Es gab ja mal in der neuen deutschen Rechtschreibung diesen wenig berückenden Vorschlag, ab sofort zu Thunfisch nicht mehr Thunfisch, sondern Tunfisch zu sagen. Respektive zu schreiben. Nun gut, im Spanischen wird der Thun auch nicht mit „h“ geschrieben, aber dort ist das „Tun“ als solches begrifflich auch nicht besetzt. Anders als bei uns. „Tun“ wie „sein lassen“. In Zusammenhang mit einem Fisch wirkt das doch irgendwie lächerlich, meint Ihr nicht? Jedenfalls scheint der h-lose Fisch zum Glück eine vergängliche Modeerscheinung gewesen zu sein, denn mittlerweile wird doch in der Regel wieder auf den guten alten Thun zurückgegriffen. Wenn Ihr jetzt fürchtet, Euch im Blog geirrt zu haben, keine Angst, dieser sprachästhetische Einstieg diente nur als Einleitung.
Diesmal wird es nämlich um ein Experiment gehen, das ich aus Neugier einfach durchführen musste. In Tokio war mir aufgefallen, dass es verschiedene Stücke vom Thunfisch zu kaufen gab, die einen geradezu unglaublichen Preisunterschied aufwiesen. Es stellte sich mir also die Frage, woran das liegen könnte: unterschiedliche Stücke desselben Fisches, unterschiedliche Thunfisch-Arten, saisonale Einflüsse? Und würde ich einen Unterschied zwischen einem zwei Euro- und einem 20 Euro-Happen feststellen können?
Die erste Antwort beim Blick in die „Encyclopedia of Seafoods“ verriet, auch ohne dass ich die Schriftzeichen lesen kann, dass komplizierterweise natürlich alles eine Rolle spielt. Ja, es gibt für jeden Abschnitt des Thunfischs eine eigene Bezeichnung, was einen unterschiedlichen Preis nach sich zieht. Ja, es gibt acht verschiedene Thunfisch-Arten, von denen sieben in Japan angeboten werden. Und ja, je nach Saison ist das Thunfisch-Fleisch unterschiedlich beschaffen, was ebenso den Preis beeinflusst. Ich hatte es ja schon befürchtet und ehrlich gesagt von den Japanern auch gar nichts anderes erwartet.
Dadurch dass die sieben Thunfisch-Arten aus unterschiedlichen Gegenden stammen, sind die einzelnen Fangzeiten allerdings über das Jahr verteilt. Das bedeutet, wenn Ihr nicht gerade ein ganzes Jahr in Japan zubringt, werdet Ihr immer nur jeweils ein oder zwei Arten frisch probieren können. Thunnus orientalis wird von März bis Juni in den gemäßigten nördlichen Breiten gefangen (nah verwandt mit der Art, die es auch bei Sizilien gibt), Thunnus maccoyii von Mai bis Juli in ähnlichen Breiten – nur auf der Südhalbkugel, Thunnus obesus hat Saison im Juni und Juli und wiederum im Oktober und November, Fanggebiet Tropen. Thunnus albacares, Thunnus alalunga, Thunnus atlanticus und schließlich Thunnus tonggol sind im Prinzip um den Äquator herum zu Hause, nur in unterschiedlichen Ozeanen, Fangzeit in der Regel in den Wintermonaten zwischen Januar und März, teilweise auch im Mai. In der Theorie solltet Ihr also ausschließlich im japanischen Hochsommer wenig frischen rohen Thunfisch bekommen können, was auch irgendwie sinnvoll ist, weil Japan zu dieser Zeit bei 35 Grad unter einer tropischen Dunstglocke schwitzt – keine guten Rahmenbedingungen für den Handel mit Rohfisch.
Zu meinem Glück war ich mitten in der Thunnus orientalis-Saison in Japan, denn diese Art, laut Wikipedia auf Deutsch als Nordpazifischer Blauflossen-Thunfisch bezeichnet, gilt unter Kennern als die begehrteste. Und, das sei an dieser Stelle vielleicht noch angemerkt, seine Bestände gelten gemäß Roter Liste als „nicht gefährdet“. Auf Japanisch heißt der Fisch übrigens Hon-Maguro. Das berühmteste Fanggebiet für den Hon-Maguro ist das küstennahe Gebiet vor der Ortschaft Oma in der Präfektur Aomori. Dort treffen kalte und warme Meereswasser-Strömungen aufeinander, was zu sauerstoffreichen Turbulenzen führt, die die Fische besonders mögen.
Wenn man nicht gerade in ein spezialisiertes Restaurant geht, werden von den vielen verschiedenen Stücken des Thunfischs in der Regel drei unterschiedliche Stücke roh in Form von Sashimi angeboten. Das erste heißt „Akami“ und stammt von der Oberseite, dem Fischrücken sozusagen. Dies ist der magerste Teil und gleichzeitig – ein bisschen anders als bei der unter Gesundheitsaposteln grassierenden „Low Fat“-Seuche – derjenige mit dem geringsten Preis und dem geringsten Ansehen. Der zweite Teil stammt aus der Mitte und teilweise von der Unterseite, „Naka Shimo“ genannt und in Sashimi-Form als „Chu-Toro“ bezeichnet. Der begehrteste, fetteste und teuerste Teil ist gleichzeitig der kleinste. „Kami“ heißt der Teil des Oberbauchs, aus dem der „Oh-Toro“ geschnitten wird. Auf dem Foto könnt Ihr die drei Sorten noch einmal sehen: Chu-Toro ganz oben, Oh-Toro unten und Akami rechts.
Wenn Ihr außerhalb Japans einfach nur Thunfisch als Sashimi oder Sushi bestellt, wird das immer Akami sein. Erstens – das wissen wir ja jetzt – kostet es am wenigsten, und zweitens wirkt es auf die gewöhnliche Sushi-Klientel irgendwie appetitlicher, zumal es ja anders als gut gemasertes Rind- oder Schweinefleisch nicht etwa gebraten, sondern roh verspeist wird.
Aber wie schmecken diese drei Sorten nun? Unterschiedlich? Ja, und zwar ziemlich deutlich. Interessanterweise bezieht sich das nicht nur auf die Aromen, sondern auch auf die Textur. Akami schmeckt ganz klar nach – Blut. Sehr wenig vegetarisch also, aber auch wenig fischig, eher wie ein zartes, rohes Fleisch, leicht metallisch, gewisse Säure, ein bisschen nach Tatar, alles in allem aber sehr direkt.
Oh-Toro auf der anderen Seite hätte ich texturmäßig ganz anders erwartet. Rohen fetten Fisch hatte ich ja noch nie gegessen, aber da Thunfisch eigentlich wie Fleisch aussieht, hatte ich die fetteren Abschnitte als zähe Fasern angesehen, auf denen man eine ganze Weile herumkauen muss. Aber so ist es nicht – zumindest nicht bei der Qualität, die ich mir gegönnt habe. Oh-Toro ist fast genauso zart wie Akami, aber viel seidiger, nussiger, weniger aromatisch frontend und erst recht nicht blutig, sondern viel weiter unten angesiedelt, elegant und lang anhaltend. Chu-Toro hingegen schmeckt – wer hätte es gedacht – wie eine Mischung zwischen den beiden Extremen.
Lohnt es sich nun, den ganz theueren Thunfisch zu kaufen? Ja, auf jeden Fall! Aber ich finde, dass erst der Vergleich mit dem rohen, direkten Akami die Sache so richtig spannend macht. Man glaubt nämlich gar nicht, dass es sich um zwei Stücke desselben Fisches handelt, so unterschiedlich sind die beiden Abschnitte. Jedenfalls steht für mich fest, dass bei meinem nächsten Japanbesuch (mit dem ich fest rechne, wenn auch nicht gerade übermorgen) wieder mindestens zwei Sorten roher Thunfisch auf dem Speiseplan stehen werden.
Matze, das hast Du sehr gut recherchiert, da denke ich grad mit Wehmut an meinen Japanbesuch zurück 🙂
Liebe Grüsse aus Zürich,
Andy
Wieder mal ein feiner artikel. Ich frage mich immer: kann man sich das alles selbständig erschliessen wenn man gar kein Japanisch spricht und dorthin reist? Das ist biher nämlich der grösste einwand für eine reise dorthin. Ich will nicht wie ein blinder durch eine bildgalerie laufen.
Naja, so halb, würde ich sagen.
Ich bin da ja ziemlich klassisch ausgerichtet, das heißt, ich schaue vor der Reise, welche Informationen ich zu den Themen bekommen kann, die mich interessieren. Also in diesem Fall zum Beispiel das Buch “Food Sake Tokyo” von Yukari Sakamoto und ihr zugehöriger Blog (http://foodsaketokyo.com/). Und dazu noch einiges mehr, schließlich leben wir mittlerweile in einer Informationsgesellschaft 😉 . Dass einem in Ländern wie Japan immer wieder Dinge passieren, die man eben nicht spontan deuten kann, tja, das ist dann für mich irgendwie das Salz in der Suppe und vielleicht der wichtigste Grund, aus dem ich überhaupt reise: neue Erfahrungen machen, neue Dinge kennenlernen. Und falls das irgendwie als Beweis taugen sollte: Alles, was ich in meinen Artikeln über Japan schreibe, habe ich mir selbstständig erschlossen. Manches sofort vor Ort, manches auch erst nach der Reise. Deshalb muss ich ja auch wieder hin 😉
Danke für den tipp. Das buch hab ich gleich mal bestellt. Ich fürchte mich auch überhaupt nicht davor dass mir dinge passieren die ich nicht gleich deuten kann, sondern ehr dass ich an dingen vorbeilaufe die mich interessiert hätten, ich die hinweise aber nicht deuten konnte. Aber gut. Dann muss man eben nochmal hin. Auch kein elend.
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