Die Messesaison ist für mich weitgehend durch für dieses Frühjahr, aber meine Entdeckungen auf der ProWein muss ich natürlich noch zum Besten geben. Auch für mich selbst als Gedächtnisstütze. Die Sache mit den 14 Geschichten ist nämlich die: Wenn man sich nicht nur aufs Probieren und Ausspucken der Weine beschränkt, sondern noch ein bisschen mit den Winzerinnen und Winzern ins Gespräch kommt, wird man ganz schnell feststellen können, dass das mindestens genauso interessant ist wie das Produkt selbst. So viele verschiedene Lebenswelten und Ansätze, und dennoch passen sie irgendwie alle in die große Welt des Weins und der Weinbauern.
Praktisch für meinen eigenen Ansatz fand ich, dass in diesem Jahr die Bioverbände und entsprechend viele derartige Winzer quasi geklumpt in der Halle 13 zusammengekommen waren. Weil die ProWein für mich aber darüber hinaus die Gelegenheit ist, Weine aus Gegenden zu probieren, die ich noch nie besucht habe, werde ich der Einfachheit halber hinter jedem Betrieb ein Sternchen * machen, wenn er biologisch oder biodynamisch zertifiziert arbeitet. Hier folgen nun also in einer (weintemperaturmäßigen) Reihenfolge von Nord nach Süd 14 Weingüter, bei denen sich Weine, Geschichte und Geschichtchen dahinter absolut lohnen:
Luckert, Franken*
Eine ziemlich kurze Geschichte. Ich weiß nicht, wie sie das gemacht haben, aber die 2015er der Luckerts (und zwar ausnahmslos alle, die ich probierte habe) sind frisch und saftig geworden, nichts zu spüren von Sonnenbrand oder Trockenstress – vielleicht in diesem jugendlichen Stadium sogar frischer als die Vorgängerjahrgänge. Obwohl die Luckerts immer die Malo zulassen, oder? “Ja, das haben wir diesmal wieder gemacht, aber nur zum Teil. Ich verstehe eh nicht, weshalb das nicht noch mehr Winzer machen. Die Cremigkeit nimmt eindeutig zu, die Weine passen besser zum Essen, und es geht ja nur die Apfelsäure weg, die Weinsäure bleibt.” Soweit Ulrich Luckert. 2015 haben sie auch zum ersten Mal seit 2003 wieder eine fruchtsüße Auslese produziert. 11,5 g Säure, 60 g Restzucker, 12 vol%, “der Stil wie früher in Franken, also nicht moselanisch natürlich. Die Trauben sind quasi am Stock rosiniert, völlig ohne Botrytis, und da haben wir gedacht, wir versuchen das mal. Die Reaktion der Gastro ist jedenfalls sehr positiv.”
Fürst Löwenstein, Franken
Bei Fürst Löwenstein probiere ich den Vorgängerjahrgang, und zwar das Große Gewächs “Asphodill”, ein Silvaner aus dem beeindruckenden Homburger Kallmuth. “Der hat uns jede Menge Ärger gemacht”, erinnert sich Kellermeister Bastian Hamdorf, “das Jahr war ja ein bisschen schwierig, und ich möchte, dass der Wein immer den Jahrgang authentisch widerspiegelt. Die Reben haben jedenfalls alles gegeben… 12 vol%, aber gerade so, das war das Ergebnis.” Ringen mussten sie mit dem Verband in “erster Lesung”, um den Wein überhaupt als GG verkaufen zu können, zu dünn sei der Wein ausgefallen. Der Bundes-VDP hingegen war sehr angetan, und sie sind nicht die einzigen geblieben. Der Wein ist nämlich nicht dünn, sondern einfach nur nicht fett, sehr sehnig, sehr straight, die Intensität kommt erst hinten und zieht sich nachhaltig hin. “Dafür werden die großen 2015er wieder eher etwas für Krafttrinker sein.”
Riffel, Rheinhessen*
“Schritt für Schritt,” meint Carolin Riffel, sei die ganze Sache gegangen. Vom Fassweinbetrieb der 1990er, damals noch parallel zu Obst und Gemüse, über die “Phase der Kammerpreismünzen”, die Entdeckung durch Fachzeitschriften, die Umstellung auf Bio 2009, der erste zertifizierte Jahrgang 2012, “das war der letzte Schliff”. Und heute? “Heute reißen uns die Leute die Weine aus den Händen, es ist schier der Wahnsinn. Auch die jungen Leute, die hätten am liebsten eine App, um den Wein direkt anzuklicken und nach Hause geliefert zu bekommen”, lacht Carolin. Und natürlich ist die Aufmerksamkeit berechtigt, die Weine sind alle gut, und man kann sie auch deutlich voneinander unterscheiden, da sollte man ruhig mal das ganze Portfolio probieren. Den “schwierigsten” Wein gibt’s zum Schluss: “Das ist unsere “Silvaner Reserve” von 2014, Sepp Muster-inspiriert sozusagen. 14 Tage Maische, dann im Barrique ausgebaut, ungeschwefelt bis zum September auf der Hefe gelagert, an Fruchttagen umgerührt, zum Schluss ein bisschen Schwefel dazu, ganz leicht filtriert, letzte Woche abgefüllt. Voilà!” Eine leichte Holznase gibt es, der Wein ist trocken gleitend und braucht viel Luft, um sich ganz feinkörnig zu öffnen. Das wird mal ein idealer Begleiter von Gemüsegerichten.
Brüder Dr. Becker, Rheinhessen*
Lotte Müller war einige Zeit lang die Vorsitzende von Ecovin, “eine aufregende Zeit. Nicht alle sind mir da gefolgt in meinem Ansatz. Ich wollte und will, dass Bio für alle zugänglich ist, denn das ist für mich die einzig zukunftsfähige Methode, Landwirtschaft zu betreiben. Wir arbeiten seit Ende der 1970er ökologisch, sind seit 2008 biodynamisch zertifiziert, jetzt testen wir ein wenig am Naturwein herum. Aber letztlich möchte ich, dass alle potenziellen Kunden auf diesem Weg mitgehen können, dass wir auch die Genossenschaften einbinden, dass es nicht eine zu elitäre Nische wird, in der wir uns bewegen. Die Vielfalt des Weinbaus muss erhalten bleiben.” Das sind starke und wichtige Worte, und genau aus diesem Grund möchte ich auch die durchaus unelitäre Rebsorte Scheurebe bei Lotte und Hans Müller testen. Mit der können sie nämlich ziemlich gut umgehen (kein Geheimnis allerdings für Eingeweihte). Alles sind noch 2015er Fassproben, gefüllt wird Ende April. Die trockene Version ist schön frisch und vielseitig zu verwenden, die Kabinettversion hat bei 11,5 vol% 22 g Restzucker im Gepäck, wirkt aber sehr ausgewogen, filigran, ohne jede parfümierte Vordringlichkeit. Der derzeitige Hit ist vielleicht die feinherbe Dienheimer Spätlese aus dem Vorjahr mit ihrer unglaublich traubig-hellen Art, stoffig und würzig gleichzeitig. Hoffentlich, so denke ich mir, ist die unsägliche Mode der aufdringlichen Sauvignons bald wieder vorbei, dann wird man nämlich solche Weine wie diese noch mehr schätzen, die mindestens Gleiches leisten, aber ohne zu nerven.
Barmès-Buecher, Elsass*
“Ah”, freut sich Geneviève Barmès, “endlich mal jemand, der unseren “Clos Sand” wirklich schätzt.” Denn das ist in der Tat mein Lieblingswein gewesen in der Kollektion, und die Konkurrenz war durchaus hart. Ich weiß auch nicht, weshalb man sich mit elsässischen Weinen in Deutschland so schwer zu tun scheint. Gut, halbtrockene Pinot Gris oder Gewürztraminer mit 14,5 vol% sind nicht nur für sich völlig außerhalb der jetzigen Moden, sie besitzen auch ein eingeschränktes Einsatzgebiet in der Küche des frühen 21. Jahrhunderts. Aber das Elsass hat ja noch viel mehr zu bieten, nämlich stoffige, intensive und langlebige Rieslinge, trockene Muscats, sehr vielseitige Crémants, sogar den einen oder anderen ernsthaften Rotwein. Und diesen Riesling hier, extrem pur, strikt, mineralisch, finessenreich, den ich allen Liebhabern dieses Typs sehr ans Herz legen möchte. Der “Clos Sand” stammt aus der gleichnamigen Parzelle, die überhaupt nichts mit Sand zu tun hat, sondern vielmehr oberhalb des Grand Crus Steingrübler am Wald auf Granit gelegen ist und trotz Südexposition immer etwas langsamer reift als die Weine von weiter unten. Und wenn ich von der fürchterlich sympathischen Winzerin mal auf den Rest des Betriebs schließen darf, würde ich nicht nur den anonymen Kauf des Weins empfehlen, sondern eher den Besuch des ganzen Weinguts.
Zusslin, Elsass*
Schon wieder Elsass, schon wieder biodyn, schon wieder exzellente Weine. Den “kleinen” Riesling Bollenberg hatte ich bereits öfter in den Filialen der Biosupermarkt-Kette “La Vie Saine” erstanden (gibt’s zum Beispiel in Metz oder Nancy). Hier möchte ich Euch jedoch den großen Brocken von Marie Zusslin vorstellen, den Riesling aus der Grand Cru-Lage Pfingstberg, der größtenteils auf Buntsandstein wächst. Weich wirkt er im Vergleich zu dem strengen Clos Sand, aber ungeheuer ausgewogen und ebenso auf eine lange Haltbarkeit hin vinifiziert. Das finde ich persönlich ohnehin angenehm: Während manche Winzer aus Deutschland am liebsten schon ihre 2016er angestellt hätten (weil die Kunden es so wollen…?), ist im Elsass bei den größeren Weinen gerade der Jahrgang 2013 angesagt. Vielleicht wird sich der VDP ja dereinst auch mal dazu durchringen können, seine Großen Gewächse ein Jahr später zu präsentieren.
Huards, Loire*
Romorantin ist mit Sicherheit nicht die bekannteste Rebsorte der Welt. Dabei handelt es sich um eine sehr alte Sorte, die bereits seit vielen Jahrhunderten an der Loire angepflanzt wird. Eine Parzelle von Henri Marionnet, aus dem er seinen Provignage keltert, stammt sogar von 1850 und gilt damit als der älteste völlig intakte Weinberg im ganzen Land. Aber nun zu den wahren Spezialisten dieser Rebsorte, der Domaine des Huards von Michel Gendrier. Während der (halbtrockene) “JM Tendresse” und der “François 1er” noch ein wenig ausgewogener sind, muss ich zugeben, dass es mir der kleine “Romo” vielleicht sogar am meisten angetan hatte. Allerdings nicht wegen seiner Solo-Qualitäten, denn die sind schon ein bisschen erklärungsbedürftig: Säuerlich ist er, leicht belegt und nicht etwa trocken, sondern furztrocken. Ein japanischer Koch, so erzählte mir Gendrier Junior, sei gerade vorher am Stand gewesen und hätte sich beinahe verbeugt vor Begeisterung vor dem Wein. Warum? Weil er im Zusammenhang mit bestimmten Gerichten eine Form annimmt, die man ihm überhaupt nicht zugetraut hätte. Ich hatte mal einen sehr jungen Crottin de Chavignol, also einen Ziegenkäse aus derselben Gegend, zu einem Romorantin gegessen – göttlich. Und ähnlich gut stelle ich mir seine Eignung für die japanische Shizo-Ingwer-Sushi-Reis-Küche vor, weil die Säure zwar kräftig, aber nicht fruchtig ist.
Pichler-Krutzler, Wachau
Ein sehr interessantes Gespräch hatte ich mit Erich Krutzler, und wie das so ist bei interessanten Gesprächen, ging es eigentlich um alles, Weinbau, Politik, Persönliches. Und natürlich auch darum, wie die Reben denn in dem auch in der Wachau ungemein heißen und trockenen Hochsommer 2015 zurecht gekommen sind. Schließlich gelten ja die kargen Steinterrassen nicht wirklich als ideale Wasserspeicher. Mein Eindruck war, dass der Riesling sich deutlich besser geschlagen hat als der Grüne Veltliner. Und zwar nicht nur relativ gesehen, sondern einfach richtig gut. Seit acht Jahren gibt es das Weingut erst, und trotz der Weindynastie-Namen der beiden Protagonisten sind sie immer noch auf Traubenlieferanten angewiesen, denn “im Kellerberg zum Beispiel gibt’s ja praktisch nix zu kaufen”. Dass es allerdings nicht immer der Kellerberg sein muss, zeigen die drei oben abgebildeten Weine aus den eigenen Weingärten. Der “einfache” Pfaffenberg aus dem Kremstal, sonst immer besonders karg, hat im Jahrgang 2015 eine aparte Restsüße, 7-8 g, die sie einfach dringelassen haben. Und ehrlich gesagt, der Wein ist so “lecker” im positiven Sinne, ich möchte wetten, dass er besonders schnell ausverkauft sein wird. Der Riesling “In der Wand” kommt aus einer recht unbekannten Steillage bei Dürnstein, die in diesem Jahrgang einen sehr schön pikanten und saftigen Wein produziert hat. Und schließlich gibt es noch den “Pfaffenberg Alte Reben” von einer Parzelle, die Erich und Elisabeth in einem minimal weniger gepflegten Zustand erworben hatten. 100 Liter Botrytis hatten sie 2015 ausgelesen, und der Wein steht ungemein intensiv da in seiner engmaschigen Art, die ihn erst in einigen Jahren, dann aber zu einem der ganz großen Rieslinge werden lässt.
Beck, Burgenland*
Wenn ich behaupte, Judith Beck und Ulrich Leitner hätten vielleicht noch mehr Spaß als ohnehin schon bei der ProWein gehabt, wenn sie zusammen mit den anderen österreichischen Biodyn-“Respekt”-Winzern in die Biohalle 13 gezogen wären, dann ist das rein spekulativ. Ohnehin kann man in ein- und derselben Persönlichkeit ja durchaus mehrere Facetten vereinen, und ich glaube, Judith Beck beherrscht die Fähigkeit sehr gut, unterschiedliche Dinge unter ein Dach zu bringen. Da stehen zum Beispiel die Rebsortenweine aus Bio-Zukauf, die auch dank ihrer exzellenten Preiswürdigkeit im österreichischen Fachhandel gut vertreten sind. Da gibt es aber auch den Blaufränkisch aus der “Bambule”-Reihe, macération semi-carbonique, also zwei Wochen lang leicht angequetscht blubbern lassen, komplett ohne SO2 und sonstige Zutaten ins gebrauchte Barrique, nach zehn Monaten unfiltriert abgefüllt, 12 vol%, ganz sauber, aber schön bissig. “Vin naturel”, wenn man diesen Begriff bemühen möchte. Und dann gibt es auch den Blaufränkisch “Altenberg”, ein lange ausgebauter Wein, zwei Jahre im Fass, dann noch ein Jahr in der Flasche, die 14 vol% sieht, riecht und schmeckt man ihm überhaupt nicht an, weil es kein Schmeichler sein will, sondern ein wirklich ernsthafter großer Roter.
Bourdic, Languedoc*
Mit Hans Hürlimann und Christa Vogel von der Domaine Bourdic im Languedoc habe ich mich über eine Stunde lang unterhalten. Warum? Weil sie wirklich etwas zu erzählen haben, über den Wein, aber nicht nur. Da fällt es natürlich schwer, in diesem Rahmen eine kurze Abhandlung zu verfassen, aber ein paar Details als Teaser möchte ich Euch dennoch schon einmal mitgeben: Die beiden stammen aus Basel und aus der Musikszene, Neue Musik wohlgemerkt. Anfang der 1990er haben sie Schritt für Schritt daran gearbeitet, ihren Traum vom Leben im Süden zu verwirklichen. Erst ein Haus im schlichtweg ruinösen Zustand erworben, dann renoviert, dann das zugehörige Rebland gekauft, Winzerausbildung gemacht und schließlich wirklich die Zelte in der Schweiz abgebrochen. Zehn Jahre lang haben sie parallel auf ihrem Weingut ein bedeutendes Musikfestival organisiert, “ich dachte ja, ich würde einfach weiter komponieren, nur halt in einer anderen Umgebung”, so Hans Hürlimann. Jetzt aber geht es in professioneller Hinsicht ausschließlich um den Wein, biologisch zertifiziert. Und künftig auch um das Experiment der “agriculture forestière”, der Agroforstwirtschaft. “Wir haben eine Parzelle mit Reben, die jetzt robust genug sind, um das einmal richtig auszuprobieren: die Kräuter am Boden, gut auch gegen Schädlinge, dann die Reben und darüber Bäume, die Schatten spenden.” Das tönt doch äußerst interessant (um es mal schweizerisch auszudrücken), und ich bin sehr gespannt, wie sich die Sache entwickeln wird. Vielleicht komme ich im Laufe der nächsten Monate noch einmal darauf zurück. Nebenbei bemerkt: Die Weine sind auch gut – Ihr habt es Euch schon denken können.
Roc des Anges, Roussillon*
Ganz zweifellos zu den anerkanntesten Weingütern des französischen Südens gehört die Domaine Le Roc des Anges von Marjorie und Stéphane Gallet. Allerdings befinden wir uns hier auch in anderen Sphären. Gab es die Weine der Domaine Bourdic ab Hof für einstellige Euro-Beträge, sind wir hier bei etwa 35 € gelandet. Noch nie hatte ich diese beiden Ikonen des Südens, die “Iglesia Vella” in Weiß und die “Trabassères” in Rot probieren können. Nun endlich. Verblüffenderweise zeigt sich momentan der Rote aufgeschlossener, mit rescher Säure, dann aber enorm elegant, transparent auf eine gewisse Art, mit sehr feinem Tannin und trotzdem nachhaltig. In all seiner Vornehmheit schmeckt er dennoch nach Süden: Rosmarin, andere Kräuter der Garrigue, Verbena gar. Die “Iglesia Vella” ist dagegen noch sehr zurückhaltend, was die Preisgabe von Aromen anbelangt. Ein Südweißer zum Einkellern.
Sefa & Daka, Kosovo
Wenn man hierzulande etwas über den Kosovo liest, dann sind das in der Regel Nachrichten, die sich nicht mit den schönen Seiten des Lebens beschäftigen. Nein, untertrieben, man liest im Grunde überhaupt nichts Positives über den Kosovo, und deshalb wissen wir auch gar nichts darüber, was es dort an erfreulichen und interessanten Dingen zu entdecken gibt. Ich hatte beispielsweise noch nie in meinem Leben Wein aus dem Kosovo probiert – vielleicht auch, weil ich erst nach der Zeit des “Amselfelders” unter die Weintrinker gegangen bin. In der Tat prägte jener schreckliche Wein jahrzehntelang unser Bild vom roten Balkantropfen, und das, obwohl es im Kosovo sowohl eine Jahrtausende alte Weinbautradition als auch ein ideales Klima als auch mit dem Vranac eine einheimische Rebsorte gibt, die das Potenzial für den ganz großen Sprung besitzt. Ich habe mich am Stand der Kosovaren durch eine große Auswahl an Vranac-Weinen probiert, und meine beiden Favoriten zeigen auch ein wenig die Bandbreite an, mit der diese Rebsorte gesegnet ist. Auf dem Bild oben seht Ihr Labinot Shulina von “Sefa Wine”, der sein Produkt in den Händen hält, einen weichen und weinigen, dennoch mit ausreichender Pikanz ausgestatteten Tropfen, der in seiner Duftigkeit fast an einen Pinot Noir erinnert. Sein Kollege Gazmend Daka von der “Daka Winery” hat mir hingegen eine ganz andere Interpretation präsentiert: Sein Vranac ist pechschwarz in der Farbe, riecht nach Brombeere, nach Pflaume, nach Lakritz, wie ein kalifornischer Zinfandel. Aber er schmeckt ein bisschen anders, vor allem, weil Vranac immer eine anständige Säure mit sich führt und weil es statt abgesoftetem Fruchtdrink einen echten Tanningrip gibt, eine dunkelkräftige, reife Herbheit. Liebe Weinfreunde, hier ist es mal wieder angesagt, das Schauen über den Tellerrand, denn Wein als Kulturgut kennt viele Facetten und wenige Grenzen.
Kayra, Türkei
Einen Schritt weiter als die Winzer aus dem Kosovo sind mittlerweile die Jungs von Kayra aus der Türkei. Auch wenn die politische Umgebung derzeit dort nicht wirklich aufgeschlossen erscheint und es schwer fällt, bei Verboten von Werbung oder auch Weinverkostungen die junge und prinzipiell interessierte Klientel an das Thema Wein heranzuführen. Der Schritt weiter bezieht sich aber auch auf das, was Murat Üner und Șener Aktaș (Produktionsleiter und Vertriebler) mir von den Experimenten vor Ort berichteten. “In Elazığ, der traditionellen Herkunft von Weinen aus der Rebsorte Öküzgözü, haben wir Parzellen auf 800 und auf 1100 Metern Meereshöhe”, sagt Murat Üner. “Unten ist zusätzlich noch ein See, der das Mikroklima ebenfalls beeinflusst. Wir haben festgestellt, dass die Reben unten nicht nur früher reif werden, sondern auch der Wein daraus weicher, schwarzfruchtiger wird, der aus der oberen Parzelle hingegen später und langsamer reift, rotfruchtiger, lebendiger ist. Der “Vintage” von unten reift deshalb in amerikanischer Eiche, der “Alpagut” von oben in französischer. Die Tatsache, dass es in der Türkei keine Appellationen gibt, hat ja sowohl Vor- als auch Nachteile. Der Nachteil ist, dass man den miesesten und den besten Wein von der Bezeichnung her nicht unterscheiden kann. Der Vorteil hingegen beim Fehlen von Bestimmungen ist, dass wir nach und nach selbst ausprobieren können, was das Terroir ausmacht, was sich am besten eignet, was letztlich eine Art Grand Cru-Lage ist und was eine Dorflage.” Ich weiß, dass es sich für Murat als bescheidenem Menschen übertrieben anhört, aber ich kann das an dieser Stelle ja sagen: Hier wird türkische Weingeschichte geschrieben, und die Tinte ist noch nicht getrocknet. An diesem Prozess Anteil zu haben, ist bestimmt eine sehr spannende Sache. Und die Weine waren die besten, die ich bislang aus der Türkei probieren durfte.
Bargylus, Syrien
Und auch mein letztes Weingut in diesem Artikel hat ein wenig mit Geschichte zu tun. “Ja, natürlich”, sagt Johnny Modawar, Sprachrohr für die Domainen Marsyas im Libanon und Bargylus in Syrien, “es ist Krieg in Syrien, die Bedingungen sind schwierig. Wir sitzen ja in Beirut, aber ansonsten wird alles in Syrien selbst gemacht, die Trauben angebaut, geerntet, der Wein ausgebaut und abgefüllt. Vor der Ernte haben wir uns per Taxi in der Kühlbox Trauben vom Weinberg in den Libanon bringen lassen. Aber die Trauben waren immer unreif. Dann, bei der siebten oder achten Lieferung, endlich süße Trauben. Wir haben gleich oben in den Bergen angerufen und gesagt, los geht’s, die Ernte beginnt!” Johnny ist sich dessen bewusst, dass die meisten Leute an den Stand kommen, weil der Wein aus Syrien stammt und nicht, weil sie an der Qualität interessiert sind. “Es ist nun einmal so, aber die Herausforderungen für uns waren auch schon vor dem Krieg da. Wir sind als Nr. 1 im syrischen Handelsregister eingetragen, und da kann man sich vorstellen, was das bedeutet: Wir mussten alles neu machen, alles. Die Verhandlungen mit den Behörden, das Anlegen des Weinbergs, dann brauchten wir auf dem Weingut Strom und Wasser, mussten Mitarbeiter schulen, die noch nie etwas mit Wein zu tun hatten…”
Allerdings ist es nicht so, dass es nie Weinbau in Syrien gegeben hätte, ganz im Gegenteil, die Tradition ist Tausende von Jahren alt. “Es gab und gibt übrigens immer noch Wein in Syrien, auch aus alten autochthonen Rebsorten. Der Wein wird in erster Linie als Messwein in den Kirchen verwendet. Leider ist er meist schauderhaft, auf Qualität wird da kaum geachtet.” Das kann man von Bargylus wahrhaftig nicht behaupten. Der Weinberg befindet sich ganz im Westen des Landes auf 900 Meter Meereshöhe, man kann von dort aus praktisch das Mittelmeer sehen. Durch die Kuppenlage weht immer eine kühlende Brise vom Meer, und das schmeckt man bei den Weinen. Einen Weißen gibt es aus Chardonnay und Sauvignon Blanc und einen Roten aus 60% Syrah und je 20% Merlot und Cabernet Sauvignon. Und – was soll ich Euch sagen – das sind ausgezeichnete Weine. Überraschend frisch und lebendig der Weiße, der Rote intensiv aber elegant, und zwar auf einem Niveau, das nicht im geringsten mit Kuriosität zu tun hat. Allerdings fällt es mir nicht leicht, wirklich vergleichbare Weine zu nennen, damit Ihr Euch ein bisschen orientieren könnt. Die internationalen Rebsorten deuten eher auf die Neue Welt, die frische Brise auf cool climate, die Eleganz gibt es auch im Roussillon, aber so ein Wein ist ja bekanntlich mehr als die Summe seiner einzelnen Teile.
Jedenfalls, und ich hoffe, dass ich das in diesem Artikel transportieren konnte, war für mich diese Rundreise durch die tausend Facetten des Weinbaus wieder einmal ein großartiges Erlebnis. Die aufrichtigen Brot-und-Butter-Winzer aus dem Nachbardorf, die akribischen Weltklasse-Erzeuger, die Menschen in den verschiedenen Regionen der Welt, manche mit uralten Traditionen, manche auf völligem Neuland, all sie eint die Liebe zur Scholle, zur Natur, zum Handwerk – und irgendwie auch zu einer Art menschlichem Miteinander. Und das spürt man in den Gesprächen mit ihnen. Das sind so Momente, in denen ich weiß, warum ich diesen Blog begonnen habe und immer noch mit demselben Interesse bei der Sache bin wie am ersten Tag.
Sieht spaßig und interessant aus!
Hallo Matze!
Die Weine von Huards liebe ich….die Weißen…..die Roten fallen doch häufig etwas ruppig aus für meinen Geschmack und haben nie den Weg in meinen Kofferraum gefunden…..auch wenn ich ihnen vielleicht etwas Unrecht damit tu….aber ich bin von Blois aus immer nach Chinon gefahren und da gefallen mir die Roten einfach besser…..sei’s drum….Romorantin als Rebsorte ist genau das was man zu dem regionalen Ziegenkäse trinken sollte. Vergesst Sauvignon Blanc als Kombi….und die Weine könne reifen (oder müssen)….speziell der François 1er. Ich begleite die Domaine mittlerweile seit vielen Jahren und jedesmal wandert (neben François 1er) auch reichlich von der Cuvée Haut Pinglerie (Sauvignon & Chardonnay) im Holz vergoren in meinen Kofferraum…..ein Wein, der in seiner Jugend karaffiert werden will und ganz hervorragend solo oder zu Fisch und Kalb in Sahnesoßen geht. Die “Romo-Weine” zur asiatischen Küche, speziell zu Sushi sind ein Gedicht. Das ist ein unbedingter Tip, wenn man in der Region unterwegs ist dort anzuhalten. Liegt vielleicht 15 Minuten abseits der Autobahnabfahrt Blois in Rtg Cour Chevergny…..Süden……und selbst wenn man die Domaine mit vollem Kofferraum verlässt, muss man keine Angst haben, dass der Kreditberater der Hausbank im weiterem Verlauf des Urlaub stört……;-)…….ich habe Deinen Post lieber Matze übrigens heute zum Anlass genommen, mir eine Trouvaille aus dem Keller zu holen, die ich mir von einer Frankreichreise 09 mit nach Hause genommen habe…..Domaine de la Taille aus Loups – Montlouis nur Loire – Sec “Remus Plus” Jahrgang 2007……ein wunderbarer Wein, der mit Luft in der Flasche gänzlich aufmacht und jetzt mundwässernd auf dem Höhepunkt angekommen ist und dort sicherlich noch 2 oder 3 Jahre verweilen wird….Chapeau!!!!
Ich habe den François 1er, Jahrgang 2000, vor einigen Jahren in Liège, Cave des Oblats, gekauft. Ich wusste nichts über die Rebsorte und hatte nur gelesen, dass der Wein gut sein soll. Als ich ihn aufgemacht habe, hat er mir erst nicht gefallen. Keine Frucht, säuerlich, okay, schon dicht, aber halt irgendwie spröde. Man sollte Novizen schlichtweg verbieten, einen Romorantin solo zu trinken und sich damit ein Urteil zu bilden, das für immer Bestand hat – weil man dann nämlich keinen zweiten mehr kauft 😉 Um das mit dem Kreditberater mal zu konkretisieren: Die Weine der Domaine des Huards kosten alle zwischen 10 und 14 €, der François 1er ist der teuerste.
Abgesehen davon mag ich bei den Roten auch die klassischen Chinons oder Bourgueils lieber – ich glaube, das Terroir ist dort einfach doch noch ein bisschen besser. Den “Rémus Plus” hab ich leider noch nie probieren können – bloß immer nur den “Rémus”, und das ist ja schon wahrhaftig kein magerer oder gar minderwertiger Wein 😉 . Nach wie vor finde ich übrigens die Weine von François Chidaine sehr sehr gut – die 2014er erscheinen mir äußerst vielversprechend. Naja, es gibt schon eine Menge guten Wein an der Loire… 🙂
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