Kann es das geben? Einen Winzer in Deutschland, der hochwertige und hochinteressante Rotweine herstellt, von dem ich aber noch nie etwas gehört hatte? Nun ist es ja so, dass sich in der deutschen “Pinot-Szene” seit einiger Zeit etwas tut. Daniel Twardowski holt aus dem Dhroner Hofberg an der Mosel einen der besten Roten des Landes – neulich Sieger in Christophs großem Cool Climate-Test. Alexander Götze und Christoph Wolber machen in ihrem badischen Projekt “Wasenhaus” solche Weine wie bei de Montille oder Comte Armand im Burgund, wo die beiden gearbeitet haben. Und schließlich das hier: Solveigs. Wein aus dem Assmannshäuser Höllenberg, oder vielmehr aus bestimmten Steillagen-Parzellen, handwerklich bereitet von Jens Heinemeyer, dessen Name eher nach Paderborn klingt als nach Pinot.
Dass mir dieses Weinprojekt bislang nicht in Form von verfügbaren Flaschen über den Weg gelaufen ist, dafür gibt es gewisse Entschuldigungen: Zum einen füllt Jens Heinemeyer gerade einmal 6.000 Flaschen im Jahr. Zum anderen, der Name “Solveigs” deutet ein bisschen darauf hin, werden von dieser geringen Menge auch noch fast alle Weine nach Skandinavien verkauft. Jens macht nämlich auch bei Fredriksdal Kirsebærvin in Dänemark hochinteressante Sachen. Kirschwein im Solera-Verfahren zum Beispiel.
Wie werden Solveigs-Weine hergestellt?
“Steil” ist nach dem “Phyllit” die zweite Stufe in der Heinemeyer’schen Qualitäts-Pyramide, obwohl eigentlich alle Weine nicht etwa bei A, sondern eher bei Y anfangen. Alle aus seinen eigenen Steillagen auf rötlichem Phyllit-Schiefer, Handarbeit, seit 2013 biologisch zertifiziert, im Keller Spontangärung, keine Enzyme, keine Säuerung, Schönung, Filtration oder sonst irgendwas, nur ein bisschen Schwefel und ab ins Holzfass für lange Zeit. Langsamkeit ist bei Solveigs Trumpf. Schließlich kommen die Weine irgendwann auf die Flasche. Ich hatte das Glück, diesen 2005er, also einen 13 Jahre alten Wein, bei Pinot in Nürnberg zu erstehen (25,90 €). Der Weinhändler versicherte mir aber, dass er ihn selbst ganz frisch aus Jensens Keller in Geisenheim bezogen habe, wo auch noch mehr gereifte Trouvaillen lagern. In geringer Menge natürlich.
Aber all diese tollen Rahmenbedingungen können ja wie Marketing-Sprech wirken, wenn der Wein die Erwartungen nicht erfüllt. Manchmal werde ich gefragt, ob beispielsweise biodynamisch erzeugter Wein auch schlecht sein kann. Ja selbstverständlich kann er das. Wenn der Winzer nämlich den Wein verhunzt, ihn oxidieren und zu Essig werden lässt, dann kann er dafür meinetwegen noch eine Goldmedaille für den sanftest möglichen Erhalt einer Kulturlandschaft bekommen. Aber der Einzug in den Wein-Olymp ist ihm damit berechtigterweise verwehrt. Jetzt also Solveigs “Steil”. Der Test.
Kann der was?
Ja. Aber man sollte wissen, worum es sich handelt. Das ist eine sehr warme Lage, komplett nach Süden ausgerichtet. Das ist der rote Schiefer bis in den Oberboden hinein. Das sind Assmannshäuser Klone, die immer eher feurig und würzig waren. Und das ist eine sehr traditionelle Weinbereitung.
Weshalb ich das vorweg schreibe? Weil ich erst einmal einen kleinen Schreck beim Einschenken ins Glas bekommen habe. Da kommt ein überdeutlich gereifter Wein in den Testbehälter, dessen Farbe zwischen Granat und Tawny changiert. Ich weiß ja, dass die Assmannshäuser Roten auch ansonsten nicht sehr farbstark sind. Aber woanders riecht diese Farbe nach Oxidation. A propos Riechen: Auch hier spielt Reife eine Rolle. Warm wirkt der Wein aus diesem warmen Jahrgang, welke Rose, ein bisschen holzfass-laktisch, dominiert aber von fruchtigen Nuancen eingetrockneter Süßkirschen. Und als ich beginne zu zweifeln, ob mein halber Fuffziger gut angelegt war, nehme ich den ersten Schluck und beschließe im Nu: Ja, war er. Der “Steil” ist im Mund viel frischer, eine schön präsente, aber milde Säure, vor allem aber ein enorm harmonischer Fruchtkern. Die Süßkirsche (ohne Süße) dominiert von den Aromen auch hier, dazu Himbeere, etwas leicht Liköriges, spürbar Zimt. Und vor allem gleitet der Wein. Samtig und tief.
Ich überlege, welchen Vergleich zu anderen Weinen ich heranziehen könnte. Interessanterweise tendiere ich nach Italien. Valtellina, Lombardei, Piemont. Die Herbstsonne über den Hügeln, das Mürbe, Erinnerungen an die Hitze des Spätsommers, das Laub in voller Pracht, während sich in manchen schattigen Ecken schon die Kühle des Winters ankündigt. Wenn Ihr so etwas mögt, dann seid Ihr bei Jens Heinemeyer und Solveigs richtig. Rein weinvorliebig bevorzuge ich ja frischere Jahrgänge mit langer Vegetationszeit. Aber vielleicht kommen wärmere Jahre wie 2005 diesem ganz speziellen Weintypus sogar eher entgegen. Summa summarum lässt sich für mich nur festhalten, dass es auch im deutschen Weinbau noch Pfade gibt, die es sich lohnt zu erkunden.
Ich finde nicht, dass man das Projekt Wasenhaus mit Burgund vergleichen kann.
Das sind 2x völlig unterschiedliche Böden und Reben. Man kann solche Weine wie von Montille definitv nicht hier in Deutschland machen. Diese Vergleiche mit dem Burgund, die immer wieder im Netz kursieren sind definitv nicht wahr.
“Wahrheit” ist ein großes Wort 😉 . Also auch wenn ich Dir zustimme, dass ich bislang noch keine Montille-artigen Pinot Noirs aus Deutschland getrunken habe, weiß ich nicht, ob das total unmöglich wäre. Ich meine, rein theoretisch, was bräuchte man denn für einen “echten” Burgunder?
Ähnliche Geologie (Exposition WSW = Abschottung gegen Westwinde, Kalkmergel mit Kalkplatte) gibt es nicht in Baden, aber in der Pfalz. Schweigener Kammerberg, Königsbacher Idig, sowas. Nicht hundertprozentig gleich, logisch, aber auch nicht komplett anders. Burgund ist ja ebenfalls lang. Dann brauchst Du das entsprechende Rebmaterial, Pinot-Klone (Massenselektion ginge auch, dauert aber halt), alte, tief wurzelnde Reben, einen ähnlichen Jahresgang von Temperatur, Niederschlag etc. (ist zumindest in bestimmten Jahren gegeben, 2005, 2009, 2015…). Und dann brauchst Du überliefertes Know-how, und zwar für jeden einzelnen Schritt. Im Weinberg wie im Keller. Und natürlich eine radikale Qualitätsphilosophie.
Also rein theoretisch sind das keine total unmöglichen Sachen. Immerhin sind sich Burgund und die Pfalz wesentlich näher in jeglicher Hinsicht als Bordeaux und Kalifornien… Klar sind viele Burgund-Vergleiche im Netz wenig zutreffend oder eher Wunschdenken. Bei Wasenhaus hast Du jetzt halt die Leute, die Burgund richtig kennen, aber Bedingungen, die sehr unterschiedlich sind. Aber wer weiß… Was allerdings klar ist: Mein Wein von Solveigs hatte geschmacklich definitiv nicht viel mit Burgund zu tun 😉