Zurück in Hong Kong. Oder vielmehr: immer noch in Hong Kong, denn seit Teil I dieser Mini-Serie über Essen in Hong Kong ist ja gerade erst eine Woche vergangen. Während sich die Sonne auf fast übersinnliche Weise an der Glasfront des 484 Meter hohen ICC-Wolkenkratzers spiegelt, beginnt es zu unseren Füßen im Häusergewirr langsam richtig zu wuseln. Ich bin im Stadtteil Wan Chai und frage mich, was ich mir wohl zum Frühstück besorgen soll. Denn morgens mit leerem Magen aus der Wohnung zu gehen, ist ein denkbar schlechter Start in den Tag. Zum Glück habe ich diese elende Gewohnheit seit Studentenzeiten nicht mehr. Allerdings bedeutet das, dass ich auch in ferneren Kulturen immer schauen muss, was es vor Ort so an Frühstücksgeeignetem gibt. In Japan sind das Onigiris, also Reisdreiecke im Algenblatt. Das weicht zwar deutlich von meiner Nürnberger Frühstückskost ab, versetzt mich dafür aber bereits zu früher Stunde in den richtigen Zen-Spirit. In Hong Kong habe ich mir es zur Gewohnheit gemacht, bereits am Abend vorher chinesische Backwaren zu erwerben. Im Hoixe Cake Shop auf der Johnston Road gibt es das vielleicht beste Angebot. Immer handelt es sich um Hefe-Buns, die mit allen möglichen Dingen belegt oder gefüllt sind. Allerdings reicht das Spektrum von süßen Kokosflocken bis zu Schweinefleisch mit Zwiebeln. Es bietet sich also an, einen genaueren Blick auf die Schilder zu werfen, wenn man zum Frühstück eine bestimmte Geschmacksrichtung bevorzugt.
Mittlerweile ist es schon über fünf Jahre her, dass ich in Kuala Lumpur war und dort die berühmte “Mee Rebus” gegessen habe. Irgendwie ist mir wieder einmal nach tropischer Kost, und so führt mich mein Weg mittags direkt ins Oversea Malaysia Delight, ganz in der Nähe der Shopping-Komplexe von Causeway Bay gelegen.
Ich bestelle dort Bak kut teh, weil es sich sich so schön nach der Staatssprache “Bahasa Malaysia” anhört, in der Teh tatsächlich Tee heißt. Allerdings ist das bei diesem Gericht ein bisschen irreführend. Es handelt sich nämlich zum einen nicht um ein tropisch-malayisches Gericht, sondern um eines, das aus der Teochew-Küche stammt, also von Einwanderern aus Südchina, die sich in Malaysia als Oversea Chinese niedergelassen haben (daher auch der Übersee-Name des Restaurants). Zum anderen ist der Tee nicht im Gericht selbst enthalten, sondern ein starker Oolong-Tee dient als unvermeidliche Begleitung zur Schweinebrühe. Denn das ist der Hauptbestandteil für Bak kut teh. In der stundenlang simmernden, sehr komplex gewürzten Brühe werden dann Stücke verschiedener Gemüsesorten wie Kohl und Sellerie gekocht, zum Schluss auch frische Korianderblätter. Wichtig sind dabei frittierte Tofustücke, die sowohl in der Suppe mitgekocht als auch als Beilage gereicht werden. Genau das seht Ihr in der Schüssel links oben auf dem Foto und nicht etwa Baguettescheiben.
Ein bisschen tropischer erscheint da schon dieses Gericht, Chicken Curry Laksa. Die Farbe der Suppe verrät bereits, dass sie recht ordentlich mit Sambal, also Chilli-Paste, gewürzt wurde. Abgemildert wird das Ganze dadurch, dass Laksa auf Kokosmilch-Basis hergestellt wird. Im “Oversea Malaysia Delight” gibt es keine überwältigend umfangreiche Karte, aber die vielfältigen (koch)kulturellen Einflüsse werden sichtbar, die Malaysia für Foodies so interessant machen.
Das Crowd Restaurant in der Gresson Street ist dagegen ein Ort, an dem ganz im “Hong Kong Style” gekocht wird, also primär auf der Guangdong-Küche (“kantonesisch”) beruhend mit Einflüssen benachbarter Kochschulen wie Teochew, Hakka und Hokkien. Obwohl das Restaurant erst einmal wenig spektakulär aussieht, gibt es dort eine ganze Reihe interessanter Gerichte. Dass es an diesem Ort traditionell zugeht, merkt man schon daran, dass zusammen mit Geschirr und Besteck eine größere Schüssel und eine Kanne Tee an den Tisch kommen. In dieser Schüssel wäscht man dann Löffel, Gläser und kleinere Schüsselchen mit dem Tee. In früheren Zeiten hatte das als eine Art Desinfektionsmaßnahme tatsächlich auch eine praktische Bedeutung, mittlerweile ist es eher ein ritueller Akt.
Unglaublich gut ist im Crowd Restaurant die geräucherte Entenbrust mit Senfsauce. Leider sind die Gerichte auf der Speisekarte nicht transliteriert, weshalb ich Euch nicht den chinesischen Namen dafür sagen kann. Ich kann aber sagen, dass diese Speise für schlappe sechs Euro ungeheuer zart und fein rauchig daherkommt. Kombiniert mit der aromatisch-scharfen Senfsauce eine echte Gaumenfreude.
Üblicherweise bestellt man hier eine ganze Reihe von Tellern gleichzeitig. Das Crowd Restaurant kommt also erst so richtig in Fahrt, wenn man auch in einer entsprechenden crowd erscheint. Zu zweit schafft man eigentlich nicht mehr als drei Gerichte, und dies ist eines davon: Winzige frittierte Fische in einem lauwarmen “Salat” aus Cashews, Lauch und Sojasprossen.
Und hier haben wir schließlich das Gericht mit dem Bezug zur Überschrift. Es heißt auf Englisch “Stewed Pomelo Endocarp with Crab and Shrimp Egg”. Das ist sicher eine der erstaunlichsten Kombinationen, die ich in Hong Kong zu mir genommen habe. Unten auf dem Teller seht Ihr leicht verdeckt gedämpften Pak Choi. Es gibt eine braune Sauce, die – jedenfalls kommt mir das so vor – leicht mit Zimt abgeschmeckt wurde. Oben wurden orangefarbene Krabben- und Garnelen-Eier kaviarartig darübergestreut. Und in der Mitte befindet sich… Pomelo Endocarp, also die innere Epidermis der Fruchtwand einer Pampelmuse. Oder anders gesagt, das Weiße auf der Innenseite der Schale, das man bei uns immer wegwirft. Hier wird es fein säuberlich herausgetrennt und offenbar ewig lang gegart. Jedenfalls ist die Textur entscheidend. Sie bleibt einerseits fest zusammen, ist andererseits aber so weich und luftig, dass sie sich mit einem Löffel durchtrennen lässt. Geschmacklich hat das gar nichts mehr mit einer Zitrusfrucht zu tun, sondern wirkt eher wie ein rätselhaftes Erdgemüse.
Hong Kong ist ein Ort, an dem viel Geld gemacht wird. Großbanken und Versicherungen residieren in den modernen Hochhaustürmen, und ihre Insassen haben für solche Dinge wie Kinder, Haushalt und Besorgungen keine Zeit. Deshalb leben in Hong Kong mittlerweile gut 300.000 “Hausarbeiter/innen” von den Philippinen und noch einmal dieselbe Zahl aus Indonesien, damit in den Privathaushalten alles wie von selbst läuft. Arbeits- und menschenrechtlich gibt es da manchmal bedenkliche Situationen. Für essorientierte Besucher wie mich haben solche Einwanderer-Communities allerdings den unschätzbaren Vorteil des travelling without moving dank der Esstände, Supermärkte und Restaurants mit vielen Produkten aus den jeweiligen Heimatländern. Nun ist Jollibee zwar eine Fastfood-Kette, die größte der Philippinen noch dazu, und kein “authentisches” Restaurant wie das Cinta-J – aber was heißt eigentlich authentisch? Authentisch philippinisch ist doch auch ein Ort, den alle Filipinas und Filipinos kennen und den sie in ihrer Heimat zu Millionen aufsuchen.
Die berühmteste Speise im Jollibee ist – wie schon draußen deutlich sichtbar beworben – das Chickenjoy. Es handelt sich dabei um eine panierte und frittierte Hähnchenkeule, außen knusprig, innen saftig, dazu ein Töpfchen mit Zwiebeldip. In den Papptaschen verbergen sich noch “Peach Mango Pies”. Am liebsten wird hier aber meinen Beobachtungen nach ausgerechnet etwas gegessen, über das ich mich auf der Speisekarte ziemlich gewundert hatte: Spaghetti Bolognese mit ordentlich Käse. Filipinas lieben fettige Pasta. Erstaunlich, aber man lernt halt nie aus. Das ist einer der Gründe, weshalb ich so gern reise. In jedem dieser Momente gewinne ich wieder ein neues Element hinzu für das große Gemälde der Alltagskultur. Das ist das, was sich jenseits von Baedeker-Sehenswürdigkeiten abspielt, man könnte es auch schlicht als “Leben” bezeichnen.
Gut gut, Theatralik-Gesten wieder eine Stufe heruntergefahren. In diesem Topf mit Tee köcheln Hühnereier den ganzen Tag über auf niedriger Temperatur. Das Eiweiß verliert dabei seine gelatinöse Festigkeit und nimmt die Adstringenz und Aromen des Tees voll in sich auf. Solche Stände mit Tee-Eiern und allerlei chinesischen Health Drinks gibt es natürlich an vielen Stellen in der Stadt, hier aber besonders prominent am Pier von Tsim Sha Tsui. Diese Sude aus Kräutern und anderen Pflanzenauszügen besitzen häufig einen ziemlich expliziten Geschmack. Aber es handelt sich ja auch nicht um Genussmittel, sondern um Getränke, die bestimmte Bereiche des Körpers stärken sollen.
Dass Wan Chai vielleicht ein kleines bisschen in Richtung Gentrifizierung läuft, merkt man spätestens dann, wenn man vor dieser Einkaufspassage steht. Die Lee Tung Avenue ist nämlich nicht als überdachte Betonburg konzipiert, sondern soll die Fußgängerzone einer französischen Stadt imitieren. Es gibt dort Stores von Benefit, von Moleskine und auch einen Ableger der Brüsseler, tja, Bäckerei-Kaffeehaus-Kette Le Pain Quotidien.
Und noch etwas gibt es, nämlich einen Pâtissier, Passion by Gérard Dubois. Zwar ist der Schweizer Dubois tatsächlich einmal Pâtissier gewesen, aber eigentlich seit Jahrzehnten als Geschäftsmann in Hong Kong ansässig. Deshalb stehen viele der Stückchen, die man hier kaufen kann, stilistisch irgendwie auf halbem Weg zwischen Paris und Peking. Es gibt Rot und Gold und ein bisschen virtuellen Plüsch.
Während mich die internationalen Luxusmarken, die es in den überaus zahlreichen Shopping Malls in Hong Kong zu kaufen gibt, so gar nicht interessieren, muss ich zugeben, dass man hier durchaus gute Weine erstehen kann. Und zwar nicht gefälscht und nicht überteuert. Watson’s Wine heißt der Marktführer in Hong Kong, und insbesondere die Filiale im Pacific Place hält doch eine ganze Menge hochwertiger Tröpfchen bereit.
Ich spreche als Weinfreak dabei natürlich nicht von den klassifizierten Gewächsen des Bordelais, die man mittlerweile an allen sieben Enden der Weltmeere erstehen kann. Sondern mir geht es eher um solche lokalen Weine wie die – so meinen manche Kritiker – schrecklich spröden Roten und Weißen des chilenischen Weinguts Casa Marín von der kalten Küste, die eine total neue Sicht auf Neuwelt-Weine ermöglichen. Oder aber um den Wein vom Foto oben, den Barolo Acclivi von Burlotto. Für umgerechnet knapp 40 € ist das ein extrem wertiger, traditioneller und langlebiger Piemonteser, den man sicherlich an kaum einem Ort weniger erwarten würde als ausgerechnet hier in Hong Kong. Aber halt, stimmt nicht. Schließlich ist Hong Kong der mit Abstand größte Wein-Umschlagplatz in Asien und für mindestens zweimal im Jahr auch Standort großer internationaler Weinmessen. So ganz von ungefähr kommt ein solches Weinangebot also nicht.
Irgendwie wollte ich vor meinem Abflug aber noch einmal zurück in die wuselige Welt der Suppenküchen und Neon-Restaurants von Wan Chai. Und siehe da, direkt am Flughafen gibt es doch tatsächlich noch eine solche Möglichkeit. Zwar existiert bei den Gates auch noch ein kleinerer Ableger, aber die große Karte mit all den Köstlichkeiten, auf die ich jetzt wieder eine ganze Weile verzichten muss, bietet allein das Tsui Wah Restaurant vor den Sicherheitschecks. Und damit sage ich Goodbye Hong Kong! und hoffe auf ein Wiedersehen in nicht allzu großer zeitlicher Ferne. Ende November ist wirklich die beste Reisezeit, und den November gibt es ja auch wieder im Jahr 2018…
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