Eine Schnapsidee. Gestern hatte ich gesehen, dass das Wetter am Wochenende auf der Südseite der Alpen schön sein würde, und jetzt, Samstag früh, bin ich unterwegs ins Gebirge. Wegen des Staus an der Brenner-Mautstation habe ich die Bundesstraße genommen und stecke jetzt mitten im Zweitakter-Geknattere aller Zündapp-Fanclubs der Welt, die offenbar heute ihr weltgrößtes Revivaltreffen genau hier auf dieser Straße veranstalten. Was ich in dem Moment noch nicht weiß: Natürlich wird der kleine Ausflug anstrengend, aber er wird auch großartig, und er wird sich total lohnen.
Da sich nachmittags Gewitter in den Bergen bilden, was hier um diese Jahreszeit nicht ungewöhnlich ist, fahre ich nicht direkt zu meiner Unterkunft, sondern mache kurz in Bozen Station. Wer viel Zeit hat, sollte natürlich noch viel länger Station machen, denn Bozen ist kulturell-kulinarisch sehr interessant, eine alte Handelswegstadt, die sowohl bergbäuerlich als auch oberitalienisch wirkt. Für den Besucher – das ist ein bisschen wie mit Belgien – hat dieses Nebeneinander unterschiedlicher kultureller Traditionen und Lebensentwürfe in jedem Fall einen hohen Reiz, da er sich sozusagen die Rosinen beider Welten herauspicken kann.
Wer allerdings, so wie ich, eigentlich nur auf der Durchreise ist (und gleichzeitig weininteressiert), für den habe ich einen richtig guten Tipp: Fast direkt an der Autobahnausfahrt Bozen-Nord befindet sich ein ziemlich neues Weingeschäft, der Wine Store. Ich bin erst einen Tag vor meiner Reise im Internet zufällig darauf gestoßen, nach meinem Besuch aber ausgesprochen begeistert. Eine solch breite Auswahl Südtiroler (schreibt man offenbar auch als Adjektiv groß) Weine habe ich noch nirgends gesehen, und ich wage zu behaupten, dass es auch nirgends eine größere Auswahl gibt.
Nachdem die Südtiroler Weinwelt ja im letzten Jahrhundert durch das Tal der Rachenputzer aus Überertrag gehen musste, hatte in den 1990er Jahren die wundersame Wiederauferstehung eingesetzt, insbesondere dank der mittlerweile sehr qualitätsbewussten Genossenschaften. Dass es kleinere Winzer gibt, die nicht Mitglied einer Genossenschaft sind und die wirklich traditionell-authentische Weine auf den Markt bringen, ist hingegen eine Entwicklung der jüngsten Zeit. Ihre Erzeugnisse aus biologischem oder gar biodynamischem Anbau stellen dabei sozusagen einen Gegenentwurf zu einer Landwirtschaft dar, in der der Fortschritt nach agrochemischer Definition immer noch hoch im Kurs steht.
Auf dem oberen Bild könnt Ihr wahrhaftige Alpenweine aus Eisacktaler Steillagen sehen (nämlich den von Peter Pligers Kuenhof), Weine aus alten, ertragsschwachen Vernatsch-Klonen (wie vom Ansitz Waldgries) oder auch den Wein von Heinrich Mayr mit dem „B“ auf dem Etikett. Dahinter verbirgt sich der „Blaterle“ (oder Blatterle), eine alte und autochthone weiße Rebsorte, die nur noch wenig angebaut wird. Ähnlich wie bei „unserem“ Heunisch oder Orleans handelt es sich um eine Sorte, aus der prinzipiell eher einfache Weine entstehen, aber Ihr wisst ja um mein Interesse am Erhalt alter Rebsorten. Ein Musskauf sozusagen.
Jetzt geht es aber endlich auf die Höhe. Ich fahre auf der Autobahn bis nach Mezzocorona (wo ich im Übrigen bei mehr Zeit sehr gut einen Abstecher zum dortigen Weingut von Elisabeta Foradori hätte machen können), dann das Nonstal hoch und schließlich auf einem kleinen Sträßlein bis zu meinem Unterkunftsziel, dem “Rifugio Predaia Ai Todes’ci“. Wirt Giorgio ist die Herzlichkeit in Person und empfängt mich mit selbst gepflückten Kirschen aus dem Garten. Ohnehin ist diese Unterkunft für all diejenigen zu empfehlen, die einen wunderbaren Bergblick mit viel Ruhe suchen, die gern auf einer Aussichtsterrasse ein authentisches Menü zu sich nehmen wollen, die einen bereits auf halber Höhe gelegenen Ausgangspunkt für weite Wanderungen suchen… also im Grunde für alle, die das gute Leben lieben.
Auf dem Balkon sitze ich, esse hauchdünn geschnittenen Schinken und würzigen Ziegenkäse, dazu gibt es einen einfachen, aber umso herzhafteren “Buttafuoco” aus dem Oltrepò Pavese, einen dieser norditalienischen Suffweine für wenig Geld, hergestellt aus lokalen Rebsorten (in diesem Fall Barbera, Croatina, Uva Rara und Vespolina). Währenddessen zieht ein Gewitter auf, schüttet kurz ab, dann wieder Sonne …und ab jetzt lasse ich einfach die Bilder sprechen.
19:05, aus dem Tal zieht eine Wolke hoch.
19:07, ich sitze mitten in der Wolke.
19:11, der ganze Spuk ist schon wieder vorbei. Es ist manchmal einfach unglaublich, wie schnell die Wettererscheinungen in den Bergen kommen und gehen. Jetzt gehe ich allerdings erst einmal, und zwar ins Bett. Denn so schön die Aussicht ist und so schmackhaft die kulinarischen Produkte, gekommen bin ich ja wegen des Bergwanderns.
Gelesen hatte ich schon von der Blumenpracht, die es hier auf den Anhöhen des Nonstals geben soll. Und tatsächlich: Neben den außergewöhnlich üppig blühenden Alpenwiesen gibt es auch ein paar wirklich spektakuläre Pflanzen zu entdecken wie diese Türkenbund-Lilien.
Gleich noch eine Lilie, diesmal eine Feuer-Lilie. Ich steige durch den Wald rückseitig auf den Berggrat, der beim Corno di Tres beginnt und über den Monte Roèn und den Mendelpass bis zum Gantkofel und weiter in Richtung Meran reicht.
Beim Blick von oben auf das Bozner Unterland und das Etschtal sieht man sehr schön, dass es eine scharfe Grenze gibt zwischen den Weinbergen an den Hügeln und den plastiküberzogenen Obstbaumkulturen der Ebene.
Vom “Verbrennten Egg” reicht der Blick vom Bozner Talkessel links über den Kalterer See im Bildvordergrund und das Etschtal in der Mitte bis weit in die Berge hinein. Schlern, Rosengarten, selbst die schneebedeckten Gipfel der Alpenhauptkette, alles kann man heute sehen.
Auf dem Gipfelplateau des Monte Roèn gibt es schließlich auch Edelweiß. Dank einer nur mittelprächtig geplanten Runde dauert der Rückweg dann wesentlich länger als der Hinweg. Ich zwänge mich durch Bergwald und Gestrüpp auf einem Pfad, der doch auf der Karte ganz nett aussah, allerdings das letzte Mal vor einigen Jahrzehnten begangen zu sein scheint. Wollt Ihr solches vermeiden, folgt lieber dem Weg Nr. 500, der gut präpariert und ausgeschildert ist.
Da ich ehrlich gesagt für eine so lange Tour ein bisschen sparsam bei der Mitnahme von Getränken gewesen bin, freue ich mich schon den halben Rückweg darauf, endlich wieder richtig schönes klares Brunnenwasser zu mir nehmen zu können – und dann eben keinen der hiesigen Rotweine, sondern vielmehr ein lokales Bier. Wie Bierfreaks sicher wissen, ist Italien biertechnisch aus der Hölle in den Himmel gelangt. Nein, die Massenplörre ist nicht verschwunden, aber eine höchst lebendige Craft Beer-Kultur aufgetaucht, die eigentlich überall in Italien neue Mikrobrauereien mit interessanten Produkten entstehen lassen hat. In diesem Fall trinke ich ein Weizen direkt aus dem Nonstal, dem Val di Non. Es ist in der Tat im bayerischen Stil gehalten und nicht im belgischen Witbier-Stil mit Korianderkörnern und Orangenschale. Dennoch spürt man die Orange ganz deutlich, aber nicht als Zutat, sondern als fruchtesterige Eigennote des Gärprozesses.
Irgendwie ertappe ich mich bei dem Gedanken, dass es bis zum Gardasee und nach Verona ja noch nicht mal eine Stunde dauert, sehr verlockend. Aber dann mache ich mich doch wieder auf in Richtung Norden, zusammen mit den ganzen Münchner Wochenendausflüglern, die zu später Stunde fast allein die Inntal-Autobahn bevölkern. Schee war’s, anstrengend zwar, ein wenig irr ohnehin, aber auch Ihr, die Ihr nur die Fotos anschauen könnt, müsst doch auch zugeben, dass es sich irgendwie gelohnt zu haben scheint…
Das hört sich nach einem sehr gelungenen Wochenende an! Von Düsseldorf brauch man leider etwas länger bis nach Bozen. Der Blatterle lässt sich überraschender Weise sehr gut lagern. Habe den vor zwei Jahren auf der ProWein probiert, in verschiedenen Jahrgängen. Der älteste war glaube ich von 2006, schon zwei Tage auf, aber keine Spur oxidiert. Salzig und säurearm.
Zugegeben, Düsseldorf liegt nicht direkt in den Alpen. Aber dafür könnt Ihr nach Maastricht, Brüssel, ans Meer und in den Norden Frankreichs, was ich nicht so leicht zu können schon so manches Mal bedauert habe. Hat der Blatterle eventuell etwas von einem Fendant vom Genfer See? Säurearm, salzig und gut zu lagern, zudem aus den Bergen, das hört sich fast an wie ein Dézaley. Ich bin gespannt. Was ich nicht geschrieben hatte: Der Blatterle und die Kuenhof-Weine haben um die 15 € gekostet, die Roten und der Brut Nature um die 20 €.
Die Aussicht von Maastricht aus ist leider nicht so spektakulär. Aber immerhin ist es das nächste ausländische Weinbaugebiet. Fendant vom Genfer See habe ich leider noch nicht probiert. Muss ich dann wohl demnächst nachholen.
Hallo Matze,
sehr schön dein Bild “Blick von oben auf das Bozner Unterland” – da kommt bei mir ein wenig Fernweh auf.
In der linken unteren Bildmitte sieht man übrigends den Ansitz Tiefenbrunner, die Gebäude, zwischen denen mehrere Pinien wachsen.
Interessant finde ich ja, dass es ausser dem Mendelpass und über Mezzocorona (naja, und über Tisens / Lana) keine vernünftige Anbindung zwischen Etschtal und Nonstal hat – eigentlich müsste man über den Fennberg auch rüber kommen, aber wohl eben nur zu Fuss.
Was Tiefenbrunner und den Fennberg anbelangt, da wirst Du ja auf 1.000 Meter Höhe auf die Müller-Thurgau-Reben für den “Feldmarschall von Fenner” treffen – viel höher geht’s bei Reben sicher kaum. Das Nonstal ist – wenn ich mich nicht täusche – ein typisches Durchbruchstal, also ähnlich wie das Eisacktal oberhalb Bozens, das Grödner Tal, das Eggental… Die haben alle vor dem Durchbruch, also am Unterlauf des Talbachs die engste Stelle, den größten Höhenunterschied, und zwar wegen des härtesten Gesteins, das sie da durchbrechen müssen. Mit anderen Worten: Es gibt immer nur den einen Eingang 🙂 Der Mendelpass ist nur die Lücke in der Bergkette – sag ich mal so aus der kalten Hose, glaube das mal im Studium gelernt zu haben 🙂
Aber Fernweh, ja – das hatte ich eigentlich schon nach ein paar Tagen wieder, weil es so unwirklich war und ich nur so kurz dort. Wir haben mit den Eltern oft die Sommerferien bei Bekannten in Südtirol verbracht, das ist sicher auch so ein Romantikfaktor…
Ja, die Weinberge in denen der Feldmarschall entsteht, die kenn’ ich – liegen nur ein paar Meter unterhalb des Fennbergsees mit Blick auf das Nonstal. Von da aus ginge es zu Fuss weiter ins untere Nonstal …
Falls es mal wieder besonders heiß im Etschtal sein sollte, kann man sich im Fennbergsee eine gute Abkühlung verschaffen.
Pingback: Alois Lageder - Vertikale Cor Römigberg 1996-2017 - Chez MatzeChez Matze