Eine Gleichung mit zwei Unbekannten in der Überschrift. Wer ist bitteschön Brendan Tracey? Und was soll Romorantin sein, ein Fantasiename etwa? Da wir gerade bei Fragesätzen sind, wieso sieht das Foto so anders aus als normalerweise beim Natürlichen Dienstag? Ach, noch was, kann man so einen über 20 Jahre alten Wein frisch im Kaufladen erwerben? Die Antworten auf die vier Fragen lauten: ein Punkrocker turned Winzer, eine Rebsorte, in Paris aufgenommen und Ja. In Kombination ergeben sie einen der interessanteren Weine, die ich in den letzten Jahren erworben habe.
Brendan Tracey Romorantin – Loire extrem
Brendan Tracey hat eine Geschichte. Geboren in New Jersey und aufgewachsen in San Francisco, ging Brendan im Alter von 15 Jahren nach Frankreich, ursprünglich um sein Französisch aufzubessern. Seine Mutter war Französin, und Brendan konnte in Blois bei seiner Tante unterkommen. Sechs Jahre blieb er letztlich dort und legte nur eine dreijährige Frankreich-Pause ein, um in Kalifornien als Hardcore-Punksänger zu agieren. Wieder zurück an der Loire, heiratete er seine Schulfreundin. Das war 1980. Die nächsten Jahre verbrachte Brendan als Radio-DJ eines unabhängigen Radiosenders und später als Programmdirektor und Nachrichtensprecher. Immer noch nichts mit Wein. Dann lernte er aber über seinen Freund Pascal Simonetti immer mehr Weinleute kennen, setzte sich noch einmal auf die (Wein)Schulbank, arbeitete bei Thierry Puzelat und gründete 2010 sein eigenes Unternehmen.
Seitdem ist Brendan Tracey eine der wichtigen Figuren der Naturwein-Bewegung an der Loire. Seine Weine sind unfiltriert, ungeschwefelt, häufig funky und haben eine große Anhängerschaft. Dieser Romorantin wurde allerdings weit vor Brendans eigentlichem Weinleben geerntet. Des Rätsels Lösung dürfte entweder Puzelat oder eine langjährige Zusammenarbeit mit Philippe Tessier sein, dem vermutlich besten Romorantin-Winzer der Welt. Und ein extrem langer Ausbau, wobei ich leider nicht weiß, wie viele Jahre genau der Wein vor der Flaschenfüllung zugebracht hat.
Romorantin als Rebsorte ist extrem selten und kommt eigentlich nur an der mittleren Loire vor, repräsentiert durch die AOP Cour-Cheverny. Um ihre Herkunft ranken sich einige Legenden, aber klar ist, dass es sich bei Romorantin um eine natürliche Kreuzung zwischen Gouais (Heunisch) und Pinot fin teinturier handelt, letzterer wiederum eine Mutation des Pinot Noir. Romorantin ist für seine heftige Säure und seine Neigung zur Oxidation bekannt. Andererseits hatte ich von Tessier schon einmal ein fantastisches Exemplar getrunken.
Wie schmeckt der Wein?
Goldgelb im Glas, in der Nase nussige Noten, gelber Apfel, kandierte Zitronenschale, ganz klar oxidativ, aber nicht braun. Im Mund eine deutlich präsente Säure, aber auch eine vollkommen trockene Materie. Den Verkäufer im Laden erinnerte er an einen gereiften Riesling, aber ich finde, das trifft nur bedingt zu. Also dann, wenn ich mit “gereifter Riesling” einen Lagenwein von Mathieu Kauffmann und Richard Grosche in 15 Jahren meine. Aromatisch ist da weiter gelber Apfel, jetzt auch mehr Orange und Orangenschale, viel Pikanz. Das oxidative Element liefert nur einen Hauch ohne jegliche Brauntöne am Gaumen. Mit Luft öffnet sich der Wein, wird etwas flächiger, aber die herbstliche Stimmung bleibt. Bei diesen Rahmenbedingungen ist der Wein natürlich völlig sauber, da ist nichts Flüchtiges oder Mäuselndes. Ehrlich gesagt gefällt mir der Romorantin sehr gut. Aber ich muss zugeben, dass ich auch vor straighten und pikanten Weinen keine Angst habe.
Wo habe ich ihn gekauft?
Gekauft habe ich den Wein am Sonntag im Cave des Papilles in Paris. Über die Rue Daguerre, in der jene ausgesuchte Weinhandlung liegt, hatte ich schon einmal gesondert geschrieben. Der Besuch lohnt sich wirklich. Wer so bald nicht nach Paris kommt und sehr schnell ist, kann den 1998er Romorantin von Brendan Tracey auch bei Jaja in Berlin kaufen. Er kostet dort 29 €, was doch durchaus angemessen ist für einen derart gut abgelagerten Wein – aber es gibt nur noch zwei Flaschen… Die Weinhandlung in Paris habe ich übrigens zu Fuß erreicht, und das lag am Streik.
Streik in Paris
Eigentlich wollte ich nämlich gar nicht zu einem Weinladen gehen, sondern eine interessante Weinmesse besuchen, wie sie in dieser Form fast nur in Frankreich denkbar ist. 30 unabhängige Verleger/innen und 30 Bio- und Naturel-Winzer/innen sind nämlich zusammengekommen zur allerersten Ausgabe der Mi-Livre Mi-Raisin. Das Plakat könnt ihr oben sehen und euch auch die Fotos auf Instagram anschauen. So wie ich. Die Messe fand nämlich in Belleville statt, im Nordosten der Stadt, während ich im Süden weilte. Keine U-Bahn fuhr, ebenso wenig wie passende Busse. Und auf ewige Fußmärsche, die ich in den vergangenen Tagen ohnehin schon zu Genüge absolviert habe, hatte ich ehrlich gesagt keine Lust mehr. Es ist nämlich so mit diesem Streik…
Nur um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich halte Demonstrationen und Streiks für absolut legitime Mittel in einer funktionierenden Demokratie, als Korrekturhilfen für schräge Entscheidungen von Regierenden. Aber wenn ich abends am Gare du Nord ankomme und 1.000 verzweifelte Menschen sehe, die ihren Bus nach Hause in die Banlieues bekommen wollen. Wenn das alles weniger bevorzugte Leute sind, Verkäuferinnen in Parfümerien, Kassierer im Supermarkt, kleinselbständige Putzkräfte, die gesamte Gastrobranche. Alles Leute, die kein Auto haben, sich kein Taxi leisten können und die dringend auf das zusätzliche Geld im Weihnachtsgeschäft angewiesen sind. Dann frage ich mich schon, ob für solche Leute vielleicht gar nicht mitgestreikt wird…
Leider befürchte ich, um noch einmal auf die Mi-Livre Mi-Raisin zurückzukommen, dass es vielen potenziellen Besucher/innen ähnlich ging wie mir. Damit hatte die Messe vermutlich wesentlich weniger Zuspruch, als es die bestimmt sympathischen und auch ökonomisch nicht besonders privilegierten Buch- und Weinmenschen verdient gehabt hätten. Schade, aber vielleicht gibt es ja noch ein zweites Mal.
Hallo Matthias,
schöne Story, danke! Das weiß ich wieder, was ich im Leben alles verpasst habe. PUNCH 😉
Sachfrage: Was genau meinst im Zusammenhang mit Wein mit “funky”?
Und was ist denn nun mit Phillippe Tessier? Gibt es das Gut noch?
Und wenn nein, wo bekommt man eventuell noch Romorantin von ihm? Tipp?
Schönen Gruß
Thomas
“Funky” ist so ein Begriff, der in der Naturwein-Szene herumgeistert. Eine Legaldefinition gibt es da natürlich nicht 😉 . Ich würde sagen, er beschreibt, wie weit ein Wein von “technisch” gemachten konventionellen Weinen geschmacklich entfernt ist. Der Funkiness-Faktor sozusagen. Ein bisschen funky wäre dann also vielleicht ein leichtes Bizzeln durch die Gärkohlensäure, ein Wein mit deutlicher Trübung etc. Heftig funky wäre dann ein Wein, den konventionelle Weintrinker als fehlerhaft bezeichnen würden, Gärstinker, gewisse flüchtige Säure. Ab welchem Punkt man solche Weine persönlich nicht mehr trinken mag, bleibt jedem selbst überlassen. Für mich ist es so: Wenn es bis zu drei Funkiness-Sternen gibt, sind meine Lieblinge bei einem oder zwei angesiedelt.
Was Philippe Tessier anbelangt: Ja, Weingut und Weine gibt es noch. Hier in Paris habe ich den kleinen Romorantin auch schon im Vorbeigehen gesehen. Auf der Website sind die Importeure aufgeführt: https://philippetessier.fr/ou-trouver-nos-vins
Viele Grüße!