Robert Parker schrieb vor über zehn Jahren über Jean-Marc Roulot (als er noch schrieb) (und ich zitiere ihn wahrhaftig nicht oft): “Roulot crafts the most elegant, transparent, intricate, and refined Meursaults.” Intricate, ich musste gerade selbst nachschauen, wird erklärt als “having a lot of small parts that are arranged in a complicated or delicate way”. Das ist doch irgendwie schön. Viele kleine Elemente, die sich zu einem feinsinnigen Ganzen zusammensetzen. Deshalb ist die Domaine Roulot wahrscheinlich auch so berühmt geworden, bis hin zu einem Punkt, an dem es ziemlich schwierig wird, an die Weine heranzukommen. Aber irgendwie muss ich es geschafft haben, wenngleich mit leicht mitgenommenem Etikett.
Jean-Marc Roulot Bourgogne Blanc 2011
Die Karriere von Jean-Marc Roulot startete nicht unbedingt wie geplant. Im Jahr 1982 starb sein Vater Guy ganz plötzlich, ein bereits hoch anerkannter Burgundwinzer. Jean-Marc war damals 26 und machte gerade seine Schauspielausbildung in Paris. Er zögerte. Wieder aufs Dorf? Wein machen statt Künstler werden? Sieben Jahre vergingen, in denen das Weingut interimsmäßig geführt wurde. Dann, die ersten vier Filme waren abgedreht, unter anderem unter Gérard Depardieu und Claude Chabrol als Regisseure, war Jean-Marc bereit für das Doppelleben. Winzer in Meursault und Schauspieler. Mittlerweile hat er über 50 Film- und Fernsehrollen auf dem Buckel, gleichzeitig aber auch eine Winzerkarriere der kompromissloseren Art. Das Weingut wurde im Jahr 1998 auf biologische Bewirtschaftung umgestellt, seit Anfang der 2000er Jahre werden biodynamische Prinzipien angewendet.
Die Weine von Jean-Marc Roulot eckten zu Anfang an. Meursault ist im Allgemeinen (und jedes Lehrbuch verrät das) der reifste, gelbste Typus der großen weißen Burgunder. Oft mit ordentlich Alkohol und Neuholz ausgestattet, gelten die Weine aus Meursault als würzig-intensiv. Die Roulot-Weine hingegen sind “transparent” (sagt Parker), “kristallin” (sagen Bettane & Desseauve) oder “auf der Rasierklinge balancierend” (sagt die RVF). Kermit Lynch, der große U.S.-amerikanische Weinimporteur drückt sich noch höflicher aus. “Wenn kalifornische Chardonnays Ihr Referenzpunkt sind, könnte es möglich sein, dass Sie die Weine ein wenig streng finden. Tropische Früchte und geschmolzene Butter befinden sich hier nicht auf dem Menü.”
Mein erster Roulot heute, ich war gespannt.
Wie schmeckt der Wein?
Vielleicht sollte ich erst einmal sagen, welchen Wein ich hier ausgesucht habe. Die Domaine Roulot besitzt 15,5 ha Rebland, aufgesplittert in 44 Parzellen. Wer sich einen Überblick über die Weine und die Parzellen verschaffen will, auf der Website von Kermit Lynch kann man sich eine wundervolle Karte als pdf herunterladen. Der “einfache” Burgunder, den ich euch heute vorstellen möchte, stammt aus mehreren Parzellen im flachen Bereich unterhalb von Meursault. Ansonsten ist alles wie üblich bei Jean-Marc: Bioanbau, manuelle Ernte, Sortiertisch, Spontangärung im alten Holzfass, anschließend Ausbau auf der Hefe im Barrique und im Stahltank, ungeschönt und unfiltriert abgefüllt. Wie praktisch bei allen Burgundern wurde auch beim Roulot-Bourgogne der biologische Säureabbau zugelassen.
Ich entkorke die Flasche und ziehe einen Diam 10 heraus – shocking! Ins Glas fließt ein heller Saft, weit weg von den gelben Meursaults, die ich bislang so kannte. In der Nase ist der Wein ziemlich zurückhaltend. Ganz leicht Haselnuss vom Holz, etwas Klarapfel, Limette und Lindenblüten, aber insgesamt wenig Primärfrucht. Alterungsnoten sind überhaupt keine vorhanden, ebenso nichts Laktisches, Tropisches, Karamelliges. Am Gaumen merke ich erst einmal, dass ich es mit einem höchstens mittelgewichtigen Vertreter zu tun habe. 12,5 vol%, ziemlich straff, aber keinesfalls unreif. Zitronenzeste kommt, weiterhin Klarapfel, Lindenblüte, Angelika, frische Mandel. Alles ist extrem reintönig, hochelegant. Ich finde, diesen Wein sollte man am besten zu zweit zu einem guten Essen genießen, das ist nichts für Wettbewerbe und Punktegier. Mit zunehmender Wärme kommt mehr Würze in den Wein, mehr Mandel als Limette. Abweisend finde ich den Roulot nicht, aber meine Benchmark ist eben auch nicht kalifornischer Chardonnay der 1990er.
Wo habe ich ihn gekauft?
La Grande Epicerie de Paris, das ist die Feinkost-Abteilung des Luxuskaufhauses Bon Marché in Paris. Gehört zwar auch zu LVMH, ist aber rive gauche, und damit traditionell eher bürgerlich-intellektuell und von ausländischen Touristen weitaus weniger frequentiert als die blitzigeren Galeries Lafayette. Trotzdem sind wir hier natürlich weit entfernt von einer kleinen verwinkelten Weinbude, in der ein sympathischer Caviste seine Geheimtipps unter die Stammgäste bringt. Im letzten Dezember war ich wieder dort und habe diese Fotos gemacht, den Wein hatte ich aber natürlich schon vor einigen Jahren erstanden. Ich hatte dabei die letzte Flasche in einer Ecke gefunden, das Etikett leicht verschrammelt, der Preis mit 25 € natürlich nicht günstig für einen Burgunder, aber für einen Roulot schon.
Wer in Berlin lebt (oder sich mit den Inhabern gut versteht), kann die Roulot-Weine, auch bis hoch hinauf in die Grand Cru-Abteilung, bei Sébastien Visentin oder in der Vinothèque du Sommelier erwerben. Es gibt aber sicher auch noch andere Quellen.
Für mich war mein erster Roulot-Wein jedenfalls ein echtes Vergnügen. Wir hatten ihn zu meinem Geburtstag aufgemacht, und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er gut zu einem solchen Symboltag passt. Es gibt so viel Gebläge hierzulande online und offline, so viele Grobheiten, und das in einer Zeit, in der es ganz objektiv betrachtet den Menschen durchaus besser geht als noch vor wenigen Jahrzehnten. Da ist so ein Wein doch genau das Richtige. Ein Wein, der dezent und feinsinnig daherkommt, aber dennoch fest und klar steht.