Irgendwie habe ich das Gefühl, so langsam zum reitenden Messeboten zu werden. Erst die Braumesse, dann die Biofach und jetzt schon wieder zwei Veranstaltungen, über die ich eigentlich in aller Ausführlichkeit berichten müsste, weil es wirklich jede Menge Berichtenswertes gäbe. Manchmal geht es allerdings auch kürzer, selbst bei mir. Mit gewissen Abstrichen natürlich.
Messe 1: Eine Anfahrt auf abenteuerlichem Kopfsteinpflaster, vorbei an Schrott und Altindustrie, das ist der Einstieg in den Weinsalon Natürel in Köln. Wer live miterlebt hat, wie Surk-ki Schrade ihr Vin Naturel-Lädchen in Ehrenfeld vor ein paar Jahren quasi aus dem kompletten Nichts hochgezogen hat, um jetzt als Zwischenetappe eine Weinmesse zu organisieren, kann nichts anderes als den sprichwörtlichen Hut ziehen. Und alle Winzer waren gekommen, die sie gerufen hatte, über 50, um hier dem Publikum ihre Weine zu präsentieren. Welche Weine mir dabei gefallen haben? Einige, aber ich möchte mal zwei herausgreifen, Stefan Vetters Silvaner GK von den ältesten Reben des Gambacher Kalbenstein und den Malvazija von Simona und Aleks Klinec aus Slowenien, ein Orange Wine zum Nachkaufen.
Was mir sonst noch zu dem Salon einfällt? Beispielhafte Mottos, welche die Natürel-Szene den arrivierten Weinindustriellen an den Kopf werfen könnte: Mehr Haare wagen! Mehr Bärte wagen! Mehr Mützen wagen! Mehr Frauen beim Wein! Mehr junge Leute! Weniger Technik! Weniger Formalität! Denn ist dieses Natürelle, liebe Leute, jetzt eine unnütze Mode, die übermorgen wieder verschwunden ist, oder haben wir es hier mit der Speerspitze einer Bewegung zu tun, bei der es sich nicht nur um Wein dreht und die das Lebensgefühl einer immer größeren Gruppe junger Menschen transportiert? Ich glaube ehrlich gesagt Letzteres. Natürlich wird es sich im Kern immer um eine urbane und akademische Bewegung handeln. Aber – denkt an meine Worte – in zwei Jahren wird die ProWein bei Surk-ki anfragen, ob sie nicht einen kleinen Hallenteil mit ihren “Freakwinzern” belegen möchte.
Messe 2: Ich war natürlich nicht nur bei der Natürel-Messe a.k.a. Off-ProWein, sondern auch auf der “echten” ProWein. Wie viele Weine ich hier theoretisch hätte probieren können, weiß ich nicht, aber vermutlich hätte ich trotz des guten Tempos, das ich angeschlagen hatte, für weitere 10.000 Tage noch mehr als genug zu tun. Christoph von Originalverkorkt meinte, ich sollte doch bald einmal dem Wine Century Club beitreten, denn die 100 verschiedenen Rebsorten, die man für eine Mitgliedschaft probiert haben muss, hätte ich doch längst geschafft. Diesmal ging es in dieser Hinsicht wieder weiter, denn mit den (überraschend guten) armenischen Weinen aus Arení und Tozot, Madrasa aus Aserbaidschan, Carcaghjolu Neru von der Insel Korsika, Liatiko von der Insel Kreta, Mavrotragano von der Insel Santorin, Kisi aus Georgien, Kınalı Yapıncak aus der Türkei und …wo war ich stehen geblieben?
Mit am meisten beeindruckt haben mich allerdings die Erlebnisse, die nur mittelbar etwas mit den Weinen zu tun hatten, die ich am Stand probieren konnte. Luís Pato, der große, ewig energiegeladene Winzer aus Portugal, weihte mich in seine neuesten Pläne ein, denn er will natürlich im nächsten Jahr schon wieder eine neue Sache ausprobieren. Immer nur lagerfähige Rote zu machen, genügt ihm ganz offenbar nicht. Jean-Michel Deiss stellte mir zwischen den Zeilen und den großen Weinen, die er wieder einmal aus seinen Terroirs geholt hat, seine zutiefst humanistische Philosophie vor. Sebastiano De Bartoli, vielleicht der einzig verbliebene Produzent von wirklich fantastischem Marsala, hielt einen flammenden Appell für das Bewahren der vom Aussterben bedrohten Traditionen, und die Weine von Pyramid Valley aus Neuseeland zeigten mir mit ihrer unfiltrierten Anmut und den Etiketten ganz nach meinem Geschmack (oben auf dem Titelbild zu sehen), dass die Neue Welt auch ganz anders sein kann. Und dann habe ich noch Yumi Tanabe kennen gelernt, die Gründerin des Sakura Women’s Wine Awards, aber das ist eine neue Geschichte.
Ich weiß, dass ich absolut privilegiert bin, bei so einer Messe wie der ProWein einfach die Stände besuchen zu können, die mich interessieren. Aber man muss eine solche Möglichkeit dann auch nutzen, denn oft sind abseits der üblichen Pfade der Weinwelt noch unglaubliche Entdeckungen zu machen.
Petitesse: Ganz zum Schluss und (noch) ganz am Rande sei Euch hiermit verkündet, dass ich mittlerweile in Honfleur angekommen bin, einem sehr hübschen und sehr touristischen Städtchen in der Normandie. Gesehen habe ich in der Dunkelheit noch nicht viel, aber wieder einmal an einem Hafenbecken zu stehen, in dem die Boote sanft schaukeln, das hat schon etwas.
Und noch etwas in Honfleur bringt die wilden Weine vom Weinsalon Natürel und die große Welt der ProWein symbolisch zusammen: Auch hier stehen krumm und gerade direkt nebeneinander – und das ist gut so.
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