Oktober ist Krabbenzeit in Hong Kong. Viele Geschäfte für Meeresgetier haben Glasvitrinen vor ihren Eingang gestellt, die ständig neu befüllt werden mit verschnürten, lebenden Krabben. In der Regel handelt es sich dabei um die “Shanghai Hairy Crab” aus dem Süßwasser, die als Wollhandkrabbe mittlerweile auch in unseren Gewässern ihr Unwesen zu treiben scheint. Wer noch größere Exemplare der Infraordnung Brachyura (so heißt das offenbar wissenschaftlich korrekt) zu sich nehmen möchte, sollte allerdings ein spezialisiertes Restaurant aufsuchen.
Jedem Foodie, der ja auch gleichzeitig ein mehr oder weniger soziales Wesen ist, stellt sich bei bestimmten Genüssen eine ganz spezielle Frage: Kann ich dieses Gericht in der Öffentlichkeit essen? Damit meine ich sowohl eine Situation, bei der jemand am Nachbartisch anfängt zu würgen, weil ich eine rustikal duftende Andouillette esse (ist mir tatsächlich schon passiert und hat meinen Genuss nicht unwesentlich geschmälert, obwohl ich mich natürlich im “Recht” befand). Ich meine aber primär eine Situation in einem eher vornehmen Restaurant, bei der man Riesengarnelen, Hummer, Krabben, Hühnerschlegel und Grätenfisch bestellt, um alsdann – vor allem, wenn die anderen Gäste so etwas nicht essen – eine auffällige und peinliche Furkelei mit verschiedenen Bestecken und Instrumenten an den Tag zu legen, notfalls gar unter steinzeitlich anmutender Zuhilfenahme von Fingern und Beißerchen. Mir passiert es jedenfalls öfter, dass ich kurz darüber nachdenke, ob ich ausschließlich deswegen statt des Krebstieres nicht doch lieber das Cordon Bleu nehmen sollte.
Etwas weniger Bedenken habe ich, wenn das Restaurant von sich aus bereits damit preist, vornehmlich diese kompliziert zu essenden Gerichte auf der Karte zu haben. Es gibt dort dann zumindest kenntnisreiche Kellner, ein entsprechend effektives Instrumentarium, und ich kann sicher sein, dass ich nicht der einzige Gast bin, der sich so etwas antut. “Antun” ist natürlich ein etwas missverständliches Verb, denn das wenige Fleisch, das Krebstiere zu bieten haben, schmeckt nun einmal unverhältnismäßig gut.
Ein Restaurant, das “Hee Kee Crab General” heißt und noch dazu eine entsprechende Reputation unter Hongkongern genießt, sollte für mein Krabbenexperiment also der richtige Ort sein. Der Laden liegt auf der Grenze zwischen Causeway Bay und Wan Chai in der Jaffe Road, einer in diesem Teil eher unbelebten Straße, dafür aber zwei Häuser vor der Autobahnbrücke und im Keller eines nicht gerade protzigen Hauses. Dass sich kein einziger Westerner unter den zahlreichen Gästen befindet, ist unter diesen Umständen kein Wunder. Vor der Tür parken aber recht noble Karossen, und drinnen ist auch nur mit Glück noch ein Zweiertisch zu haben.
Ich weiß, dass jeder klassisch gebildete Chinese bei einer solchen Kombination die Hände über dem Kopf zusammenschlagen würde, aber weil wir ja nicht wussten, wie groß die Krabbe sein würde, die wir zu nehmen gedachten, haben wir auch noch anderes Meeresgetier bestellt: einen Topf mit “African Snails” und je eine gesottene Abalone.
Als der Kellner dann mit einem verschnürten und böse dreinschauenden Monstrum von mindestens 40 cm Panzerdurchmesser an den Tisch kam, wussten wir, die kleinen Schwimmkrabben würden es diesmal ganz sicher nicht sein. Ungefähr 60 € sollte diese Riesenkrabbe kosten, und wir entschieden uns dann für die nächst kleinere Version.
Als erstes kamen die Schnecken, recht kleine Exemplare, die in einem schweren Eisentopf in einem Bratensud schwimmend angeboten wurden. Geschmacklich war das eigentlich auch nicht anders als die französische oder katalanische Version, etwas weniger Knoblauch vielleicht.
Die Abalone wurde als nächstes serviert. Für diejenigen unter Euch, die mit einem solchen Napfgetier nicht so vertraut sind, sei ergänzt, dass Ihr die Schale dieser Schnecke (die aber wirkt wie eine Muschel) bestimmt schon einmal auf Märkten gesehen habt: außen violett, innen perlmutt und mit einer Reihe von Löchern die Längsseite der Schale entlang. Abalone sind vor allem in Japan begehrt und teuer, häufig allerdings auch eine erstaunlich zähe Angelegenheit. Das war diesmal überhaupt nicht der Fall, die Abalone zwar bissfest, aber ungefähr so gut zu kauen wie ein (gut gemachter) Tintenfischring. Schmecken tut es allerdings anders: Da es sich wie gesagt um eine Schnecke handelt, ist der Geschmack eine Mischung aus Meer, Wild und Leder.
Jetzt endlich die Krabbe, aber oh, wie hatte sie sich verändert! Die Beine waren abgetrennt und schauten aus einem Haufen heraus, der aus ein paar Frühlingszwiebeln und einer Menge rotbrauner Brösel bestand. Was sollte das denn sein? Ganz einfach: die aromatische Ergänzung zu dem weißen Krabbenfleisch in den Scheren. Der braune Haufen war nämlich eine Mischung aus dem braunen Fleisch des Panzerinneren, frittiertem Knoblauch, Chillies und noch einigen anderen Gewürzen. Wahrscheinlich trennt sich kochtechnisch und von der Ausgewogenheit der Aromen bereits hier die Spreu vom Weizen.
Die Scheren dieser Riesenkrabbe zu knacken, erschien mir allerdings auch mit der Krebsschere zunächst ein Ding der Unmöglichkeit. Nicht jedoch für die Bedienung. Sie eilte herbei, wickelte die Schere in eine Serviette und hieb mit dem schweren Ende der Krebszange gezielt ein paarmal darauf ein. Geschafft, der Panzer war durch, und man konnte mit den Stäbchen das Fleisch herausholen. Bei den kleineren Beinen wurde es aber dann genauso schwierig wie vermutet, so dass ich mit Knacken, Drehen, Reißen, Beißen, Stäbchen, Gabel und Fingern eine ziemliche Unordnung anrichtete und darüber ungefähr zehn Servietten verbrauchte.
Egal, das war es wert. Knapp 100 € kostet so ein Spaß für zwei Personen beim Krabbengeneral, das ist natürlich nicht wenig (Tee wird immer dazu gereicht), aber in ebenerdig gelegenen Restaurants würdet Ihr ein solches Exemplar nicht angeboten bekommen. Bei Eurem Stammchinesen vermutlich erst recht nicht, was dieses Krabbenessen für mich zu einer ziemlich einmaligen Sache gemacht haben dürfte. Über das ganze Knacken und Stochern war die Mittagszeit vorbeigegangen, kurzzeitig kein Tisch belegt. Das änderte sich aber schnell: Bereits beim Zahlen kamen die nächsten Gäste, um sich ein wenig Meeresgetier zu gönnen.
Was macht man jetzt an einem leicht bonzig gestalteten Tag, der in den Abend übergeht? Man lässt sich auf einen Aussichtspunkt kutschieren, an dem man dem Sonnenuntergang und dem Lichtererwachen der Großstadt unter sich zuschauen kann. Zum “Peak Tower” des Victoria Peak könnt Ihr entweder mit dem Bus Nr. 15 fahren (null bonzig) oder mit der Zahnradbahn (touristisch) oder auch mit dem Taxi (mäßig bonzig, man fährt hier Toyota). Was es vom Peak Tower aus zu sehen gibt, kennt man aus sämtlichen Reiseführern und Wikipedia-Einträgen, aber ehrlich gesagt ist es nicht nur spektakulär, sondern auch ganz anders, bei leichtem Abendwind tatsächlich hier zu stehen und seinen Blick über das Lichtermeer streifen zu lassen.
das sind so Momente, wo es mich richtig ärgert, eine Allergie gegen dieses Getier zu haben … besonders, wenn ich mir das Foto mit den Krabbenscheren und den Knusperkrümeln ansehen:-)
Vielleicht konsultierst Du mal einen echt chinesischen Arzt Deines Vertrauens. Ohne da in irgendeiner Weise ein Experte zu sein, habe ich das Gefühl, dass wir mit unserem westlichen Medizinansatz zwar ganz hervorragend einen akuten Bruch flicken können, aber bei langfristigen oder chronischen Dingen verstehen die Chinesen irgendwie mehr davon, was im Körper womit zusammenhängt. Wäre doch zu schade, wenn Dr. Wu erst in 20 Jahren auf die Lösung kommen würde, und Du hättest bis dahin auf jegliches Krebsgetier verzichten müssen 😉 Ich habe heute nämlich schon wieder ein paar Garnelen, eine Jakobsmuschel und eine weitere hervorragende Krabbe intus – direkt aus dem Becken ausgesucht!
Schönes Foto vom Peak…….weckt Sehnsucht Matze……
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