probiere den Wein erst frisch und bin dann gespannt, was mich nach meiner Rückkehr erwartet 😉
Auch mit Weiß zunehmend. Zuletzt etwa von Krämer, Vetter, Teschke und jetzt einen Silvaner 81/16S von Neder. Bin gespannt.
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