Irgendwie habe ich das Gefühl, die Hälfte aller weltweit verfügbaren Journalisten sitzt momentan bei der Fußball-WM in Brasilien. Einerseits wirkt die Berichterstattung zu anderen politischen Themen sehr mager. Andererseits scheint jedes Ressort fast krampfhaft einen Bezug zu Brasilien herstellen zu wollen. Es gibt Artikel über brasilianische Rezepte, brasilianische Autoren, brasilianische Musik, brasilianische Technik und – unvermeidlich – auch brasilianischen Wein. Nun ist es so, dass Brasilien mittlerweile fast in den Top Ten der quantitativ wichtigsten Wein-Erzeugerländer gelandet ist mit einer Anbaufläche, die fast so groß ist wie jene in Deutschland. Ignoranz ist also nicht angesagt. Aber: Taugen die brasilianischen Weine überhaupt etwas? Ist da nicht überall Dschungel? Um mich diesen Fragen ein wenig zu nähern, habe ich mir als Exempel eine Flasche brasilianischen Weins gekauft, die mir besonders typisch vorkam.
Gemäß dem schön calvinistischen Motto “erst die Arbeit, dann die Askese”, nein, das Vergnügen natürlich, möchte ich Euch zunächst mit ein paar Rahmeninformationen malträtieren, bevor wir uns dem Inhalt der Flasche widmen.
Zunächst einmal ist Brasilien ein sehr großes Land mit einer ganzen Menge an Einwohnern. Etwas präziser ausgedrückt: 24mal so groß wie Deutschland, 200 Millionen Einwohner. Das relativiert ein wenig die Angaben zur Weinbaufläche. Brasilien produziert also beispielsweise mehr Wein als Österreich, aber die Weinkultur hat in Brasilien insgesamt natürlich einen wesentlich geringeren Stellenwert als in Österreich (die Brasilianer trinken im Durchschnitt nur zwei Liter Wein pro Jahr). Und die Reben wachsen vernünftigerweise auch nicht im Dschungel, sondern fast ausschließlich im subtropischen Süden diesseits der Grenze zu Uruguay. Dennoch ist das klimatisch gesehen ein Ostseitenklima (Cfa bei Köppen) wie in Atlanta, Brisbane oder Shanghai. Kann man da überhaupt Wein anbauen?
Ja, kann man. Oben seht Ihr eine Grafik mit der durchschnittlichen Sonnenscheindauer pro Monat. Die Orte Salto und Porto Alegre markieren ungefähr die Südwest- und die Nordostecke des Weinbaus im Süden Brasiliens. Bordeaux und Porto habe ich deshalb mit dazugenommen, weil die in Brasilien benutzten Rebsorten ursprünglich meist aus dem Bordelais stammen – und in dem Fall meines Weins aus dem Norden Portugals. Und “angeglichen” wiederum habe ich die Kurve deshalb genannt, weil Brasilien ja auf der Südhalbkugel liegt, ich die Werte für einen vernünftigen Vergleich also um sechs Monate verschieben musste. Das Resultat: Gegen Ende des Sommers knicken die Brasil-Werte zwar ein bisschen ein, aber Sonne gibt es dort im guten und nicht exzessiven Maß. Passt also.
Was ein bisschen weniger passt, das sind die Niederschlagswerte. Während der Reifeperiode regnet es in Brasilien deutlich mehr als im Süden Europas. Natürlich zerstört das nicht die Möglichkeit, dort Reben anzubauen. Aber es gibt die Gefahr der Dilution, mithin der Entstehung von Wassertrauben, und es gibt das Problem des Pilzbefalls, was einen erhöhten Fungizideinsatz nach sich ziehen dürfte. Für den Weinbau in seiner Gesamtheit bedeuten diese klimatischen Rahmenbedingungen: Ja, es funktioniert schon einigermaßen, aber für Spitzenweine und Knackiges wird es schwer.
Jetzt aber endlich zu dem Wein, den ich uneigennützig für Euch getestet habe, den 2008er Quinta do Seival Castas Portuguesas von Miolo. Ein Rotwein aus den beiden Douro-Trauben Touriga Nacional und Tinta Roriz. Miolo ist der Gigant unter den brasilianischen Weinproduzenten. Die Miolo Group besitzt 1.000 ha eigener Weinberge, von Bahia im Norden bis zur Campanha Gaúcha im Süden. Wenn Ihr Euch die wirklich interessante Website anschaut (die brasilianische Version hat übrigens noch wesentlich mehr Infos), könnt Ihr Euch durch über 100 Weine klicken, angeordnet in einer siebenstufigen Pyramide vom halbtrockenen Tetrapack bis zur so genannten Ikone, dem “Lote 43”. Wie das im Marketing halt so ist, werden allerdings nur die fünf oberen Stufen bedient, Miolo stellt gar keinen halbtrockenen Tetrapack-Wein her.
Mein Wein der oberen Mittelklasse ist der einzige aus den alten portugiesischen Rebsorten, und genau deshalb habe ich ihn genommen und nicht einen der “Weltweit-Merlots”. Für zehn Monate im französischen Eichenfass ausgebaut, präsentieren sich die “Castas Portuguesas” recht dunkel im Glas mit einem schon eine gewisse Reife andeutenden gelblichen Rand. In der Nase fühle ich mich eher an einen Roten aus dem Süden Italiens erinnert, einen Primitivo oder Aglianico: Rumtopf, kleine rote Beeren, trockene Zweige, darüber Minze schwebend. Am Gaumen ist der Säureeindruck relativ niedrig, das Frischegefühl also nur mäßig. Die Tannine sind präsent, ein wenig austrocknend auch, aber nicht so stark wie bei den gepressten Beerenschalen aus der Basilikata. Beerenfrüchte bleiben die leitende Aromatik, leicht überreife auch, phenolisch ist das nicht on top. Der Wein wirkt wie ein Spagat aus alteuropäischer Tradition und Moderne, wobei ich spontan niemals “Neue Welt!” ausgerufen hätte. Am zweiten Tag mit dementsprechend mehr Luft präsentieren sich die “Castas Portuguesas” dann weniger ungestüm. Fast kommt so etwas wie Harmonie auf.
Mein Fazit: WM-Hype oder wirklich lohnend? Naja, so dazwischen. Kein Wein, der in die Top Ten meiner roten Lieblinge gehört, aber auch keine Enttäuschung. Am meisten hat mich überrascht, dass es sich keineswegs um einen aalglatten Charakter handelt – was ich befürchtet hatte – sondern um ein durchaus robust zu nennendes Produkt. Von der Würze, Tiefe und Erhabenheit richtig großer Douro-Weine (dem “Batuta” zum Beispiel, um mal einen ungerechten Vergleich zu bringen) sind wir hier natürlich weit entfernt. Aber dafür kostet der Wein auch weniger.
Angemessene 16 € habe ich dafür bezahlt, und zwar in meiner neuen Entdeckung, dem “Arauco” in Nürnberg, einem kleinen Wein- & Schmuck-Laden mit angeschlossenem Online-Shop. Das ist wirklich die schönste Südamerika-Auswahl, die ich kenne. Und der Inhaber, ein Chilene, ist auch ausgesprochen sympathisch und kenntnisreich. Vielleicht sollte ich mich doch mal ein bisschen mehr mit Südamerika im Allgemeinen beschäftigen. Seit meinem angeblichen Auswanderungswunsch nach Brasilien in der fünften Klasse war bei mir in dieser Hinsicht ja nicht mehr so viel los…
Hallo Matze, danke für deine kurzweilige Einführung in den brasilianischen Weinbau. Fand ich sehr interessant.
Weisst du ob Pernambuco schon eine tropische Region Barsiliens ist? Da gibt es im Vale do Sao Francisco.erstaunlicherweise auch relativ viel Weinbau.
Ich habe die Tage natürlich auch einen Brasilianer im Glas gehabt. Wie es sich für mich gehört natürlich einen Pinot Noir 😉 von Lidio Carraro. Leider war der recht gewöhungsbedürftig …, aber zumindest nicht brachial oder alkoholisch aka “neuweltlich”. Am dritten Tag hatte er sogar ein wenig Balance.
Aber ja, Pernambuco ist schon mächtig tropisch. Vor einiger Zeit hatte ich mir eine CD gekauft namens “What’s Happening in Pernambuco?”, aber spontan kann ich mich an kein Lied mehr erinnern. Tropisch jedenfalls, aber eher trocken tropisch. Das Besondere beim Weinbau in der Gegend ist die Tatsache, dass sie drei Ernten über einen Zeitraum von drei Jahren verteilt machen. Also nicht zweimal im Jahr, der Vegetationszyklus soll schon lang genug sein, sondern leicht hinkend. Die Temperaturen sind ohnehin fast das ganze Jahr über gleich, nur mit dem Niederschlag muss man halt schauen, wie es passt…
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