“Wherever I lay my hat”, so sang Paul Young noch vor wenigen Jahren, “that’s my home”. Damit offenbarte er ein etwas anderes, sehr pragmatisches Heimatverständnis als das Borstentier auf dem Etikett des heutigen Weins. Jenes schlägt nämlich solche Begriffe vor wie Vertrauen, Tradition und Familie. Heimat ist tatsächlich eines der interessanteren Konzepte, das sich der soziale Mensch ausdenken konnte. Wobei es wahrscheinlicher ist, dass sich niemand ein solches Konzept ausgedacht hat. Vielmehr handelt es sich um eine grundsätzliche Frage, die uns allen die Stimme aus dem Off beizeiten stellt: “Sag, was ist deine Heimat? Wie sieht sie aus?” Die 2Naturkinder, um deren Wein es heute gehen soll, dürften sich mutmaßlich auch schon mit der Heimatfrage auseinander gesetzt haben. Und zwar einfach deshalb, weil sie nicht ihr ganzes Leben dort verbracht haben, wo sie jetzt sind.
2Naturkinder – Wilde Heimat Silvaner 2017
Melanie Drese und Michael Völker sind die 2Naturkinder, beheimatet (äh…) in Kitzingen am Main. Ihre Stationen seit ihrem Eintritt ins Erwachsenenalter lesen sich wie folgt: Heidelberg, Regensburg, New York, London – und eben Kitzingen. Die beiden haben geisteswissenschaftliche Studiengänge absolviert und bei einem Wissenschaftsverlag gearbeitet, bevor sie im Jahr 2013 Weltstadt gegen Wein tauschten und ein völlig neues Leben begannen. [Da fällt mir doch spontan der Verweis auf mein Projekt Neu auf dem Land ein, das wäre doch ein passendes Interview in der Reihe!] Michael stammte (heimatete) hier aus Kitzingen, aber das kleine Familienweingut zu übernehmen waren sie nur bereit, wenn sie ihrer inzwischen gewonnenen Liebe zu Vins Naturels frönen konnten. Also zog, ein bisschen heimlich durch die Hintertür, plötzlich die Naturweinbewegung in Franken ein. Zu dieser Zeit gab es tatsächlich nur eine Handvoll Winzerinnen und Winzer, die so etwas in Deutschland machte.
Der Wein, den ich heute probiere, ist im Grunde genommen ihr Spitzenprodukt. Er stammt aus einer steilen Keuper-Parzelle in Iphofen, die vorher von Stefan Vetter bewirtschaftet wurde. Die Silvanerreben sind gut 40 Jahre alt, das Ganze wird zertifiziert biologisch bewirtschaftet. Nach der Lese wurde ein Drittel der Trauben nach zwei Nächten auf der Maische abgepresst, während zwei Drittel noch fünf Tage länger Gerbstoffe ziehen konnten. Ausgebaut wurden die beiden Partien in 60 Jahre alten Fässern, bevor sie im Sommer 2019 zusammenkamen. Die Füllung fand allerdings erst jetzt im März 2020 statt, nach zweieinhalb Jahren des Werdens und Findens. 12 vol% hat der Silvaner aus dem Jahrgang 2017, analytisch gesehen 12 mg SO2 (kein Schwefel zugegeben) und praktisch keinen Restzucker.
Wie schmeckt der Wein?
Leicht trüb fließt der Wein ins Glas, farblich zwischen Gold und Apfelmost changierend. In der Nase spüre ich die typischen Anklänge eines ungeschwefelten Weißen, nämlich Apfelschale, dazu ein bisschen Ananas und etwas Trockenkräuter. Am Gaumen besitzt der Silvaner eine mittlere Säureanmutung. Trotz des für deutsche Weine mittlerweile geringen Alkoholgehalts ist er nicht mager, dafür aber konsequent trocken. Geschmacklich sind Bratapfel und Rauchigkeit vorn, ein kleines Feuerchen lodert im Hintergrund.
Spannend finde ich es, wie hier mit den Gerbstoffen gespielt wurde, denn man spürt sie zwar, aber auf eine angenehm dezente Art. “Wild” mag er heißen, dieser Naturel, aber grob ist er keineswegs. Es gibt keinerlei Stinker in der Nase, keine flüchtige Säure, kein ruppiges Tannin. Vielmehr fließt der Wein ruhig und für Naturel-Verhältnisse fast besinnlich daher. Zusammen mit der Aromatik ergibt das eine herbstliche Anmutung, eine trockene Wiese, Gräser in der Abendsonne. Dies ist ein handwerkliches Produkt, und zwar im ganz engen Sinne des Begriffes. So kann hochwertiger Frankenwein nämlich auch sein, und ich empfinde das als eine große Bereicherung.
Wo habe ich ihn gekauft?
Die Wilde Heimat der 2Naturkinder habe ich direkt vom Hof. Man kann ihn aber auch aus diversen anderen Quellen beziehen, die auf der Website des Weinguts aufgelistet sind. Preislich liegen wir hier bei 30 €. Auf dem Bild oben seht ihr zwar nicht exakt die Parzelle, aus der dieser Wein geholt wurde, aber eine ganz in der Nähe. Die Steilheit ist irgendwie spürbar und damit auch die Knochenarbeit, die hier zur Pflege der Weinstöcke verrichtet werden muss.
Aber wie war das nochmal mit der Heimat? Ich finde, gerade weil so ein Natural Wine anders bereitet wurde und anders schmeckt als das Gros der Weine dieser Region, regt er besonders stark dazu an, sich über seinen ganz persönlichen Heimatbegriff Gedanken zu machen.
Ist eure Heimat also ein ganz bestimmter Ort? Vielleicht einer, der zu einer bestimmten Zeit definiert wurde, zum Beispiel während eurer Kindheit? Und ist diese Heimat mit bestimmten gewohnten Geschmäckern und Gerüchen verbunden?
Oder ist es genau dieser idealisierte Stillstand, diese implizite Kitschigkeit, die den Begriff Heimat für euch problematisch macht? Hättet ihr lieber eine Heimat, die Diversität, Veränderung und andere Sichtweisen beinhaltet? Und die Existenz einer Parallelheimat? Falls ja, würde aber eine solche Heimat dann noch genügend Punkte auf dem emotionalen Barometer bekommen, oder wäre es “nur” ein Ort, an dem es sich gut leben lässt?
Besorgt euch also die Wilde Heimat, und los geht es mit den interessanten Gesprächen. Endlich mal wieder, möchte ich sagen, man macht das viel zu selten…
Sehr anregend, das muss ich probieren! Das Interview mit M. Völker in der aktuellen enos ist auch sehr interessant!!
Im SZ-Magazin stand 2019, dass 95% ihrer Weine in den Export gehen!! Ungewöhnlich, oder?
Viele Grüße
Ralph
Ja, das sind ohnehin interessante Leute. Was den Exportanteil anbelangt, okay, erst einmal sind die beiden frisch aus London gekommen, mit dem dortigen Background, mit einer ausschließlich auf Englisch gehaltenen Website. Denen war also von vornherein bewusst, dass die Weine, die sie machen wollen, nicht primär von Stammkunden aus dem Nachbardorf gekauft werden.
Ich glaube, wenn du neu mit Wein hier anfängst, ohne großes Kapital im Rücken, dann musst du ganz zwangsläufig in die Nische gehen. Und da ist die international aufgestellte Nische sicher größer und flexibler. Wer in Deutschland bereit ist, Geld für Wein auszugeben, dürfte ja (zumindest momentan noch) an einem eher konventionellen Geschmacksbild geschult sein. (Jetzt mal sehr pauschal ausgedrückt, und Ausnahmen bestätigen natürlich wie immer die Regel 😉 )
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