Manchmal möchte man sich auch als offensichtlicher Weinfreak auf neues Terrain wagen und etwas Unbekanntes probieren. Wie diesen PetNat aus dem Elsass vom Weingut Xavier Wymann. Weder vom Weingut noch vom Wein selbst hatte ich davor irgendetwas gehört. Und so sollte es euch doch auch gehen, dear readers. Oder nicht? Lasst uns also gemeinsam schauen, was Xavier (oder in Wirklichkeit Jean-Luc) hier auf die Flasche gebracht hat.
La Bulle de Michèle – PetNat von Xavier Wymann
Hinter der Domaine Xavier Wymann steckt nämlich nicht etwa der gleichnamige Winzer, sondern Jean-Luc Schaeringer. Als sein Onkel Paul Wymann vor über 20 Jahren sehr plötzlich starb, gab es in der Familie keinen richtigen Nachfolger für das Weingut. Jean-Luc war noch mitten im Studium, entschied sich dann aber umzusatteln und Winzer zu werden. Seitdem werden hier mitten im historischen Zentrum von Ribeauvillé biologisch zertifizierte Weine erzeugt. Und das in aller Stille.
Schaut man auf die Website von Xavier Wymann, findet man dort ein paar Informationen über seine Weine aus den traditionellen elsässischen Rebsorten, nicht aber über diesen hier, die Bulle de Michèle. Bei diesem PetNat handelt es sich um eine Cuvée aus Pinot Noir, Pinot Gris und Pinot Blanc. Ganz richtig, eine rote, eine rötlichschalige und eine weiße Rebsorte. Natürlich kann solch eine schauderhafte Komposition nur als Vin de France gelabelt werden. Seine anderen Weine haben zwar die AOC Alsace, aber auch dort fährt Jean-Luc einen freiheitlichen Ansatz. Ob die Weine nämlich letztlich trocken, halbtrocken oder süß ausfallen, macht er ausschließlich vom Jahrgang und dessen Charakter abhängig. 2017 war ein richtig warmes Jahr im Elsass, also sind alle Weine recht kräftig ausgefallen. Auch die Bulle de Michèle bringt 13,5 vol% auf die Waage.
Wie schmeckt der Wein?
Auf Facebook hatte ich ein kleines Video gedreht, einen Boomer-Monolog, bei dem ich den wunderbaren Shoegaze-Song der Band Lush als passende Begleitung zu diesem Wein vorschlug. Warum? Weil es sich bei der Bulle de Michèle um eine Art mellow Schäumer handeln würde, der wie der Song selbst ein bisschen wabert, aber dann doch ungewöhnliche Harmonien vorschlägt.
Also flugs die Flasche aufgemacht. Der Sektkork lässt sich gut lösen, kein Knall und Ausschäumen, sondern ein zivilisiertes Pfft. Farblich geht es in Richtung Blutorange, leicht trüb, die Perlage ist angenehm. In der Nase nehme ich hinten Beerennoten wahr, vorn dafür eine gewisse flüchtige Säure. Jene bleibt dann auch im Mund präsent. Wer also ein Faible für eine Brooklyn-artige Funkiness hat, wird sich über diese Komponente freuen. Wer hingegen sehr empfindlich ist, sei hiermit auf das Phänomen hingewiesen.
Die ungewöhnliche Cuvetierung, der non-interventionistische Ansatz, der kräftige Stoff, die leichte Fruchtsüße (etwa 8 g), die vielfältig beerigen Noten – das sind in der Tat selten geschmeckte Harmonien. Ein bisschen fühle ich mich wie in tropischer Dizziness, zwischen dem Palmenschatten eines Paul Gauguin und dem Delirium eines Arthur Rimbaud. Dennoch kommt der Wein nicht matt daher, die knapp sechs Gramm Säure puffern Süße und Kraft gut ab.
Weil die Harmonien des Weins so ungewöhnlich daherkommen, bin ich zunächst überfragt, was ich denn zum Abendessen dazu reichen soll. Weil es gerade da ist, nehme ich einfach Roggenknäcke mit Hummus-Koriander-Aufstrich. Das hört sich absurd dissonant an, und auf eine seltsam natürliche Weise passt es dann sehr gut. Wer es traditioneller mag, dürfte aber sicherlich mit einem Munster nicht schlecht bedient sein.
Wo habe ich ihn gekauft?
Gekauft habe ich die Bulle de Michèle von Xavier Wymann bei meiner guten alten Nürnberger Adresse, dem Weinhandel Karl Kerler. Das ist vermutlich auch der einzige Ort hierzulande, an dem man die ganze Palette von Xavier Wymann bestellen kann. Es handelt sich um absolut individuelle Weine, die trotz des bewussten Non-Interventionismus komplett un-hipsterig sind. Fast hat es den Anschein, als würde das alles hier versehentlich passieren, und das bringt diesen sympathischen Anstrich mit hinein.
Sehr angenehm fände ich es ehrlich gesagt, mal wieder selbst im Elsass zu sein. Das letzte Mal war ich tatsächlich bei 35 Grad dort. Ganz so heiß möge es diesmal bitte nicht sein, aber ein bisschen Tapetenwechsel täte einem schon ganz gut…