Da ist sie plötzlich angebrochen, die neue Zeit der Häuslichkeit. Wer immer schon geselliges Beisammensein als etwas Lästiges empfunden hat und Wein bevorzugt in den heimischen vier Wänden genießt, für den hat sich zumindest in der Hinsicht eigentlich gar nichts geändert. Willkommen also, liebe Stubenhocker, zu einer neuen Folge des Natürlichen Dienstags. Diesmal musste ich tief hinabsteigen in die Katakomben meines Kellers, um einen Wein herauszuholen, von dem viele Leute sagen würden, dass er das längere Lagern doch gar nicht lohne. Ein einfacher Pinot Noir aus Baden, Jahrgang 2010, der in seiner aktuellen Version gerade einmal 12,90 € kostet. Aber, und das ist ein großes Aber, ein ABER sozusagen: Dieser Wein stammt von Enderle & Moll, den badischen Wizards und beinahe Weltstars. Sie gehörten vor gut zehn Jahren zu den ersten Jungen hierzulande, die anfingen, den Wein im Keller komplett in Ruhe zu lassen.
Pinot Noir 2010 von Enderle & Moll
Sven Enderle und Florian Moll lernten sich während ihrer Winzerlehre am Kaiserstuhl kennen, die sie allerdings in unterschiedlichen Betrieben absolvierten. Danach blieb Sven im Badischen und leitete den Außenbetrieb eines Bio-Weinguts, während Florian im Keller eines Betriebs in der Provence tätig war. Unabhängig voneinander kamen sie auf diese Weise mit der Biodynamik in Kontakt und beschlossen nach einem Jahr Vorlaufzeit ein eigenes kleines Weingut zu gründen, um ihr frisch erworbenes Wissen anzuwenden. Peu à peu und eher nebenberuflich, denn 0,3 ha in der Lage Münchweier Kirchhalden, das war erst einmal alles. Heute besitzen die beiden 2,5 ha eigener Lagen. Zusätzlich verarbeiten sie von einem weiteren Hektar die Trauben eines “befreundeten Bio-Winzers” (wie es so schön geheimniswahrend heißt). Von hier stammt der 2010er Pinot Noir.
Ich kann mich noch daran erinnern – ich war zu der Zeit in Berlin -, dass es schon kurz nach der Abfüllung des ersten Enderle & Moll-Jahrgangs 2007 Gerüchte gab. Gerüchte darüber, dass da in Baden etwas ganz Neues passierte. Quereinsteiger, Andersmacher, aufgeschlossene Leute sollten das sein, die Pinot Noir etwas wilder machten, als das bislang in good old Germany so der Fall war. Vielleicht ist Baden mit seiner weit verbreiteten Genossenschaftsstruktur ja ein gutes Pflaster dafür, ein zwei drei Parzellchen auch einmal an einstmals weinfremde Selfmade-Menschen abgeben zu können. Jacob Duijn fing damit schon in den 1990ern an, kurz darauf Henrik Möbitz, später dann Enderle & Moll. Und heute gibt es noch eine weitere Handvoll Mini-Winzer mit Maxi-Qualitäten.
Für unsere beiden Protagonisten war dabei von Anfang an klar: keine Kompromisse. Die Weine sind nicht geschönt, nicht filtriert, nicht gepumpt und werden während der Lagerzeit in gebrauchten Barriques auch nie umgezogen.
Wie schmeckt der Wein?
Als ich den Pinot Noir von Enderle & Moll aus dem Keller hole, fällt mir schon fast das Etikett entgegen. Ich muss ein bisschen schmunzeln, denn konsequente Natürlichkeit bedeutet zwangsläufig auch Vergänglichkeit. Und warum sollte das auf das Papperl nicht zutreffen? Ins Glas fließt ebenfalls etwas, das ich in französischer Laune als fané, verblüht, bezeichnen möchte. Ganz hellfarbig ist der Pinot und zusätzlich an den Rändern schon leicht orange geworden. Ich rieche Erdbeere, Hagebutte, aber auch Estragon, viel küchenkräuterige Noten. Alles ist sehr duftig und luftig gehalten. Am Gaumen setzen sich diese Eindrücke fort. Die Säure steht weiter gut, aber überraschenderweise gibt es als Gegengewicht durchaus Viskosität. Aha, 13 vol%, das ist auch nicht mager. Trotzdem empfinde ich den Trunk als leicht, und das liegt primär an den Aromen. Erdbeere weiterhin, Preiselbeere, ein bisschen Pfeffer, die getrockneten Kräuter.
Irgendwie, auch wenn das absurd erscheinen mag, erinnert mich der Wein ein bisschen an den Château des Tours von der Südrhône, Emmanuel Reynauds kleinen Rayas. Zwar gibt es in Südfrankreich mehr Kraft im Glas und weniger Säure, aber auch der Tours hat diese sehr hellfarbige hagebuttig-erdbeerige Note, dieses Gefühl, schon lange da zu sein und trotzdem noch lange zu bleiben. Mein Pinot Noir ist mürb, aber keinesfalls verblüht. Er besitzt eine Feinheit und einen Trinkfluss, wie ich das in dieser Kombination wirklich nur selten gespürt habe. Würde ich dafür Punkte vergeben müssen, wäre ich ziemlich aufgeschmissen. Wenig Punkte für Wuchtbeeindruckung, aber alle für Sympathie, Charakter, Freude am Weintrinken. Das macht dann doch 20 insgesamt, logisch.
Wo habe ich ihn gekauft?
Gekauft habe ich den Basis-Pinot von Enderle & Moll an einem unwahrscheinlichen Ort. Oder auch nicht so ganz unwahrscheinlich. Zu der Zeit gab es nämlich (wenn ich mich recht erinnere) einen wirklich aufgeschlossenen Weineinkäufer bei Mövenpick, der immer mal interessante Sachen an Land gezogen hat. Wie diesen Wein zum Beispiel. Mittlerweile gibt es die E&M-Weine, wenngleich in kleinen Mengen, bei einer ganzen Reihe von Weinhändlern. Auf der Enderle & Moll-Website sind sie aufgelistet.
Das Foto oben von Sven Enderle hat übrigens auch schon ein ganz bisschen Patina. Ich hatte es beim Weinsalon Natürel 2016 gemacht, der in diesem Jahr ja leider nicht stattfinden konnte. Insofern möchte ich diesen Artikel über einen sympathischen Wein mit einem Aufruf schließen: Kauft der guten Surk-ki als Weinsalon-Organisatorin das Lager leer und unterstützt sie dadurch ein bisschen. Wir wollen nämlich alle, dass diese großartige Veranstaltung immer immer immer weitergeht.