Sonnentau, Funkenflug, Feldgeflüster – Wem diese Begriffe im Zusammenhang mit Wein etwas sagen, hat garantiert schon etwas vom Weingut Alexander Gysler in Rheinhessen gehört. Das sind nämlich Weinnamen. Natürlich, Alexander Gysler könnte stattdessen auch einfach die Bezeichnung der Lage verwenden. Aber erstens hätten sich die Kunden sehr gut an die neuen Eigennamen gewöhnt. Und zweitens ist ehrlich gesagt in der rheinhessischen Landschaft mit ihren mehreren hundert Lagennamen ein Kapellenberg oder ein Kirchenstück nichts wirklich Spezielles. Ich hatte die hier präsentierte Sonnentau-Scheurebe bereits bei der letzten Ausgabe des Boomer-Talks probiert. Als Anti-Boomerism sozusagen, weil wir Boomer ja keine Neuzüchtungen mögen, geplagt von Erinnerungen an Tante Ernas milde Huxelrebe. Genau deshalb hilft aber ein Wein wie dieser, manches Vorurteil zu überwinden.
Scheurebe Sonnentau 2018 von Alexander Gysler
Das Weingut von Alexander Gysler befindet sich in Weinheim, ein paar Kilometer entfernt von der rheinhessischen Metropole Alzey. Im Jahr 1999 hat er den Betrieb übernommen, relativ schnell auf Bioanbau umgestellt, und seit 2008 ist er Mitglied bei Demeter. Gehört hatte ich von den Weinen bereits in meiner Kölner Zeit, mittlerweile auch schon zehn Jahre her. Aber obwohl ich eigentlich schon lange ein Faible für Bio- und Biodyn-Weine besitze, hatte ich nie groß über die Gysler-Weine berichtet. Warum könnte das so sein, fragt man sich doch da unwillkürlich? Vielleicht liegt es an einer vermeintlichen Schwäche, die gleichzeitig aber eine Stärke ist: Weder die Weine noch das Weingut sind große Poser.
Anders als bei manch anderem rheinhessischen Weingut hat man sich hier offenbar nie von der Idee angezogen gefühlt, in Richtung VDP, Großes Gewächs, höhere Preise, höhere Aufmerksamkeit und Kritikerruhm zu gehen. Alle Rebsortenweine gibt es für einen einstelligen Eurobetrag, und das ist in Anbetracht der Qualitätsphilosophie des Weinguts mehr als anständig. Vorspringende Primärfrucht, kaschierendes Holz und üppige Fülle sucht man hier vergebens. Das sind leise Weine im besten Sinne, ideal geeignet als Speisenbegleiter und vermutlich gestützt von einer treuen Anhängerschaft, deren Lebensentwurf das marktschreierische Gewese ebenfalls nicht beinhaltet.
Scheurebe ist natürlich noch einmal ein spezieller Fall. Gezüchtet von Georg Scheu im Jahr 1916 als Kreuzung aus Riesling und Bukettrebe, ist die Rebsorte in Österreich auch unter dem schicken Pseudonym Sämling 88 bekannt. Für mich, wenn ich das mal so despektierlich sagen darf, war Scheurebe eigentlich immer nur die weniger unangenehme Version eines Sauvignon Blanc. Genauso wenig Charakter, aber wenigstens nicht ganz so aufdringlich in den Aromen. Ihr seht schon, echt objektive Fachbemerkungen.
Wie schmeckt der Wein?
Mit einem zarten schrrrp des Schraubverschlusses öffne ich die Flasche. Ins Glas fließt ein sehr helles Getränk, das ein paar minikleine Bläschen bildet. In der Nase gibt es eine leicht reduktive Mineralität, wie erwartet wenig Primärfrucht, aber nichts Abweisendes. Ich rieche Limette, grüne Pflaume, die erwartete weiße (ja!) Johannisbeere, und das Ganze ehrlich gesagt erfreulich elegant und fein.
Am Gaumen ist der Wein nicht zu hoch in der Säure, aber vollkommen trocken. Ich schmecke sowohl frische Früchte wie Limette, rosa Grapefruit und grüne Aprikose, aber auch viele pflanzliche Noten. Alles erscheint extrem frühlingshaft, das erste frische Grün, Kresse, Kerbel, grüner Spargel. Keine Jahreszeit ist für diesen Wein besser geeignet als genau diese. An den heißen und trockenen Sommer 2018 erinnert fast gar nichts. Vielmehr fühle ich eine gewisse Verwandtschaft zu den früh geernteten und nordisch anmutenden Frankenweinen von Stefan Vetter. Bei uns gibt es einen ebenfalls leicht säuerlichen Wildkräutersalat dazu, und das passt hervorragend.
Wo habe ich ihn gekauft?
Auf dem Bild oben seht ihr nicht etwa Alexander Gysler, sondern Sebastian Oberhausen, der beim Weingut alles managt, was mit dem Thema Verkauf zu tun hat. Hier sind wir gerade bei der 2018er Ausgabe der 501Biodyn, der smarten Biodynamik-Weinmesse in München. Auch schon wieder zwei Jahre her, puh. Aber Sebastian und die Gysler-Weine habe ich auch jetzt im Januar bei der Millésime Bio in Montpellier wiedergetroffen, der letzten richtig großen Weinmesse, die noch über die Bühne gegangen ist.
Beide Male war ich von der Kollektion wirklich angetan. Die Schaumweine sind schön knackig, die Rebsortenweine alle straight und damit Top-Gastro-Produkte, und oben gibt es mittlerweile mit dem Riesling aus dem Mandelberg ein ausgesprochen interessantes Exemplar, über das man hoffentlich noch viel lesen wird. Bestellen kann man die Weine in diesen Zeiten am besten direkt beim Online-Shop des Weinguts.
Ich bin froh, dass diese Scheurebe den Weg nach Nürnberg gefunden hat. Denn erstens ist die Qualität wirklich überzeugend. Aber zweitens, und das gehört ziemlich essentiell zum Weingenuss dazu, handelt es sich um einen echten Trinkwein für viele Gelegenheiten. Da irgendwie im Leben der Alltag häufiger als der Feiertag ist, sollte man die Bedeutung derartiger Weine nicht unterschätzen…