Ich bin mir nicht sicher, ob ihr wisst, was ich nicht wusste. Dass die Stadt Bologna nämlich der Ursprungsort für ziemlich viele Speisen ist, die wir heute als typisch italienisch bezeichnen würden. Die Bolognese-Sauce kommt von hier, die Mortadella, auch die Lasagne, wie wir sie heute kennen, der Parmesan-Käse und der Lambrusco ganz aus der Nähe. Und die Tortellini. Die Bologneser sind nicht nur sehr stolz auf deren Erfindung, es gibt vermutlich auch keinen besseren Ort als Bologna, um gute Tortellini zu essen. Etliche Restaurants, darunter auch viele einfache Trattorien, bieten handgemachte Tortellini auf ihren Karten an. Und in den wichtigen Spezialitätenläden der Stadt wie hier bei Paolo Atti kann man sich die Frischware immer lose einpacken lassen.
Was sind überhaupt Tortellini?
Tortellini sind im Prinzip eine einfache Sache. Es handelt sich um eine (wie ihr noch erfahren werdet) bauchnabelförmige Pasta mit Füllung. Diese Füllung besteht traditionell aus einem Mix aus Schweinelende, rohem Schinken, Mortadella, Parmesan-Käse, Ei und Muskatnuss. Nicht ganz so einfach ist es allerdings, bei diesen doch ziemlich kleinen Teigtaschen (nur 2 g Füllung kommen hinein) auch die korrekte Formung hinzubekommen. Die mühevolle Handarbeit ist auch verantwortlich dafür, dass es Tortellini zwar inzwischen überall auf der Welt gibt, die handgeformte Version jedoch vergleichsweise selten. Außer in Bologna, denn hier habe ich in dieser Woche mindestens 20 Läden und Restaurants gesehen, die sich diese Arbeit nicht nehmen lassen.
Wie immer bei berühmten Speisen, die den Weg hinaus gefunden haben, ist man sich über die Entstehungsgeschichte nicht so ganz einig. Sowohl in Bologna als auch im 40 km westlich gelegenen Modena soll es zu der großen Tortellini-Erfindung gekommen sein. Anders als bei den meisten großen Konflikten der Weltpolitik hat man sich hier allerdings auf einen Kompromiss geeinigt, und den auch noch in eine Legende eingeflochten. Bella Italia! Jetzt ist es offiziell so, dass die Tortellini in Castelfranco Emilia erfunden wurden, einem Städtchen direkt in der Mitte zwischen den beiden Metropolen. Und “erfunden” stimmt auch nicht wirklich, sondern erschaffen. Der Legende nach übernachtete einst Venus in einem Gasthaus in, nun ja, Castelfranco Emilia. Der Gastwirt, bestürzt ob ihrer Schönheit, lugte abends heimlich durchs Schlüsselloch in ihr Gemach hinein. Was er dort sah, war der Bauchnabel der Venus. Und nach diesem Modell gestaltete er seit dem nächsten Tag seine Pasta.
Wo kann man sie in Bologna essen?
Ich muss zugeben, dass ich in dem Irrglauben aufgewachsen war, Tortellini müsste man in einer Art Sahnesauce reichen. Das macht kein Mensch hier in Bologna. Stattdessen gibt es eine einzige vernünftige Version, und die heißt “Tortellini in brodo”. In Brühe also. Wenn man ganz streng traditionell vorgehen möchte, müsste dass Kapaun-Brühe sein. Heutzutage ist das aber meist die Brühe, die beim Kochen der anderen Fleischgerichte der Trattoria entsteht. Dieses Gericht ist übrigens in aller Regel der erste “richtige” Gang des Menüs. Antipasti, Primi, Secondi, Dolce, Caffè, in dieser Reihenfolge also die Nummer Zwei.
“Tortellini in brodo” kann man wie schon gesagt in einer ganzen Reihe von Lokalen in Bologna essen, in der Regel handgeknetet und preislich zwischen acht und zehn Euro angesiedelt. Oben auf dem Foto seht ihr die schöne Terrine der Trattoria La Montanara. Im studentisch-roughen Ambiente der Osteria dell’Orsa funktioniert das auch sehr gut. Die beste Version (fand ich zumindest) gab es allerdings im Ristorante Da Bertino. Das könnte auch damit zusammenhängen, dass es sich bei Bertino um ein explizites Fleischrestaurant handelt, das auf Metzgereiwaren besonders viel Wert legt. Tortellini sind – das habt ihr bis hierhin natürlich mitbekommen – nichts für Vegetarier. Jene sollten sich lieber an Tortelloni versuchen, der etwas größervolumigen Variante, die meist mit Ricotta und Spinat gefüllt sind.
Und was geht noch?
Nicht verschweigen möchte ich zum Abschluss, dass Tortellini selbst in Bologna auch in mittelkorrekter Form zu haben sind. Wie gesagt, Sahnesauce geht gar nicht, und Fleischsauce wäre doppelt gemoppelt. Aber gebraten oder vielmehr frittiert, das ist möglich. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Interpretation dadurch zustande gekommen ist, dass man die ursprünglichen Tortellini zu lang an der frischen Luft hat stehen lassen, bis der Teig nicht mehr geschmeidig genug war für eine anständige Brodo-Version. Möglich ist es aber. Jedenfalls gibt es “Tortellini fritti” auch in einer Reihe von Lokalen, gern aber als Beilage. Hier auf dem Foto seht ihr den modern style, nämlich frittiert und als Beilage zu einem Rührei-Burger. Ort der Handlung: das Eierrestaurant “Locanda dell’Uovo” in der FICO Eataly World. Das ist draußen vor den Toren der Stadt nahe dem Messegelände und eigentlich keinen eigenen Besuch wert. Aber bei Bologna als bedeutender Messestadt soll es ja vorkommen, dass es einen auch beruflich hierhin verschlägt.
Wie dem auch sei: Wer in Bologna ist, muss Tortellini in brodo zu sich nehmen. Basta. Und wer sich die frische Pasta mit nach Deutschland nehmen will, sollte beim Transport vielleicht die Angaben beherzigen, die bei Atti im Schaufenster stehen. Bei 7-12°C 24 Stunden haltbar, bei 20-24°C zwölf Stunden. Wer länger oder wärmer reist, sollte auf eine Mitnahme verzichten und muss dann einfach wiederkommen. Kann man aber als singulären Reisegrund gelten lassen.
Wie man ahnen kann, haben diese handgemachten Tortellini aber auch gar nichts gemein mit der traurigen Tütenware in deutschen Supermärkten. Was man aber auch erwähnen sollte: Qualität hat ihren Preis. Ein Kilo Spitzenware geht schon mal für 36 bis 38 Euro über den Verkaufstresen.
Tortellini, Mortadella und Lambrusco sind in Bologna allgegenwertig. Wer nach genussvoller Abwechslung sucht, dem seien zwei Adressen empfohlen: „Banco 32“ (www.banco32.it), direkt am Markt, ein sensationelles Fisch-Restaurant mit täglich wechselnder Karte und absolut bodenständigen Preisen – und die alte Weinhöhle „Osteria del Sole“ (www.osteriadelsole.it). Einfache Weine, aber großes Kino.
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