[Anzeige / In Kooperation mit RAW WINE] München im Oktober. Gerade als es draußen zu tröpfeln beginnt, rette ich mich (wie üblich ohne Regenschirm unterwegs) in die Gemäuer der Weinbar Lump im Alten Hof. Dort hatte ich mich verabredet mit Isabelle Legeron, ihres Zeichens Master of Wine, Autorin des bekanntesten Buchs über Naturwein und Macherin der Naturweinmesse RAW WINE, die am 1. und 2. Dezember in Berlin stattfinden wird. Wir sehen uns zum ersten Mal, und obwohl Isabelle vom ganzen Touren ziemlich zerschlagen sein müsste, begrüßt sie mich freundlich und aufgeräumt in ihrem grauen Hoodie.
Über ihre Messe möchte ich natürlich mit Isabelle sprechen, aber – denn wann sitzt einem schon einmal eine so bekannte Weinfachfrau gegenüber – auch über sie selbst und über ihre persönliche Meinung zur Zukunft des Weins. Wir haben hier in Deutschland in den vergangenen drei Jahren die drei frühesten Weinernten der Geschichte hinter uns. Die beschleunigte Klimaänderung, der Glyphosateinsatz, das Bienensterben – all diese Themen sind in der öffentlichen Diskussion präsent wie nie. Wie geht man also im Weinbereich mit der Zukunftsfestigkeit um? Was machen die Winzerinnen und Winzer der RAW anders? Welche Weine gibt es zu probieren, und nach welchen Kriterien wählt Isabelle die Weingüter aus, die sich dort präsentieren?
Fragen über Fragen. Aber weil ich nicht den zweiten vor dem ersten Schritt gehen möchte, interessiert mich zunächst einmal, wie Isabelle überhaupt in die Weinszene gekommen ist.
Wie alles begann…
I: Also ehrlich gesagt bin ich da hineingeboren worden, ich konnte überhaupt nichts dafür. Naja, nicht direkt in die Weinszene natürlich. Aber ich stamme aus der Nähe der französischen Stadt Cognac. Meine Familie baute schon seit sechs oder sieben Generationen Wein an, aber nicht nur das. Wir hatten auch Schweine und Kühe und etwas Land, also die typische Subsistenz-Landwirtschaft, wie das in vielen ländlichen Gebieten früher üblich war.
M: Genau wie bei uns. Meine Großeltern haben das auch alles gemacht. Und hast du dann schon früh mitgeholfen?
I: Ja, klar! Ich habe bei der Ernte mitgeholfen, beim Gemüseanbau, habe Kräuter für den Tee gesammelt. In dieser Hinsicht ist das also eine ziemlich idyllische Kindheit gewesen. Aber als Teenager, man kennt das ja, war ich nicht wirklich davon überzeugt, so etwas mein Leben lang weitermachen zu wollen. Irgendwie hatte ich genug von diesem Weinberg. Ich wollte raus, die Welt sehen!
M: Und dann bis du sofort nach London gefahren?
I: Soo groß war die Welt für mich dann auch wieder nicht [beide lachen]. Nein, ich habe in Bordeaux angefangen zu studieren, Wirtschaft und Sprachen, Englisch und Spanisch. Dann bin ich zum Auslandstudium nach Manchester gegangen, später nach London und – tja – das war es an Abenteuerreisen eigentlich. Ich bin nämlich seit 24 Jahren in London, mehr oder weniger.
M: Du hattest also nichts mit Wein zu tun, als du in London ankamst?
I: Nein, gar nicht. Ich habe im Publishing gearbeitet und eine Menge verschiedener Jobs gemacht. Nach einer Weile habe ich aber gemerkt, dass Wein ein Thema ist, dass mir persönlich doch nahe steht. Also habe ich beschlossen, noch einmal zu studieren und dann schließlich den Master of Wine gemacht.
Master of Wine und Naturwein – geht das?
M: Der Master of Wine ist ja wahnsinnig aufwändig…
I: Ja, extrem. Das das war das Anstrengendste, was ich je gemacht habe. Wesentlich härter als die Uni.
M: Nützt dir das eigentlich mehr, den MW zu haben bei deiner Arbeit für die RAW, oder ist das eher hinderlich?
I: Oh, gerade zu Anfang war das unheimlich nützlich. Ich als Frau in einer männerbeherrschten Szene, und dann mochte ich auch noch Naturwein [beide lachen]. Nein, ich glaube, das war von der Außenwirkung her sehr wichtig, so einen Titel vorweisen zu können. Aber völlig unabhängig vom Master of Wine finde ich es ganz allgemein sehr wichtig, Basiswissen zu haben. Die ganzen Anbaugebiete zu kennen, alten Bordeaux zu probieren, jungen Bordeaux, alten Portwein, alten Burgunder, jungen Burgunder… Also einen globalen Überblick zu haben und einfach ein Verständnis dafür. Denn es wird schwierig, etwas ändern zu wollen, wenn du gar nicht weißt, was es überhaupt gibt.
M: Findest du eigentlich, dass die Naturwein-Bewegung etwas Rebellisches an sich hat?
I: Ja und nein. Es gibt einen rebellischen Anteil darin, eine Art counter culture. Da ist ein Element, dass Nein sagt zu exzessivem Spritzen im Weinberg, zu starker Manipulation im Keller. Das sagt, es reicht jetzt, wir brauchen etwas Neues. Aber, und das ist dann nicht rebellisch, die Naturwein-Bewegung richtet sich ja nicht gegen den Weinbau per se und erst recht nicht gegen Weinbauern. Es ist eher ein Zurückgehen zu den Wurzeln, also ziemlich auf einer Linie mit anderen Bewegungen auch. Käse wiederentdecken, Brot wiederentdecken, alte Fermentationstechniken – alles ist irgendwie Teil eines New Rural Movements.
M: Fühlst du dich auch als Teil des New Rural Movements?
I: Hm, als Londonerin eher mittelbar [beide lachen]. Nein, ganz ehrlich, ich würde gern auf einem Bauernhof leben, auch wieder selbst Wein anbauen. Im Moment ist das bei meinem Job ein bisschen schwierig, aber das wird ganz sicher kommen.
Junge Leute, Naturwein und die RAW
M: Der traditionelle Weinbereich ist ja eher etwas für, naja, ältere Semester. Den meisten Wein trinken die Deutschen beispielsweise in der Altersgruppe 65-75. Ist das beim Naturwein anders?
I: Ja, das ist anders. Naturwein ist der einzige Bereich der Weinindustrie, der wirklich wächst bei jungen Leuten. Wenn ich bei der RAW WINE auf die Statistiken schaue, wer folgt uns in den sozialen Medien, wer kommt zu unseren Messen, dann ist das Publikum viel jünger und viel weiblicher als bei „traditionellen“ Weinveranstaltungen. Die Hälfte von denen ist unter 35, ein Viertel sogar unter 25. Das ist wirklich ziemlich jung.
M: Warum könnte das so sein?
I: Ich glaube, die jungen Leute wollen etwas, das wirkliche Werte besitzt, das für etwas kämpft, das eine Ethik besitzt, das eine Geschichte erzählt. Das vielleicht auch eine andere Sicht auf die Zukunft bietet. Und diese Weine sind perfekt dafür, denn sie stehen für all das.
M: Andererseits sind Naturweine ja meist nicht gerade billig, und junge Leute haben in der Regel nicht so viel Geld. Siehst du da ein Problem?
I: Das stimmt, die Weine sind nicht billig, aber ich sehe die Herausforderung woanders. Es mag einige Leute schocken, aber ich denke, wir geben viel zu wenig Geld für Essen aus. Unsere Prioritäten sind eher, die richtigen Klamotten zu haben, die richtigen Utensilien, aber beim Essen geben wir uns meist mit mieser Qualität zufrieden. Das Budget, das wir dafür zur Verfügung stellen, ist im Vergleich viel niedriger als vor 50 Jahren. Und für fünf Euro, wie kannst du dafür ein gutes, handwerklich gemachtes Produkt erwarten? Vernünftig aufgewachsene Hühnchen für drei Euro? Das geht nicht. Ich denke also, Weinkonsumenten trinken nicht etwa zu wenig Wein, sondern zu viel – aber eben zu schlecht. Mir haben junge Leute gesagt, 15 € für einen Naturwein, das sei es ihnen wert, auch weil sie eben nicht jeden Tag Wein trinken.
Die Regeln der RAW
M: Wie wählst du eigentlich Weine und Winzer/innen für die RAW aus?
I: Erst einmal gibt es bestimmte Vorgaben im Sinne einer Charta. Also biologisch arbeiten, noch besser biodynamisch, und zwar das ganze Weingut, nicht nur bei einem Wein. Dann Handlese, Spontangärung, keine sterile Filtration, keine Additive außer Sulfiten… Die Obergrenze liegt bei 70 mg pro Liter.
M: Oh, so viel! Ich hatte gehört, du wärst da eine Hardlinerin…
I: Was denn, ich?! Wer hat dir denn das erzählt? [beide lachen] Nein, natürlich sind 70 mg ziemlich großzügig, und privat trinke ich auch in aller Regel Weine mit wesentlich weniger Sulfiten. Aber für die Messe finde ich es wichtig, dass wir Leute haben, die ausschließlich Naturweine nach der engen Definition im Sinne von zero-zero machen, aber auch solche, die sich wohler damit fühlen, wenn sie im Sinne von low intervention eine gewisse Menge Sulfite zugeben. Das ist ja ein Ideal. Ich meine, wenn du biologisch im Weinberg arbeitest, wenn du spontan vergärst, wenn du nicht oder kaum filtrierst, dann aber im letzten Arbeitsschritt bei der Abfüllung ein bisschen Sulfite zulässt, dann ist das schon wahnsinnig gut, wenn du das mit dem Rest der Weinwelt vergleichst.
M: Ja, absolut. Und wie wählst du dann weiter aus, wenn diese Kriterien erfüllt sind? Machst du einen Geschmackstest?
I: Ja, mache ich. Da geht es mir primär darum, ob ich im Wein die Arbeit im Weinberg spüren kann. Also ob der Wein ehrlich und authentisch ist, oder ob er mir bei hohem Ertrag ein bisschen dünn oder schal vorkommt. Dann sage ich zum Winzer, warte vielleicht noch eine Weile. Aber ansonsten ist das mit dem Geschmack ja sehr subjektiv. Manche Leute nehmen flüchtige Säure mehr wahr als andere, und manche stören sich mehr daran als andere. Da möchte ich es mir nicht anmaßen, ein Urteil zu fällen. Vielleicht ist dein funky nicht mein funky. Ich bin ja nicht die Qualitätsweinprüfung, die sagt, hm, was ist das, trüb und sauer, uff, auch noch Kohlensäure. Das schmeckt mir nicht, also soll es auch niemand anders schmecken dürfen. [beide lachen] Nein, sowas möchte ich vermeiden.
Über den Tag hinaus…
M: Hast du eigentlich irgendwelche Ideale, die du mit der RAW erreichen möchtest?
I: Ich denke schon. Wenn ich ein Mission Statement hätte, dann wäre es, mit meiner Arbeit einen Teil dazu beizutragen, die Landwirtschaft oder spezieller den Weinbau besser und nachhaltiger werden zu lassen. Weniger Eingriffe, weniger Verschmutzung, weniger Zerstörung. Die besten Winzer und Landwirte sind gleichzeitig sehr gute Beobachter. Und ich denke, sie haben begriffen, dass je weniger du zerstörst, je mehr Biodiversität es gibt, je mehr Konkurrenz unter den verschiedenen Insekten, den Mikroben, desto größer ist die Chance, ein gesundes Land zu haben. Egal ob Biodynamik, Permakultur oder das Natural Farming von Masanobu Fukuoka, alles scheint so unterschiedlich anzufangen, aber letztlich, wenn man erfahrener im Umgang mit den Methoden wird, nähern sie sich immer mehr an. Es ist letztlich dieselbe Philosophie.
M: Und was wünschst du dir für die Konsumentenseite?
I: Da wünsche ich mir, dass die RAW mithilft, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, worauf es ankommt, um dann vielleicht ein bisschen mehr Geld für einen richtig guten, terroir-inspirierten Naturwein auszugeben. Je mehr Leute solche Weine trinken und je mehr Geld die kleinen Unternehmen damit verdienen, desto mehr Land kann auf diese Weise bewirtschaftet werden.
M: Wenn dich jetzt Weinprofis aus Handel und Gastro fragen würden, warum sie zur RAW WINE gehen sollen, was würdest du denen antworten?
I: Ganz einfach: Sie sind herzlich willkommen auf der RAW, weil sie die Gelegenheit haben, Weine aus Georgien, aus den Niederlanden diesmal sogar, aus Italien, aus Burgund, aus der Champagne, aus Rumänien zu probieren, die alle eine ähnliche Vision der Welt haben. Aber es gibt noch einen zweiten Punkt: Die Nachfrage ist da und wird definitiv noch stärker werden. Junge Leute – wir sprachen ja schon davon – sind mehr und mehr an Naturweinen interessiert. Sie wollen solche Weine in den Regalen sehen. Insofern ist es quasi Teil des eigenen Geschäfts, zu verstehen, was da passiert. Denn es passiert sowieso, und da ist es besser, wenn es mit dir als ohne dich passiert. Selbst wenn du solche Weine überhaupt nicht magst, in Ordnung, dann solltest du dir wenigstens die Gelegenheit geben, sie zu probieren, um dann nachher zu entscheiden.
Epilog
Bald gehen unsere Züge in die verschiedenen Richtungen. Mein Regionalexpress zurück nach Nürnberg und ihre S-Bahn zum Flughafen. Wir probieren schnell noch einen Orange Wine aus Georgien, den Isabelle im Flugzeug nicht mitnehmen kann. Ich frage sie, wie viele Bewerbungen von Winzern es für die RAW gibt. Etwa zehnmal mehr als Leute dann tatsächlich da sind, sagt sie. Und etwa 30 Prozent des Line-ups würden von Mal zu Mal getauscht.
Mir gefällt der Ansatz von Isabelle, dass verschiedene Facetten der großen “naturorientierten” Weinwelt Platz haben in ihrem Universum. Weil es überhaupt nicht zielführend ist, wenn sich Biodynamiker und Nicht-Schwefler wegen irgendetwas ankeifen. Diese Sache hat genug Platz für uns alle. Hört sich das übertrieben an? Meinetwegen. Aber irgendwie stimmt es…
Und weil ich meinen Job ernst nehme, werde ich an dieser Stelle zu gegebener Zeit (neben dem Natürlichen Dienstag, der ja eh weiterläuft) noch über genau fünf Weingüter auf der RAW WINE Berlin berichten, die man sich nicht entgehen lassen sollte. Die Bandbreite an Herkünften und Geschmäckern verspricht jedenfalls wirklich groß zu werden. Wie heißt es so schön, stay tuned…
[Und für die total Neugierigen: Hier noch der Link zu meinem gar nicht unfreundlichen Instagram-Selfie mit Isabelle…]
Info RAW WINE Berlin
- und 2. Dezember 2019, jeweils 10-18 Uhr, Markthalle Neun
- 150 Winzer/innen
- Gesamte Ausstellerliste hier (https://www.rawwine.com/fairs/berlin-2019/exhibitors/summary-list/)
- Tickets hier (https://www.rawwine.com/fairs/berlin-2019/buy-tickets/)
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