Christmann, Keller, Schäfer-Fröhlich – alle Großen sind versammelt unter den Weinen dieses Quertests, der wieder einmal fragt, wie gut sich die 2008er Rieslinge gehalten haben. Aber wieso spreche ich dann in der Überschrift von “heimlichen Stars”? So richtig geheimtippig sind Klaus Peter Keller oder Tim Fröhlich ja nicht wirklich. Ganz einfach: In dieser Runde geht es nicht um die Großen Gewächse, sondern um ihre kleinen Brüder. Um trockene Spätlesen aus erstklassigen Lagen, aber zum halben Preis. Und die Weine waren wirklich ausgezeichnet, soviel kann ich schon sagen. Schaut aber noch mal auf das Foto oben und ratet dann, wer hier den Sieg davongetragen hat…
Vielleicht könnt Ihr Euch auch als Stammleser/innen nicht mehr ganz genau daran erinnern, aber ich hatte vom Jahrgang 2008 gut 50 trockene Rieslinge erworben und eingekellert, um sie peu à peu mit ein paar Jahren Abstand gegeneinander antreten zu lassen. Nicht alle auf einmal allerdings, sondern immer in Sechsergruppen, denn ein richtig intensiver Test ist ja umso schwieriger, je mehr Testflaschen herumstehen.
Dies hier ist übrigens schon der vierte Teil dieser langlaufenden Serie. In Teil 1 hatte überraschenderweise Jean Beckers Riesling Froehn aus dem Elsass gewonnen, in Teil 2 setzte sich Emrich-Schönlebers Monzinger Halenberg durch (der damals noch so heißen durfte), und schließlich kam es in Teil 3, den Diels Eierfels für sich entschied, zu der Aussage, dass hier zwar ganz schön Klavier gespielt werden würde, aber null dissonant. Sauber waren sie allesamt, aufregend eher nicht.
Jetzt also die heimlichen Stars, denn entweder sind es die Zweitweine der Großen Gewächse oder wirklich interessante Lagen und Winzer. Der Test spielt sich ab wie immer: Ich habe von Tuten und Blasen keine Ahnung, mir werden einfach sechs Rieslinge in nummerierten Gläsern aufgetischt. Nach dem Aufdecken darf ich aber noch einmal nachprobieren. Genau genommen machen wir das über mehrere Tage, denn so schnell stürzen wir sechs Flaschen Wein dann doch nicht hinunter. Und Wegschütten oder Spucken wäre bei diesen ehrlich erworbenen Weinen nun wirklich eine Schande. Am Rande, auch weil es sich auf Schande reimt, sei noch erwähnt, dass nur der Tesch einen Schraubverschluss hatte, alle fünf anderen jedoch Naturkork – sämtlichst ohne Korkschmecker. Nun mögen sie aber beginnen, die Spiele…
Wein 1: Weingut Weingart, Bopparder Hamm Feuerlay Spätlese trocken, Mittelrhein, 12 vol%
Der zweithellste Wein des Tests steht vor mir, also 2/6. In der Nase steinig, wenig Frucht, leicht trockene Botrytis, heller Honig, eher etwas schwierig. Am Gaumen dann wesentlich angenehmer, enorm cremig, eine flächige Art, eine ebenso flächige, aber umso nachhaltigere Säure. Gelber Apfel, Stachelbeere, sehr persistent, sehr auf Haltbarkeit ausgerichtet, überhaupt nicht mager, und der Wein verbessert sich sogar noch am zweiten Tag. Echt stark, das ist mein Platz 1. Allerdings schon ein bisschen ein Schleicher, der erst beim dritten Schluck richtig gut kommt.
Nach dem Aufdecken die Überraschung. Dies hier ist der günstigste Wein im Test, 8 € hatte er ab Hof seinerzeit gekostet. Florian Weingart hatte in dem Jahrgang zwei trockene Spätlesen aus der Feuerlay geholt, und dies war die kleinere davon. Was mich neben der hohen Qualität weiterhin verblüfft, ist die säurestraffe, total auf Langlebigkeit ausgerichtete Art. Dass der Mittelrhein im Allgemeinen und Florian Weingart im Besonderen hier soviel Eindruck macht (auch Testerin J sah den Wein vorn), freut mich irgendwie. Die Region hat man doch meist nicht so auf dem Schirm, wenn es um “die größten deutschen Weine” geht. Vielleicht geht da tatsächlich doch deutlich mehr…
Wein 2: Weingut Tesch, Laubenheimer St. Remigiusberg, Nahe, 12,5 vol%
Farblich 6/6, der dunkelste also. In der Nase zunächst ein bisschen laktisch-fassig, schon deutlich gereift, dann aber genauso dunkel wie die Farbe: Hokkaido-Kürbis, Aprikose, Malz, Rauch. Am Gaumen fällt mir gerade nach dem Vorgänger auf, dass es hier wesentlich weicher, reifer, aber auch etwas matter zugeht. Aromatisch sind wir weiter bei Aprikose, bei Kümmel, bei Anklängen nach Sojasauce. Dieser Wein wird auf dem Bass gespielt oder auf runterdrehten Metal-Gitarrensaiten à la Korn. Es ist weniger die Qualitat als die geringere Spannung, die mich hier zu Platz 5 greifen lässt.
Nach dem Aufdecken bin ich erst einmal ein bisschen perplex darüber, dass dieser Wein, der ja die stärksten Reife-/Alterungsnoten in sich trägt, der einzige mit einem Schraubverschluss ist. Was das auch immer bedeutet. Dann hätte ich hier niemals auf die Nahe getippt, aber die Lage ist ja auch sehr speziell mit ihrer braunen vulkanischen Felsverwitterung. Hier macht der dunkle Boden tatsächlich einen dunklen Wein, wobei es sicher auch interessant gewesen wäre, von so einem Terroirfreak wie Martin Tesch ein helleres Exemplar à la Königsschild mit im Test gehabt zu haben.
Wein 3: Weingut Schäfer-Fröhlich, Bockenauer Felseneck, Nahe, 13 vol%
In der Farbe 3 von 6, also so mittig, wie man bei sechs Kandidaten halt mittig sein kann. In der Nase ziemlich hell, tropisch, Litschi, Ananas, dabei allerdings auch ein leichter Touch an Lösungsmitteln. Im Mund wirkt der Wein erst richtig “lecker”, also mit gut abgestimmter Süße-Säure-Balance und viel Frucht, wieder Ananas, weißem Pfirsich, vor allem aber Mangosteen. Der Abgang ist dann aber nicht ganz so schlotzig, sondern latent pelzig im Sinne einer höheren Phenolik. Das macht Platz 4.
Nach dem Aufdecken: “Ach, der Spontistinker ist jedenfalls weg”. Und auch sonst bin ich etwas überrascht, wie unexzentrisch Schäfer-Fröhlich hier auftritt. Den Wein gibt es unter diesem Namen wegen des VDP-Lagenverbrauchs-Diktums ja nicht mehr, er heißt jetzt schlicht “Schiefergestein” (wenn ich mich nicht täusche). Das ist echte, ein bisschen süßer abgestimmte Klassik. Und damit gar nicht mal so anders als Dönnhoff oder Emrich-Schönleber…
Wein 4: Weingut Müllen, Trarbacher Hühnerberg Spätlese trocken *, Mosel, 12,5 vol%
Farblich der hellste aller Kandidaten. Das setzt sich auch in der Nase fort: sehr expressiv, lecker, frische hellgelbe muskatige Trauben, das kann eigentlich gar kein Riesling sein. Am Gaumen ist der Wein von den Aromen her weiterhin auf der sehr hellmuskatigen Seite bei doch gebremster Säure. Der Abgang überrascht mit einem traubenkernigen und leicht bitteren Schlusstrich, nicht nur weniger Säure, sondern auch weniger Süße. Ein eigener Wein, der nicht nur wegen der Aromen, sondern auch seiner trockenen Art hinten ganz andere Speisen begleiten kann. Trotzdem bleibt bei der Solobetrachtung nur Platz 6.
Hier staune ich nach dem Aufdecken sinnbildlich Bauklötze. Gut, die Mosel ist wirklich lang, und ich hatte auch keinen gelben Burner wie die Heymann-Löwenstein’schen Terrassenmoselaner erwartet, aber dieses Helle, Grelle, Traubige, fast unrieslinghaft Muskatige? Dazu noch die trockene Art hinten, alles sehr verblüffend. Zur Einordnung meiner Platzentscheidung sage ich aber gleich noch etwas.
Wein 5: Weingut Christmann, Königsbacher Ölberg, Pfalz, 13 vol%
Farblich 5/6, also am zweitdunkelsten, und das setzt sich ungebremst in der Nase fort. Jene ist durchaus komplex mit Orangeat, Nougat, Aprikose, leicht rauchig und nachhaltig. Am Gaumen gibt sich unser Kandidat sehr stoffig, also kein laues Wässerchen, aber dennoch niemals breit. Blutorange, Korianderkörner, Senfsaat, das sind so die aromatischen Noten, alles eingebettet in viel Würze und Cremigkeit, gehalten von einer weiter lebendigen Säure. Dieser Wein ist definitiv auf seinem Höhepunkt. Platz 2, wobei diejenigen, die eher diesen dunkleren “Pfälzer” Typus mögen, ihn auch ganz vorn sehen könnten.
Das ist wirklich ein echter Pfälzer Wein, denke ich nach dem Aufdecken, und zwar einer, der mit Edelmut von seiner Heimat kündet. Ich muss zugeben, dass ich schon manchmal mit Jungweinen von Christmann ein bisschen Probleme hatte, weil sie mir nicht so richtig präzise vorkamen. Dieser Wein aus dieser Lage und mit dieser Reifezeit hingegen ist – und das sage ich ohne den kleinsten Anflug eines Zweifels – ein echtes Großes Gewächs.
Wein 6: Weingut Keller, von der Fels, Rheinhessen, 12,5 vol%
In der farblichen Mitte, also 4/6. In der Nase ist erst einmal gar nichts los, ein enorm zurückhaltender Kandidat, der erst langsam etwas Kräuter und das Gefühl von Säure preisgibt, aber auf keinen Fall Frucht. Die kommt dafür im Mund, zunächst in Form einer hellen Note, die dann aber dank präsenter Säure übergeht in Richtung Reneklode mit Stein oder auch sauergrüner asiatischer Pflaume. Das macht den Wein lebendig und pikant, von der Substanz her auch tiefer als Wein No. 3, aber von der Nachhaltigkeit her sind wir hier knapp hinter den beiden Siegerweinen. Ein sehr schönes Produkt dennoch, gar keine Frage, mein Platz 3.
Eine Besonderheit gibt es bei diesem Wein: Anders als alle anderen stammt er nicht aus einer einzigen Lage, sondern aus den jungen Reben verschiedener Keller-GG-Lagen. Und vielleicht ist er deshalb so schön ausgewogen komponiert, wenngleich eher auf der helleren Seite der Klassik. Dass mir der Wein gefallen hat, mag vielleicht diejenigen trösten, die mir ansonsten immer vorhalten, ich würde keine Keller-Weine mögen. Das habe ich aber nie behauptet, und es stimmt auch nicht. Vielmehr meine ich, dass Keller-Weine nicht per se über allem Irdischen stehen und deshalb in den Himmel gelobt gehören. So wie bei diesem Wein, den niemand ernsthaft für schlecht halten kann, der aber von zwei charakterstärkeren Mitbewerbern knapp verdrängt worden ist. Bronze ist aber doch auch ganz schön.
Das Fazit
Ich sprach ja schon davon, hier etwas zur plätzischen Reihenfolge sagen zu wollen. Nun, ehrlich gesagt haben mir die Weine alle gefallen. Wirklich alle. Es war kein einziger Wein darunter, denn ich als mittelprächtig bezeichnen würde. Und wenn ich denn Punkte vergeben wollte, lägen sie bei allen sechs Weinen ziemlich dicht beieinander. Andere würden von einem Punktekorridor zwischen 89 und 93 sprechen. Insofern ist Platz 6 für Müllen oder Platz 5 für Tesch keineswegs so zu verstehen, dass ich an diesen Weinen etwas Grundsätzliches auszusetzen hätte.
Zudem, und das freut mich natürlich besonders beim Blick in meinen mit 2008er Rieslingen noch gut ausgestatteten Keller, hält der Jahrgang sein Versprechen total. Wenn man ein paar leichte Abstriche beim Tesch-Wein macht, waren alle Kandidaten in einem vorzüglichen Reifezustand. Da war nichts Müdes, nichts Schweres, aber auch nichts Dünnes und Mageres dabei. Zehn Jahre sind für gut vinifizierte und gut gelagerte Rieslinge dieser Kategorie also keine zu lange Zeit.
Fragt sich nur, ob wir es hier wirklich mit Weinen zu tun hatten, die die Großen Gewächse das Fürchten lehren können. Und da würde ich sagen, partiell ja. Christmanns Ölberg besitzt (zumindest in diesem Jahrgang) wirklich alle Qualitäten dafür. Mein heutiger Testsieger, Weingarts Bopparder Spätlese, ist hingegen ein Wein, der super sehnig und persistent daherkommt, vom Volumen her aber in seiner Kategorie bleibt. Da wäre vielleicht Florians Version mit dem Stern eher ein Pirat, der Angst und Schrecken in GG-Proberunden verbreiten kann. In jedem Fall war das ein Test, der Lust auf mehr gemacht hat. Nur vielleicht nicht gleich morgen. Die Minusgrade vermag doch ein Rotwein aus dem Süden noch ein bisschen leichter zu vertreiben…
Weingarts 2008er Ohlenberg mochte ich vor zwei Wochen auch sehr gerne trinken.
Den hatte ich übrigens noch gekauft, bevor wir uns kannten. Bei der Gelegenheit: Der Wein, der bei mir am längsten schon im Keller liegt, ist ein 1991er Hermitage von der Genossenschaft in Tain. Als ich den für 28 Mark gekauft habe, bin ich gerade Lieferwagen in Köln gefahren und habe gedacht, das könnte vielleicht mein teuerster Wein für immer gewesen sein…
Bei mir war das ein 1989er BIN 389 von Penfolds für damals 24,- Ich war so beeindruckt, dass ich drei Flaschen gekauft habe (so etwa 1991). Und meine eiserne Obergrenze waren damals eigentlich 15 DM. Die habe ich dann auch tatsächlich einige Jahre nicht gebrochen. Aber irgendwann musste es dann doch sein. 😀
Das mit den Obergrenzen funktioniert halt nie wirklich 😉
Meine super-eiserne und deshalb nur manchmal gebrochene Regel heißt momentan: Nie mehr in den Keller stellen als ich gleichzeitig raushole…
Das ist ja eine tolle Regel 😂 Die sollte ich mal durchziehen; dann könnte man den Keller vielleicht wieder ganz normal betreten 🤭
Mein Keller hat populationsbiologisch betrachtet das Klimaxstadium erreicht. Sage ich heute so leichtsinnig 😉
Ja, die macht Sinn. Klappt bei mir noch nicht ganz. Und auch hier ist der Klimax eigentlich erreicht. Aber es gibt so viele spannende Sachen.
“Das mit den Obergrenzen funktioniert halt nie richtig.” WUNDERBAR! Und das aus deiner Feder, äh Tastatur, Matze 😉
Ich sag ja immer: Wein ist (auch) ein politisches Getränk. Und: Wein bildet!
Da kann man dann eigene Schlussfolgerungen ziehen, wenn man den Seehofer Horst wieder mal mit einem Maßkrug in der Hand sieht…
In jedem Fall verstärkt Weingenuss die Neigung, sich unmittelbar danach weitschweifenderen Erläuterungen hinzugeben, gern auch politischer Natur.
Ob allerdings Bier eher zu Obergrenzendenken führt als Wein, das weiß ich wirklich nicht. Nur eins ist sicher (um bei den Fakten zu bleiben): Man muss häufiger aufs Klo 😉