Alle Jahre wieder, in diesem Fall zum zweiten Mal im Frühjahr, kommen auf Einladung von K&U-Chef Martin Kössler illustre Personen mit schwerem Gepäck nach Nürnberg. Sie nennen sich Winzerinnen und Winzer und stellen ein Gebräu her, das nachweislich kein Mensch braucht, das es aber trotzdem seit Tausenden von Jahren gibt. Da kann man mal sehen, wie stark vernunftgeprägt wir in Wirklichkeit sind.
Am Freitag war ich noch ein bisschen erschrocken über den Andrang, der selbstverständlich Organisatoren wie Winzern hochgradig zu gönnen ist. Heute am Samstag war es schon etwas ruhiger, und so bin ich probenmäßig schließlich doch absolut auf meine Kosten gekommen. Wie schon beim letzten Mal habe ich mich diesmal auch primär auf die Suche nach Weinen gemacht, die ich noch nicht kannte. Ein paar alte Bekannte konnte ich aber beim besten Willen nicht vermeiden zu besuchen. Hier also mein Ritt über die Messe:
Neu am Start bei K&U: Bugey-Cerdon
Bugey-Cerdon von Renardat-Fache. Ja, liebe Leute, wer da nur Bahnhof versteht …ist eindeutig in der Mehrheit. Ich bin mir nicht sicher, wie viele dieser Schaumweine aus den französischen Alpen in Deutschland angeboten werden, aber viele sind es ganz sicher nicht. Es handelt sich dabei um einen halbsüßen Prickler, der mit Hilfe der méthode ancestrale auf die Flasche gebracht wurde. 70% Gamay und 30% Poulsard wurden früh geerntet, damit am Schluss nicht nur die Traubensüße da ist, sondern auch eine wunderbar puffernde Säure. Der zart rotfarbene Schäumer schmeckt nach Süßkirsche und Rosenblättern, ist gleichzeitig süßfruchtig und kernig, schwebend und geerdet. Das klingt nach Widersprüchen, aber auch nach ziemlich viel lässiger Einmaligkeit. Sollte man wirklich mal probieren!
Hirsch und Kalifornien I
Die objektiven qualitativen Highlights der K&U-Hausmesse hatten eine weite Anreise hinter sich. Martin Kössler hat es geschafft, diesmal gleich vier kalifornische Spitzen-Weingüter nach Nürnberg zu locken, die – wenn ich mich nicht täusche – weder bei der ProWein noch bei einer anderen Veranstaltung hierzulande zu sehen sind.
Vorhang auf also für Hirsch Vineyards, Kutch Wines, Spottswoode und den K&U-Veteranen Jim Clendenen von Au Bon Climat. Und wer hätte es bis vor ein paar Jahren für möglich gehalten, dass ausgerechnet Letzterer die vergleichsweise üppigsten Pinots von der Westküste mitbringt? Um das zu verstehen, muss man erst einmal wissen, dass der Höhepunkt des Schaffens von Robert M. Parker mittlerweile 25 Jahre zurückliegt. Das bedeutet, dass es zunehmend Weinleute gibt, die nichts mehr anfangen können mit einem Stil, welcher sich an der Dauerhaftigkeit der alkoholanzeigenden Glycerintränen am Glas ergötzt. “Quiet is the new Loud” sozusagen. Oder fachlicher ausgedrückt: Phenolische Reife ist wichtiger als Zuckergehalt.
Kutch und Kalifornien II
Und dann muss man noch etwas realisieren im Zusammenhang mit Kalifornien und Wein: das Klima. Damit meine ich nicht die schrecklichen Buschbrände, sondern den Einfluss des kühlen Ozeans auf – ja, auf eigentlich alles. In Downtown San Francisco beträgt die tägliche Höchttemperatur im Juli beispielsweise 19,2°C. Das ist nicht wirklich viel, der Ozean ist nah. In Santa Rosa, der Hauptstadt von Sonoma County, sind es 27,9°C. Und in Stockton, landeinwärts im Central Valley gelegen, ist es im Juli mittags durchschnittlich 34,1°C heiß. Und in allen drei Klimata in Kalifornien wird Wein angebaut. Das sind krasse 15 Grad Unterschied, also genauso viel wie bei den Julitemperaturen zwischen Helsinki und Sevilla. Dazu kommt noch der Einfluss des Nebels, also ob ein Weinberg in dessen Einflussbereich, und wenn ja, unterhalb oder oberhalb der fog line liegt. Sehr komplex, mikroklimatisch, weinbergspezifisch, und wir sprechen da noch gar nicht vom Einfluss des Menschen bei der Weinwerdung.
Die kalifornischen Weine, die ich bei der Hausmesse probieren konnte, waren alle reif, aber alle nicht überreif. Die vergleichsweise strengste Version war vielleicht der Pinot Noir “Raschen Ridge“, den Jasmine Hirsch dabei hatte, und den ich zum ersten Mal probieren konnte. Es ist auch ihr am höchsten gelegener Weinberg. Die reifste Variante, (hier sind wir dann beim Cabernet Sauvignon) war der 2015er “Lyndenhurst” von Spottswoode.
Ehrlich gesagt habe ich erst richtig viel zu Überseeweinen bei meinem WSET3-Kurs in Hong Kong erfahren, wo solche Weine verständlicherweise eher im Handel zu finden sind als in einem expliziten “Eigenwein”-Kontinent wie Europa. Diese süße, schwarze Brombeer-Pflaumenfrucht, erst mild an der Zungenspitze und dann ohne jede Paprikanote am Gaumen, das kann das kalifornische Klima einfach besser als Bordeaux (nicht an der Sonoma Coast natürlich). Die natürliche Reife in eine ausgewogene Balance zu bringen und nicht etwa zum Überlappen, das ist dabei die wahre Kunst.
Villa Calicantus: Bardolino so ganz anders
Weine vom Gardasee sind wie… Ja, das kann man jetzt beliebig zu Ende bringen, aber so richtig viel Wertschätzendes wird vermutlich nicht dabei herauskommen. Wie in manch anderen Gegenden auch, wo die massenhafte Anwesenheit von Touristen die Winzer dazu verführt, ausschließlich schlappes Zeug zu produzieren, gibt es in Bardolino viele belanglose Weine. Manche sind ganz lecker, keine Frage, aber spannend so gut wie nie. Mit diesem ausgesprochen vernünftigen Vorurteil im Hinterkopf bin ich an den Stand von Daniele Delaini von Villa Calicantus gekommen.
Leider geht es vorurteilsmäßig vielen so wie mir, was es für Daniele nicht gerade leicht macht, seine wirklich komplett anderen Biodyn-Bardolinos an Frau und Mann zu bringen. Es gibt einen Rosato, naturtrüb, im Holz ausgebaut, säurereich, ein richtig schön wilder Geselle. Dann folgt ein, nun ja, “gewöhnlicher” Bardolino für 20 €, der erst einen Stinker in der Nase zeigt und dann am Gaumen ganz viel Samtigkeit bei weiterhin präsenter Säure. Und schließlich steht da noch der “Avresir” im Glas, 14 mg gemessenes SO2 glaube ich, auch wahnsinnig hell, leicht und trotzdem mit einer Nachhaltigkeit, wie man sie diesem transparenten Gesellen gar nicht zugetraut hätte. Das ist alles ganz nah an der Natur, vielleicht die spannendsten Weine hier und heute. Zugegeben, das Ganze hat seinen Preis. Aber während ich 100 Flaschen Supermarkt-Bardolino danach sofort wieder vergessen würde, könnte ich mich an diesen hier noch erinnern…
Ein bisschen Wein aus Deutschland
Ja, es gibt bei K&U auch Weine aus Deutschland. Und das sind wahrhaftig nicht die schlechtesten. Exakt 95 von ihnen habe ich probiert, verrät meine Liste. Anders als bei der VDP-Weinbörse in Mainz spielte der neue Jahrgang 2018 allerdings eine untergeordnete Rolle.
Weshalb es sich lohnt, einen Wein ein bisschen gereifter zu trinken, darüber kann man viele schlaue Worte verlieren. Man kann aber auch einen 2013er Silvaner aus dem Tauberzeller Hasennestle von Stephan Krämer trinken, den er dankenswerter Weise dabei hatte. Das ist kein superteurer, elitärer Goldtropfen, aber ein wunderbar frisch gebliebener Wein für viele Gelegenheiten, der erst jetzt seine ganze Persönlichkeit und Harmonie entfaltet. Es gibt ja zum Glück einen Mini-Trend in der Winzerschaft, Weine noch zurückzuhalten und sie erst später auf den Markt zu bringen. Für Kunden ohne eigenen Keller ist das eine sehr gute Nachricht. Zumal dann, wenn sich diese Spätzünder nicht nur im Bereich der Großen Gewächse befinden.
An der Mosel macht der Jahrgang 2017 so langsam richtig Freude. Nicht nur die Rieslinge vom Weingut Ansgar Clüsserath haben mir gut gefallen, sondern auch die Terrassen-Gewächse von Heymann-Löwenstein. Uhlen B und Uhlen L haben richtig viel Spannung – selbst wenn ich die Flaschen jetzt natürlich noch nicht aufmachen würde.
Nicht vergessen in der Aufzählung möchte ich die kleine Revolution, die sich in den letzten Jahren im Schaumweinbereich in Deutschland zugetragen hat. Niko Brandner und die Sekte von Griesel & Compagnie kennt ihr ja noch von meinem letzten K&U-Hausmessen-Besuch. Für 15,90 € kenne ich beim besten Willen keinen besseren Einstiegs-Champagner (der natürlich nicht so heißt) oder Riesling-Sekt in ultraknackig. Super fand ich auch den Brut Nature von Sven Leiner auf dem Foto oben. Ein Pinot-lastiges, unfiltriertes und wahrhaft freigeistiges Exemplar, das ich mir besonders in aufgeschlossenen Restaurants wünschen würde.
Und dann war da noch…
…die seltsame Apothekerflasche mit der Pipette. Gut, ja, links steht noch Piment d’Espelette, den brauche ich ja ohnehin immer. Aber im Fläschchen rechts befindet sich etwas sehr Exklusives, nämlich fränkische Fischsauce, die Peter Kunze zusammen mit Felix Schneider vom Sosein entwickelt hat. Dafür wurde ein in heimischen Gewässern gefangener Hecht ein halbes Jahr lang fermentiert, was der Fischsauce eine theoretische Ähnlichkeit mit solchen aus Vietnam verleiht, aber mit einer völlig anderen Aromatik. Ich weiß ehrlich gesagt noch gar nicht genau, für welche Gerichte ich sie verwenden möchte. Aber einmal probiert, musste ich sie einfach kaufen.
Schön war es wieder einmal bei der K&U-Hausmesse, dicht gedrängt mit Eindrücken, angereichert mit spannenden Entdeckungen. Nicht bei allen Dingen erweist sich Nürnberg als würdig, das Zentrum einer echten Metropolregion im engeren Begriffssinne zu sein. Aber diese Weinmesse, ja, die gibt es so sehr viel besser in anderen Städten auch nicht…
feiner Bericht. Ich hoffe ich schaffe es nächstes Jahr wieder.
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