Französische Großstädte wirken im Hochsommer oft ein wenig schläfrig und vor allem leer. Toulouse macht da keine Ausnahme, und es hat mich doch ein wenig verwundert, dass man sich ganz offiziell in puncto Geschäftigkeit und Hipness mit Barcelona vergleicht. Aber selbst wenn die Uni komplett verwaist ist und die Hälfte der Einwohner am Meer oder in den Bergen zu weilen scheint, hat Toulouse für die Essinteressierten auch im Hochsommer noch jede Menge zu bieten.Wie überall in Frankreich, zieht es den gemeinen Foodie am Morgen zunächst ins Marktviertel. In Toulouse befindet sich der Hauptmarkt am Place Victor Hugo, aber statt eines romantischen Gewusels verschiedenster Marktstände stehe ich hier an einem viergeschossigen Parkhaus von beeindruckender Scheußlichkeit. Lasst Euch davon aber nicht irritieren, im Bauch des Betonmonsters gibt es alles, was Ihr Euch wünscht. Und in der ersten Etage haben sich fünf Marktrestaurants etabliert, zu denen ich später noch kommen werde. Fahrt bloß nicht mit dem Auto in die Innenstadt, selbst wenn Ihr das im Parkhaus direkt abstellen könntet. Bis Ihr nämlich durch den Lieferverkehr in den Gassen am Parkhaus angekommen seid, hat der Markt schon wieder geschlossen. Geöffnet ist die Markthalle jeden Tag außer Montag von 6 Uhr bis 13:30 Uhr, aber schon ab zwölf packen einige Händler ihre Sachen zusammen.
Zwei Dinge bringt der gemeine Tourist meist als Vorkenntnis über die Stadt Toulouse mit: 1. Hier wird der Airbus gebaut. 2. Hier isst man Cassoulet. Angeblich kann man in Toulouse nicht nur die größtmögliche Auswahl dieses Bohnen-und-Enten/Gans/Schwein-Eingemachten finden, sondern auch sowohl die beste als auch die schlechteste Variante davon. Wo es letztere gibt, weiß ich ehrlich gesagt nicht. In der Markthalle findet Ihr jedenfalls die Stände einer knappen Handvoll alteingesessener Einmach-Häuser, bei denen man bedenkenlos kaufen kann. Ein Blick auf die Inhaltsstoffe (bei eingedosten Waren ja glücklicherweise immer angegeben) genügt: keine E-Stoffe, Geschmacksverstärker, Streckmittel, sondern Bohnen, Entenfleisch, Entenfett und Gewürze. Das dürfte auch eines der gar nicht so geheimen Geheimnisse des “french paradox” sein: gute und schwere Zutaten, die den Körper schützen vor allerlei bösen Einflüssen.
Wer von Toulouse aus in Richtung Süden fährt, wird sich wundern, dass auf den Straßenschildern nicht irgendein französisches Ziel angegeben ist, sondern in der Tat Saragossa. Im Mittelalter war Toulouse die Hauptstadt Okzitaniens, und irgendwie kommt es mir so vor, als sei Paris für die echten Okzitanier immer noch sehr sehr weit entfernt. Der Dialekt, der in Toulouse gesprochen wird, ist auch erstaunlich stark und manchmal nicht leicht zu verstehen. Dafür gibt es Wurst und Schinken in einer fantastischen Qualität und Bandbreite.
Die Pyrenäen sind ebenfalls nur knapp zwei Stunden entfernt, und das wirkt sich positiv auf die Käseauswahl aus. Als gewöhnlichem Zentraleuropäer kommt einem das Angebot an Rohmilchkäsen – aus Kuh-, Schafs- oder Ziegenmilch, weich, mittelhart oder hart, kurz, mittel oder lang gelagert, mit Kräutern, Schimmelkulturen oder pur – schlichtweg überwältigend vor.
Ich hatte ehrlich gesagt ein wenig befürchtet, dass in einem so fleisch- und käselastigen Landstrich wie dem Pyrenäenvorland das Fischangebot ein wenig dürftig ist. Weit gefehlt. Toulouse liegt “entre deux mers”, und man kann deshalb in der Markthalle sowohl die Austern und Großfische aus dem Atlantik als auch die Felsenfische aus dem Mittelmeer bekommen. Gut, dass ich einen kleinen Kocher eingepackt habe zum Braten im Freien. Auf dem Hotelzimmer macht sich eine frisch zubereitete Tintenfisch-Pfanne nämlich nicht so gut.
Eines der renommiertesten Häuser für die typischen Konserven des französischen Südwestens heißt Samaran. Der Marktstand bietet alles, was in dieser Hinsicht das Herz begehrt, und eingelegte Entenschenkel kann man zur Not auch wieder mit in die Heimat nehmen, die Cassoulet-Dosen soweiso. Falls Ihr nachmittags vor der geschlossenen Markthalle stehen solltet, Samaran besitzt auch direkt außerhalb der Halle noch ein Geschäft, das auch zu späterer Stunde geöffnet hat.
Wer sich dazu entschlossen hat, Fleisch zu sich zu nehmen, sollte meiner persönlichen Meinung nach auch so konsequent sein, dann nicht nur Hühnerbrust oder fettfreies Minutensteak zu essen. In großen Mengen irgendein viereckiges Teil zu erwerben, das bitte auf keinen Fall daran erinnern möge, dass es von einem getöteten Tier stammt, ist allein schon seltsam genug. Dazu dann aber alles “Eklige” des Tieres zu verschmähen, hat für mich sehr viel mit der Naturentfremdung der modernen Gesellschaft zu tun – und ist einfach konsequenzloses Denken.
Weil so ein Tier nämlich nur zu einem sehr geringen Anteil aus potenziellen Minutensteaks besteht und die Fleischindustrie Geld verdienen will, wird sie deshalb noch perversere Haltungsbedingungen durchsetzen, wenn sie die (nicht geldbringende) Hälfte des Tieres wegwerfen muss, weil sowas ja keiner essen will. Da lobe ich mir solche Metzger wie die Triperie Sudres, bei der wirklich alles verarbeitet und angeboten wird, was Rind und Schwein so zu bieten haben. Solche Innereien, von denen wir gar nicht mehr wissen, dass es sie überhaupt gibt, legen irgendwie Zeugnis ab von der Würde, mit der in alten Zeiten dem seltenen Genuss “Fleisch” begegnet wurde.
Um genau das zu erfahren, bin ich in die erste Etage der Markthalle gegangen. Hier gibt es fünf Restaurants, die man besser schon um kurz vor zwölf Uhr mittags aufsucht, um noch einen Platz zu bekommen. Außer im Hochsommer, da findet man zu zweit immer noch einen Tisch. Ich habe mich für das “Louchebem” entschieden, ein Wort übrigens, das sowohl die “Geheimsprache” der Metzger an sich bezeichnet (eine Art Rotwelsch) als auch den Begriff des Metzgers in jener Sprache. Jedenfalls sollte es hier solche Dinge geben, die ich unten in der Halle gesehen hatte. Das Menü zu 18 € führte als Hauptgang “Hampe”. Beim Stand von Sudres hatte ich zwar die Hampe gesehen, aber nicht herausfinden können, was das auf Deutsch sein könnte.
Mittlerweile bin ich klüger: “Hampe” ist der französische Ausdruck für “Kronfleisch”, was wiederum einen Teil des Zwerchfells vom Rind bezeichnet. Hampe ist langfaserig und ziemlich zäh, so dass man immer konsequent gegen die Fasern schneiden muss. Dafür besitzt es aber, gerade wenn es nur kurz angebraten wurde wie hier, einen sehr guten, intensiven Rindfleischgeschmack. Das “Stinkelige”, das man gelegentlich mit Innereien in Verbindung bringt, hat Kronfleisch jedenfalls überhaupt nicht an sich.
Um die Markthalle herum, besonders im südwestlichen Abschnitt, gibt es noch einige traditionelle Geschäfte, die einen Besuch auch dann lohnen, wenn der Markt bereits geschlossen ist. So etwas wie der Platzhirsch ist dabei “Cafés Bacquié“, wobei man bei Bacquié nicht nur die verschiedensten selbst gerösteten Kaffees kaufen kann, sondern alles außer Frischwaren – eine echte Epicerie eben.
Leider habe ich vergessen, vom zweiten Klassiker, dem Maison Busquets, ein Foto zu machen. Natürlich kann man Weine an einigen Ständen in der Markthalle und auch bei Bacquié kaufen, das richtig gute Angebot gibt es aber bei Busquets. Ich habe hier inkonsequenterweise keinen Wein aus dem Südwesten erstanden, sondern einen von der Loire, nämlich den “Noëls de Montbenault” von Richard Leroy. Ich fürchte, dass nur wenige von Euch diesen fantastischen Chenin kennen werden, aber greift einfach ohne Bedenken zu, solltet Ihr das Glück haben, ihn irgendwo zu sehen.
Die “Fromagerie Xavier” wirkt von außen zwar wenig beeindruckend – von dem Foto des Inhabers mit dem Ehrenkittel eines MOFs (“Meilleur Ouvrier de France”) vielleicht einmal abgesehen – aber innen ist sie wirklich fantastisch. Die verschiedenen Käse sind nach thematischen Gruppen auf Tischen und in Regalen angeordnet, während der Verkauf an einem zentralen Tisch stattfindet. So könnt Ihr Euch sowohl beraten lassen als auch vorher eine veritable “tour de fromage” durchs Geschäft unternehmen.
Schließlich sei für alle Schinkenfreunde unter Euch noch auf das Geschäft “Viandas de Salamanca” hingewiesen (am südlichen Ende außerhalb der Markthalle gelegen). Allein der Duft ist unglaublich, der Euch umgibt, sobald Ihr den Laden betretet. Und an Schinken gibt es hier vom einfachen Baguettebelag bis hin zum ewig gelagerten Grand Cru für den entsprechenden Betrag alles, was das Herz begehrt.
Nach so viel Esskultur sei nur ganz kurz bemerkt, dass Toulouse auch für den weniger foodaffinen Besucher einiges zu bieten hat. Jenes findet Ihr zwar umfangreicher und besser erklärt in herkömmlichen Reiseführern (in denen dafür kaum eines der obigen Geschäfte zu finden sein dürfte), aber ich möchte zumindest auf zwei klassische Sehenswürdigkeiten hinweisen, die Ihr unbedingt besuchen solltet. Nummer Eins ist die romanische Basilika St-Sernin im Nordosten der heutigen Altstadt. Schon beim ersten Anblick des Ziegelsteinbaus werdet Ihr nachvollziehen können, weshalb Toulouse auch als “ville rose” bezeichnet wird, als rosenfarbige Stadt.
Sehenswürdigkeit Nummer Zwei ist die “Eglise des Jacobins”, der Hauptsitz der Dominikaner, mit ihrem berühmten “Palmier des Jacobins” als Deckenkonstruktion. Ohnehin wirkt die Hallenkirche wegen ihrer ganz anderen Dimensionen und ihrem ganz anderen Liturgieverständnis diskussionsanregend, aber schaut sie Euch am besten selbst an.
Zurück im Zentrum und endlich auf dem “Capitole”, dem Hauptplatz von Toulouse bereits seit der Römerzeit. Jetzt am Nachmittag bietet es sich doch an, in einer Eisdiele einzukehren, und wie es der Zufall so will, liegen die beiden besten Eiser von Toulouse praktisch direkt nebeneinander.
Bei Octave wählte ich eine Kugel Bitterorangen-Sorbet und eine Kugel Réglisse, also Süßholz. Rechts oben im Bild seht Ihr noch die kleinen Zugaben, Sandgebäck und Meringue, auch selbst gebacken und auf demselben Niveau wie das Eis.
Weil man ja nur einen guten Vergleich hat, wenn man die Sachen in kurzem zeitlichen Abstand testet, ging ich dann zu Philippe Faur (Le Florida) und bestellte eine Kugel dunkle Schokolade und eine Kugel Blutorange. Hier gibt es ein Schokoladentäfelchen und ein Schweinsohr inklusive. Ich hatte vorher gelesen, dass es sich um zwei der besten und wagemutigsten Glaciers von ganz Frankreich handeln soll mit Kreationen wie dem Roquefort- oder dem Salbei-Eis. Die Karte war bei beiden dann aber ganz klassisch und leider ohne die erhofften Extravaganzen. Auch von der Machart her ähnelten sich die beiden: sehr pures Eis mit dem reinen Geschmack der verwendeten Materialien, sehr natürlich, aber nicht so wahnsinnig raffiniert. Solltet Ihr trotzdem probieren, vielleicht empfindet Ihr es ja ganz anders.
Während des Eisessens kam dann ein unglaublicher Regenguss hernieder, und ich erinnerte mich an die Worte einer Verkäuferin, die mir vorher gesagt hatte, das Wetter in Toulouse sei das Unberechenbarste, was man sich vorstellen könne: mal 35 Grad und Sonnenschein, eine halbe Stunde später ein Guss aus den Pyrenäen, dass man denken könne, die Welt ginge unter.
Solltet Ihr auch abends noch in der Stadt sein (oder einen zweiten Tag), kann ich Euch noch das kleine Lokal “L’Esquinade” in der Nähe der Basilika St-Sernin empfehlen. Hier gibt es mittags ein günstiges und bodenständiges Menü und abends eine umfangreiche Karte echt spanischer Tapas. Dann werdet auch Ihr einsehen, dass Paris von Toulouse sehr sehr weit entfernt liegt und die nächste Stadt Saragossa heißt.
Schade dass das Eis eher klassisch daher kam. Aber wagemutig muss ja auch nicht immer schmecken. Mir fällt dazu Fenocchio aus Nizza ein. Tourte de Blette, Oliven, Vanille mit Rosa Pfeffer. Erstmal nicht gerade günstig und dann auch noch mit Eiskristallen durchzogen. Vom Geschmack auch nicht überzeugend. Für gutes Eis muss ich wohl wieder mal nach Köln fahren, ins Il Gelato. Birne-Petersilie, Sauerrahm-Thymian und Pumpernickel.
Nein, wagemutig muss in der Tat nicht immer schmecken. Und geschmeckt hat das Eis gut, also das Blutorangen-Sorbet halt nach Blutorangen, da gab es in der Hinsicht nicht viel zu meckern. Ich erinnere mich nur noch an das Eis in Vaison-la-Romaine (http://chezmatze.wordpress.com/2011/09/20/die-glaciers-von-vaison-la-romaine/), was ja – wenn auch im Osten statt im Westen – ebenfalls in Südfrankreich liegt. Und irgendwie deutlich ausdruckstärker war. Aber die Kölner Eissorten klingen auch nicht gerade ultra-konventionell 😉 .
Danke Matze, dein Link kommt einen Monat zu spät…. 🙁 Maison Lesage habe ich zum Glück noch selber gefunden. Eis am Stiel habe ich kein gesehen. Dafür bei Erdbeer-Eisenkraut und einem Karamell-Nuss-Monster zugeschlagen. Sonst fällt mir noch ein konventioneller aber erstklassiger Glacier in Annecy ein mit einem traumhaften Maronen-Eis. Irgendwo da in der Altstadt, zu erkennen an der unfassbar langen Menschenschlange.
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