Als B den Rucksack auf den Tisch stellte mit der Ankündigung, dass da ein Sixpack mitgebrachten Bieres aus Hamburg drin sei, musste ich natürlich gleich an den Spruch von den nach Athen getragenen Eulen denken. Immerhin sind wir hier in Franken, und Hamburger Bier, damit verband ich bislang ausschließlich börpsige Erinnerungen an Astra und Holsten. Aber die Welt hat sich inzwischen doch ein wenig weitergedreht – jedenfalls was den „Craft Beer“-Sektor anbelangt.
Biere von drei Hamburger Brauereien befanden sich im Sechserträger: Gröninger, Ratsherrn und Kehrwieder. Die Biere 1 & 2 wurden am ersten Abend, die Biere 3-6 am zweiten Abend ohne viel Theorie-Gedöns getrunken. Meine Anmerkungen fallen deshalb entsprechend schlicht aus und lassen sich im Notfall auf den jeweils ersten Spontan-Ausruf reduzieren.
Bier 1: Gröninger Pils. “Das ist kein Pils!”
Kupferfarben, deutlich mehr Malz- als Hopfenanklänge, cremiger Gesamteindruck. Darf man so etwas “Pils” nennen? Ja, natürlich. Ich bin mir nicht sicher, glaube aber, dass der Begriff “Pils(ener)” rechtlich überhaupt nicht geschützt ist und im Allgemeinen ein untergäriges Bier mit stärkerer Hopfung bezeichnet und sonst nichts. Dass ich und wahrscheinlich über 99% der Bierwelt darunter ein helles, höchstens goldfarbenes Bier verstehen, ficht den Gröninger Brauer nicht an. Die allgemeine Qualität des Bieres leidet zwar nicht darunter, aber ein Pils mit Röstmalzzugabe wie dieses ist mir persönlich einfach zu unharmonisch.
Bier 2: Kehrwieder SHIPA Hüll Melon. “Grunge wird Mainstream.”
Ich weiß nicht, ob Ihr Euch daran erinnern könnt, vielleicht seid Ihr ja noch gar nicht so alt. Im Jahr 1991 kam “Nevermind” auf den Markt, das eigentlich schon zweite Album der amerikanischen Alternativ-Rocker Nirvana. Sie kreierten einen neuen Stil der Rockmusik, der sich an ältere, rohere Vorbilder anlehnte und den man wegen dieser “dreckigeren” Attitüde Grunge nannte. Binnen eines halben Jahres besaßen alle meine Freunde die Nirvana-CD nebst Fan-T-Shirt, und aus dem alternativen Ansatz wurde in Nullkommanix ein großer Mainstream mit einer Menge von Follow-up-Bands. So ein bisschen ist das auch mit den kräftig aromakaltgehopften amerikanischen Obergär-Bieren = American IPA. Wer sein Lebtag bislang nur flaches Pilswasser getrunken hat, wird hier sein Erweckungserlebnis haben. Wer aber alle neu auf den Markt kommenden Craft Beers probiert, wird merken, dass dieser neue alte Stil anfängt, ziemlich mainstreamig zu werden. Und zwar ausschließlich deshalb, weil ihn alle “Abweichler” gleichermaßen praktizieren. Das deklamiere ich beim Trunk des SHIPA. Allerdings entgeht mir dabei, dass das SHIPA Hüll Melon ein Bier in der Reihe von vieren ist, die zwar alle auf die selbe Art gebraut wurden, aber jeweils mit einem anderen Hopfen. Jetzt kenne ich aus der Reihe nur diesen einen, der in der Tat starke Netzmelonen-Anklänge preisgibt. Wären die anderen Biere dank der anderen Hopfensorten so grundsätzlich anders, dass ich meine Behauptung von der Uniformität der rockigen Craft Beer-Brauer widerrufen müsste? The answer, my friend, is blowin’ in the wind.
Bier 3-5: Ratsherrn Rotbier, Pilsener und Pale Ale. “Auf die sanfte Tour.”
“Ratsherrn”, das hört sich doch so an, als würde es sich um eine Brauerei handeln, die schon seit Hunderten von Jahren existiert, um dann im letzten Jahrzehnt von der Braukrake Anheuser-Busch InBev, einstmals Interbrew, übernommen worden zu sein. Aber nicht doch, heißt es auf der sehr schmucken Website der Ratsherrn, “wir sind ein kleines Team in den Schanzen-Höfen, leidenschaftlich und ein wenig verrückt”. Warum nur zuckt mein Auge dabei so nervös? Habe ich etwa schon wieder das Braufactum-Syndrom? Ja, in der Tat, und mit Recht. Ratsherrn ist eine Marke der Nordmann-Unternehmensgruppe (genau wie Störtebeker übrigens), was natürlich weder etwas Verwerfliches ist noch dem Enthusiasmus der Braumeister Abbruch tun muss. Aber, liebe Freunde, man sollte auch dazu stehen können. Das ist jedenfalls meine Meinung.
Die Biere selbst passen dann zur Überschrift mit der sanften Tour. Gut, bei dem Rotbier hätte man etwas anderes auch nicht erwartet, schließlich handelt es sich um den malzbetonten Typ, den man international gern mit Wien assoziiert. Mir schmeckt so etwas wegen seiner üppigen Samtigkeit. In der Tat mein Lieblingsbier von den dreien. Das zweite Bier ist ein klassisches Pils, diesmal aber wirklich: hell, süffig, durstlöschend und für ein Craft Pils nur sehr sehr dezent gehopft. Das gilt auch für das letzte Bier in der Reihe, das Pale Ale. Obergärige Noten in der Nase zwischen Frühlingsblüten, Gras und Trockenfrüchten. Am Gaumen bleibt das Bier erstaunlich leichtfüßig, gar kein Vergleich mit dem SHIPA von gestern und seinem Aroma-Wumms. Nette Biere jedenfalls, nur wiedererkennen würde ich wohl kein einziges davon. Aber sie sollen vermutlich auch eher den Fernsehbier-Trinker zum Umdenken bringen, und das können sie sicher.
Bier 6: Kehrwieder Feuchter Traum. “Doofer Name, gutes Bier.”
Natürlich liefern die Kehrwieder-Boys auf ihrer Website eine Erklärung für den Namen, und ebenso natürlich ist dieses Bier durch die Nasshopfung, nun ja, wahrhaftig feuchten Ursprungs. Aber trotzdem, mich erinnert der Name ausschließlich an die Weichzeichner-Softnackten von David Hamilton, an den Begriff “Lüsternheit”, und das ist im Gesamtkontext keine besonders positiv konnotierte Assoziation. Wie auch immer, alles andere ist dafür komplett stimmig. Die Story mit dem Autotransport des frischen Hopfens zur Brauerei zum Beispiel, wo in weniger als acht Stunden ohne jede Trockung oder Behandlung der Brauvorgang gestartet wurde. Aber auch der Geschmack, denn hier geht es in der Tat um Ausgewogenheit, um schönen, frischen Hopfen (Cascade aus der Hallertau übrigens von Hopfenbauer Josef Huber), um die sanfte Fruchtigkeit eines obergärigen Bieres, um die Balance zwischen Konzentration und Trinkfluss. Ganz klar (für mich) das beste der sechs Hamburger Biere.
Mit einem kleinen Wehmutstropfen, jedenfalls für unsere norddeutschen Freunde: Der Hopfen stammt wie gesagt aus der Hallertau, und gebraut wurde mangels Brauereiausstattung bei Freunden in Nittenau, Kreis Schwandorf, Oberpfalz. Damit ist dieses Bier genauso hamburgisch wie die meisten Biere von Mikkeller dänisch sind: durch Brauerkopf und Brauerhand, aber nicht durch die Zutaten. Aber seien wir ehrlich, der übersteigerte Lokalpatriotismus comes ohnehin to an end, wenn Mikkeller als Referenz dient.
Dank in jedem Fall an B für den bringenden Besuch, und sieh zu, dass Du mindestens zehn der in diesem Artikel genannten Hamburger Musiker in Deinem Buch unterbringst.
Über die drei anderen Single Hops von Kehrwieder werde ich nächste Tage einen Bericht geben, die stehen hier schon antrunkbereit. 🙂
Ah, da bin ich ja sehr gespannt. Ich tippe mal auf Cascade als No. 1, aber das ist nur so eine Vorahnung…
… und gebraut wurde mangels Brauereiausstattung bei Freunden in Nittenau, Kreis Schwandorf, Oberpfalz …
Bei wem wird denn gebraut in Nittenau? Beim Brauereigasthof Jakob (Nittenauer Bier), oder bei der Brauerei Jacob. Nur so aus Interesse – schlechtes Bier braut keine der beiden Brauereien, im Gegenteil.
Der Brauereigasthof Jakob ist eher eine Micro-Brauerei, die Brauerei Jacob ein mittelständischer Betrieb mit recht gutem Weizen.
Ich tippe mal auf den Brauereigasthof Jakob, würde passen.
Recht hast Du, gebraut wurde bei Jakob mit “K”: http://www.ratebeer.com/brewers/brewing-company-8757.htm
Ist schon lustig, dass die beiden Brauer fast denselben Nachnamen besitzen. Jacob mit “C” braut aber in Bodenwöhr, oder? (also eine Weltreise von Nittenau entfernt 😉 )
Danke für dioe Antwort, Matze.
Der Brauereigasthof Jakob ist übrigends auch ein Tipp für gutbürgerliche Küche – Waller im Wurzelsud und derartiges 😉
Ratsherrn ist in der Tat eine ziemlich alte Biermarke. Sie war das Premiumbier der Elbschloßbrauerei und nur in Fässer für die Gastronomie erhältlich. Nach mehrern Übernahmen ist die Marke Ratsherrn bei Holsten (Carlsberg) gelandet, welche sie aufgrund einer Entscheidung des Kartellamtes abgaben mußte. Daraufhin ist die Marke Ratsherrn von der Nordmann Gruppe gekauft worden.
Danke für den Kommentar! Tja, Namen sind manchmal offenbar tatsächlich nur Schall und Rauch 😉