Nun bin ich ja kein Weinhändler und kann solche Sachen nur aus zweiter Hand berichten. Des Öfteren habe ich aber von solchen Weinhändlern gehört, dass Kunden zu ihnen gekommen seien, um sich über einen (meist ohne Beratungswunsch) gekauften Wein zu beschweren. Der sei nämlich “kaputt”, “verdorben”, “hinüber”. Nach kurzer Zeit stellt sich dann heraus, dass die Verdorbenheit des Weins prinzipiell darauf beruht, irgendwie Sauerstoff eingesogen zu haben und damit jedenfalls nicht mehr “lecker” und “fruchtig” zu sein.
Vor vielen Jahren hatte ich tatsächlich einmal einen richtig kaputten Wein gekauft, im Supermarkt. Es handelte sich um einen Grünen Veltliner vom Wühltisch, heruntergesetzt auf 2,99 € und bereits durch die grüne Flasche als dunkle Brühe erkennbar. Ich nahm an, dass es sich um ein Exemplar handelte, das zwei Sommer lang in einer ungekühlten Wellblechhalle zugebracht hatte. Drei Euro waren mir für eine experimentelle Erfahrung dieser Art nicht zu viel. Das Ergebnis: bräunlicher Fluss ins Glas, im Mund Noten von Bohnerwachs, trockenen Blättern, die Frucht weit weit weg, zum Schluss noch der übliche Kratzer am Gaumenzäpfchen. Das, liebe Freunde, ist ein “kaputter”, unwillentlich oxidierter Wein.
Jetzt aber zu einem vollkommen “heilen”, vielleicht gar heilenden, willentlich oxidativ ausgebauten Wein.
Olivier Pithon ist der (wesentlich jüngere) Bruder von Jo Pithon, dem beinahe legendären Weißwein-Winzer von der Loire. Auf diese Weise schon sehr früh mit der Weinmaterie in Berührung gekommen, verließ er die Region mit 18 Jahren, um woanders sein Weinglück zu suchen. Nach fünf Jahren im Bordelais und prägenden Gesprächen mit Stéphane Derenoncourt stand Oliviers Entschluss fest: Er wollte auch ein Weingut haben, in eigener Verantwortung und möglichst in einer nicht allzu teuren Gegend. Ein Telefonat mit Gérard Gauby (ein Freund seines Bruders) brachte dann den Durchbruch: ein Monat arbeitslos, ab Januar 2001 Winzer in Calce, in der großen Talentecke des Roussillon. Und da lebt und arbeitet Olivier Pithon bis heute und produziert Rotweine und Weißweine nach biodynamischen Methoden. Nicht mit dem Allwahrheitsanspruch allerdings, darauf legt er Wert, sondern aus qualitativen Gründen und “weil es eine vernünftige Sache ist”.
Der “D18”, ein Vin de Pays des Côtes Catalanes (mittlerweile IGP), ist seine große weiße Cuvée, benannt nach der kruckeligen Landstraße, an der die Parzelle liegt. Bei guter Sicht hat man hier einen Blick, der vom Mittelmeer bis zu den Pyrenäen reicht. Zwei Hektar stehen hier auf Schiefer, zwei Drittel Grenache Blanc, ein Drittel Grenache Gris, und aus denen holt Olivier mit einem beachtlichen Hektarertrag von 11 hl so wenige Flaschen, dass sie – zumindest in Frankreich – immer viel zu schnell ausverkauft sind. Obwohl der Wein nicht unerheblich Geld kostet, 35 € ungefähr, und obwohl er konsequent anders ist als, tja, “fruchtige” und “leckere” Produkte. Zwischen 12 und 16 Monaten wird der (oder vielmehr “die”) D18 im Holz ausgebaut, was schon ein wenig darauf hindeutet, dass man den Wein nicht unbedingt in seiner Jugend genießen sollte. Deshalb wird heute der 2005er aufgemacht.
Farblich ins Kupfer spielend, ist dies ein Wein, der seine oxidative Art schon im Erscheinungsbild zeigt. Abgesehen davon zaubert Grenache Gris nach längerer Mazeration ohnehin eine solche Farbe in den Wein. In der Nase Sherry, Amontillado mit weniger Alkohol, Vin Jaune, eine sehr deutlich oxidative Note. Am Gaumen folgt dann eine sehr starke Viskosität, ein ungemein dichter Stoff, große Kirchenfenster hinterlassend, dazu leichte Gerbstoffe. Was dann allerdings überrascht, ist die klar präsente Säure, die den Wein nicht ins Plumpe abgleiten lässt, sondern einfach sehr herbstlich wirkt. Nelke, Kurkuma, Sanddorn, das sind die Aromen, die mir beim Schmecken in den Sinn kommen. Der Abgang ist sehr lang, sehr anders, viel inneres Feuer. Der Wein scheint den ganzen Jahresgang der Sonne in sich aufgesogen zu haben, komprimiert, geschrumpft, in kleine Sonnenbällchen mit gerbigem Rand gefüllt.
Das Fazit ist klar: Dies ist kein Weißwein für Leute, die einfach einen Weißwein haben wollen. Für all diejenigen, die solche Weine nicht kennen – oder aber hier nicht vermuten – ist dies ein erklärungsbedürftiges Produkt. Für Vin Jaune- oder Orange Wine-Freunde hingegen dürfte der D18 gar nicht mal besonders kompliziert wirken. Ein solcher Wein verlangt natürlich auch nach einer speziellen Speisenbegleitung. An passenden weißweinaffinen Dingen würde ich also höchstens gegrillten Fisch mit Knoblauch empfehlen. Ansonsten aber schadet es sicher nicht, ihn wie einen leichten, aber intensiven Rotwein zu verwenden und zu Bratgeflügel zu servieren.
Ein großer Wein, keine Frage, beeindruckend, aber natürlich auch in einem gewissen Maße singulär. Vielleicht, so denke ich mir, hilft es bei der Interpretation – und Weingenuss ist ja immer etwas Subjektives, Assoziatives – wenn man tatsächlich einmal im Roussillon gewesen ist. Dann hört man die Zikaden, spürt den warmen Lufthauch, riecht Trockenheit und Kräuter. Und dann wird es leider unweigerlich dazu kommen, dass man bei einem Schluck des D18 im Geist den Koffer packt, mit Shorts und Sandalen, und ohne weitere Umstände sofort bereit ist, sich wieder auf den Weg in den Süden zu machen.
Etwas Profanes noch zum Abschluss: Den Wein, der ansonsten wirklich schwer zu bekommen ist, habe ich bei “Passion Vin” in Berlin für 37,50 € erstanden. Vom 2005er war es allerdings die letzte Flasche…
Sehr interessant geschrieben, hat Lust auf einen Test kleinen gemacht. Danke
Ich hatte neulich eine Cuvée von Weißburgunder, Chardonnay und Sauvignon Blanc aus Österreich zum Testen. Flasche auf und es roch wie die Windel meines Sohnes und schmeckte leider auch nicht besser. Nach einer Woche im Kühlschrank nochmal probiert, dann eher so überreife, vergorene Ananas. Konnte den dennoch nicht trinken. Habe beim Weinhändler nachgefragt, es hieß das läge am Barrique-Ausbau und das gehöre so. Schätze, ich habe den Wein einfach nicht verstanden… Na denn Prost.
Naja, das ist doch prinzipiell das Gute am Weingenuss, dass es unterschiedliche Vorlieben gibt (die sich im übrigen ja im Laufe der Zeit auch ändern können). Mir geht es auch häufiger so, dass ich an einen Wein gerate, bei dem ich einfach nicht weiß, was er mir sagen will. Und damit meine ich natürlich nicht grob fehlerhafte Erzeugnisse, sondern solche, die mir stilistisch irgendwie nicht behagen. Ich habe zum Beispiel Schwierigkeiten mit platten, breiten Dingern mit viel Holz und Alkohol. Es sei denn als “winter warmer” vor dem imaginären Kamin. Dafür vertrage ich ein bisschen risikoreicher vinifizierte Gewächse mit leicht flüchtiger Säure vielleicht etwas besser als der statistische Normaltrinker. Der Wein von Pithon war aber trotz durchaus individueller Züge absolut sauber und ziemlich straight – nur halt nicht “fruchtig lecker”. Windelgeruch und überreife, vergorene Ananas als Aromen wären wahrscheinlich auch nicht so mein Fall 😉
Danke aber für den Bericht, fand ihn interessant und machte auch Lust aufs probieren! Der Text da oben fiel mir nur spontan dazu ein.