Fünf Uhr morgens, der Wecker klingelt. Ganz schön spät ehrlich gesagt, denn um halb sieben will ich schon im Zug nach München sitzen. Irgendwie war mir wieder einmal danach, am Wochenende etwas zu unternehmen. Und “Wochenend-Unternehmung”, das bedeutet für uns alte Herren mittlerweile eben keine Clubnacht, sondern eine Wandertour. Also hatte ich abends noch schnell das Wetter gecheckt, mir das Bayern-Ticket ausgedruckt, und nun soll es losgehen: Von Nürnberg in die Alpen und zurück, alles an einem Tag. Die große Ochsentour sozusagen.
Zwei Zugstrecken gibt es von Nürnberg aus in Richtung Alpen, die jeweils mit Regionalzügen bedient werden, denn andere darf man mit dem Bayern-Ticket ja nicht benutzen. Nach München geht es um 6:29 Uhr, dann ist man um 8:03 Uhr dort und muss umsteigen. Auf der anderen Strecke geht es um 7:17 Uhr los und geht direkt bis Oberstdorf, wo der Zug um 10:22 Uhr ankommt. Ich habe die Tour über München gemacht und stehe jetzt um kurz nach zehn schon am Bahnhof Griesen, fast direkt an der Zugspitze.
Von Griesen in Richtung Plansee wandert man das Tal der Neidernach hinauf. Das passiert auf einem breiten und ziemlich ebenen Schotterweg, was bedeutet, dass hier nicht nur Wanderer, sondern vor allem auch etliche Radler unterwegs sind. Nervig. Ich beschließe deshalb, einfach die andere Hangseite zu nehmen, auf der ein bequemer Wirtschaftsweg vorbei an der Kiesgrube führt. Während unten ständig Grüppchen von Fußgängern und Radfahrern zu sehen sind, begegne ich in den nächsten zwei Stunden exakt – niemandem. So mag ich das.
Kleintierbeobachtung
Wer extra-freakig unterwegs ist, wird sich am Anblick des gemusterten Genossens auf dem oberen Bild erfreuen. Es handelt sich dabei um einen Gelbringfalter (Lopinga achine), der sich auf der Roten Liste befindet und entsprechend selten ist, an diesem Hang jedoch offenbar gute Bedingungen vorfindet.
Wer nicht ganz so freakig ist, kann aber immer noch die vielen Blumen am Wegesrand bewundern, die Schmetterlinge, die Bienen – und sich darüber freuen, dass in dieser Höhenlage Mitte Juni offenbar noch keine große Bremsenzeit ist.
Anders als beispielsweise in der Kalahari, um mal einen naheliegenden Vergleich zu benutzen, brauche ich auf dieser Wandertour keinen riesigen Wasserkanister mit mir herumzuschleppen. Überall von den Bergen stürzen die Bäche ins Tal hinab. Zweimal muss ich einen solchen Bach auch durchwaten. Das ist ein bisschen die Rache dafür, dass ich den einsamen Weg genommen habe.
Angekommen auf der Alm. Dunkle Tannen, grüne Wiesen im Sonnenschein. Hollaladiho!
Im Badeparadies
An der Südseite des Plansees gibt es einen kilometerlangen Wanderpfad, der sich meist direkt am Ufer entlangschlängelt. Das Wasser ist türkisblau und hat – zumindest für Leute wie mich, die keine Badewannenbedingungen brauchen – durchaus schon Schwimmtemperatur. Ein bisschen verwirrend ist allerdings, dass ich gleich zweimal durch ein per Schild angekündigtes verbotenes Baustellengelände gehen musste. Die Planierraupen arbeiten zwar nicht am Wochenende, aber irgendwie sieht es fast danach aus, als würde es Pläne geben, diesen nur zu Fuß zu erreichenden und genau dadurch so romantischen Seebereich zu “erschließen”.
Nach dem See ist vor dem See. Wenn der Plansee zu Ende ist, geht man durch ein Waldstück und stößt bald wieder auf eine Wasserfläche, diesmal den Heiterwanger See. Ich hatte die Ausdehnung dieser Seen ehrlich gesagt etwas unterschätzt, weshalb ich mich dann doch sputen musste, um in Heiterwang den letzten Zug in Richtung München und Nürnberg zu bekommen.
So und nicht anders stellen wir Flachlandtiroler uns doch das echte Tirol vor: Dorfkirche, Berge, Bauernhöfe, viel Grün. Der Name “Heiterwang” heißt etymologisch übrigens “Brennnesselwiese”. Seit dieser Zeit hat es sich doch recht gut gemausert, oder?
Öffentliches Leben
Was Dorfleben im heiteren Heiterwang allerdings auch bedeutet, machten mir etliche hochpolitische Sprüche deutlich, die da auf die Straße gepinselt waren. In einem davon direkt vor der Kirche wurde gemutmaßt, dass “sie sich seiner erbarmt” habe. Und hier am Ortseingang heißt es: “Sollts uaner no it wissa, vom Aufräumen will er nix wissa!”
So ein identischer Reim am Zeilenende mag uns im ersten Moment plump vorkommen. Aber weit gefehlt! Die unbekannten Künstler, die sich hier verewigt haben, sahen ihre Referenz offenbar im großen persischen Dichter Hafiz, dessen berühmte Ghazals stets auf genau diese Weise begannen.
Das Bayern-Ticket, was mir vorher noch nicht wirklich bewusst war, gilt ja auch in Regionalzügen, die Bayern mit dem befreundeten Ausland verbinden. Auf diese Weise kommt man um 350 Schilling bis Reutte oder sogar bis Innsbruck.
Wer relativ am Anfang der Strecke einsteigt, bekommt auch noch einen schönen Fensterplatz und kann das Panorama der Bergzüge an sich vorbeiziehen lassen. Hier die Mieminger Kette mit der Sonnenspitze.
So leer und romantisch sollte es allerdings nicht bleiben. In München füllt sich an diesem Samstag der Zug komplett bis überkomplett mit jungen Leuten, die offenbar einen ausgiebigen Shopping-Ausflug gemacht haben. Ein gewisses Kontrastprogramm zu meinem heute eher konsumreduzierten Wanderansatz. Auch wenn der Regionalexpress flott durch die Dunkelheit gleitet, fühlt sich dieser letzte Abschnitt für mich ewig an. Irgendwann langt’s dann halt. Das meint auch der Daibutsu auf meinem Smartphone, der mir einen 18-stündigen Tag auf den Beinen und über 32.000 Schritte attestiert.
Mein Fazit
Wanderkarte, gutes Wetter und ausgeruhter Zustand vorausgesetzt, kann man einen herrlichen Tag mit dem Bayern-Ticket erleben. Acht Stunden Zugfahrt und acht Stunden Wanderung sind allerdings eher etwas für den radikalen Solo-Ausflügler. Das nächste Mal in Begleitung sollten dann doch ein bisschen Einkehr und Gemütlichkeit mit dabei sein.
Ja, Matthias,
die Bayern denken regional. Dass dies nicht nur bei den Zugverbindungen so ist, müssen wir ja gerade leidlich erleben.
Liebe Bayerinnen und Bayern, geht doch bitte bei der Landtagswahl zahlreich wählen und wählt bitte was anderes als CSU. Auch Bayern ist nämlich ohne Europa nix.
Danke!
Ja, äh, also, ob Du mit dem Bayern-Ticket in die Alpen, mit dem NRW-Ticket nach Venlo oder mit dem Niederrsachsen-Ticket an die Nordsee fährst, Du wirst dabei relativ wenige Menschen treffen, die ausgerechnet diese Ausprägung regionalen Denkens verteufeln werden 😉
Aber ich weiß natürlich, was Du meinst. Sagen wir es mal so: Ich bin selbst ziemlich überrascht als langjähriger Beobachter politischen Geschehens, wie es passieren konnte, dass inmitten objektiv wohlständlicher und friedlicher Zeiten (bitte mal die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts damit vergleichen…) ausgerechnet solche Elemente wie alte weiße Machthaber und abgrenzende Kleinstaaterei fröhliche Urständ feiern. So ähnlich, wie die Science Fiction-Autoren der 60er wohl auch ziemlich überrascht darüber wären, dass wir weder den Jupiter erobert haben noch mit Lichtgeschwindigkeit fliegen, aber dafür die Unterhaltungselektronik perfektioniert haben 😉 .
Im Moment habe ich auch das Gefühl, dass die Politik ganz allgemein noch keinen überzeugenden Ansatz gefunden hat, der sich mit den Herausforderungen a) soziale Alterung europäischer Gesellschaften (der Gedanke an die eigene Endlichkeit rückt näher und macht Angst), b) ökonomisch-technische Globalisierung und c) dem aus den beiden ersten Punkten resultierenden psychologischen Wunsch nach Kleinheit und Übersichtlichkeit der eigenen Welt vernünftig auseinandersetzt. Und zwar, wie es in guten Demokratien Usus sein sollte, nicht über die Propagierung von Spaltung und Trennung, sondern mit dem Ziel eines möglichst gedeihlichen Zusammenlebens. Natürlich ohne so zu tun, als gäbe es die Herausforderungen nicht. Und auf eine Weise, die den eigenen Leuten Selbstwertgefühl vermittelt, ohne dass man dafür “die anderen” braucht, die man halb fürchtet, halb verabscheut. Denn, das weißt Du ja mit Sicherheit besser als ich, ohne eigenes Selbstwertgefühl wird man wenig Positives für eine wie auch immer geartete Gemeinschaft initiieren können.
Sowas kommt dabei raus, wenn man mal über einen harmlosen Ausflug mit dem Regionalzug berichtet 😉
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