Die Biofach 2015, die größte Bio-Fachmesse der Welt, die Werkschau einer Branche, die seit Jahren stetig wachsende Umsatzzahlen aufweist. Gibt es in so einem Ambiente für Euren Nischenblogger überhaupt noch etwas zu entdecken? Produkte, die noch in keinem Bio-Supermarkt angekommen sind? Produzenten, die noch ein wenig den Spirit der “Bewegung” spüren lassen ohne den unbedingten kommerziellen Erfolgswillen? Andererseits: Was ist eigentlich schlimm daran, Dinge sorgfältig und fair herzustellen und nicht etwa trotzdem, sondern gerade deswegen zu expandieren, ökonomisch zu wachsen? Wie Ihr Euch also denken könnt, führen für mich im Biobereich mehrere Wege nach Rom, und ein paar meiner “best picks” möchte ich Euch hier vorstellen.
Vivian von Lovechock hält eine Urkunde in die Kamera. Auf der Urkunde steht, dass ihr Schokoriegel „Pecan/Maca“ den „Best New Product Award“ der Biofach gewonnen hat. Das ist nicht etwa schön, sondern leuk, denn Lovechock kommen aus Amsterdam. Und den Riegel muss ich natürlich probieren. Pecan ist eine Nuss, Maca eine Knolle aus Peru. Die Schokolade (81%, also durchaus bitter) enthält kein Soja-Lecithin, wird mit Kokosblütennektar gesüßt, die Verpackung kann in die Biotonne, und drin finde ich nicht nur den Schokoriegel, sondern auch einen halb-vorgefertigten Liebesbrief – auf Holländisch. Ich kann da zum Beispiel unter der Rubrik „Wat ik zo leuk aan jou vind“ (= “Was ich so nett an dir finde”) ankreuzen: „je stoute stoerigheid“. Sturheit also. Dat is erg leuk, würde ich sagen. Jetzt aber zum Geschmackstest (des Riegels, versteht sich): Erst einmal richtig intensiver Kakaogeruch, das fällt auf. Dann eine gewisse Krümeligkeit, also kein beinhartes Produkt, sondern eher ein etwas grobkörnigeres Konglomerat aus Schoko, Nusssplittern und Trockenfrucht (Datteln sind es). Dazu und quasi als Gegensatz dieser kühl-glatte Geschmack purer Kakaobohnen. Sehr schön, wenn auch für mich persönlich ein bisschen zu viel auf einmal. Was ich mir hier allerdings nicht mehr wünschen muss: dass mein Bioladen in der Nachbarschaft sie einlistet. Heute habe ich nämlich einen ganz frischen Aufsteller von Lovechock dort gefunden.
myChipsBox kommen aus Frankfurt und sind alles andere als ein industrieller Großhersteller, sondern ein Mini-Familienbetrieb. Ich spreche mit Ebru, ihres Zeichens Ökotrophologin und somit von ihrer Ausbildung her eigentlich für das schlechte Gewissen beim Chipsgenuss zuständig. Scheint aber nicht der Fall zu sein, denn Ebru ist voller Schwung und stellt mir im Nu die 18 verschiedenen Sorten vor, die sie daheim in ihrer Küche frittieren. Drei Monate gibt es das Startup erst, und sie haben zunächst einen Öko-Kartoffelbauern in der Nähe finden müssen, bei dem sie ihre Kartoffelbestellungen aufgegeben haben. “Pirol” heißt die Kartoffelsorte übrigens, eine mehligkochende Art, denn genau so etwas brauch man für Chips. Schön dick geschnitten sind die Scheiben, damit der Kartoffelgeschmack auch gut zur Geltung kommt, so etwas fällt Eurem Profi-Chipstester natürlich sofort auf. Im Laden kann man die Chips nicht kaufen, sondern nur online bestellen, in drei Boxengrößen, mit kleinen oder großen Tüten. Was bleibt mir da noch übrig zu wünschen? Viel Erfolg natürlich, und bitte noch Geschmack No. 19, “Sucuk”. Ohne Geschmacksverstärker selbstverständlich, wie die anderen Sorten auch.
Es gibt Menschen, die findet man bereits sympathisch, kaum dass man ein paar Worte mit ihnen gewechselt hat. Jan Geuns von Stepaja ist so jemand. Und eine echte Persönlichkeit. Als er nämlich am Donnerstag am Stand der musizierenden Ungarn mitgefeiert hatte und später noch im Hotelzimmer wach lag, da komponierte er spontan einen Tanz im Sieben-Achtel-Takt, den er den Ungarn am nächsten Tag vorspielen wollte. Als leidenschaftlichem Musiker und Folk-Produzenten fiel ihm das nicht allzu schwer. Auch sein Vorhaben, die musizierenden Ungarn abends an seinen Stand zu locken, gelang ohne Schwierigkeiten, und zwar mit Hilfe eines großzügigen Freibierversprechens. Jenes wiederum war ebenfalls eine Win-Win-Situation, denn eigentlich sind Jan und seine Frau ja auf der Biofach, um ihre beiden belgischen Bio-Biere unter dem Namen „Nog ééntje“ anzubieten. Dies war ihr erster Messebesuch, und wenn ich mir das richtig gemerkt habe, brauen sie schon seit über zehn Jahren Bier, nur haben sie es früher immer mit Freunden allein getrunken.
Und als ob das nicht alles schon interessant genug ist, handelt es sich bei Jan Geuns auch noch um einen emeritierten Biologie-Professor, der viele Jahre damit zugebracht hatte, die aus Paraguay stammende Stevia-Pflanze als Zuckerlieferanten auf den europäischen Markt bringen zu dürfen. Kein Stevia und auch sonst nichts Süßendes findet sich allerdings in seinem Hellen, mit 6,4 vol% ein wenig mutig als „Tripel“ bezeichnet. Ein sehr schönes Bier, obergärig, aber nicht zu fruchtesterig, hopfenstark, aber nicht zu dominierend, das beste, was man zu belgischen Fritten reichen kann. Sein Dunkles, in klassisch belgischem Stil mit Rohrzucker gebraut (6,5 vol%), ist sehr trockenfruchtig, malzig und einfach ideal für Carbonade oder ähnliche Schmorgerichte. Das sind solche Begegnungen, die ich mir auf anderen Messen schwer vorstellen kann und die genau jenen Spirit der “alten” Biofach in sich tragen, wie wir Teilzeit-Nostalgiker ihn uns wünschen.
Wo wir schon bei Bier sind, möchte ich Euch noch eins vorstellen, diesmal ein regionales Bier mit internationalem Anstrich, das erst in ein bis zwei Wochen in die Läden kommt. Es handelt sich nach dem „Dolden Sud“ um ein weiteres Spezialbier der Riedenburger Brauerei mit dem Namen „Dolden Dark“. Dark deshalb, weil es sich um ein wahrhaft dunkles Bier handelt, und zwar um ein Porter ganz nach englischer Tradition. Da zahlt sich wieder einmal aus, dass die „Juniors“ Maximilian und Tobias so weit herumgekommen sind. Max braute sogar drei Jahre lang in Italien wahrhaft verrücktes Zeug – für deutsch-reinheitsgebotige Verhältnisse jedenfalls. Der „Dolden Dark“ kommt dann aber überhaupt nicht extrem daher, sondern ist ein Porter ganz nach meinem Geschmack: dicht und cremig, weder von krassen Fruchtsäuren noch von heftigen Röstnoten auf spitz getrimmt, sondern einfach richtig ausgewogen und komplex. Dass hier 6,9 vol% im Glas schlummern, merkt man bei dem Stammwürzengebrumme überhaupt nicht. Solltet Ihr auch ausprobieren.
Kein allzu gewagter Übergang: vom Bier zum Honig. Wie wir ja alle noch aus dem Geschichtsunterricht in der Schule wissen, haben sich schon die alten Germanen ihr Honigbier gebraut. Aber nicht nur sie: In Äthiopien, der Urheimat von, präzise ausgedrückt, allem Möglichen, gibt es seit Jahrtausenden eine bedeutende Honigproduktion, und Tante Wiki verrät, dass tatsächlich geschätzte zwei Drittel dieses Honigs für die Produktion von Tej verwendet werden, eines Honig“weins“ oder Honig“biers“, ganz wie man will. Beim Honig, den Samuel Woldekidan von Yerkisho mitgebracht hat, wäre es allerdings ein wenig schade, ihn einfach vergären zu lassen. Es handelt sich nämlich um ganz besonderen Honig, und das merkt man gleich beim ersten Schlecker.
Drei verschiedene Sorten hat Samuel mitgebracht, die aus unterschiedlichen Höhenlagen stammen. Der erste Honig aus dem Norden der Provinz Oromia ist recht fest und schmeckt ungemein gehaltvoll, malzig und kaffeeartig, aber ohne große Süße. Traditionell, meint Samuel, seien die Bienenvölker auch für die Befruchtung der Kaffeepflanzen gehalten worden – die klassische Polykultur. Da Kaffee aber nur im Schatten gedeiht und in der Schicht darüber noch vielfältige Schattenspender wachsen, müsste man erst analysieren, ob dieser Honig tatsächlich „Kaffee-Honig“ genannt werden dürfte. Der zweite Honig schmeckt angenehm nach Blüten, und der dritte ist wiederum eine echte Überraschung. Aus Gesha stammend, ist dies ein sehr flüssiges, im ersten Moment leicht wirkendes, dann aber sehr spezielles und schlichtweg hervorragendes Produkt. Diese Qualität und dieser Geschmack sind übrigens noch mehr Biofach-Besuchern aufgefallen. Als Samuel nämlich von einem kurzen Abstecher zum Kaffeekochen wieder zurück an seinem Stand war, hatten die lieben Besucher inzwischen seine ganzen Samples mitgehen lassen. Hoffen wir mal, dass wenigstens ein Händler darunter war, der die Yerkisho-Honige in sein Portfolio aufnimmt…
Vom tiefen Süden in den hohen Norden und zu einem gänzlich anderen Produkt. Da ich weiß, dass die Finnen den höchsten Pro-Kopf-Kaffeeverbrauch der Welt haben, war ich darauf vorbereitet, am Stand der Finnen auf etwas Kaffeebegleitendes zu treffen. An Käse hatte ich dabei allerdings weniger gedacht. Aber offenbar ist die folgende Kombination in Finnland sehr beliebt: dunkles Roggenbrot mit Streichkäse und dazu mehrere Kannen Kaffee. Unter den Käsezubereitungen, die der Käsehersteller Silva aus Jämsä bereithielt, fand ich die Räucherkäsecrème am interessantesten. Manager Esa erklärte mir bereitwillig, dass es sich im Urzustand um eine Art Tilsiter handeln würde, der dann primär über Erlenrauch geräuchert wird – versehen mit ein wenig Wacholderholz im Feuer wegen der aromatischeren Note. Dann wird der Käse zerkleinert und geschmolzen (im fertigen Produkt erkennt man noch kleine, etwas dunklere Stückchen von der geräucherten Rinde) und schließlich mit Butter vermengt. Das Ganze schmeckt wie ein Lagerfeuer am See, die Mitternachtssonne knapp über dem Horizont.
Wenn über die Republik Moldau in den Nachrichten berichtet wird, dann präsentiert man dort Armut, Korruption und brach liegende Kolchoseflächen oder aber Menschen, die das Land bereits verlassen haben, um woanders ihr Glück zu suchen. Was dabei (wie eigentlich ständig bei Nachrichten) immer vergessen wird, das sind die schönen, heiteren Dinge, und da kommt mir natürlich zuallererst der Wein in den Sinn. Immerhin wurde in der Region bereits vor 5.000 Jahren Wein hergestellt, zur Zeiten der Griechen und Römer sogar in großem Stil. Etwas bescheidener in den Mengen nimmt sich das kleine Familienweingut Equinox dar, das mir Constantin Stratan und Ioana Butnaru am moldawischen Gemeinschaftsstand vorstellen. 4,5 ha besitzen sie nur, und mit denen gehen sie entsprechend sorgfältig um. Seit 2006 verwenden sie keine synthetischen Produkte mehr, seit 2009 sind sie bio-zertifiziert, und interessanterweise produzieren sie hauptsächlich für den heimischen Markt. Das muss aber nicht so bleiben, denn mit einer Preisspanne von 5-9 € ab Hof für ihre durchgängig sehr schmackhaften Weine (und das gilt leider nicht für viele der auf der Biofach angestellten Weinen) ist das für die knallharten Supermarkt-Einkäufer zwar vielleicht schon zu viel, aber nicht für Händler auf der Suche nach dem besonderen Touch.
Diesen Touch bringt mein Lieblingswein von Equinox ins Spiel, und zwar allein schon deshalb, weil er reinsortig aus Rara Neagra gekeltert wurde, der alten autochthonen Rebsorte der Region. Beerig ist der Wein, jung (es handelte sich um eine Fassprobe), sehr angenehm und trotz des Ausbau in Zweitbelegungs-Fässern keineswegs holzbetont. Ioana verrät, dass die kleinen Avantgarde-Winzer der Region mittlerweile sogar wieder versuchen würden, die Reben der zu Umbruchszeiten voller Glauben an die Segnungen der Globalisierung angepflanzten Weltweinsorten wie Cabernet Sauvignon oder Chardonnay wieder umzupfropfen auf die alten lokalen Sorten. Mit den großen Billig-Kellereien können die Kleinbetriebe sowieso nicht mithalten, und so würden sie quasi dazu gezwungen sein, auf Qualität, Individualität und Regionalität zu setzen. Und das ist doch genau das, was wir uns alle von Bio-Produkten wünschen: eine Philosophie der Sorgfalt, der Vielfalt – und dazu natürlich auch ein guter Geschmack.
Ganz zum Schluss bin ich noch einmal in der Startup-Ecke unterwegs. Darauf aufmerksam geworden war ich beim Durchschlendern des Neuheitenstands ganz am Eingang der Messe. Dabei sprang mir ein Glas mit einem stilisierten Eichhörnchen ins Auge. Eine neue Manufaktur aus Hamburg namens HaselHerz verbarg sich dahinter, die – der Name lässt es vermuten – allerlei Haselnussprodukte anzubieten hat. Ich erinnerte mich unwillkürlich an mein Haselnuss-Erweckungserlebnis im Laden von Kral in der türkischen Schwarzmeerstadt Trabzon – und schon war ich unterwegs zum HaselHerz! Als ich vor Ort mit Besitzerin und „Frau für Alles“ Ebru Erkunt spreche, sehe ich an den aufgeklappten Zeitschriften im Hintergrund, dass ich hier offenbar kein Top-Entdecker mehr bin: Überall wurde bereits über HaselHerz geschrieben. Und immerhin gibt es bei der BioCompany in Hamburg und Berlin die kleinen Gläser mit den köstlichen Schmieren auch schon zu kaufen. Ebru findet das zwar sehr schön, aber richtig leben kann sie davon noch nicht. Aber das wird schon.
Mein Fazit nach der Biofach, die ich übrigens sehr angenehm mit einem Blogger-Frühstück beginnen konnte, ist deshalb sonnenklar: Ein Hoch auf die Regionen und Förderer, die es möglich machen, dass hier nicht nur die großen Profis der Szene einen Stand aufbauen können, sondern auch die kleinen Neueinsteiger, Traditionalisten und Querköpfe. Eine Weltreise durch sieben Hallen voller guter Produkten und inspirierter, sympathischer Leute. Irgendwie bin ich guter Hoffnung, dass auch unsere Kinder und Kindeskinder nicht ausschließlich pestizidierten und genveränderten Schund essen müssen.
Ich mag eigentlich gar kein von Firmen gefertigtes Produkt auch wenn bio drauf steht.
Was ist denn für Dich eine “Firma”? Procter & Gamble oder schon die Schrozberger Molkerei?
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